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Briefwechsel
meist
historischen und politischen
Inhalts

Dritter Theil, Heft XIII–XVIII,
1778.

Göttingen,
im Verlage der Vandenhoekschen Buchhandlung.
1778
.

28.
Bemerkungen auf einigen Reisen ins Waldecksche
gesammlet [von Hrn. Prof. Blumenbach].

[Seite 229]

Das Waldeckische ist allem Anschein nach eins der
höchsten Länder in Deutschland. Ich habe zwar weder
Zeit noch Werkzeuge gehabt, Messungen anstellen zu kön-
nen: allein alle andre Anzeigen machen diese Vermuthung
warscheinlich. Die Gegend um Arolsen hat Wasserman-
gel; dahingegen zalreiche Flüsse, die Aar, Urbe, Twi-
ste u.s.w. in der Nachbarschaft entspringen: ferner ist
die Luft kalt, und eben daher sind die Bäume in den vie-
len Holzungen, wenigstens in der nordlichen Helfte, für
ihr Alter und Stärke nur kurzstämmicht; da sie hinge-
gen, wie ich höre, in den südlichen Aemtern, im Wil-
dungischen etc. schon höher schiessen. Auch finden sich die
weissen und schwarzen Spielarten von Thieren, die sonst
nur Nordlichen oder sehr hoch liegenden Erdstrichen
eigen sind, hier häufiger als in andern Gegenden Deutsch-
lands. So z.B. die weißen Sangdrosseln (turdus mu-
sicus
), die grauen und schwarzen Eichhörnchen, schwarz-
braune Kreuzfüchse, wovon ich selbst Felle gesehen habe:
Hermeline oder Wiesel, die Jahr aus Jahr ein, und mit-
ten im Sommer, ihre weiße Farbe behalten u.s.w.

Die kalte Bergluft ist rein, trocken und gesund.
Daher denn selten, oder doch mit weniger Gefar, Epi-
demien
graßiren: auch die Inoculation hier treflich
gelingt, und man deshalb noch im vorjärigen Sommer
aus benachbarten Ländern Kinder dahin schickte, um sie
dort einimpfen zu lassen. Auser der Auszehrung ist hier
keine endemische Krankheit bekannt; und gegen diese
sind die Reisen nach Holland würksam, wo die veränder-
te feuchte Luft Erleichterung schafft. Im ganzen sterben
[Seite 230] die meisten Einwohner an natürlichen Folgen des Alters,
am Marasmus.

Eine eigne Krankheit, die die Waldecker ausser ih-
rem Vaterland leicht befällt, ist das Heimweh; das
zumal unter den Truppen in Holländischen Diensten ge-
mein ist, und sich mit allen den heftigen und plötzlichen
Anfällen, wie bey Schweizern oder Lappen, (und im
Grunde wie unter jedem Meridian) äusert; das aber
auch eben so schnell und zur Bewunderung gehoben wer-
den kan, so bald die Patienten selbst nur die Hoffnung
vor sich sehen, in ihre Heimath zurückkehren zu dürfen.
Der Herr Obristlieutenant von Nostiz hat die Güte ge-
habt, mir mehrere specielle Fälle hierüber mitzutheilen,
wovon ich einen anfüre. Ein Waldecker Soldat bekam
in Holland das Heimweh, und bewarb sich um Urlaub,
der ihm aber aus sehr zureichenden Gründen versagt wer-
den mußte. Der Mensch verlohr von der Zeit an allen
Appetit, seine körperlichen Kräfte schwanden zusehends,
und er zehrte binnen wenig Wochen so weit ab, daß ihn
die Aerzte verlohren gaben. Sein Major besuchte ihn
eines Morgens, fand ihn als einen halbtodten Mann,
und versprach ihm sogleich seinen Urlaub, den er ihm zu
aller Versicherung noch am gleichen Nachmittag schickte,
und der bis zu seiner, dem Anschein nach freilich sehr
entfernten, Erholung gültig seyn sollte – Und am
Abend des gleichen Tages sah man den Menschen, der
am Morgen nicht aufrecht zu sitzen vermochte, mit dem
Ranzen auf dem Rücken zum Thor naus wandern. Er
kam zu gesetzter Zeit aus seinem Dorf zum Regimente
zurück, seine Sehnsucht war für immer gestillt, und er
lachte, wenn ihn nachher seine Cameraden an seine Hei-
mat und an seine vaterländischen Gebirge erinnerten.
Ueberhaupt hat man gefunden, daß solche Leute nur ein
für allemal mit dem Heimweh befallen werden, und sich,
[Seite 231] wenn sie nur einmal ihren großen Wunsch befriedigen,
und heimreisen können, nachher für immer geheilt finden,
und sodann auser Landes so frisch und froh als irgend im
Vaterlande leben. Eine Bemerkung, die beyläufig den
waren Grund des Heimwehs in den innern Sinnen be-
stätigt, und hingegen den vorgeblichen Einfluß der Luft u.
s.w. widerlegt. So hat der Kuhreihen keine andre Zau-
berkraft, als daß er bey Schweizern die alten Bilder von
ihren vaterländischen Alpweiden hervorruft; und aus
gleichem Grunde heimelts mir selbst, wenn ich Kühe mit
Schellen am Hals höre, wie ich sie in frühen Jahren so
oft auf den Bergen des Thüringer Walds gehört habe –

