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Annalen
der
Braunschweig-Lüneburgischen
Churlande,
herausgegeben
von
Jacobi und Kraut.

Erster Jahrgang.
Drittes Stück.

Hannover,
gedruckt bey W. Pockwitz, jun.
1787
.

IV.
Einige Nachrichten vom academischen
Museum zu Göttingen,
von J. Fr. Blumenbach.

[Seite 84]

1s Stück.

Göttingen ist, soviel ich weiß, die erste deutsche Uni-
versität, auf welcher schon seit den vierziger Jahren
die ganze Naturgeschichte als eigne Wissenschaft in einem
besondern Collegio gelehrt worden.

Vorher ward sie gewöhnlich mit ins Collegium der
Physic gezwängt, von welcher sie doch schon Aristoteles so
weislich abgesondert hatte.

Und da folgends in den letztern Jahrzehenden bey
dem allgemeinen Eifer womit sie betrieben und fast zum
allgemeinsten Lieblingsstudium erhoben ward, auch der
ausgedehnte und wichtige Einfluß immer mehr einleuch-
tete, den sie auf so viele andere Fächer menschlicher Kennt-
nisse hat, so suchte die für die Aufnahme unsrer Universi-
tät so unermüdet thätige Königl. Landesregierung ein aca-
[Seite 85] demisches Museum als ein bleibendes Archiv der Natur
zum Behuf der Geschichte derselben anzulegen, und be-
nutzte daher die von Herrn Hofr. Büttner angebothne
Gelegenheit, der sein ansehnliches Naturalien-Cabinet
zu dieser Absicht überlies. Eine Privatsammlung, an
welcher aber von den Vorfahren des Herrn Hofraths we-
nigstens schon seit dem Anfang dieses Jahrhunderts*),
folglich schon zu einer Zeit gesammlet worden war, da
die Menge der nachherigen Sammler noch keine solche
Theurung wie jetzt, unter die Cabinetsstücke gebracht
hatte; und die zumahl durch den bekannten Eifer und
durch die Kenntnisse ihres letzten Besitzers einen Reich-
thum von instructiven Stücken aller Art erhalten hat,
der sie gerade zu einer academischen Sammlung, – wo
nichts zur Parade sondern alles zum Nutzen abzwecken
soll, – so ganz vorzüglich brauchbar machte.

Es sind ohngefähr 14 Jahre da dieser Grund zum
hiesigen Museum gelegt worden, das neue aber seitdem
theils durch so mancherley Gnädigst bewilligten Ankauf,
theils durch zahlreiche Geschenke von Beförderern der
Wissenschaften und Freunden unsrer Universität, unter
welchen sich besonders die des Herrn Baron von Asch zu
St. Petersburg an mannichfaltiger Menge und großer
Wichtigkeit auszeichnen; vor allen aber durch einige äus-
[Seite 86] serst wichtige und große Sammlungen, die es der Gnade
Sr. Majest. des Königs und der Fürsorge des Königl.
Ministerii verdankt, so sehr erweitert worden ist, daß es
schon jetzt in Vergleich mit jener ersten Anlage sich selbst
nicht mehr ähnlich sieht.

Schon im Jahr 1777. beschenkten Se. Majestät
das Museum mit der großen Schlüterschen Mineralien-
Sammlung, die bis dahin auf der Bibliothek zu Han-
nover befindlich gewesen war, und für deren Werth schon
der berühmte Name ihres Sammlers, die Zeit in welcher
er gelebt, und vor allem die Gelegenheit die er in seinen
Bergbedienungen zu dieser Absicht benutzen konnte, Bürge
sind.*)

Das gleiche gilt von dem, zumal an reichen Silber-
stufen so sehr beträchtlichen Stelznerschen Cabinet, das
im Jahr 1782. von seinem um das Bergwesen der hiesi-
gen Lande so verdienstvollen damaligen Besitzer, fürs Mu-
seum angekauft worden.

Und im gleichen Jahre empfing es von der Gnade
Sr. Majestät, durch die Besorgung des Herrn Geh.
Justizr. von Hinüber zu London, einen ganz auszeich-
nenden Schmuck durch die, über vierthalbhundert Num-
mern betragende, und eben wegen dieser ihrer Vollstän-
digkeit, außer England in ihrer Art so einzigen Samm-
lung von südländischen Merkwürdigkeiten: eine Frucht
[Seite 87] der drey großen Reisen des unvergeßlichen Cook, wo-
durch Se. Majestät den fünften Welttheil größtentheils
entdecken, und überhaupt die Grenzen unsrer Erde be-
stimmen lassen.

