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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band
auf das Jahr 1814.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

St. Petersburg.

[Seite 993]

Reise um die Welt in den Jahren 1803, 1804,
1805 und 1806 auf Befehl Sr. Kaiserl. Majestät
Alexander der I. auf den Schiffen Nadeshda und
Newa unter dem Commando des Cap. von der
Kaiserl. Marine A.J. von Krusenstern. Drit-
ter Theil.
1812. 378 Seiten in groß Quart.

Die ersten beiden Bände des Epochemachenden
Werks, welche die Reisebeschreibung selbst enthal-
ten, sind bald nach ihrer Erscheinung in diesen Blät-
tern angezeigt worden (der erste im 67. Stück von
1810, so wie der zweyte im 116. und folg. St. von
1811). Hier dieser dritte, mit welchem dasselbe
nun als geschlossen anzusehen ist, enthält außer
einem Supplement acht ausführlichere wissenschaft-
liche Aufsätze von dem edlen Capitain, so wie von
dreyen seiner trefflichen Gefährten, dem Naturfor-
scher Hofr. Tilesius, dem Astronomen Hofr. Hor-
ner
und dem ersten Arzte Dr. Espenberg.

I. Hofr. Tilesius über die Seeblasen (Holothu-
rien, Physaliden etc.) ein räthselhaftes Thiergeschlecht,
von welchem Linné sagte: tota structura ita a reli-
quis animalibus omnibus differt, ut vix describi
[Seite 994] queat.
Zur Erfüllung des Wunsches, den er hin-
zufügte, daß doch jemand das lebendige Thier
(– man kannte damahls nur Eine Gattung, die
wirklich in dieses wundersame Geschlecht gehört –)
untersuchen, und nach der Natur zeichnen möchte,
hat der verdiente Verf. dieser Abhandlung reichlich
beygetragen; denn er selbst will doch sehr beschei-
den diese seine treffliche Arbeit nur für Materialien
zu einer künftigen Naturgeschichte der Seeblasen
gehalten wissen. Auf der Fläche der tropischen Welt-
meere schwimmen diese prachtvollen Wunderthiere,
an welchen dreyerley Hauptorgane zu unterscheiden
sind. Erstens der zarthäutige Körper, bey einer
der Gattungen wohl von der Größe einer Cososnuß,
in herrlichen Farben zumahl aus dem Blaßhimmel-
blauen ins Rosenrothe spielend, ohne Spur irgend
eines Eingeweides, sondern bloß als eine mit Luft
straff gefüllte Blase, die sich am vordern Ende in
eine stumpfe sehr lebhaft bewegliche Spitze endigt.
Dann längs des Rückens eine ebenfalls sehr mobile
gleichsam Hahnenkammförmige meist carminrothe
Kante, deren sich das Geschöpf allerdings gewisser-
maßen als Segel bedient. Und endlich an der ent-
gegengesetzten Unterseite dreyerley ins Wasser herab-
hängende gallertige fadenförmige hohle Fangarme,
die sehr dehnbar und überhaupt von verschiedener
Länge sind, einige von der größten Art mehrere
Ellen lang. Die kürzern und bey weiten zahlreichsten
dienen dem prachtvollen Wunderthier statt Speise-
röhren und Mägen, als in welchen sich oft Gräten
und andere Reste von verzehrten Fischen und Mol-
lusken finden. Diese Speiseröhren und Fangarme
sind mit einem röthlichen Schleim überzogen, der
nach der Berührung wohl über 24 Stunden lang
ärger als Nesseln auf die Haut brennt. Die gleiche
schmerzhafte Wirkung verursachte noch nach acht
Tagen das Abwischen mit Tüchern an welchen dieser
[Seite 995] ätzende Schleim zufällig gehaftet hatte. – Den von
Hrn. Bosc am stumpfen Ende der ganz luftdichten
Blase angegebnen Mund hat der Verf. nicht finden
können. Wohl aber hat er dagegen ein Paar zarte
Papillen entdeckt, die zu diesem wundersamen pneu-
matischen Apparat zu gehören scheinen. Alle die
musterhaften Beobachtungen und Versuche die er an
dem lebendigen Thiere und zwar an mehreren Gattun-
gen dieses Geschlechts angestellt, haben ihn überzeugt,
daß es gewiß nicht zu den Zoophyten zu rechnen sey.

