Table of contents

[titlePage_recto]
Bergmännisches Journal.

Vierter Jahrgang.

Erster Band.
Zweytes Stück. Februar, 1791.

III.
Ein Wort
über die im vorjährigen Oktoberstücke die-
ses Journals beschriebenen Abdrücke in
Bituminösen-Mergelschiefer.

[Seite 151]

(Vom Herrn Hofrath Blumenbach in Göttingen.)


Die in dem gedachten Stücke beschriebenen
und abgebildeten Abdrücke in Bituminösen-
Mergelschiefer sind allerdings überaus merkwür-
dig, nur zuverläßig nicht von Kinderhänden,
sondern von Säugthieren irgend einer andern Ord-
nung, die ich mir aber nach den bloßen Abbildun-
gen zu bestimmen, nicht getraue: vermutlich
doch entweder von palmatis oder von gliribus.

Daß N. I. von keinem Kinde und N. II.
von keiner ungebornen menschlichen Leibesfrucht
seyn kann (denn davon müßte das letztere Stück
seyn, wenn es ein wahrer Anthropolith wäre,)
zeigt bey beyden das Verhältniß der Röhren des
sogenannten Vorderarms (der Einbogenröhre,
ulna, und der Speiche, radius,) zur ver-
meynten Hand. Jene sind für menschliche Pro-
portion viel zu kurz und viel zu dick: aber völlig
[Seite 152] so ist ihr Verhältniß zur Vorderpfote vieler Gat-
tungen von Säugthieren aus dem Geschlechte der
gedachten beyden Ordnungen.

Bey N. I. erhellet überdem das thierische
aus der hakenförmigen Gestalt des vordern
Glieds an der äußersten Zehe, die in einer au-
thentischen Handzeichnung, die ich von diesem
Stücke schon vor geraumer Zeit erhalten, an die-
ser Zehe, so wie auch an der innersten, noch weit
deutlicher als eine thierische Klauen-Phalanx
ausgedruckt war.

Bey N. II. aber aus der Form und Stärke des
Gewindes an der Röhre des sogenannten Oberarms.

Sollte irgend ein Leser, der keine Gelegenheit
hat, diese Punkte in der Natur zu prüfen, es der
Mühe werth halten, so wird er doch wohl leicht
ein Kupferwerk mit treuen Abbildungen von
Knochen ungebohrner und ganz junger Kinder
darüber nachsehen können; wie z.B. Kerckrin-
gii osteogenia foetum, Ruyschii thesauri
u. dgl. m.

Die angegebenen Verschiedenheiten sind zu-
verläßig, aber freylich so wenig auffallend, daß
sie schwerlich jemand bemerken wird, der sich nicht
gerade mit menschlicher und vergleichender Osteo-
logie beschäftigt, oder dem solche Petrefacten nicht
so interessant sind, daß er absichtlich eine genaue
[Seite 153] Vergleichung damit anstellt. Hätte der übrigens
sehr verdiente alte Scheuchzer eine solche Ver-
gleichung mit seinem schönen Oettinger Fischschiefer
vorgenommen, den ich bey meinem Aufenthalte in
Zürich selbst in Händen gehabt und untersucht habe,
so hätte er ihn nicht, wie so viele Naturforscher nach
ihm, für das Beingerüst eines in der Sünd-
fluth ertrunkenen Menschen
(homo diluvii
testis
) gehalten. Hier war der Unterschied unend-
lich auffallender als bey den Abdrücken im Riegels-
dorfer Bituminösen-Mergelschiefer, von welchem
jetzt die Rede ist; auch würde ich selbst diese kleine
Berichtigung kaum der Mühe werth halten, wenn
sie nicht aus einer doppelten Ursache allerdings ei-
niges Interesse erhielte.

Erstens nemlich, weil durchaus aller vom Stu-
dium der Petrefacten zu erwartende wahre Nutzen
einzig und allein von der strengsten Genauigkeit in
Prüfung und Bestimmung derselben abhängt. Der
Mangel dieser Genauigkeit vermindert die Brauch-
barkeit und den Werth einiger kostbaren und volu-
minösen Werke über diesen Theil der Mineralogie
gar sehr: so wie hingegen gründliches Petrefacten-
studium gewiß als eins der wichtigsten Hülfsmit-
tel für die ganze Geognosie angesehen werden muß,
da es über so viel wichtige Gegenstände derselben,
z.B. über die genau zu unterscheidende Verschie-
denheit der succeßiven Erdcatastrophen; über das
relative Alter der Gebirgsarten überhaupt; über
die Entstehungsart mancher Flözgebirgsarten ins-
[Seite 154] besondere etc. die lehrreichsten Aufschlüsse giebt.
Denn so werde ich, um nur eins anzuführen, täg-
lich mehr in der schon anderwärts von mir geäus-
serten Ueberzeugung bestärkt, daß auch bey der
Streitfrage über die Entstehungsart des Basalts,
solides Petrefactenstudium manches nützliches Licht
geben könne.