Hoffentlich wird man eine kurze Nachricht von eini-
gen der interessantesten Stücke des Musei der Absicht der
Annalen angemessen finden; so unlesbar und zweckwidrig
hingegen eine trockene Designation der Stückzahl in den
verschiedenen Classen etc. seyn würde.

Ich mache mit dem was zur Geschichte des Men-
schen und seines Geschlechts gehört, den Anfang, als
worunter eben die gedachte südländische Sammlung größ-
tentheils mit begriffen ist.

Denn so wie zwar das Museum blos auf Naturge-
schichte eingeschränkt, nicht Kunst-Cabinet oder Raritä-
ten-Kammer ist, – so versteht es sich hingegen von selbst,
daß tausend Dinge hier aus einem gewissen Gesichtspunct
ihren sehr pertinenten Platz finden, die ihn, aus einem
andern angesehn, auch in einer Kunstkammer nehmen
könnten. Geschnittene Steine z.B. und andere Sculp-
tur-Arbeiten, Porcellan-Arten, u.s.w. sind hier in
Rücksicht ihres Stoffes unter die Naturalien geordnet,
so wie sie aus einer andern auch in eine Sammlung von
Kunstsachen passen würden.

Und so bedarf es folgends keiner Erinnerung, daß
alles was die Sitten, Lebensart etc. fremder Völkerschaf-
ten betrift, dem Museum als Naturaliensammlung um
so wichtiger seyn muß, je größer der vielfache Aufschluß
[Seite 88] ist, den die eigentliche Naturgeschichte des Menschenge-
schlechts durch diese Dinge erhält.

* * *

Unter den Embryonen ist besonders ein sechsmo-
natlicher Hottentotte merkwürdig, der, was Schönheit
anlangt, in den Augen eines jeden der nicht selbst Hot-
tentotte ist, sogar gegen einen darneben stehenden unge-
bohrnen Neger von gleichem Alter, bey weiten nicht zu
seinem Vortheil absticht, da ihm unter andern Unannehm-
lichkeiten ein ungeheurer Mund und eine ganz auffallend
behaarte Stirne ein äußerst häßliches Ansehn geben.

Auch ein seltner Fötus, aber von ganz andrer Art,
ist das Geschenk des Herrn Hofrath Büchner in Gotha,
eine Leibesfrucht womit die Mutter acht Jahre lang bis
zu ihrem Tode, da sie aus andern Ursachen wassersüchtig
starb, schwanger gewesen; da man dieselbe bey der Lei-
chenöffnung in der Bauchhöle kuglicht zusammengerollt,
und an der linken fallopischen Röhre angewachsen gefun-
den hat. Sie ist mit einer dicken lederartigen Cruste
überzogen, wodurch die Natur die Fäulung der kleinen
Leiche, die sonst der Mutter hätte tödtlich werden müssen,
glücklich verhütet hat.

Ein andres, aber weit schaudervolleres memento mori
– und vielleicht das einzige in seiner Art – hat der
Prof. zu Pavia, Herr Frank, ans Museum geschenkt.
Ein knochenartiger Auswuchs, ohngefähr vom Umfang
zweyer geballten Fäuste, und fast 2 Pfund am Gewicht,
der sich allgemach am Stirnknochen eines Menschen er-
[Seite 89] zeugt, ihm die Augen aus dem Kopfe getrieben, und
dagegen die ganzen Augenhölen so wie die ganze Nase,
und – was unglaublich scheinen möchte, – selbst einen
großen Theil der Hirnschaalenhöle eingenommen. – Das
letzte wohl zum wahren Glück des armen Geschöpfs, das
dann bey diesem Druck auf die nächste Organe der Seele,
wohl seinen übrigen Jammer um destoweniger empfunden
haben wird.

Unter der ansehnlichen Sammlung von Verknöche-
rungen und Steinen aus dem menschlichen Körper,
zeichnet sich vorzüglich eine große Mannigfaltigkeit von
Gallensteinen aller Art aus: ein unter dem gemeinen
Volke in diesem Theil von Niedersachsen häufiges Uebel,
so unerhört hingegen bekanntlich bey uns die Steine der
Harnwege sind.

