Table of contents

[titlePage_recto]
Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band
auf das Jahr 1811.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

St. Petersburg.

[Seite 1153]

Reise um die Welt in den Jahren 1803, 04, 05
und 1806 auf Befehl Sr. Kaiserl. Majestät Alexan-
der des Ersten
auf den Schiffen Nadeshda und
Newa unter dem Commando des Capitains von
der Kaiserl. Marine A.J. von Krusenstern.
Zweiter Theil.
1811. 436 Seiten in groß Quart.

Den ersten Theil haben wir im vorigen Jahrgange
dieser Blätter (– St. 67 u. 68 –) angezeigt. Hier
der so eben uns zugekommene zweyte, der die andre
Hälfte der Beschreibung dieser merkwürdigen Welt-
reise enthält, ist noch reicher an wichtigen Entdeckun-
gen für die nautische Geographie, zumahl in der
bisher noch so lückenvollen Kenntniß der Küsten und
Inseln des Japanischen Meeres, und an eben so
neuen als unterhaltenden Nachrichten zur Länder-
und Völkerkunde, aus deren Fülle wir aber wieder,
wie bey der Anzeige des ersten Bandes, nur Weni-
ges ausheben können; welchem Wenigen wir aber,
zum bessern Verständniß, zuvörderst bloß im Allge-
meinen den Curs der Schiffe vorausschicken müssen,
die wir am Schlusse jenes Bandes in Japan nach
[Seite 1154] dem im Nahmen des dasigen Kaisers dem Gesandten
Resanoff ertheilten categorischen rund abschläglichen
Bescheid, zum Absegeln bereit verlassen hatten.

Hr. von Kr. nahm nun seine Fahrt (– im April
1805 –) von Nangasaky aus nördlich zuerst nach
der Straße Sangar, welche Nipon und Jesso schei-
det, so wie diese Insel wiederum durch die La Pé-
rouse’s Straße von Sachalin getrennt ist, und
brachte so die Schiffe (– Anfangs Junii –) wieder
in den Peter-Paulshafen auf Kamtschatka. Von da
begann er (– im Julius –) seine wichtige Untersu-
chungsreise nach der Ostküste von Sachalin, und lang-
te hierauf (– Ende Augusts –) zum dritten Mahle
auf Kamtschatka an, von wannen er auf der Heim-
reise erst zwischen Formosa und den Bashee-Inseln
hindurch (– im November –) nach Macao kam;
dann (– Anfangs Märzes 1806 –) die Sunda-
Straße passirte, das Cap umsegelte (– Anfangs
Mayes –), auf St. Helena einlief, weiter über
Schottland nach Kopenhagen, und so endlich glück-
lick nach Cronstadt zurück kam.

Nun Einiges im Einzelnen.

