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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band
auf das Jahr 1814.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Göttingen.

[Seite 1225]

In der Versammlung der königl. Societät der
Wissenschaften am 9. Julius ward die Entscheidung
der Gesellschaft über folgende für diesen Termin aus-
gesetzt gewesene so genannte öconomische Preisauf-
gabe bekannt gemacht:

Wie können die Nachtheile, welche nach
Aufhebung der Zünfte oder Gilden ent-
stehen, verhütet oder vermindert werden?

Die Frage war zuerst im November 1810 auf
den Nov. 1812 aufgegeben; dann aber ihrer damah-
ligen Wichtigkeit wegen, und bey der Unvollkom-
menheit der bis dahin eingegangenen Schriften,
noch zu zweyenmalen, nähmlich erst für den Julius
des vorigen Jahrs, und nun zuletzt für den dieß-
jährigen von neuem ausgesetzt; auch hatte die So-
cietät bey der letztern wiederhohlten Aufgabe den
sonstigen Preis auf den Fall verdoppelt, daß wenn
Eine genügende, und alle andere überwiegende
Schrift einkommen würde, der Verfasser derselben
den doppelten Preis, also 24 Ducaten erhalten
[Seite 1226] sollte; und wenn zwey gleichgute einliefen, jede
derselben mit dem sonstigen einfachen Preise von
12 Ducaten honorirt werden würde.

Sie hat das Vergnügen gehabt, nicht weniger
als 14 Concurrenzschriften zu erhalten, zwey an-
dere ungerechnet, da der Verfasser der einen gegen
die erste Bedingung bey allen Preisaufgaben sich
selbst genannt hatte; und die letzte erst zwey Tage
vor der Versammlung, fünf volle Wochen nach dem
so oft als festgesetzt bekannt gemachten Termin ein-
gegangen ist.

Die Devisen der neun frühern Schriften sind
schon ehedem in diesen Blättern angegeben (– gel.
Anzeigen von 1812. S. 1995 und vom vorigen
Jahre S. 1266 –). Jetzt noch die von den fünf
neuern:

X. Non omnis mutatio reipublicae periculosa.

XI. Wenn an das Gute, das ich zu thun ver-
meyne, gar zu nah was gar zu Schlimmes
gränzt etc.

XII. Hic quoque sit gratus parvus labor.

XIII. Firmanda respublica non armis modo,
nec adversus hostes &c.
und

XIV. Homo sum! nihil a me alienum puto.

Unter allen vierzehn ist freylich nicht Eine, die
bey sehr vielem guten was mehrere derselben ent-
halten, allen Forderungen der Aufgabe Genüge
leistete; doch sind sie selbst wieder von sehr ungleichem
Werthe.

In mancher scheint, wie auch schon früher erin-
nert worden, die Frage nicht einmahl gefaßt zu
seyn, als welche gar nicht weder die Fortdauer noch
die Aufhebung der Zünfte an sich betraf; sondern
ausdrücklich die letztere als ein Factum voraussetzte,
[Seite 1227] und nur in der Ausführung thunliche Mittel for-
derte, wie den mit der Gewerbfreyheit verbunde-
nen Nachtheilen vorzubeugen oder abzuhelfen seyn
möchte. Diesen Mangel haben Nr. I. (Digiti ob
morbum etc.
) und XI. Letztere verräth aber übri-
gens einen Verf. von sehr gebildetem Geist, Kennt-
nisses, politischer Einsicht und den besten Gesin-
nungen.

Andere haben sich die Sache gar zu leicht ge-
dacht; sie meist nur oberflächlich behandelt; oder
beschäftigen sich nur mit einzelnen vorübergehenden
Folgen der Aufhebung der Zunftverfassung. –
Nr. II. mit dem Motto Sit modus in rebus hat
zwar große Vorzüge vor den übrigen in diese Classe
zu setzenden, empfiehlt sich auch durch gute Schreib-
art, logische Ordnung, und Bekanntschaft mit der
die Frage betreffenden Litteratur. Allein die Critik
der zu erörternden Nachtheile und ihre Aufzählung
ist nur unvollkommen und die Mittel zur Abhülfe
sind es gleichfalls. – Die Schrift Nr. III. Suum
cuique
zeugt doch bey manchen Mängeln von wahr-
haft liberalen Gesinnungen ihres Verfassers. –
Die übrigen unter diese Classe gehörigen Schriften
sind Nr. V. omnibus in rebus sunt certi denique
fines. – VIII.
Sirach Kap. 33. V. 4. – IX.
Omnia probate, quod bonum est tenete.
X.
XII.
und XIV. mit den schon oben angegebenen
Denksprüchen.