Von den übrigen Stücken in dieser Collection berühre
ich blos, ihrer Seltenheit wegen, eine knöcherne Schaale
(fast wie der Untertheil einer Eichel) die Herr von Hal-
ler
auf dem hiesigen anatomischen Theater bey der Lei-
chenöffnung eines an einem Auge blinden Diebes, statt
der Markhaut (retina) in selbigem fand.

Noch verdient auch ein Haufe von 23 Steinen ver-
schiedener Größe, theils wie kleine Hüner-Eyer etc. Er-
wähnung, die im Anfang dieses Jahrhunderts von einer
würklich mit den mannigfaltigen Leiden, zumal Nerven-
übeln aller Art, befallenen Weibsperson im Armenhaus zu
Wolfenbüttel durch die Harnwege abgegangen seyn
sollten, auch damals in einer besondern Schrift beschrie-
[Seite 90] ben und in Kupfer gestochen worden, und die doch, wie
mich die genauere Untersuchung gelehrt hat, aus einem
gemeinen mit Glimmer untermengten Sandstein fabri-
cirt, und von einer übrigens würklich kranken Person
zu einem betrügerischen Vorgeben gemißbraucht worden.
– Also der vollkommene Pendant zur Krankengeschichte
der berüchtigten Fille de St. Geosme, deren von so hundert
braven Aerzten für reine Wahrheit angenommene Be-
trügerey endlich der jüngere Morand glücklich entdeckte.

Eine vorzügliche Zierde des Musei ist die ausneh-
mend vollständig erhaltne Aegyptische Mumie nebst dem
dazu gehörigen Sarcophag von Sycomorus-Holz, wo-
mit Se. Majestät der König von Dänemark die hie-
sige Societät der Wissenschaften beschenkt hat. Sie ist
von einer völlig erwachsenen, aber wie die Untersuchung
gezeigt hat, noch jugendlichen Person, weiblichen Ge-
schlechts, wie gewöhnlich mit der unermeßlichen Menge
von Cattun-Binden umwunden, und ihre ganze Vor-
derseite vom Scheitel bis zu den Füßen mit einer Art
Maske bekleidet, die ebenfalls von Cattun zusammenge-
pappt, mit einer Art von Gyps-Paste überzogen, und
auf der Außenseite mit den gewöhnlichen Hieroglyphen in
bunten Erdfarben bemahlt ist. In der Mitte ist diese
Maske hin und wieder sorgfältig ausgeschnitten, wie
durchbrochene Arbeit. Der Theil der das Gesicht bedeckt,
ist vergoldet, und unter den Füßen lagen ein paar flache
Sohlen vom gleichen zusammengepappten Stoff, eben-
falls bemahlt u.s.w. Die Leiche ist ganz sceletirt ge-
wesen, die Brust- und Bauchhöle mit gepülverten Kräu-
[Seite 91] ter-Species, die theils zwischen Cattun gestreut waren,
ausgestopft; auch die Hirnschaalenhöle damit wie über-
zogen. Die Knochen der Arme und Beine hingegen,
wie es scheint, geradezu mit den Cattunbinden umwickelt.

Zur Vergleichung mit dieser Bereitungsart der Mu-
mien dient ein Bein von einer andern Mumie im Mu-
seum, an welcher alle weiche Theile, und selbst die Haut
erhalten ist, woran man noch die Spiral-Züge am äus-
sersten Glied der Fußzehen aufs deutlichste erkennen kann.
Beides, Fleisch und Binden sind durch und durch mit
Harz durchzogen, schwarz, hornartig etc.

In der Dänischen Mumie haben sich bey der Unter-
suchung keine der sonst bey Mumien gewöhnlichen klei-
nen Osiris-Bildgen u.a. Idole gefunden: es sind aber
andre dergleichen im Museum, besonders auch eins von
denen die Gr. Caylus Porcellanartig nannte, und auf
die man sich seitdem zum Erweis des hohen Alters des
Porcellans hat berufen wollen: die doch aber höchstens
nur etwa mit unserm sogenannten Steingut verglichen
werden dürfen. Die Arbeit daran ist übrigens ganz
gut, besonders der Kopf so recht im Ideal der ohnhin
unverkennbaren Alt-Aegyptischen National-Physiogno-
mie, nemlich meist das schnurgerade Gegentheil der Schi-
nesischen Gesichtsbildung, womit der sel. Winkelmann
u.a. sie doch in allem Ernst vergleichen wollten, und wo-
von sich zum auffallendsten Contrast zahlreiche Muster in
Speckstein, Porcellan u.s.w. im Museum finden.