Zweytens aber lohnt sich die obige kleine
Berichtigung auch deshalb der Mühe, weil die
Frage über die Existenz und selbst über die Mög-
lichkeit wahrer Anthropolithen neuerlich unter den
Geognosten so großes Aufsehen erregt hat. Mein
unvergeßlicher Freund Camper z.B. hat seinen
Unglauben an Anthropolithen, die oft der Gegen-
stand unsrer Correspondenz und unsers Gesprächs
gewesen, mit ins Grab genommen. Er zog sogar
eine cosmogenische Folgerung daraus, da er in den
novis actis acad. Petropolit. vom J. 1784 sagt:

‘„Convictus cum maxime sum, orbem nostrum va-
riis illis ac horrendis catastrophis fuisse expositum
aliquot seculis, antequam homo fuit creatus: num-
quam enim huc usque, nec in ullo museo, videre
mihi contigit verum os humanum petrifactum, aut
fossile, etiamsi Mammonteorum, Elephantorum, Rhi-
nocerotum, Bubalorum, Equorum, Draconum seu
Pseudoursorum, Leonum, Canum-Ursorum, aliorum-
que perplura viderim ossa, et eorum omnium haud
pauca specimina in Mus eo meo conservem
.‟’

Den Grund dieser Folgerung habe ich nie einsehen
können.

Daß unser Planet schon mehrere große Ca-
tastrophen erfahren haben müsse, wie C. auch hier
[Seite 155] sagt, davon bin ich vollkommen überzeugt. Eine
Totalrevolution z.B. wodurch der vormalige Mee-
resboden aufs Trockne versetzt worden, und von wel-
cher sich alle die endlosen versteinerten Seegeschöpfe
der Vorwelt in unsern Kalkflözgebirgen, das Heer
von Ammoniten, Belemniten, Encriniten, Trilo-
biten und andern präadamitischen incognitis her-
schreiben: und hierunter Anthropolithen zu erwar-
ten, wird wohl niemanden mehr beyfallen: denn
nur Telliamed konnte diese Flözgebirge fürs Grab
seiner Wassernixe und Seeweibchen halten, die ihm
für sein cosmogenisches System freylich sehr un-
entbehrlich waren.

Aber warum sich nicht foßile Menschenknochen
so gut wie foßile Knochen von Elephanten, Rhino-
ceren u.a. Landthieren der jetzigen Schöpfung
und zwar der heißen Erdstriche, sollten erwarten
lassen, die durch eine spätere Revolution mit samt
ihrer damaligen Heimath nun in unsre kühlern Zo-
nen versetzt worden, dawider sehe ich keinen Grund
a priori, und finde hingegen Zeugnisse dafür a po-
steriori
, gegen die sich meines Bedünkens wohl
schwerlich etwas einwenden läßt.

Nur gleich eins anzuführen, so sagt Herr von
Haller
im 1sten B. seiner großen Physiologie:

‘„Nuper et Heinze, noster olim auditor, os frontis hu-
manum suis cum sinubus superciliaribus, ad me misit,
quod ex arenoso Thuringiae colle erutum fuerat. Id adeo
in terram redierat, ut aquam siticulosum biberet, et brevi
maceratione difflueret; dissolutum, cum lavare vellem.
Similia ossa Rhinocerotis, aquae bibula, Herzbergae eru
-
[Seite 156] ta, nunc coram dum scribo, habeo, et alia Elephanti
a Brukmanno, cl. olim viro, ad cel. Hollmannum missa
aque eo descripta
.“’

Man kann doch wohl von Herrn von Haller präsuppo-
niren, daß er das menschliche Stirnbein genau gekannt hat;
und die Lagerstätte dieses Foßils war gerade in derselben
Gegend wo vor- und nachher so viele merkwürdige Knochen
von Elephanten, Rhinoceren, Schildkröten und andern
indischen Landthieren aus der jetzigen Schöpfung ausgegra-
ben worden.

So ist auch, wie ich schon anderwärts angegeben, hier
im academischen Museum ein ausgegrabener Menschensche-
del aus der hiesigen Gegend, der seinem jetzigen Ansehen,
Korne, Festigkeit etc. nach, vollkommen mit eben dem Rechte
foßil genannt werden kann, als die Nashornknochen von
Herzberg, oder als viele Bärenknochen aus der Gailenreuter
Höle etc.

Aber das bleibt ausgemacht, daß gewiß die bey weitem
allerwenigsten derjenigen foßilen Knochen die vulgo für An-
thropolithen ausgegeben werden wirklich dergleichen sind.
Und zu diesen blos vorgeblichen, rechne ich ohne alles Be-
denken auch diejenigen, die der berühmte Herr Spallanzani
neuerlich auf der Insel Cythera in so ungeheurer Menge
gefunden zu haben versichern will! Der Grund meines Zwei-
fels an der Zuverläßigkeit dieser Versicherung beruht theils
auf den Stücken selbst, woraus er seinen Schluß zieht; das
sind nehmlich einige Fingerknöchel, Stücken von Schienbei-
nen u. dergl. wovon er ein paar so ganz unbestimmbare
Fragmente hat in Kupfer stechen lassen, daß ich den Anato-
men sehen möchte, der daraus etwas entscheidendes zu folgern
sich erdreisten dürfte; theils aber auch auf der vollkommenen
Gleichheit dieser Knochen auf Cythera und ihrer Lagerstätte
und der Steinarten worin und womit sie zusammencämen-
tirt worden etc. mit denen auf Gibraltar, die bekanntlich auch
so oft für Menschenknochen ausgegeben worden, ohne daß sich
bey der neuern genauern Untersuchung derselben auch nur
eine einzige sichere Spur davon gefunden hätte, ich habe selbst
durch die Güte eines Freundes ohnlängst eine ganze Kiste
voll dieser Knochen von Gibraltar erhalten, habe sie Stück
für Stück sorgfältig geprüft, und unter allen auch nicht eins
gefunden, das ich für einen wirklichen Anthropolithen an-
sehen könnte. Göttingen im Febr. 1791.

Joh. Fr. Blumenbach.




Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
This page is copyrighted