Der auch von manchen andern vorgeschlagenen
polizeylichen Obergewerbsbehörde wollen aber einige
eine Macht zutheilen, die weit bedenklicher seyn
würde als die Zunftverfassung war. So Nr. IV.
Ne quid nimis
und VII. Echter patriotischer
Sinn
etc. letztere von einem selbst durch sein hohes
Alter ehrwürdigen Mann.

[Seite 1228]

Endlich beschränken einige ihre Vorschläge zu
sehr nur auf die Machtheile, welche nach Aufhebung
der Zünfte oder Gilden die Gewerbspersonen treffen,
und lassen hingegen den Staat, die Consumenten
und das übrige Publicum dabey außer Acht. So
Nr. VI. El hirseth emann – minel – Sahr, welche
Schrift überdem mehr bloßer Entwurf als Ausfüh-
rung ist, wenn gleich von einem überaus einsichts-
vollen Verfasser.

Unter allen eingegangenen Schriften zeichnet sich
aber Nr. XIII. mit dem Motto aus dem Sallustius:
Firmanda respublica non armis modo, nec ad-
versus hostes etc.
sehr vorzüglich aus, deren Ver-
fasser den Gegenstand der Frage aus dem richtigen
Gesichtspunct auffaßt, und dessen Beantwortung
derselben das Resultat reifen Nachdenkens enthält.
Nur scheint er mehr theoretischer Forscher als er-
fahrener Practiker zu seyn, da man gerade in dem-
jenigen Theile seiner Schrift, welcher die Grund-
sätze für die vom Staate zu übernehmende Leitung
der Gewerbe behandelt, eigne practische Erfahrun-
gen vermißt, und er sich daher von dieser Einwir-
kung mehr zu versprechen scheint, als sie je würde
leisten können; auch manche seiner in dieser Rücksicht
gethanen Vorschläge in der Praxis unausführbar
erscheinen dürften. Auch gesteht er selbst, daß er
die Gebrechen, von deren Heilung die Rede ist,
durch Erfahrung kennen zu lernen keine Gelegenheit
gehabt, und daß seine Schrift nicht die Vollendung
erhalten habe, die er selbst ihr zu geben wünschte.

Dessenungeachtet hat die königl. Societät zum
Beweis, daß sie in Ermangelung einer von der
practischen Seite genügenden Abhandlung, einer in
theoretischer Hinsicht so ausgezeichneten und beleh-
renden Schrift mit Vergnügen Gerechtigkeit wider-
[Seite 1229] fahren läßt, derselben den gewöhnlichen Preis von
12 Ducaten zuerkannt. Als Verfasser nannte sich
in dem entsiegelten Zettel, Carl Heinrich Rau,
Doct. philos. und Privatdocent der Staatslehre in
Erlangen. – Alle übrigen mit ihren Devisen be-
zeichneten Zettel wurden unerbrochen in der Ver-
sammlung verbrannt.

* * *

Ungeachtet nun zwar seit der letzten Bekannt-
machung jener Preisfrage im vorjährigen Julius
durch die großen glücklichen Veränderungen die sich
seit zehn Monathen ereignet, die Aufgabe selbst
manches von ihrer vorherigen Bedeutsamkeit ver-
lohren hat; so bleibt sie doch allemahl in allgemei-
ner staatswirthschaftlicher Hinsicht lehrreich, und
der königl. Societät wird es immer zum Ruhm ge-
reichen, daß sie in jenen trübseligen Zeiten des
fremden, die Freymüthigkeit so allgemein ersticken-
den Drucks, den Muth gehabt, die allgemeine Auf-
merksamkeit auf große und Gefahrbringende Uebel
zu richten.

Um aber auch gleich jetzt bey der glücklichen er-
wünschten Restitution der vorigen Verfassung nütz-
lich zu wirken, hat sie die andere im vorjährigen
Julius ausgebotnen 12 Ducaten, zu einer außer-
ordentlichen
Preisfrage, die sich an die vorige,
wenn gleich von einer entgegengesetzten Seite, an-
schließt, für den Julius des künftigen Jahrs aus-
gesetzt:

Wie kann in Deutschland die Zunftverfassung
am zweckmäßigsten modificirt werden, um
zu bewirken, daß die Vortheile derselben
erhalten, die aus ihrer Veraltung und den
bey ihnen eingeschlichenen Mißbräuchen
entspringenden Nachtheile aber möglichst
vermindert werden?