Unter mancherley andern Idolen von jetzigen Völ-
kern des Erdbodens besitzt das Museum durch die Frey-
[Seite 92] gebigkeit seines unermüdeten Wohlthäters, des Herrn
Baron von Asch, vorzüglich eine merkwürdige Samm-
lung kalmückischer Burchane, die theils noch mit ge-
schriebnen Gebethgen, Heiligthümern und dergleichen ge-
füllt sind; meist von vergoldetem Kupfer, theils von Mes-
sing, auch aus einer Art terra cotta u.s.w. Ich führe
nur zweye derselben besonders an, nemlich den Dschakt-
schimuni,
den vermeynten Stifter der Lamaischen Reli-
gion, mit dem Scepter in der linken Hand, und die
Abida mit dem Nägelmahlen in Händen und Füßen
wie bey unserm Heiland.

Zu den seltensten Stücken in der großen südländi-
schen Sammlung
gehört eins der wenigen Götzenbil-
der
die auf der letzten Reise des Capitain Cook von der
für ihn unglücklichen Insel Owaihi mit nach England
gebracht worden sind. Es hat die Form eines ungeheu-
ren Menschenkopfs mit aufgesperrten Rachen, der mit 90
großen Hunde-Zähnen garnirt ist. Es ist aus einer
Art Korbwerk geflochten, von außen aber mit einer un-
beschreiblichen Kunst mit vielen tausend hinein befestig-
ten kleinen carmoisinrothen und goldgelben Federchen
der den Sandwich-Inseln eignen certhia coccinea dicht be-
deckt.

Von dergleichen Art erstaunenswürdiger Federar-
beit dieser kunstreichsten von allen Insulanern des gan-
zen stillen Oceans, findet sich in der gedachten Samm-
lung auch ein Helm für ihre Krieger, fürwahr in einer
edlen antiken Form, und ein Mantel ihrer Heerführer,
von einer Art Filet, dessen Außenseite ebenfalls mit un-
[Seite 93] zähligen von jenen rothen und gelben Federchen überzogen
ist, die nach einem bestimmten Daseyn wie die Haare
in ein Peruken-Netz dreßirt sind.

Die übrigen sehr zahlreichen Kleidungsstücke der
verschiedenen Völkerschaften des stillen Meeres, sind so-
wohl in Rücksicht des Stoffes als der daran verwandten
Kunst von der größten Mannigfaltigkeit. Die mehrsten
sind wie ein feiner Filz aus dem durchweichten Baste
mancherley Bäume, zumal des Papirmaulbeerbaums,
des Brodbaums u.s.w. geschlagen: andre von Matten,
aber theils von einer unbegreiflichen Feinheit, geflochten:
und die von unsern Antipoden, den Neuseeländern, aus
ihren herrlichen Seidenflachs geknüttet, dessen Fortpflan-
zung in Europa, der große, aber bisher unbefriedigte
Wunsch des würdigen Cook war.

Unter den Stoffen der ersten Art zeichnen sich die
von Owaihi vor allen andern durch die Schönheit der
(nach den mannigfaltigen theils sehr zusammengesetzten,
Desseins) mit bunten Farben, wie Cattun darauf ge-
druckten Figuren aus.

Von den mehrsten Hauptarten der Zeuge sind auch
unter andern noch unvollendete Stücke vorhanden, um
die Art der Bearbeitung deutlicher daran zu zeigen; und
selbst die Geräthschaften womit sie verfertigt werden
u.s.w.

Die vielfache Verschiedenheit aller dieser Kleidungs-
stücke in Rücksicht der mehrern oder mindern Wärme, die
sie nach dem eben so verschiednen Bedürfniß des Climas,
[Seite 94] der Witterung u.s.w. gewähren sollen, giebt ein sehr po-
puläres aber unwiderredliches Argument für den Vorzug
der menschlichen Vernunft, vor jedem auch noch so voll-
kommen scheinenden aber ewig unabänderlichen, nicht
nach den Umständen zu accommodirenden thierischen Kunst-
trieb. Folgends wenn man weiter geht und nun z.B.
die feinen Florähnlichen leichten Gewande, die für den
glücklichen Himmel von Taheiti passen mit den schwehren
Pelzen der sibirischen Völkerschaften vergleicht, die das
Museum der Freygebigkeit des Herrn Baron von Asch
verdankt.

