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Magazin
für das Neueste
aus der
Physik
und
Naturgeschichte
,
zuerst herausgegeben
von dem Legationsrath Lichtenberg,
fortgesetzt
von Johann Heinrich Voigt,
Prof. an der Herzogl. Landesschule zu Gotha, und Corresp. der
Königl. Gesellsch. der Wissens. zu Göttingen.

Fünftes Bandes erstes Stück, mit Kupfern.

Gotha
1788
.
bey Carl Wilhelm Ettinger.
[[I]] [[II]] [[III]] [[IV]]

Neue Beobachtungen.

[Seite 1]

1

I.
Beytrag zur Naturgeschichte der Schlan-
gen, von Prof. Blumenbach.


Ohne Widerrede gehören die Schlangen zu den
bey weitem merkwürdigsten Ordnungen im
Thierreiche. Schon die ausnehmende Eleganz vie-
ler derselben, weshalb sie z.B. von manchen Wil-
den zum Putz gebraucht und von den berühmtesten
Niederländischen Blumenmahlern zum größten
Schmuck auf ihren kunstreichen Gemählden ange-
bracht werden: – der feurige sprechende Blick
ihrer Augen, und in der That der bedeutungsvolle
Ausdruck in ihrer ganzen Physiognomie*): – ihre
ungemeine Gelenkigkeit bey einem so einfachen Kör-
perbau ohne alle äussere Bewegungswerkzeuge: –
Die Inbrunst beym Liebesgeschäfte und bey der
Paarung dieser kaltblütigen Thiere: – bey vielen
[Seite 2] das heftige Gift, was sie von dieser Seite zu den
furchtbarsten Thieren in der Schöpfung macht: –
Und doch selbst bey manchen der allergiftigsten (bey
der Klapperschlange, Brillenschlange etc.) ihre wun-
derbare Gelehrigkeit, ihre folgsame Miene gegen
ihre Herren und Wohlthäter u.s.w. – dieß alles
sind nur wenige Züge ans ihrer Naturgeschichte statt
vieler, die zur Rechtfertigung der obigen Behauptung
hinreichen werden.

Was Wunder daher, daß sie auch zu allen Zei-
ten und bey allen Völkern mit einer ganz auszeich-
nenden Achtung angesehen worden.

In der heiligen Schrift wird schon in der Ge-
schichte unsrer ersten Stammeltern der Verführer
derselben unter dem Bilde einer Schlange vorge-
stellt, und im neuen Testamente werden diese Thiere
als Muster der Klugheit angeführt. Und so findet
sich in der Geschichte der heidnischen Völker aller
Zeiten kein Thier, was häufiger bey allen Arten
des Aberglaubens von Traumdeutung,*) Divina-
tionen, Ahndungen**) etc. ins Spiel käme, als eben
die Schlangen: keins was bey so vielerley Völkern
[Seite 3] angebethet, so oft zur Zauberey, und in der Bil-
dersprache zu so mancherley symbolischen Vorstellun-
gen gebraucht worden.*)

Um so unbegreiflicher scheint es, daß bey dieser
allgemeinen Aufmerksamkeit, die man von je dieser
merkwürdigen Ordnung des Tierreichs im Ganzen
geschenkt, demohngeachtet kaum ein andrer Theil
der speciellern Naturgeschichte noch so wenig bear-
beitet, noch so weit von einiger Vollkommenheit
entfernt ist, als der Schlangen ihre. Daher alle brauch-
bare Beyträge zur nähern Kenntniß derselben willkom-
men seyn müssen, dergleichen ich denn hier in der
Zergliederung der Natter und in der genauern Be-
schreibung einer merkwürdigen bisher nur wenig und
undeutlich erwähnten, und meines Wissens noch nie
nach der Natur abgebildeten Schlange aus Florida
liefere.

* * *

Die Natter (coluber matrix) die ich erst le-
bendig geöffnet und nachher genau zergliedert habe,
war in der Nähe von Göttingen auf dem alten
Schlosse Plesse gefangen, weiblichen Geschlechts,
in der Mitte gut Daumensdick, vierthalb Fuß lang,
so daß der Schwanz (von der Oefnung der cloaca
an) 9 Zoll maaß.

[Seite 4]

Ehe ich sie zur Vivisection befestigte, bemerkte
ich ihr Athemholen, das in langsamen unbestimmten,
oft für halbe Viertelstunden ganz unterbrochnen Zü-
gen von ungleicher Länge bestand, da sich bey jeder
Inspiration der Körper gegen die Mitte zu merklich
aufblähete und beym Ausathmen hingegen sehr zu-
sammen fiel. Ihre Stimme, die blos in einem
leisen Zischeln bestand, gab sie nur, wenn sie gereizt
ward, von sich.

