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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band
auf das Jahr 1814.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

London.

[Seite 433]

Philosophical Transactions for 1811 und for
1812. (s. oben Stück 22.)

Nun die zur Arzneywissenschaft und Natur-
geschichte
gehörigen Abhandlungen. – Erst aus
dem Jahrgang 1811. Die dießjährige Croonian
Lecture
lieferte Herr Brodie. (– Ein Wort
zum Verständniß jenes so oft vorkommenden Aus-
drucks ist wohl für manche Leser nicht überflüssig.
Der 1684 verstorbene Dr. Croune oder, wie er
sich auch schrieb, Croone, hatte der Londner So-
cietät gleich im ersten Decennium nach ihrer Stif-
tung nicht nur selbst in ein Paar Aufsätzen eine
Theorie der Muskelbewegung mitgetheilt, sondern
war auch Willens der Gesellschaft ein Legat zu
vermachen, wofür alljährlich eine Vorlesung über
eben diesen schwierigen Gegenstand gehalten werden
sollte. Er starb darüber, aber seine Witwe, die
Sir Edwin Sadleir heirathete, hat es ausgeführt,
daher das Vermächtniß auch den Nahmen der Lady
Sadleir, so wie die Vorlesung den der Croonian
Lecture
führt. –) Sie handelt dießmahl vom
[Seite 434] Einfluß des Hirns auf die Bewegung des Herzens
und auf die Erzeugung der thierischen Wärme, nach
Vivisectionen von Hunden und Caninchen, denen
Hr. Br. den Genickfang zwischen dem Hinterhaupt-
beine und dem Atlas gegeben. (– Da wo schon
Hasdrubal seine Carthaginenser die wüthig geword-
nen Elephanten im Augenblick [celerrima via mortis
wie sich Livius darüber ausdrückt] zu tödten lehrte;
– wo neuerlich Lorry den Centralpunct des Le-
bens und Sitz der Seele suchte; – und wo jetzt
nach der berühmten Motion des Bischofs von Dur-
ham die Englischen Schlächter ihre Ochsen aufs
schmerzloseste abstechen. –) Er folgert daraus:
1) der Einfluß des Hirus sey zur Bewegung des
Herzens nicht unmittelbar nothwendig; 2) wenn
das Hirn vom Rumpfe getrennt worden, so steht
das Herz nur deshalb stille, weil das Athemholen
dadurch unterbrochen wird; und wenn man hingegen
dieß durch einen angebrachten Blasebalg (– wie in
Rob. Hook’s Versuch –) künstlicher Weise fort-
setzt, so dauert auch der Blutumlauf fort; 3) wenn
der Einfluß des Hirns abgeschnitten worden, so
scheint die Absonderung des Harns zu cessiren, und
es wird keine thierische Wärme erzeugt, ungeachtet
Athemholen und Blutumlauf ihren Fortgang be-
halten und der gewöhnliche Farbenwechsel des Bluts
in den Lungen erfolgt; und 4) wenn die eingeath-
mete Luft kälter ist als die natürliche Temperatur
des Thiers, so bewirkt dann das Athmen keine
Erzeugung, sondern Verminderung der thierischen
Wärme.

Dr. Parry der ältere zu Bath (– der verdienst-
volle Verf. der Werke über die so genannte Brust-
bräune und über die durch ihn selbst bewirkte Ver-
edlung der Englischen Wolle zur Güte der Spani-
schen –) von einer Nervenkrankheit, die durch äußern
[Seite 435] Druck auf die Carotiden gehoben worden. Belesene
Aerzte werden wissen, daß der Verf. schon vor
etlichen und 20 Jahren in den Abhandlungen der
medicinischen Gesellschaft zu London die zum Be-
wundern schnelle, leichte und glückliche Hülfe be-
kannt gemacht, die ein solcher Druck bey gewissen
Arten von Nervenzufällen, wie z.B. in mancher
Migraine, Schwindel, Wahnsinn, Convulsionen,
Starrsucht etc. leistet; und er gibt nun in dem vor
uns liegenden Aufsatz bey Gelegenheit eines Falles,
wo in langwierigen krampfhaften Zufällen, zumahl
der linken Extremitäten, die Compression des
gemeinschaftlichen Stammes der rechten Kopf-
schlagader wohlthätig gewesen war, scharfsinnige
physiologische Erklärungen über die Congestion des
Bluts nach dem Kopfe als häufigster Ursache der
gedachten Zufälle, so wie über die mit Decussation
der Nerven sich reimende Wirkung des einseitigen
Drucks in dem erwähnten Fall u. dergl. m.