Eine der allergrößten Seltenheiten in der südlän-
dischen Sammlung ist der Traueranzug des ersten leid-
tragenden von Taheiti, der in der That alles übertrifft,
was sich von abentheuerlicher Mummerey, – anderseits
aber auch von mühseligen geduldigen Fleis, – denken
läßt. Zum Erweis des letztern brauche ich blos anzufüh-
ren, daß der breite Schurz, der von dem großen Brust-
schilde herabhängt, aus nicht weniger als 1086 Stäbchen
Perlemutter zusammengesetzt ist, deren jedes aufs regel-
mäßigste geschnitten und an beyden Enden durchbohrt ist.

So allgemein der Gebrauch der Kleidung im Men-
schengeschlechte verbreitet ist, eben so allgemein, und man
kann in der That sagen, noch allgemeiner und fast ohne
Ausnahme ist der Hang zum Putz. Und würklich besitzt
das Museum einen Vorrath von dergleichen kleinen
Toilettenstücken aus allen fünf Welttheilen. Sogar
ein Halsband von niedlichen, mühsam polirten, durch-
bohrten und mit Bast kunstreich zusammengeflochtenen
[Seite 95] bunten Schneckenhäuschen von demjenigen Volke, das
vulgo für den kümmerlichsten Auswurf des Menschenge-
schlechts verschrieen wird, von den Pesserähs auf dem
Feuerlande!

Und es ist auffallend, wie oft ein einziges solches
Stück den Charakter des ganzen Volks verräth, die es
trägt. Z.B. ein Ohrgehänge von den üppigen, in ihrer
Art durch Geschmack und Cultur verfeinerten Taheiten,
drey ächte Perlen an einem geflochtnen Schnürchen von
Menschenhaar. Nun damit verglichen eins von den
männlichen tapfern Neuseeländern: fünf ausgerißne
Menschenzähne.

Ferner welche Mannigfaltigkeit des Stoffes den die
Menschen zu diesem fast instinctmäßigen Triebe zur Co-
ketterie benutzen. Nur allein unter den Halsbändern
vom stillen Ocean manche aus Hundezähnen, andre aus
Vogelknochen, eins von Owaihi aus den schönen Federn
der Certhia, aus Schneckchen, Schildpatt, Cocosnuß,
Saamen der Hiobsthräne u.a. Pflanzen.

Und die mühsame Kunst die theils an solche Putz-
stücke verwandt ist. So z.B. von Taheiti dicke Büschel
von Schnürchen aus Menschenhaaren aufs sauberste als
dreyflechtige Zöpfe von der Dicke eines starken Zwirnfa-
dens geflochten; und solche überaus elegante Schnürchen
haben zuweilen ohne einen einzigen Knoten die Länge
von einer englischen Meile.

Noch mehr ist sogar die peinliche Beschwerde zu be-
wundern, der sich manche Völker blos aus der Sucht zu
[Seite 96] gefallen und die Natur zu verbessern, unterziehen: wo-
von der seltne vollständige Apparatus der Taheitischen
Tatowir-Instrumente
im Museum ein auffallendes
Beyspiel giebt.

Ich übergehe die mancherley Hausgeräthe fremder
Völkerschaften, die das Museum besitzt, worunter sich
vorzüglich die Bänke, Fußteppige, vielerley Körbe etc. der
Südländer auszeichnen.

Besonders aber ist die unglaubliche Mannichfaltig-
keit des Fischergeräthes der letztern zu bewundern, wo-
von freylich bey Insulanern und Küstenbewohnern ein
großer Theil ihrer Subsistenz abhängt; daher fast jede
Art von Harpunen oder Netzen, zumal aber von Angeln,
den Arten von Fischen, die damit gefangen werden sollen,
aufs genaueste angemessen ist.

Der Raum gestattet nicht, auch der mancherley
Schiffergeräthe, Ruder u.s.w. so wenig als der merk-
würdigen Sammlung von Waffen besonders Erwäh-
nung zu thun.