Ich öfnete zuerst die Brust.

Ihr Herzbeutel war ansehnlich und ziemlich
stark und macht von außen gleichsam ein conti-
nuum
mit dem Brustfell aus, da er durch lockres
Zellgewebe mit demselben in Verbindung stand.

Sobald ich ihn aufschnitt, schnellte das Herz,
das mit ausnehmender Lebhaftigkeit arbeitete, her-
vor, und ich kann sagen, daß mir bey keiner an-
dern Vivisection irgend eines kaltblütigen oder warm
blütigen Thiers dieses Schauspiel so interessant
und auffallend vorgekommen, als hier bey der Nat-
ter. Vor allen war besonders die von den Physio-
logen so oft bestrittne wirkliche Verkürzung des
Herzens in der Systole so sehr augenscheinlich und
so stark, daß sie bey jeder Ausleerung des Ventri-
kels fast zwey volle Linien betrug!

Selbst das ausgeschnittne Herz kämpfte noch
1½ Stunden lang, und nach 6 Stunden, da es nun lang
[Seite 5] erstorben schien, ließ sich dennoch seine Reizbarkeit
noch durch Anblasen u.a.d. stimulos wieder erwecken.

Das ausfließende Blut ward im Moment, so wie
es mit der atmosphärischen Luft in Berührung kam,
zusehends hellrother; gerann zwar schnell, doch nur
zu einer weichen Gallerte, nicht wie bey warmblü-
tigen Thieren zu einem festern Kuchen.

Die Luftröhre war, von der Stimmritze bis
zu Anfang der Lunge fünftehalb Zoll lang, und hat-
te auch bey diesem Thiere keine vollkommen geschlos-
senen Knorpel-Ringe, sondern diese waren nach hin-
ten wie durch ein (doch nur sehr schwaches) häuti-
ges Band unterbrochen.

Besonders merkwürdig war die Lunge, die bey
diesen Thieren nur einfach und zwar ganz hohl wie
ein Sack ist, und hier vom Eintritt der Luftröhre
bis zum untern Ende nicht weniger als einen Fuß
und 1 Zoll maaß.

Die obern 7 Zoll dieses Sackes hatten fleischig-
te Wände, deren innere Fläche, zumal nachdem ich
ihre Blutgefäße injicirt hatte, sich mit einer unbe-
schreiblichen Eleganz zeigte; da sie mit unzähligen
netzförmigen oder gegitterten zarten Falten dicht
überzogen ist, in deren Zwischenräumgen sich die Lun-
genzellchen mit zarten Mündungen öfnen. Am
schärfsten sind diese gegitterten Falten in der mitt-
[Seite 6] lern Strecke dieses obern Theils der Lunge ausge-
würkt, und haben da im Kleinen fast einige Aehn-
lichkeit mit dem zweyten Magen (das Netz, die Hau-
be etc.) der wiederkauenden Thiere mit gespaltenen
Klauen. An beyden Enden hingegen, d.h. so-
wohl oben nach dem Eintritt der Luftröhre zu, als
unten nach der zweyten Lungenhälfte hin, sind sie
undeutlicher, flacher etc.

Diese untere und kleinere Lungenhälfte von 6
Zoll Länge ähnelt blos einer dünnhäutigen Blase.

Die Leber ist 8 Zoll lang und liegt neben der
Lunge gerade in dieser ihrer Mitte (d.h. diese ragt
oben und unten ohngefähr drittehalb Zoll weit über
die Leber hinaus) Ihre Außenfläche, die gerade un-
ter den Bauchmuskeln liegt, wird durch die in ihrer
Mitte herablaufende untere Hohlader wie in zwey
Hälften getheilt.

An ihrer untern Spitze liegt in einiger Ent-
fernung die Gallenblase ganz abgesondert und hängt
blos mittelst des Gallenganges an ihr. Sie ist et-
wa acht Lin. lang und vier dick, voll schöner gras-
grüner Galle: die nach dem Tode des Thiers allge-
mach die umliegenden Eingeweide hellgrün färbte.

Hingegen habe ich nichts bemerkt, was ich für
eine Milz hätte halten können.

[Seite 7]

Gleich unter oder neben der Gallenblase liegt
die derbe weisse Magendrüse (pancreas) ohngefähr
von der Größe einer Haselnuß.

Der Gallenblasengang läuft nach der Mitte die-
ser Drüse hin, und von da für beyde ein gemein-
schaftlicher Gang in den gleich dicht ans Pancreas
stossenden Anfang des Darmcanals.