Hrn. Home’s Versuche zumahl an Hunden
(– die Linne im Natursystem wohl mit Recht
anatomicorum victimas und zwar nahmentlich in
sanguinis circulatione, vasis lacteis &c.
nannte –)
zum Erweise, daß Flüssigkeiten geraden Wegs aus
dem Magen in den Blutumlauf, und von da in die
Zellen der Milz, in die Gallen- und Harnblase
gelangen, ohne durch die Milchsaftsröhre zu gehen.
Diesen neuern Versuchen zu Folge nimmt er also
auch seine vorige Meinung zurück, als ob die Milz
dazu bestimmt sey, das Getränk unmittelbar aus
dem obern Theile des Magens aufzunehmen;
(– wogegen auch schon in der 3ten Ausgabe von
Hofr. Blumenbach’s institut. physiologic. Erin-
nerungen gemacht worden –); und hält sie nun
vielmehr für ein secernirendes Organ, welchem
ausnehmend große nach der Milchsafts-Röhre lau-
[Seite 436] fende lymphatische Gefäße statt Ausführungsganges
dienten.

Wiederum von Hrn. Brodie Versuche und
Beobachtungen über die verschiedene Weise wie
gewisse vegetabilische Gifte den Tod verursachen,
je nachdem sie entweder auf die Schleimhaut der
Zunge, des Magens und Mastdarms oder aber in
frische Wunden angebracht worden. Vergleichung
der Wirkung von Alcohol und geistigen Getränken
in den Magen gebracht mit der von gewaltsamer
Erschütterung des Hirns oder Druck auf dasselbe.
Herr Br. bezweifelt, daß diese geistigen Flüssig-
keiten ins Blut übergehen, sondern schreibt ihre
Wirkung aufs Hirn dem Nervenconsens zu. (– Aber
Beobachtungen jenes Ueberganges s. in unsers sel.
Dr. Albrecht’s Göttingischen Preisschrift: Recen-
sus alimentorum et medicaminum quibus ingres-
sus in systema vasorum sanguiferorum aut con-
cessus a natura, aut negatus sit,
S. 33 u.f. –)
Ein Tropfe flüchtiges Bittermandelöhl einer jungen
Katze auf die Zunge gebracht, tödete das Thier in
fünf Minuten; schneller als wenn es durch eine
Fleischwunde beygebracht ward. Mancherley andere
Versuche mit dem Saft von Eisenhutblättern, Ta-
baksaufguß, brenzlichtem Tabaksöhl, auch den bei-
derley berühmtem Pfeilgiften, dem Wurara aus
Guiana und dem Upas Antiar aus Java. – Alco-
hol, das flüchtige Mandelöhl, der Napellsaft, das
empyreumatische Tabaksöhl und das Wuraragift,
zerstören geradezu die Function des Hirns und
töten durch die Hemmung des von demselben ab-
hängigen Athemholens; Tabaksaufguß hingegen und
Upas Antiar hemmen den Blutumlauf, indem sie
das Herz selbst gegen den Blutreitz unempfänglich
machen. In manchen Fällen von jener Art Ver-
giftung lasse sich also von künstlich bewirktem Athem-
holen Hülfe erwarten.

[Seite 437]

Herr T.A. Knight (von welchem schon die vori-
gen Jahrgänge treffliche Beyträge zur Pflanzen-
physiologie enthalten) über die Ursachen, wodurch
die Richtung beym Wachsthum der Pflanzenwur-
zeln bestimmt wird. Mancherley scharfsinnige Ver-
suche, größtentheils freylich zur Widerlegung der-
jenigen Physiologen, die den Pflanzen Empfindung,
Vorstellung, Instinct u.s.w. zuschreiben, und
dieß nahmentlich aus vorgeblichen Beobachtungen
über die Art beweisen wollten, wie sich die Wurzeln
nach Stoffen die ihnen zuträglich sind, hinzuziehen,
sich hingegen von schädlichen zu entfernen scheinen.