Doch von letztern nur eins statt aller:

Ein Speer von der mehrgedachten Insel wo Cook
seinen Tod gefunden, über acht Fuß lang, und da wo er
am stärksten ist, fast fünf Zoll im Umfänge; die Spitze
die statt des Schafftes dient, viereckt mit Widerhaken,
das ganze übrige Stück aber rund und von der Politur
wie japanischer Lack. Das ganze aus einem einzigen
schnurgeraden Stamme der Casuarina, deren Holz mit
[Seite 97] dem Mahagony- oder vielmehr mit dem Maderaholze
Aehnlichkeit hat. Eine Arbeit zum Erstaunen, sobald
man sich erinnert, was man aber überhaupt bey allen
den kunstreichen Arbeiten in der südländischen Sammlung
nie vergessen darf, daß auf dem ganzen stillen Ocean keine
Spur von Metall gefunden ist, sondern alle diese mühsee-
lige Arbeiten, das Schnitzwerk der eisenfesten Holzarten etc.
blos und allein mit den steinernen Meißeln u. dergl. die
ebenfalls hier befindlich sind, verfertigt werden.

Um diese schöne Lanze desto leichter handhaben zu
können, wird ein Kranz von 22 großen glattgeschliffenen
aufs genaueste an einander gepaßten Schweinszähnen
um die linke Hand befestigt, die so an einander geei-
chet sind, daß beide Enden auswärts gekehrt, folglich die
Mitte wie ausgeschweift ist, da dann das Vordertheil
der Lanze hinein zu liegen kommt und aufs leichtste re-
giert werden kann.

Unter den mancherley Pfeilen sind die von Malli-
colo,
die sich auch schon durch ihre ausnehmende Sau-
berkeit auszeichnen, an der knöchernen Spitze mit einem
braunen und wie man aus Cooks Nachrichten darüber
schließen muß, sehr heftigen Gifte bestrichen, das doch
aber während der acht Jahre bevor es ins Museum ge-
kommen, seine gefährliche Eigenschaft verlohren haben
mag. Wenigstens sind die Versuche, die ich damit sogleich
da das Königliche Geschenk hier ankam, an Tauben und
seitdem auch an Caninchen angestellt habe, nie tödtlich
ausgefallen.

[Seite 98]

Eine besondere Aufmerksamkeit verdient die große
Mannigfaltigkeit der vielerley Schnüre, Bindfaden und
dergleichen, die an den Bogen, Fischergeräthe etc. von allen
Insel-Gruppen der Südsee befindlich sind. Theils von
Menschen- und von Fledermaus-Haaren; die von Una-
lashka
von Wallfischsehnen; andre von Cyper-Gras, von
Bast, großentheils auch (wie fast durchgehends in Ostin-
dien,) von den Zasern der Cocosnußschaale.

In Rücksicht der Art der Arbeit sind manche so wie
unser Zwirn und Seile gedreht; andre wie romanische
Saiten überlaufen; andre dreyfach und noch andre vier-
fach geflochten; theils auch wie Kniebänder nach der
Kunstsprache unsrer Knopfmacher getrommelt; theils mit
Geflechte wieder überlegt u.s.w.

Unter den musikalischen Instrumenten die das
Museum besitzt, ist besonders die Allgemeinheit der alten
Pans-Flöte, so wie sie noch jetzt in Unter-Italien ge-
bräuchlich ist, auffallend. Es sind dergleichen von den
Freundschafts-Inseln, aus Persien und aus Schina
vorhanden, jede nur etwas mehr oder weniger von der
antiken Form abweichend.

Von den im Museum befindlichen chirurgischen
Instrumenten
berühre ich blos zweye. Die Geräth-
schaft nemlich zu der in Schina und Japan so allge-
mein gebräuchlichen Acupunctur, eine Art zu schröpfen
mit silbernen sehr elastischen Nadeln, wovon der nemliche
Apparatus hier befindlich ist, den der berühmte Kämpfer
mitgebracht und beschrieben hat.

[Seite 99]

Und von den Kurilischen Inseln eine Lancette,
ein Geschenk des Herrn Baron von Asch, die mit einer
unbegreiflichen Kunst aus einer Art Praser gearbeitet ist.
und womit sich die Kurilen in Krankheiten die Ader öff-
nen, besonders bey Kopfweh die Stirnader. u.s.w.

[[201]] [Seite 202] [Seite 203] [Seite 204]
Notes
*).
[Seite 85]

s. Dan. Eberh. Barings Museographia Brunsvico-
Luneburgica
an Deß. Beschreibung der Lauensteini-
schen Saala. II. Th. S. 238 und f.

*).
[Seite 86]

v. Haller ad Boerhaavii method. stud. medici pag. 99.
Ej. opusc. botanica pag. 119.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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