Am Ende der Bauchhöle zu beyden Seiten der
Eyerstocksgänge und des Darmcanals liegen die bey-
den sogenannten Nieren: 8 Zoll lang: meist von
der Farbe der Leber, nur etwas blässer: ihre Aus-
führungsgänge öffnen sich in die cloaca.

Nun vom Tubus alimentaris.

Der Schlund (oesophagus) war inwendig vol-
ler starker nach der Länge laufender Falten, und daher
ausnehmend dehnbar: ohngefähr von der Dicke
einer Gänsespuhle, und bis zum obern Magenmun-
de einen Fuß und 2 Zoll lang.

Der Magen selbst ist 4 Zoll lang und in der
Mitte ohngefähr Daumensdick.

Sein oberes Ende unterscheidet sich durch nichts
anders vom Ende des Schlundes als 1) daß es nun
mit einemmal eyförmig erweitert wird, und 2) daß
seine innere Falten weit stärker, größer, wülstiger,
und auch nicht so geradelaufend wie im oesophagus,
sondern mehr geschlängelt sind.

[Seite 8]

Der untre Magenmund (pylorus) hängt wie
ein abgestumpfter Kegel in den Anfang des Darm-
canals hinein; fast wie beym Menschen. Der nur drey
Fuß lange Darmcanal selbst ist (den Mastdarm aus-
genommen) durchgehends von gleicher Weite, etwa
wie der oesophagus und liegt verschiedentlich auf-
und nieder geschlängelt.

Seine innerste Haut möchte man papilloso-vil-
losam
nennen, d.h. sie ist nicht recht flockicht, auch,
außer am untern Ende nach dem Mastdarm zu (wo
sie der einen Fläche des oesophagus ähnelt) nicht
falticht, durchgehends aber mit vielem Schleim
überzogen.

Der Mastdarm ist der einzige dicke Darm den
die Natter hat, und das untere Ende des dünnen
Darms hängt als valvula coli (ohngefähr so wie dort
der pylorus in das obere Ende des Darmcanals) in
selbigen hinein. Ueberhaupt ähnelt er an Weite
und Stärke der Falten auf seiner innern Fläche, dem
Magen. Nur ist seine obre Hälfte noch weit robu-
ster und stärker gefaltet als die untere, welche die
cloaca bildet und mehr blos häuticht ist.

Die beyden Eyerstöcke nahmen nebst ihren Gän-
gen (oviductus) meist die ganze Länge vom Ende
der Lunge und des Magens bis zum After ein, und
endigten sich in zwey Mutterscheiden (zur Aufnahme
des ebenfalls doppelten Zeugungsgliedes des Männ-
[Seite 9] chens) die dicht neben und an dem Mastdarme la-
gen. Die Eyerstöcke selbst waren wunderbar ge-
schlängelt und gestaltet, und jeder von beyden enthielt
sechszehn Eyer fast so groß als Taubeneyer, ganz
voll eines blaßgelben flüßigen Dotters. – Nächst-
dem waren aber auch noch zwey lange Schnüre an
diesen Eyergängen befestigt, die aus kleinen gallert-
artigen Bläsgen verschiedener Grösse bestanden: die
größten etwa wie Weizenkörner, die kleinen wie
Hirsenkörner.

Endlich nach einige Bemerkungen über die Thei-
le des Kopfs:

Die Zunge ist schwarz, über äusserst biegsam,
geschmeidig, und tritt ganz vorn nahe am Kinn
aus einer fleischigten Scheide hervor, worinn sie leicht
aus- und eingezogen werden kann. Ohngefähr in
der Mitte ihrer Länge theilt sie sich in zwey eben
so flexile Spitzen, womit das Thier züngelt.

Gleich hinter der Mündung jener fleischigten
Scheide liegt die Kehlritze, ohne Kehldeckel (epi-
glotis
). Vermutlich schlagen die Schlangen beym
Fressen und Schlucken die so flexile Zunge in den
Mund zurück, so dient sie als Brücke zum Schutz
für die Kehlritze. Wenigstens thun sie das im
Sterben.

Ganz hinten im Rachen steigt dann der weite
Schlund (pharynx) hinab.

[Seite 10]

Unter dem Unterkiefer laufen zwey dünne drit-
tehalb Zoll lange Knorpelfäden vor der Luftröhre
hinab, die statt des Zungenbeins zu dienen scheinen.

Die äusserste wie Glas so durchsichtige Augen-
decke ist offenbar eine Fortsetzung der Oberhaut (epi-
dermis
). Die nemliche, die auch bey der Häutung
im abgestreiften Natterhemde mit abgezogen wird.
Sie ist aber keinesweges an der wahren Hornhaut
des Augapfels festgewachsen; vielmehr ist noch ein
besonderes Thauhelles Wasser im Zwischenraum zwi-
schen beyden befindlich; und so wie sie an sich un-
beweglich ist, so dreht sich hingegen der beym le-
benden Thier gar sehr bewegliche Augapfel hinter
ihr wie hinter einer Fensterscheibe; wie man bey
genauer Betrachtung aufs deutlichste wahrnehmen
kann.