II. Ebendesselben Bemerkungen über den Jocko
oder Orang-Outang von Borneo (Simia satyrus).
Mancherley intressantes über die Bildung und das
Betragen eines Weibchen von dieser so seltnen und
so berühmten Menschenähnlichen Affengattung, das
der Gouverneur von Macao lebendig besaß. Es
hatte allerdings an allen seinen vier Händen Daumen-
Nägel, und trug die Gall’schen Observationsorgane
auffallend groß an seiner Stirne. Wie sorgfältig
es alles was ihm unter die Hände kam, untersuchte;
wie vorsichtig es alle ihm noch unbekannte Speisen
credenzte u. dergl. m. Besonders auffallend war
die ganz eigne Weise wie es seine großen Lippen
gleichsam Rüsselförmig zuspitzte, wenn ihm nach etwas
gelüstete oder wenn es trank.

III. Hofr. Horner über die Temperatur des Meer-
wassers in verschiedenen Tiefen. Zahlreiche Beob-
achtungen mittelst eines von Six angegebnen Ther-
mometrographen in mancherley Weltgegenden ange-
stellt, erweisen die abnehmende Wärme in zuneh-
mender Tiefe, und dann das merkwürdige Factum
einer constanten Temperatur des Meerwassers in
großer Tiefe, die sich nach der climatischen Verschie-
denheit der geographischen Breite zu richten scheint.

IV. Ebenderselbe über das specifische Gewicht
des Meerwassers, hauptsächlich nach dem verschie-
[Seite 996] denen Salzgehalt desselben. Zwischen den Wende-
cirkeln hält es um 1/555 mehr Salz als in höhern
Breiten; und im allgemeinen übertrifft der Salz-
gehalt des Wassers im atlantischen Ocean den der
Südsee um 1/1000. Alle eingeschloßnen Meere zeig-
ten sich auffallend süßer als der Ocean. Merkwürdig
ist, daß das Wasser am Cap Horn um 1/464 leichter
ist als das in der nämlichen Breite in der Nordsee
bey den Schottischen Inseln.

V. Ebenderselbe über die Oscillationen des Ba-
rometers zwischen den Wendekreisen, steht schon im
ersten Bande der Memoiren der St. Petersburger
Academie (– s. gel. Anz. 1812. S. 1341 –)

VI. Dr. Espenberg über den Gesundheitszustand
der Mannschaft auf der Nadeshda, während der
Reise um die Welt. Ein lehrreicher, der reifen
Einsicht und Urtheilskraft des. Verf. wahre Ehre
bringender Aufsatz, der zugleich die Leser von neuem
mit inniger Hochachtung für die eben so verständige
als humane Sorgfalt des verdienstvollen Capitäns
von Krusenstern für seine Mannschaft erfüllt; die
dafür aber auch mit dem seltnen glücklichen Erfolg
gekrönt ward, daß er auf der ganzen dreyjährigen
Reise, trotz der Verschiedenheiten des Climas, der
Abwechselung der Temperatur, der Entbehrung ge-
wohnter Nahrungsmittel etc. doch nicht einen Mann
von der ganzen Equipage verlohren hat. – ‘“Zu
der Zeit, da auf die Officierstafel schon seit meh-
rern Wochen nichts frisches gekommen war, täglich
immer Salzfleisch, bekam der kranke Matrose seine
Hünersuppe, oder wenn er das Huhn lieber gebraten
haben wollte, eine Sagosuppe mit Wein. – Buch-
stäblich wahr ist es, daß Seefahrende die ihnen so
wohlthätige Landluft auf mehrere (See-) Meilen
weit wittern können. An den Küsten von Sachalin
konnte man drey bis vier Meilen in der See die
balsamischen Ausdünstungen des Nadelholzes, womit
[Seite 997] sie bewachsen waren, sehr merklich riechen. – Das
Bärenfleisch in Peter Pauls Hafen war schlecht und
thranig, weil die dasigen Bären sich von Fischen
nähren. – Auf der Reise von da nach Japan zeigten
sich jetzt bey mehrern von der Mannschaft Würmer, die
nie vorher dergleichen gehabt hatten. – Das Schine-
sische Manifest, wodurch die Einfuhr des Opiums in
dieses Reich verboten ist, soll in medicinischer Rück-
sicht ein wahres Meisterstück seyn; alle Wirkungen
des Opiums sollen darin aufs treffendste und voll-
ständigste geschildert seyn.”’ – Noch ein Paar Zeilen
heben wir aus dem trefflichen Aufsatze aus, weil
sie eine der lästigsten und unvermeidlichsten Be-
schwerden auf weiten Seefahrten betreffen, die auch
wohl manchmahl einen bedeutenden Einfluß auf die
während derselben geführten Tagebücher gehabt haben
mag und über manche Vorfälle in solchen schwim-
menden Schlössern, wo man einander nicht weit aus
dem Wege gehen kann, einen Aufschluß geben könnte:
‘“lange Seereifen machen den Körper äußerst reitz-
bar; das ewige Einerley wird einem endlich sehr
zuwider, die Gemüther werden ganz verstimmt;
wenn man über eine noch so unbedeutende Kleinig-
keit disputirt, so geschieht es gleich mit Heftigkeit,
oft mit Erbitterung; man behält einen Groll, mault
hernach, spricht acht Tage lang kein Wort mit
einander etc.”’