Der kalten Lage ohngeachtet sind doch die Sommer
im Waldeckischen, wie im gebirgichten Wallis, oft au-
serordentlich heiß: und daher auch die tollen Hunde um
die Zeit nicht selten. Ich bin versichert worden, daß man
verschiedentlich rollen Hundsbiß durch den innern Ge-
brauch des Gauchheils, aber freylich in Verbindung mit
großen Blasenpflastern, geheilt habe: da hingegen die,
bey denen dieses Mittel nicht versucht worden, an der
Wasserscheu gestorben wären. So erzälte man mir un-
ter andern den jammervollen Tod eines jungen Bauern-
kerls aus Herbsen(*), der in der grösten Wuth, wo
sich kein andrer Mensch ihm nahen durfte, doch immer
bey den Besuchen eines ihm verlobten Mädgens, die
durch nichts abzuhalten war, ihren furchtbaren Geliebten
[Seite 232] mit Speise zu versorgen, still und sanftmüthig wurde,
aber doch unter der Gewalt des Uebels erliegen mußte.

Der Boden im Waldeckischen ist, so wie die Ber-
ge selbst, verschiedner Gattung. In den Gegenden, die
ich bereist habe, waren vorzüglich dreyerley Gebirge
merkwürdig. Erstens von Arolsen nördlich bey Rho-
den, Ammenhausen etc. ein Kalksteingebirge, das so
wie unser Heinberg, eine blose Petrefacten Masse ist, das
ihm auch in seiner ganzen Lage, und in Rücksicht aller
Sorten von Versteinerungen, vollkommen gleicht, und
das zu derselben Bergkette gehört, die sich westwärts ins
Westphälische, und gegen Osten ins Sächsische nach Go-
tha, Weimar und weiterhin erstreckt. Südwestlich über
Giebringhausen, Renegge etc. hinaus, streicht ein großes
Thonschiefergebirg, das die höchsten Berge des Lan-
des, die hohe Egge, den hohen Pön, und den Dommel
begreift, und theils wegen der mannichfaltigen und über-
aus sonderbaren Petrefacten Abdrücke, theils wegen des
auffallenden Ansehens merkwürdig ist. Ganz Adorf
und mehrere Orte stehen auf dem platten Schiefer, und
hinter Adorf ist auch der berümte Cappenstein, eine
jähe, über 300 Fuß hohe Schieferwand, die der Sa-
ge nach sonderbare Abdrücke wie Katzenspuren enthalten
sollte. Ich bin mit einigen Gefehrten hinabgeklettert;
die vermeinten Abdrücke aber waren blos vom Wasser
ausgespülte Grübgen, und von keinem weitern Belan-
ge. Gegen Osten kommen endlich die ausgebrannten
Vulcane, deren deutliche Spuhren sich südwestlich nach
dem Rhein, auf der andern Seite aber über den Dürren-
berg und Habichtswald bis nach Göttingen, und ver-
muthlich weiter noch erstrecken. Besonders habe ich den
Lammsberg hinter Wetterburg ohnweit Cülte, unter-
sucht, dessen isolirte Lage und Gestalt schon seinen Ur-
sprung verräth. Sein Crater ist sehr gut erhalten, und
[Seite 233] die Laven sind wegen der verschiedenen Verglasungen,
wegen des eingesprengten Zeolits u.s.w. merkwürdig.

Die Aussichten von allen diesen Bergen, beson-
ders auch die vom gelben Stuken disseits Würminghausen,
sind unverbesserlich, und einige besondre Gegenden, wie
der Marcusstein, eine in Felsen gehauene Einsideley,
die noch im vorigen Jarhundert ein Eremit bewonte, über
alle Beschreibung romantisch.