Der Wunsch der Japaner, ihrer Gäste quitt zu
werden, schien eben so lebhaft und dringend, als die-
ser ihre herzliche Sehnsucht, lieber heute als morgen
aus dieser halbjährigen so wenig ehrenvollen Gefan-
genschaft erlöset zu seyn. Kaum hatte also der Ge-
sandte die Holländische Uebersetzung der Verbots-
Documente erhalten, so wurden auch gleich am näch-
sten Tage die Anker gelichtet, und, wie gesagt, die
Fahrt zunächst im Westen der Sangarstraße, die hier
nur 9 Meilen weit ist – statt der 110, die ihr auf
manchen Karten gegeben werden – nach Jesso oder
Matsumay gerichtet. Die Irrung, welche in den
verschiedenen Nahmen dieser berühmten Insel bisher
geherrscht hat, ist nun hier dahin berichtigt, daß
[Seite 1155] Jesso der ursprüngliche ist, den die Ureinwohner der-
selben, die merkwürdigen Ainos oder insgemein so
genannten behaarten Kurilen, gebrauchten. So wie
diese aber von den Japanern, die sich von Süden da
angesiedelt, ans nördliche Ende verdrängt worden, so
haben die Eroberer den Nahmen Matsumah, der ei-
gentlich der Hauptstadt gehört, für die Insel selbst
eingeführt. – Ein Japanischer Officier, der mit sei-
ner Bedeckung an Bord kam, wollte sich lange nicht
überreden, daß das Russen seyn sollten, da sie Titus-
köpfe trugen, und er hingegen 12 Jahre vorher die
Laxmannsche Gesandtschaft und deren Gefolge mit
Zöpfen gesehen hatte: so unbegreiflich schien dem
Manne, dessen Volk seit wer weiß wie langen Gene-
rationen unwandelbar an einer und eben derselben
Tracht haftet, eine solche Haupt-Revolution. Uebri-
gens urgirte er die baldigste Weiterreise der Schiffe
aufs dringendste, und suchte durch öftere Wiederhoh-
lung der Töne bum, bum! mit abwechselndem Auf-
blasen der Backen einleuchtend zu machen, wie gewiß
sie sonst von den mächtigen Matsuwayer Fahrzeugen
in den Abgrund geblasen werden würden! – Die
Schilderung der herzlich unlieblichen und dabey doch
höchst achtungswerthen Ainos im Norden von Jesso,
und Süden von Sachalin, gehört zu den interessante-
sten Bereicherungen der Völkerkunde, und macht den
auffallendsten Contrast mit der im ersten Theile von
den bildschönen, aber ungeschlachten, Cannibalen auf
Nukahiwa. Jene erklärt der Verf., trotz des abso-
luten Mangels von körperlicher Hübschheit, ihrer
nicht eben reinlichen Kleidung, und trotzt des gerade
ins Gesicht gekämmten Haars und der zum Abschrek-
ken blau gefärbten Lippen der Weiber etc., dennoch
wegen ihres durchaus vortrefflichen Characters, ihrer
herzlichen Gutmüthigkeit etc., für das beßte von al-
len Völkern,
die er (– der Weltumsegler –) kenne.
[Seite 1156] Das Characteristische der Ainos ist reine Herzens-
güte, die auf ihrem Gesichte unverkennbar ausgedrückt
ist, und welcher ihr ganzes Betragen vollkommen ent-
spricht. Habsucht, das allgemeine Laster der Südsee-
Insulaner, ist ihnen gänzlich fremd. Sie brachten
Fische an Bord, ohne das Geringste dafür zu fordern,
und so sehr ihnen die dagegen gereichtem Geschenke
Freude machten, so mußte man sie doch erst durch
wiederhohlte Pantomimen bedeuten, daß sie die-
selben, als ganz für sie bestimmt, behalten sollten.
Die rein-patriarchalische Ruhe, die Einigkeit, die
unter diesem glücklichen Völkchen herrscht, geht so
weit, daß es selbst schwer fiel, die Familienhäupter
zu unterscheiden, so wenig anmaßend betrugen sich
die Aeltesten gegen die Uebrigen; und da Hr. v. Kr.
absichtlich die Geschenke unter Alt und Jung zu glei-
chen Theilen ausspenden ließ, so sahen jene dabey so-
gar nicht scheel, daß sie ihn vielmehr auf ein kleines
Mädchen aufmerksam machten, das aus Versehen noch
leer ausgegangen war. Dabey zeigte sich im Innern
ihrer Wohnungen eine Art von Wohlstand, den man
bey den Kamtschadalen, oder vollends bey den armen
Aleuten und den unglücklichen Einwohnern von Kad-
jak, leider nur zu sehr vermißt. Sonderbar ist, daß
in jedem Hause ein junger Bär gehalten ward, der
seine eigne Stelle in einem Winkel der Wohnstube
hat, und unstreitig der unruhigste Bewohner ist. Ei-
ner von den Officieren wünschte ein solches brummi-
ges Geschöpf zu kaufen, und bot einen Ueberrock von
Tuch dafür. Dennoch konnte man, obgleich Tuch in
den Augen der Ainos einen sehr hohen Werth hat, da
sogar die Japaner nicht im Stande sind, sie damit zu
versorgen, den Eigenthümer des Bären nicht vermö-
gen, sich von seinem Zögling zu trennen. Die Ainos
sind, wie es scheint, ganz Ichthyophagen. Nirgends
zeigte sich Spur von Ackerbau, selbst nicht von Gar-
[Seite 1157] tengewächsen, so wenig, als etwa von zahmem Geflü-
gel oder überhaupt von Hausthieren, nur Hunde aus-
genommen, die sie, vermuthlich zu den Winterreisen,
in großer Menge halten, und sich auch großen Theils
in ihre Felle kleiden. – So wenig man übrigens bis-
her von diesen so merkwürdigen Menschen wußte, so
war doch gerade das, was man von ihnen zu wissen
glaubte, und wodurch sie für die Anthropologie so in-
teressant wurden, daß sie nähmlich am ganzen Leibe
dichte behaart seyen, eine Fabel oder wenigstens eine
starke Uebertreibung. Diese deßhalb so genannten be-
haarten Kurilen
haben, nach den wiederholten Un-
tersuchungen unserer Reisenden, meist nicht mehr Haa-
re auf ihrem Körper, als sich bey gar manchem Euro-
päer zu finden pflegen. Und daß das einzelne Beyspiel
vom Gegentheil, da man einen am Leibe behaarten
sechsjährigen Knaben fand, nicht einmahl für eine erb-
liche Anomalie (– wie etwa bey den bekannten, vulgo
so genannten, Stachelschwein-Menschen, oder bey
manchen Albinos, oder in dem sechsfingerigen Fami-
lien etc. –), geschweige eine National-Eigenheit, zeu-
ge, lehrte die Besichtigung des Vaters, der den Euro-
päern hierin ganz gleich war. Daß aber auch dieß der
wahre Vater gewesen, dafür bürgt wohl die allgemei-
ne, selbst in Blödigkeit ausartende, Sittsamkeit
der dasigen Weiber.