Herr Jac. Macartney über das bleibende kleine
Anhängsel (diverticulum) am dünnen Darme von
Vögeln, an der Stelle wo derselbe beym bebrüte-
ten Thiere im Eye mit dem ductus vitello-inte-
stinalis
zusammenhing. Die Verschiedenheiten die-
ses Anhängsels bey mancherley Gattungen. Bey
der Heerschnepfe übertrifft seine Länge der Blind-
därme ihre. Der Brey aus den Därmen tritt nicht
hinein; vielmehr scheint es Schleim abzusondern.

Im Jahrgang 1812 berichtigt Dr. Wollaston
die Bestimmung der bisher für gleichwinklich ge-
haltenen primitiven Rhomboeder des Kalkspaths,
Bitterspaths und Spatheisensteins. Der Winkel
der bey ersterem 105°5′ beträgt; ist beym zweyten
von 106¼°, und beym dritten nahe an 107°.

Herr Home über den Antheil, welchen die Be-
wegung der Rippen am Kriechen der Schlangen
hat, mit genauer Beschreibung und Abbildung des
dazu gehörigen Muskelapparats.

Von Hrn. Brodie fernere Versuche über die
Wirkungsart von Giften auf den thierischen Orga-
nismus; und zwar dießmahl meist von den heftig-
[Seite 438] sten Mineralischen. – Bey Thieren durch Arsenik
getödtet zeigte sich weder im Schlunde noch im
Oesophagus Entzündung; wohl aber im Magen.
Aber auch diese konnte nicht von der unmittelbaren
Einwirkung dieses Giftes auf die Magenhäute her-
rühren, noch auch Ursache des Todes seyn. Sie zeigt
sich daselbst gerade am stärksten, wenn dasselbe durch
Wunden beygebracht worden war. – Bey Thieren
die durch salzsaure Schwererde vergiftet worden,
wirkt dieselbe hauptsächlich aufs Hirn, und nächst-
dem auch aufs Herz. – Dasselbe scheint auch der
Fall bey Vergiftung durch Brechweinstein, er mag
nun in den Magen oder in Wunden gebracht seyn. –
Alle drey genannte Gifte wirken nicht eher tödtlich
als bis sie ins Circulationssystem übergegangen
sind. – Hingegen ätzender Sublimat in Menge
innerlich genommen, tödtet durch chemische Wir-
kung auf die Schleimhaut des Magens die dadurch
zerstört und die zum Leben unmittelbar nothwen-
digen Organe consensuell dadurch afficirt worden.

Wiederum Herr Knight über die Bewegung der
Gabeln und Ranken an Pflanzen, die von manchem
Naturforschern auch einer Art von Empfindung oder
Vorstellung etc. hat zugeschrieben werden wollen.
Er zeigt durch seine am Epheu, Weinstock, an
Erbsen und der ampelopsis quinquefoliaangestell-
ten Versuche, wie sich diese Bewegungen als noth-
wendige Folge von Wirkung des Lichts oder aber
von Druck benachbarter Körper erklären lassen.

Hrn. Brodie’s fernere äußerst genaue und scharf-
sinnige Versuche und Beobachtungen zum evidenten
Erweise des Einflusses, welchen das Hirn auf die
Erzeugung der thierischen Wärme hat, – ‘“that
the temperature of warm-blooded animals is
considerably under the influence of the nervous
system”
’ u.s.w. (– Ganz das gleiche hatte Hofr.
[Seite 439] Blumenbach vor 27 Jahren in seinem Specimen
physiologiae comparatae inter animantia calidi et
frigidi sanguinis
im VIII. Bande der Societäts-
Commentationen behauptet; wogegen ihm anfangs
allerhand, theils gar curiose Einwendungen gemacht
werden wollten. –)

Herr Home über den verschiedenen Bau und
Lage der zur Auflösung des Futters bestimmten
Drüsen (the solvent Glands) in den Verdauungs-
werkzeugen der Vögel, (– eigentlich in ihrem Vor-
magen, proventriculus oder bulbus glandulosus –)
in Gemäßheit ihrer Nahrungs- und Lebensweise. –
Beyläufig auch viel interessantes über den Kropf
und den eigentlichen Magen. Alles durch treffliche
Kupfer erläutert.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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