Im Rückgrade dieser Natter habe ich 248 Wir-
bel gezählt.

* * *

Die schöne Schlange aus Florida Tab. I. habe ich
vom Hrn. Major Gardner, einem in allem was Natur-
geschichte, Physik und Chemie betrift zum Bewun-
dern aufgeklärten Englischen Officier erhalten, den
viele Leser wenigstens aus Hrn. de Lüc neue-
stem Werke kennen werden, und der sie bey seinem
langen Aufenthalte in jenem Theile von Nordame-
rica mitgebracht hat, da er ihre Haut so wie die
[Seite 11] von vielen andern Amphibien und Fischen, mir einer
ganz eignen Kunst, so daß sie ihre natürlichen Farben
schlechterdings ganz unverändert erhalten hatten, auf
starkes Papier geleimt. Ich habe sie ihrer ausneh-
mend schönen rothen Farbe wegen die carmoisin-
Schlange
(coluber coccineus) genannt, und ih-
re Beschreibung der Kürze wegen gleich in der Kunst-
sprache abgefaßt.

Coluber

Coccineus. – scutis abdominalibus 175.
squamis subcaudalibus 35.

Facies coccinea. arcu superciliari nigro. Frons
flava.

Dorsi maculae coccineae 23 transversim ova-
tae vel obtuse quadratae: marginibus nigris, ad
latera plerumque interruptis, circumscriptae: li-
neis flavis nigro maculatis distinctae.

Abdomen albicans.

Caput parvulum.

Collum indistinctum (vix ullum.)

Cauda acuta.

Longitudo ulnaris.

Crassities digiti minimi.

Ich gebe hier die Abbildung des vordern En-
des dieser schönen Schlange, die in Florida und
Neu-Spanien zu Hause und ganz unschuldig gift-
los ist, und daher von den wilden Mädgen ganz
[Seite 12] allgemein zum Putz um den Hals oder in die Haare
geflochten, getragen wird.

Kein systematischer Naturhistoriker scheint ihrer
gedacht zu haben, und überhaupt habe ich nirgend
als nur bey zwey Spanischen Schriftstellern einige
Nachricht von ihr auftreiben können, nemlich beym
classischen Geschichtschreiber von der Entdeckung der
neuen Welt und der ersten Niederlassungen der Spa-
nier in selbiger, Antonio de Herrera, und bey dem
Pater Nieremberg, einem allerdings sehr nutzbaren
Schriftsteller, wenn er cum grano salis critisch ge-
lesen wird.

Jener beschreibt sie, da er die Geschichte von
Chiapa in Neu-Spanien vom J. 1531. abhandelt,
und sagt dabey, daß die Indianer sie die Ameisen-
mutter nennten, und sie schon damals zum Putz
als Halsband trügen.*)

Dieser giebt den Indischen Namen selbst,
Tzicatlinan: sagt, daß sie sich unzertrennlich bey
den Ameisen in jenen warmen Gegenden aufhalte,
[Seite 13] zu gewissen Jahrszeiten mit ihnen zum Vorschein
komme etc. auch daß sie als Heilmittel zu Zerthei-
lung der Geschwülste gebraucht werde.*)


Appendix A

[Tab. I]
Tab. I. Coluber coccineusxxx
Notes
*).
[Seite 1]

S. Lavaters Fragmente III. Vers. S. 80.

*).
[Seite 2]

Artemidorus de somniorum interpretatione p.
m.
194.

**).
[Seite 2]

Heyne historiae naturalis fragmenta ex ostentis, pro-
digiis et monstris,
Commentat. poster. Goetting.

1785. pag. VI.

*).
[Seite 3]

Orus Apollo de hieroglyphicis notis. p.m. 3.

*).
[Seite 12]

Antonio de Herrera historia de las Indias occi-
dentales.
Madr.
1601. fol. Decada IV. L. X. c. XII.
an.
1531. de la provincia da Chiapa en Nueva Espa-
na. pag.
283. ‘„Ay otras culebras coloradas como
grana, cô listas negras, y pintas blancas, gru-
essas como un dardo, y una braça de largo;
Uamanlas los Indios, madres de hormigas, y po-
nêselas al cuello, por juguete.
„’

*).
[Seite 13]

Jo. Euseb. Nieremberg hist. naturae L. XII.
c. VIII. pag.
272. sq.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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