(– Und individuelle Beyspiele von ungewöhnlich
stark behaarten Menschen gibts überall. So fand z.B.
Forster dergleichen auf der südlichen Hälfte des so ge-
nannten stillen Oceans unter den Bewohnern der neuen
Hebriden; und daß sie auch in Europa, und nahment-
lich in Schweden, nichts weniger als selten sind, dafür
darf der Rec. ein paar Stellen aus seltenen Schriften,
die ihm gerade zur Hand liegen, anführen: die eine
aus Har. Vallerius de varia hominum forma
externa
p
. 20: ‘“Saepissime non sine admiratione
[Seite 1158] conspeximus in Norlandia pilos in reliquo corpore
crescentes, prolixitati barbae satis convenientes,
adeo ut qua totum fere corpus pilosi sint
”’. Die an-
dere aus des gelehrten Visionärs Ol. Rudbeck At-
lantica
p.
529: ‘“Ex consanguineis solum nostris
XIII monstrare possumus, corpora habentes ad-
modum hirsuta
”’ etc. –)

Auch mag das dickstruppige Haar der Ainos und der
starke Bart der Männer, wodurch sie gegen die benach-
barten Völker gar auffallend abstechen, den Glauben
an jene Sage noch befestigt haben. (– Der Rec. hat
ein paar colorirte Portraite von einem Ainos-Mann
und Frau von der Hand des Hrn. Hofr. Tilesius vor
sich, die beide durchs buschlige Haar auffallen, so wie
sich hinwiederum der Mann durch den starken Bart, und
die Frau durch ihre blitzblau gefärbten Lippen auszeich-
net. Letztere wundersame Sitte haben sie vielleicht von
den Japanerinnen adoptirt. Denn eben auch in der
Sammlung des Rec. befinden sich zwey in Nangasaky
ausnehmend sauber gemahlte Bildnisse zweyer jungen
dasigen Frauen, das eine auf Seidenpapier, das an-
dere auf Zindeltafft, dieses mit schön blau, jenes
mit grasgrün geschminkten Lippen! –)

Sieben Wochen nach der Abfahrt von Nangasaky
kamen die Schiffe wieder im Peter-Paulshafen auf
Kamtschatka an. Bald nach jener Abfahrt brachen bey
einem der an Bord befindlichen Soldaten, einem Ein-
gebornen von Kamtschatka, die Pocken aus. Zum Glück
hatten zwar alle übrige auf dem Schiffe befindliche Per-
sonen diese Krankheit schon bestanden. Aber in Kam-
tschatka, wohin man segelte, haben von den Erwachse-
nen die wenigsten, und von den Kindern noch gar kei-
nes, die Pocken gehabt! Dieß und die ohnehin so ge-
ringe dasige Volksmenge, vollends aber die Erinne-
rung an das schreckliche Ereigniß von 1767, wo eine
mörderische Epidemie der von Ochotsk dahin gebrach-
[Seite 1159] ten Pocken Tausende der armen Einwohner dahinraff-
te, vermochte den edeln Krusenstern zu eben so stren-
gen als musterhaften Vorkehrungen. Ungeachtet schon
mehrere Wochen vor der Ankunft des Schiffes die
Krankheit so überstanden war, daß gar keine Ansteckung
mehr zu fürchten schien, so wurde doch alles, was dem
Patienten gehört hatte, über Bord geworfen, die Sa-
chen derjenigen, die ans Land gehen sollten, nach der
Smythschen Methode durchräuchert etc., während des
Aufenthalts in Petropawlosk nicht die geringste Ge-
meinschaft mit den Einwohnern gestattet, und die de-
barquirten Soldaten mußten drey Wochen Quarantai-
ne halten. Und da Kamtschatka mit jedem ankommen-
den Schiffe dieser dort so schreckliche Gefahr drohenden
Krankheit ausgesetzt ist, so urgirt er aufs dringendste,
daß man doch auch jenen fernen Erdtheil baldmöglichst
der Wohlthat der Kuhpocken theilhaft machen möge.