Das Land ist, des steinichten Bodens ohngeachtet,
überaus fruchtbar; und es finden sich wenige Stellen,
die nicht mit Holz bewachsen oder urbar wären.

Die vielen Waldungen, wovon das ganze Land
den Namen fürt, bestehen meist aus Buchen und Eichen:
auch aus Nadelhölzern, die doch in den Gegenden um
Arolsen seltner sind. Die große Allee hinter Arolsen
machen sechs Reihen hundertjäriger Eichen: sie ist zwey
tausend Schritte lang, und geht bis zu den Pavillons,
die noch von dem abgebrochnen ehemaligen Schlosse Loui-
senthal stehen blieben sind.

Getraide wird in Menge gebaut, und der Ueber-
fluß ins Heßische, Mainzische und Cellische verfürt. Ich
habe mich öfters verwundert, wenn ich in manchen Ge-
genden die Aecker voll großer Steine liegen sah, die aber,
wie ich hörte, mit Fleiß und sorgfältig drauf getragen
waren, und die auf dem sandigten Boden von Nutzen
sind, weil sich das Regenwasser unter ihnen sammlet,
und sie das Erdreich feucht erhalten, das sonst die Sonne
ausdürren würde. In den höhern Berggegenden kömmt
wegen der Kälte keine Winterfrucht fort. Man bestellt
also einige Jahre lang Sommerfrucht, und läßts dann
einige Zeit unbesäet, oder wie mans dort nennt, dreisch
liegen, da es doch trefliches Viehfutter hervorbringt.

Cartoffeln werden zwar auch gepflanzt, doch dür-
[Seite 234] fen sie im Waldeckischen nicht den Getraidebau verdrän-
gen. Neuerlich hat man Färberröthe, und mit dem
besten Erfolg, zu bauen angefangen.

Die Viehzucht ist vorzüglich durch die Mennoni-
sten, die zu Hüninghausen und anderwärts große Meie-
reyen haben, vervollkommnet. Sie haben zu Eilhau-
sen etc. Brannteweinbrennereyen angelegt; wovon das
Spülig trefliche Ochsenmast geben soll. Die Käse aus
ihren Meiereyen gleichen dem Emmenthaler und Sanen-
käs, und werden häufig nach England und anderwärts
verschickt. Die Schafzucht gedeiht zumal in den Ge-
genden am hohen Pön und da herum, wo der dürre
schiefrige Boden die besten Schaafkräuter trägt.

Beides, die Waldecksche hohe und niedere Jagd,
ist längst als sehr beträchtlich bekannt. Doch wird das
Schwarzwildpret, wegen des Schadens, den die Sauen
den Kornfrüchten, den Cartoffeln, und besonders den
Wiesen, zufügen, wo sie sich vorzüglich nach den Küm-
melwurzeln ziehn, jetzo nicht mehr so stark als ehedem
gehegt. Rothwildpret ist selbst in den nächsten Holzun-
gen bey Arolsen häufig, wo ich die Hirsche im Herbst des
Nachts aus meinem Zimmer konnte rufen hören. Von
Vögeln sind Auerhüner, Birkhüner, Haselhüner, Reb-
hüner, Drosseln, Kramtsvögel, Lerchen u.s.w. gemein.

Ueberhaupt finden sich die besten Fische in der
Eder. Besonders große Forellen, Hechte und Karpen.
Die Forellen im Amte Eisenberg sind klein, aber ganz
vorzüglich schmackhaft.

Die Bienenzucht ist, wie es bei der bergichten
kalten Lage nicht anders seyn kan, unbeträchtlich.