VII. Der Capitain Krusenstern über die während
der Reise beobachteten Strömungen. Ein für die
Navigation sehr wichtiger Gegenstand; besonders
dann, wenn sich die Ursachen derselben mit einiger
Wahrscheinlichkeit erklären lassen. Die hier mit-
getheilten zahlreichen Beobachtungen gründen sich
auf eine mit möglichster Genauigkeit geführte Schiffs-
rechnung, und auf die tägliche Bestimmung des
wahren Orts des Schiffs, und können daher nur
einer geringen Unrichtigkeit unterworfen seyn. Aber
[Seite 998] doch ist der edle Verf. weit entfernt, selbst die ge-
naueste Schiffsrechnung als ein nur etwas gewisses
Datum anzunehmen, da sie so mancherley Fehlern
unterworfen ist. Die größte Schwierigkeit ist zumahl
die genaue Bestimmung der Abweichung der Magnet-
nadel, die trotz aller gebrauchten Vorsicht doch oft
einen Unterschied von 2 bis 3, auch 5 Graden zeigt,
und das sowohl zwischen den zwey Troughtonschen
Azimuthal-Compassen die man dazu gebrauchte, als
auch zwischen den Beobachtungen, wenn sie an ver-
schiedenen Stellen des Schiffs wiederhohlt wurden.

VIII. Ebenderselbe über die Fluthbeobachtungen
im Hafen von Nangasaky; steht schon im zweyten
Bande der gedachten Mémoires de l’Acad. de. St.
Petersbourg.
(– s. gel. Anz. 1812. S. 1726. –)

Ein Supplement (S. 310–76) enthält noch
dreyerley: 1) Eine Instruction des Commerz-Mi-
nisters, jetzigen Reichs-Kanzlers Romanzoff, an
den Capitain Krusenstern; betreffend ein vermein-
tes Eldorado das nach einer freylich unbestimmten
Sage als eine große Insel auf dem nordlichen
stillen Weltmeer von Japan östlich liegen sollte und
seit 200 Jahren von Spanischen, Holländischen
und Französischen Seefahrern – aber ohne Er-
folg – aufgesucht worden; und daß auch der vor-
treffliche von Kr. vergebens darnach gekreuzt, ist
aus dem ersten Theile der Reise schon bekannt.

(– Ein zweydeutiges Wort in dieser Instruction
hat den Rec. so stutzig gemacht, daß ein Aufschluß
darüber für andre Leser die in den gleichen Fall
kommen können, nichts überflüssig seyn wird. Es
heißt S. 313: der Bürgermeister Witsen erzähle,
daß Capitain Quast, da er 1639 von der Ostindi-
schen Compagnie auf jene Entdeckung ausgeschickt
worden, 200 Meilen östlich von Japan Vögel und
[Seite 999] Seenymphen gesehen habe. Es war nicht leicht
diese Sirenen in der voluminosen und confusen Noord
en Oost Tartarye
aufzuspüren. Endlich zeigten sie
sich (im ersten Bande S. 156 der zweyten Ausgabe),
aber in der niedern Gestalt von Puistebytersoder
Libellen, welches Ungeziefer wohl mancherley Deut-
sche Nahmen, doch schwerlich irgendwo den ganz
unpassenden von Seenymphen führt. –)

2) Das tabellarische Journal der Nadeshda mit
den auf diesem Schiffe gemachten astronomischen
und meteorologischen Beobachtungen;

und 3) Erläuterungen über die in diesem tabel-
larischen Journal befindliche Columne mit dem Titel
wahre Länge.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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