Mit gleicher Humanität, – aber auch laut u. männ-
lich, – erhebt er seine Stimme zu Milderung des alles
Menschengefühl empörenden jammervollen Drucks,
unter welchem die unglücklichen Insulaner auf dem
Russ. Nordarchipel und die Einwohner der benachbar-
ten Küste von Nordamerica schmachten, u. täglich mehr
durch die bisher ganz unbeschränkt gebliebene, aller be-
liebigen Willkühr überlassene, Eigenmacht der Agenten
der Russisch-Americanischen Compagnie und ihrer Un-
ser-Bedienten aufgerieben werden. Wir können nur
sehr Weniges von dieser schaudervollen Schilderung
hier anführen, und doch muß auch dieses Wenige jeden
Leser überzeugen, daß jene unsre armen Mitmenschen
von der Mongolischen Raße von ihren Europäischen
Brüdern, wenn gleich auf andre Manier, doch im Grun-
de um nichts milder, gepeinigt werden, als weiland die
von der Americanischen durch die ersten Eroberer der
neuen Welt, oder als die von der Aethiopischen durch
die Vampyren von Sklavenhändlern. – ‘“Der Haupt-
[Seite 1160] Agent jener Compagnie ist unumschränkter Despot
über eine Strecke Landes, welche sich, mit Inbegriff der
großen Aleutischen Inselkette, vom 57. bis 61.° der
Breite, und vom 130. bis 190.° östl. Länge erstreckt”’.
– ‘“Jeder Russe, wenn er auch der abhängigste u. un-
terdrückteste Sklave eines Agenten der Compagnie ist,
darf ungestraft die ursprünglichen Einwohner des Lan-
des tyrannisiren”’. – ‘“Hier muß Jeder der eisernen
Willkühr jener Agenten gehorchen. Eigenthum u. per-
sönliche Sicherheit können da nicht Statt finden, wo es
keine Gesetze gibt. Nun aber gibt es in keiner Besitzung
der Compagnie irgend eine Gesetzpflege”’ (!).

(– Gott Lob, daß diese genaue lebendige Dar-
stellung, aus welcher wir hier nur ein paar allgemeine
Data ausheben konnten, von einem solchen Manne in
einem solchen Werke gegeben ist, wo sie ihres Weges
zum Throne gewiß nicht verfehlen kann, und eben so
gewiß auch bald und kräftig ihre wohlthätige Wirkung
äußern muß! Denn leider hatte in vorigen Zeiten der
Einfluß mancher Interessenten der Compagnie Mittel
gefunden, die frühern Versuche wodurch jene schauder-
vollen Greuel zur Sprache gebracht werden sollten, zu
vereiteln. – So besitzt z.B. der Rec. das handschrift-
liche Tagebuch des wackern Sergeanten Builof, der
schon 1779 ausdrücklich in der Absicht von Kamtschat-
ka nach den Fuchsinseln geschickt ward, um während
seines fünfjährigen dasigen Aufenthalts nahmentlich
das Betragen der Pelzjäger gegen die armen einge-
bornen Aleuten zu untersuchen, u. treuen Bericht dar-
über zu erstatten. Er that das aufs gewissenhafteste,
und der Erfolg war, daß die Pelzhändler schon in Ir-
kutsk die weitere Untersuchung niederzuschlagen wuß-
ten; daß Builof statt der ihm für seine treuen Dienste
versprochenen Officierstelle in Gefahr gerieth, gemeiner
Soldat zu werden; daß ihn zwar Cap. Billings dadurch
noch rettete, daß er ihn zum Schreiber bey seiner Expe-
[Seite 1161] dition annahm; daß er aber bald, meist aus Gram, starb
und sein Grab in den Fluthen fand. – Der Rec. hat
seine Gründe, warum er zugleich anmerkt, daß er dieses
noch ungedruckte Tagebuch von seinem, nun auch ver-
storbenen, Freunde, dem Hofr. Merk, erhalten hat, der
bey dieser großen achtjährigen Expedition als Natur-
forscher angestellt war, u. den Diensteifer u. die Wahr-
heitsliebe des unglückl. Builof verbürgen konnte. –)