Desto reicher ist dagegen das Land mit Erzten ver-
sorgt. Die Eder fürt Gold, das besonders bey Affol-
dern und Herzhausen gewaschen wird, wo sich ein Arbei-
ter doch täglich sechs gute Groschen verdienen kan. Ich
[Seite 235] habe große Körner daher, und mancherley kleine Ge-
räthe aus Edergold gesehen. Ehedem ist auch im Eisen-
berg bey Goldshausen von Corbach südwestlich, Gold ge-
brochen, aber nachher, da es die Kosten nicht mehr er-
trug, auch nicht weiter betrieben worden. Daß der
Fund doch von Belange gewesen, sieht man aus einem
Reisediario Graven Volrats von Waldeck im fürstlichen
Archiv, da dieser Herr 1546 zu Augspurg mit den rei-
chen Fuggern u.a. seines Goldbergwerks wegen in Unter-
handlung gestanden. Auch noch ums Jahr 1580 ist
das Werk von Magdeburg aus, aber schon mit weniger
Profit, betrieben worden, und endlich gar eingegangen.
Kupfer findet sich bey Nieder Ense, Goddelsheim und
Schaken, alles dreyes im Amte Eisenberg. Die Ei-
senwerke
im Waldeckischen sind berümt und ausnemend
ergiebig. Besonders die Gruben im Martenberg bei
Adorf, und im Semmed bey Renegge, die ich beide un-
tersucht habe. Auf dem Martenberg habe ich auch in
Kalkflöz große Nautiliten, Orthoceratiten, und an-
dere seltne Versteinerungen gefunden. Der Eisenstein
von diesem Berge ist strenge, der von Semmed aber wil-
liger und zum Versetzen brauchbar. Der meiste Ver-
trieb des Eisens, das in der Güte dem Schwedischen
sehr nahe kommt, gehet nach Bremen, und von da wei-
ter, selbst nach Lißabon. Im Schloße zu Arolsen habe
ich auserordentlich grose Ofenplatten, und im Marstall
die Pfeiler zwischen den Ständen gesehn, die alle aus
diesem Eisen gegossen sind.

Bey Adorf hat man sonst Alabaster gebrochen;
jezt sind aber die Gruben versäuft.

Hingegen sind die Marmorbrüche in vollem
Gange, und sehr beträchtlich; besonders die zu Gibring-
hausen an der hohen Egge. Der dasige Marmor ist
grau und weiß geadert, und bricht schon da, wo er zu
[Seite 236] Tage ausstreicht, in großen Blöcken, dergleichen ich von
140 Centnern gesehen habe, die zu Caminen fürs Schloß
zu Arolsen bestimmt waren. Die Krippen im Marstall
sind aus diesem Marmor gehauen, und ein Jagdhaus
zum Ablager bey Sudeck hat aus Mangel anderer Steine
von Marmor aufgebauet werden müssen.

Bey Hundsdorf im Amte Wildungen bricht ein
schöner blutrother Jaspis mit Quarz durchzogen, und
zwar häufig, und auch in ansehnlichen Stücken. Die
Stadtmauer von Wildungen soll großentheils davon auf-
gefürt seyn.

Dachschiefer geben die großen westlichen Gebirge
in Menge.

Der Petrefacten Schiefer habe ich schon gedacht.
Sie brechen bey Würminghausen, und enthalten die son-
derbarsten, theils noch ganz unbekannte Abdrücke, deren
Mannichfaltigkeit und Sauberkeit gleich wunderbar ist.
Trilobiten, völlig wie im Schwedischen Antrarumschiefer:
mancherley Chamae, aber alle wie Papier so dünne und
auch so flach: Echiniten und ihre Stacheln: ungemein
zarte Trochiten: Orthoceratiten: Schilfe: Abdrücke
von unbekannten Gewächsen, fast auf Opuntien Art:
auch mitten im Schiefer, in Nestern von Umber Erde
Nautiliten in Chalcedon von auserordentlicher Schönheit
u.s.w.

Von Fabriken im Lande habe ich besonders die bey
Cülte besehen; wo Tuch, Zeuge, Plüsch u.s.w. mit
viel Profit gearbeitet wird. Zum Plüsch hat man jetzo,
statt des Pressens mit Platten, den Gebrauch der Wal-
zen auf holländische Manier glücklich ausgefunden. Und
ein sehr großer Neben Nutze, den die ganze Entreprise
fürs Land hat, ist, daß man weit und breit da rum kein
Bettelkind gewahr wird: die sitzen alle auf den Fabri-
ken, und können ihr Brod mit ihrer Hände Arbeit ver-
dienen.

[Seite 237]

Beym Landvolke im Waldeckschen habe ich mehr
offene Köpfe, mehr Freymut, und mehr savoir vivre
als anderwärts gefunden. Zum Theil rürt das wol da-
her, weil die mehresten Bauern einige Jahre in Hollän-
dische Dienste gehn: das sie um so williger thun, da ih-
nen ihr Accord pünktlich und auf den Tag gehalten wer-
den muß.

Im Jul. 1778.


[Seite 390] [Seite 391]
Notes
(*).
[Seite 231]

Die angefürten Dörfer, Berge, Flüsse u s.w.
finden sich fast alle auf der Karte von Waldeck, die vom
Corbacher Conrector Nicolai, (und zwar wie ich sehe, mit
einer nicht gemeinen Accuratesse) aufgenommen, bey
Homanns Erben verlegt, und in der großen Berliner
Karte in 4 Blatt von Niederhessen, Waldeck etc. wieder
copirt ist.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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