[Seite 1230]

Und da manche der auf die gedachte Aufgabe der
vorigen Jahre eingegangene Schriften gute Vor-
schläge zur Verbesserung der Zunftverfassung ent-
halten, wie z.B. Nr. III. XI. XIV., so kann den
Verfassern derselben die neue Preisfrage zur Auf-
munterung dienen, jene zum Theil nun erst passen-
den Ideen weiter auszuführen, und zur Concurrenz
fürs künftige Jahr zu benutzen.

* * *

Außer dieser, wie gesagt außerordentlichen
Aufgabe bleibt übrigens für den gleichen Termin
des Julius
1815, die schon früher angezeigte öco-
nomische Preisfrage bestehend:

Welches sind in gebirgigen Gegenden die
zweckmäßigsten Vorrichtungen, das Ab-
fließen der Aecker bey Regengüssen zu ver-
hüten, ohne in den Grabenbetten, bey star-
kem Falle der Graben, das Ausreißen des
Bodens zu sehr zu befördern?

Für den nächsten Termin aber, nähmlich für den
dießjährigen November, folgende Aufgabe:

Da die geringen Linnen, welche aus Nieder-
sachsen auswärts hauptsächlich doch nur in den
Handel kommen, schon seit vielen Jahren in
einem so niedrigen Preise gestanden haben,
so wünscht man eine, so viel möglich, auf
Erfahrung gegründete Untersuchung, was
der Producent der ersten Materie, der Ver-
arbeiter jeder Art, und der Kaufmann
daran wirklich verdient haben, um dar-
nach beurtheilen zu können, ob dieser
Zweig der National-Production mit wah-
rem Vortheile für die Nation verbunden,
oder nur ein Mittel geworden ist, eine
gewisse Summe Geldes aus dem Auslande
zu ziehen.

[Seite 1231]

Dieser Untersuchung bittet man die Betrach-
tung
hinzu zu fügen, was in dem Falle, da
der auswärts gehende Linnenhandel auf-
hören müßte, die daraus entstehende Ver-
minderung des Flachsbaues und der Flachs-
arbeit aller Art für den Ackerbau und die
ländliche Industrie für Folgen haben wür-
de, und wie diese Lücken am zweckmaßig-
sten wieder auszufüllen wären.

Für den November künftigen Jahrs verlangt
die königl. Societät:

Die Theorie der Viehmästung überhaupt,
mit der Anwendung auf Mästung des eßba-
ren vierfüssigen Haushaltungsviehes ins-
besondre.

Und für den Julius 1816 wird nun folgende
neue Preisfrage zum erstenmahle bekannt gemacht:

Man verlangt die vollständigste gründliche
Darstellung der Lehre von der Castration
(Vernichtung des Zeugungsvermogens)
sowohl des behaarten als des befiederten
Haushaltviehes beiderley Geschlechts, zur
bessern Leitung der Ausübung.

* * *

Der Preis für die beste Beantwortung jeder
dieser Aufgaben ist zwölf Ducaten, und der äußerste
Termin, innerhalb dessen die zur Concurrenz zu-
lässigen Schriften bey der Societät eingegangen
seyn müssen, für die Julius-Preisfragen der Aus-
gang des Mayes, und für die auf den November
ausgesetzten das Ende des Septembers.

Daß sie Postfrey eingeschickt werden müssen
(– certantes commentationem persoluto cursus
publici pretio Goettingam mittunto
wie es aus-
drücklich in den gedruckten Gesetzen der königl. So-
cietät lautet –) begreift sich zwar wohl von selbst,
[Seite 1232] wird aber noch zu allem Ueberfluß jedesmahl bey
der Anzeige der Aufgabe in diesen Blättern von
neuem erinnert; und doch hat die Societät die in
ihrer Art fürwahr merkwürdige Erfahrung gemacht,
daß eine der obgedachten vierzehn Concurrenzschrif-
ten (– Nr. V. omnibus in rebus sunt certi deni-
que fines
–) von ihrem Verfasser, der sie noch
dazu ganz unverhohlen aus Baireuth datirt hatte,
nicht nur unfrankirt, sondern gar mit der Briefpost,
und obendrein recommandirt eingeschickt worden.

(– Die Hauptpreißfragen für den November dieses
und der beiden nächstfolgenden Jahre sind schon im
202. Stück der vorjährigen gel. Anz. eingerückt. –)



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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