Uebrigens muß man den gedachten Agenten eine Art
von consequenter Unparteylichkeit zugestehen, sinte-
mahlen sich hier ergibt, daß auch das Leben und die Ge-
sundheit ihrer eignen Landsleute, der Russ. Promüsch-
leniken (Matrosen im Dienst der American. Compagnie
oder so genannte Pelzjäger) mit eben so barbarischer
Gleichgültigkeit von ihnen vernachlässigt wird. Ein
mit voller Ladung befrachtetes Compagnieschiff von
circa 150 Tonnen, das Hr. v. Kr. besah (dasselbe,
auf welchem auch der nun zurückbleibende Resanoff
nach Kadjak zu seiner besondern Bestimmung abging),
war, außer den Officieren, Agenten etc., mit nicht we-
niger denn 70 solcher Matrosen überstopft, worunter
sich schon vor dem Auslaufen aus dem Hafen 20 Kranke
befanden, die selbst kaum Raum unter dem Verdecke
behielten, so daß die übrigen 50 entweder unter diesem
hyperboreischen Himmel auf dem Verdecke schlafen,
oder aber, ganz im buchstäblichen Sinne, einer auf dem
andern liegen mußte. Hangematten gabs gar nicht.
An Kleidungsstücken herrschte die größte Armuth:
Zerlumptheit u. höchster Schmutz characterisirte alle;
nur wenige hatten Hemden etc. – Und nun die armen
Kranken! Scorbutische und venerische Schäden schie-
nen bey den meisten unheilbar, obgleich sie seit 10 Mo-
nathen am Lande und unter Wundarzts Händen gewe-
sen waren. Jetzt sollten sie auch dieser Hülfe beraubt,
und nach einer langwierigen Fahrt an Orte versetzt
werden, wo entweder ärztlicher Beystand gänzlich fehl-
[Seite 1162] te, oder wo er von ganz Unwissenden geleistet wird.
Dabey bestand der Vorrath von Krankenkost aus eini-
gen Säcken verschimmelten schwarzen Zwiebacks und
zwey Tonnen schon so pestilenzialisch riechenden Salz-
fleisches, daß der Verf., als auf sein Gesuch ein Faß ge-
öffnet ward, sogleich den Schiffsraum verlassen mußte.
Die Hauptnahrung der Gesunden besteht aus Thran,
gedörrtem Seelöwenfleisch etc.; Branntwein aber, des-
sen unbeschränkter Vertrieb in jenen Gegenden sonst
aufs unseligste gemißbraucht wird, und dessen mäßiger
Genuß gerade diesen Seefahrern in jenen neblichten
und kalten Meeren heilsam seyn würde, den gibt man
ihnen nie. – Ein unverkennbarer Hauptgrund dieses
und hundertfältigen andern Elendes, wodurch die
Existenz der armen Eingebornen, so genannten Wilden,
sowohl, als der dort angesiedelten und im Dienst ste-
henden Russen, verkümmert wird, liegt offenbar in den
unermeßlichen Schwierigkeiten und ungeheuern Ko-
sten, die mit dem Land-Transport verbunden sind, auf
welchem bisher alle Bedürfnisse dahin gefahren und
großen Theils getragen werden mußten! Denn der
mächtig lange und ohnehin gefährliche Weg zwischen
Irkutsk und Ochotsk ist gar nicht fahrbar, sondern die
Waren müssen in ledernen Schläuchen auf dem Rücken
der Pferde und Rehnthiere transportirt werden. Wie
glücklich würden diese Schwierigkeiten überwunden,
und wie unendlich der Wohlstand von Kamtschatka und
von allen Russ. Besitzungen in und an jenem Ocean ge-
hoben werden, wenn von nun an die Schifffahrt zwi-
schon den Häfen des Baltischen Meeres, den Inseln
des östl. Oceans, und der Küste des nordwestl. Ameri-
ca unterhalten würde, deren Ausführbarkeit und ein-
träglichen Nutzen Hr. v. Kr. durch seine große Welt-
reise selbst so einleuchtend dargethan hat. Und die
Entfernung wird hoffentlich Niemand einwenden, der
von der Leichtigkeit einen Begriff hat, womit seefah-
[Seite 1163] rende Nationen, zumahl die Engländer und die Frey-
staats-Americaner, so eine halbe Reise um die Welt
zu machen verstehen.

Beyläufig einige herrliche Züge zur Characteristik
der Tschukischen, bekanntlich der einzigen Nation im
nördlichen Sibirien, welch sich bis jetzt noch nicht un-
bedingt dem Russischen Scepter unterworfen hat.
Sie sandten eine Deputation ihrer Aeltesten, ihr Ober-
haupt an der Spitze, an den edeln Koscheleff, Gouver-
neur von Kamtschatka, um ihre Beschwerden, nah-
mentlich ebenfalls gegen Pelzjäger der dick erwähnten
Americanischen Compagnie anzubringen, die sich be-
sonders beym Tauschhandel allerley Betriegereyen ge-
gen sie erlaubt hatten. Das ganze Betragen dieser
braven Wilden, ihr Anstand und Würde, ihre männ-
liche energische Beredtsamkeit etc. mahnt uns an die
eigentlich sogenannten Nordamericanischen Indianer,
die herrlichen Mohawks etc. (nicht die Eskimos, wel-
chen hinwiederum die Aleuten, und selbst die Kam-
tschadalen, ähneln). ‘“Es würde uns nichts kosten”’,
sagte der Wortführer, ‘“diese Russen in Einer Nacht zu
ermorden. Aber wir wollen lieber die Abstellung unse-
rer Beschwerden Deiner Gerechtigkeit überlassen.
Dein Ruf hat uns zu Dir gebracht etc.”’. Und nach dem
der Gouverneur alles untersucht, ihre Klagen gegrün-
det befunden, und ihnen Genugthuung verschafft hatte,
so zog der Sprecher bey einer andern Conferenz einen
Dolch mit abgebrochener Spitze hervor, mit dem feyer-
lichen Versprechen, daß dieselbe nie gegen die Russen
wieder geschärft werden solle, und dem Schluß:
‘“Melde das Deinem Kaiser”’!

Der treffliche Koscheleff gab unsern Reisenden noch
einen Abschiedsball, von welchem sie noch in derselben
Nacht an Bord und wieder in See gingen. Dießmahl
zur wichtigen Untersuchung der Ostküste des großen
Sachalin, das auf den bisherigen Karten als eine In-
[Seite 1164] sel dargestellt war, das aber, nach den vom Verf. ange-
gebenen Gründen, die er nachher auch durch Capitain
Broughton’s Untersuchung bestätigt gefunden, doch
im Süden der Mündung des Amur mit dem festen Lan-
de der Tatarey durch eine flache Erdzunge verbunden,
und folglich eine Halbinsel ist, deren nördliches Ende
von einigen hundert Schinesischen Tataren bewohnt
wird, durch welche die Ureinwohner, die guten Ainos,
dort eben so, wie im Süden durch die Japaner,
verdrängt worden.

Jeder Leser, dem die seltenen Talente und der edle
Character des verdienstvollen Krusenstern einiges
Interesse für diesen vortrefflichen Seefahrer einge-
flößt haben, wird mit herzlicher Theilnahme erfah-
ren, daß derselbe nun bey seiner dritten Ankunft auf
Kamtschatka zwey vom Kaiser Alexander selbst an
ihn gerichtete Schreiben erhielt, worin der Monarch
die Aeußerungen seiner vollkommenen Zufriedenheit
mit einer Belohnung begleitete, welche die Erwar-
tung des bescheidenen Mannes übertraf.

Dieser benutzte nun seinen dießmahligen Aufent-
halt besonders, um sich zu seiner weiten Heimreise
zu verproviantiren, wozu der thätige Beystand des
würdigen Gouverneurs das Beßte that, da die von
Ochotsk vorher dazu verschriebenen Victualien sich
so ungenießbar befanden, daß eine Summe von
15,000 Rubel umsonst darauf verwandt war. Da-
gegen erhielt er nun in Kamtschatka selbst tüchtigen
Vorrath; namentlich auch Kartoffeln die Fülle.
(– Diese große Gabe des Himmels, nebst der Chi-
na, das Beßte, was die alte Welt durch die Ent-
deckung der neuen gewonnen hat, wird also nun in
den fernsten Enden aller fünf Erdtheile gebaut. In
Kamtschatka, wie auf Grönland und am Cap und in
Sidneycove. So glücklich acclimatisirt das wohl-
thätige Gewächs allen Zonen! –)

[Seite 1165]

Bekanntlich hatten vorlängst zwey berühmte
Fremdlinge auf Kamtschatka ihr Grab gefunden.
Der Astronome de l’Isle auf Behring’s Expedition
1741, und Cook’s Nachfolger auf seiner letzten Welt-
reise, Capitain Clerke, 1779. Da aber die ihrem
Andenken daselbst gestifteten Denkmahle schon wie
verschollen waren, so haben die Officiere der Na-
deshda dasselbe durch ein dauerhafteres Monument
erneut. – Doch wie viel Interessantes müssen wir
nicht, dem Zuschnitt unserer Blätter gemäß, über-
gehen, z.B. die mit eben so viel Muth als Ver-
schlagenheit angelegte und glücklich ausgeführte
wunderähnliche Flucht von sieben Japanesen, die
ohne Trinkwasser, und selbst ohne Geschirr dazu,
in einem offenen Bohte von Kamtschatka nach ihrer
Heimath gerudert sind! und viel dergleichen mehr. –

Ausführliche lebendige Schilderung des elenden
Zustandes von Kamtschatka seit den hundert Jah-
ren, da diese große, berühmte, merkwürdige Halb-
insel in Rußlands Besitz ist, der unendlich wichtig
werden könnte, wenn man alle die Vortheile dar-
aus ziehen wollte, die er zu gewähren im Stande
ist. Der überschwenglich kostbare Land-Transport
aus dem Europäischen Rußland nach Ochotsk, und
von da nach Kamtschatka, war bis jetzt eine Haupt-
ursache, warum die dasigen Einwohner fast an allem,
selbst an dem, was die Nothdurft erfordert, Salz
und Brot und dergl., kümmerlich Mangel leiden.
Nur an Branntwein fehlts nie: Dank sey es der
Industrie der Kaufleute, die dadurch den armen Ein-
wohnern das einzige Mittel an die Hand geben,
des mit saurem Schweiß und Gefahr erworbenen
Geldes, womit weiter dort nichts anzufangen ist,
los zu werden! Die unseligen Folgen von allem
diesem bedürfen keiner Erwähnung, und treffen den
Ueberrest der armen, nun fast ausgestorbenen, ein-
[Seite 1166] gebornen Kamtschadalen sowohl, als die angesiedel-
ten Russen. Von jenen ehrlichen Wilden sagt der
Verf., ‘“daß sie an Güte des Herzens, an Treue,
Folgsamkeit, Gastfreyheit, Beharrlichkeit, Ergeben-
heit für ihre Oberen, schwerlich übertroffen werden
können”’. Wie diesem für Rußland so wichtigen, und
von der Natur, trotz der widerwärtigen Vorstellung,
die sich ununterrichtete Europäer davon zu machen
pflegen, bey weitem nicht verwahrloseten Lande, zu-
mahl durch jährliche Schifffahrt von Cronstadt aus
dahin, zum Wunder leicht und kräftig aufgeholfen
werden könne, zeigt der Verf. aufs einleuchtendste.

Nun von da zur Heimreise. – Auf der Fahrt
nach Macao passirten unsere Reisende eine große
Flotte von Booten Schinesischer Rebellen, wohl
300 Segel, die schon seit drey Jahren an der süd-
lichen Küste von Schina geraubt hatten. Sie sol-
len aber auf 4000 Schiffe stark seyn, und darunter
welche von 200 Tonnen Größe, die mit 2 bis 300
Köpfen bemannet, und mit 10 bis 20 Kanonen,
und zwar theils Zwölf- und Achtzehnpfündern, be-
waffnet sind. Gelingt es ihnen, ein Schiff zu en-
tern, so sind sie, ihrer überlegenen Anzahl von
Mannschaft wegen, ihrer Beute gewiß. Nur der
starke Sturm konnte sie abgehalten haben, auch die
Russen anzugreifen. Sie sind im Besitz der gro-
ßen Insel Haynan, eines großen Theils der Süd-
westküste von Formosa (der Kornkammer von Fo-
kin), und eines Theils von Cochinchina. Außer
diesen Seeräubern soll durch ganz Schina, und be-
sonders in den südlichen und westlichen Provinzen,
eine verbündete Gesellschaft von Unzufriedenen aus
allen Classen verbreitet seyn; so wie auch schon
mehrmahlen Anschläge auf das Leben des Kaisers
entdeckt worden. Ein Manifest, das der, freylich
gar schwache, Monarch (der funfzehnte Sohn des
[Seite 1167] ehrwürdigen Kien-long) bey dem letzten Vorfall der
Art ergehen ließ, ist besonders der Klugheit wegen
merkwürdig, welche man darin entdeckt, um auf eine
feine und anständige Art sich aus einer übeln Sache
zu ziehen. Ueberhaupt erscheinen die von Manchen
so hoch gepriesenen Schinesen auch hier in gar kei-
nem günstigen Lichte. Die gleichgültige Unthätigkeit
der Polizey z.E. bey Feuersbrünsten oder bey Typho-
nen (wodurch noch erst wenige Wochen vor des Hrn.
v. Kr. Ankunft in Macao auf 10,000 Menschen auf
dem Tigris umgekommen seyn sollen) ist schaudervoll.
Die von Dr. Pierson, Arzt bey der Engl. Factorey,
nun in Schina eingeführte Vaccination wird zwar
von der Regierung tolerirt, aber ohne daß sie einen
Schritt thäte, ihren Eingang zu befördern. Auch
waren die Schinesischen Aerzte ganz dagegen einge-
nommen, ungeachtet dieses so wohlthätige Heilmit-
tel auch dort einheimisch ist, da man es in Nankin,
so wie in Europa, an den Füßen der dasigen Kühe
gefunden hat. – Daß der Kindermord in Schina
allgemein geduldet wird, ist eine unbezweifelte That-
sache. Bey Whampoa sah man häufig todte Kinder
den Fluß herunter treiben. In Peking allein sollen
ihrer jährlich wohl auf 9000 umgebracht werden.
(– Eine schreckliche Instanz gegen Dav. Hume’s
abenteuerliches Paradoxon, der die Erlaubtheit des
Kindermordes für ein Beförderungsmittel der Be-
völkerung ausgab! –) – Die Beharrlichkeit der
Christlichen Missionäre in ihrer Bekehrungssucht ist
bey den gar unbedeutenden Progressen, die sie seit
länger als zwey Jahrhunderten darin gemacht, aller-
dings zum Verwundern. Jetzt steht ihre ganze dor-
tige Existenz auf sehr schwachen Füßen, da der Kai-
ser ein heftiges Manifest wider sie ihre Lehre er-
lassen, worin Manches von der letztern, wie z.B.
nahmentlich die Legende von der heil. Ursula, lächer-
[Seite 1168] lich gemacht wird. In diesem sowohl, als in dem
obgedachten, bedient er sich des Gleichnisses von ei-
nem tollen Hunde. – Aus gar manchen characteri-
stischen Zügen lernt man auch hier die Schinesische
Regierungsverwaltung als ein trotziges und verzag-
tes Ding kennen, worein sich aber zumahl die dorti-
gen Engländer gar gut zu finden wissen. Um z.B.
eine Forderung von 80,000 Pf. Sterl. vom Vicekö-
nig zu Canton einzutreiben, war eine Engl. Brigg,
trotz des strengen Verbotes in den Schinesischen Ge-
setzen, die Bocca Tigris zu passiren, mir nichts dir
nichts und ohne Lootsen, durch die Titularbatterien
derselben durchgedrungen, und der Capitain zeigte
den Mandarinen, die sich zu ihm an Bord begaben,
auf ihre Frage, worin die Ladung seines Schiffs be-
stehe, statt aller Antwort eine Kanonenkugel; –
eine Pantomime, welche die Herren so expressiv und
bedeutungsvoll fanden, daß sie sich Hals über Kopf
wieder von dannen verfügten. – Viel neue und in-
teressante Notizen über die Statistik von Schina,
Schifffahrt und Handel der Europäischen Nationen
und des Americanischen Freystaats dahin, müssen wir
hier übergehen. Nahmentlich viel Merkwürdiges
über den Theehandel und die mächtige Consumtion
dieser auch statistisch so wichtig gewordenen Blätter. –
Auch über den Aufenthalt auf St. Helena, wo Hr. von
Kr.
, wie obgedacht, auf der Heimreise einlief.

So kam der um sein Vaterland und um die Wis-
senschaften hochverdiente Mann nach einer Abwesen-
heit von drey Jahren und 12 Tagen den 19. August
1806 in den Hafen von Cronstadt zurück, unter an-
dern auch mit der großen Satisfaction, auf dieser so
wichtigen, lehrreichen, aber auch theils sehr gefahr-
vollen, Weltreise nicht Einen Mann, nicht Einen
Mast, nicht Einen Anker, verloren zu haben.




Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
This page is copyrighted