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Magazin
für das Neueste
aus der
Physik
und
Naturgeschichte
,
zuerst herausgegeben
von dem Legationsrath Lichtenberg,
fortgesetzt
von Johann Heinrich Voigt,
Prof. der Mathematik zu Jena, und Corresp. der Königl.
Gesellsch. der Wissens. zu Göttingen.

Sechsten Bandes viertes Stück, mit Kupf.

Gotha
1790
.
bey Carl Wilhelm Ettinger.
[[I]] [[II]] [[III]] [[IV]] [[V]] [[VI]]

Neue Beobachtungen.

[Seite 1]

I.
Beyträge zur Naturgeschichte der Vorwelt,
von J.F. Blumenbach.

Ein recht frappantes Beyspiel, wie eine Wissen-
schaft nach der verschiednen Art, wie sie bearbeitet
und benutzt wird, entweder höchstens zu einem blo-
sen, und noch dazu ziemlich unfruchtbaren und ziem-
lich unschmackhaften Zeitvertreib dienen kann; oder
aber hingegen ein lehrreiches, die wichtigsten Gegen-
stände des menschlichen Forschungsgeistes aufhellen-
des Studium werden muß; solch ein in seiner Art
recht auffallend merkwürdiges Beyspiel giebt die
Naturgeschichte der Versteinerungen.

Sieht man die Versteinerungen aus dem großen
Gesichtspunkt an, daß sie die infallibelsten Urkun-
den im Archiv der Natur sind, woraus sich die ver-
schiednen mit unserm Planeten vorgegangenen Revo-
[Seite 2] lutionen, und selbst die Art und Weise und gewis-
sermasen die Epochen derselben ergeben, und wor-
nach sich folglich selbst das respektive Alter verschied-
ner der wichtigsten Gebirgsarten bestimmen läßt; so
fällt es von selbst in die Augen, daß ihre Geschich-
te als einer der allerwichtigsten lehrreichsten Theile
der ganzen Naturhistorie, besonders aber der ganzen
scientifischen Mineralogie angesehen werden muß.

Mit Vernachläßigung dieses Gesichtspunkts aber,
die Petrefactenkunde nur so behandelt, wie sie auch
selbst noch bis dato vom großen Haufen der blosen
Sammler und der flüchtigen Polygraphen in der Na-
turgeschichte behandelt zu werden pflegt, ist und bleibt
hier ein mehr oder weniger insipides Spielwerk. Und
eben diese nachläßige und insipide Behandlung ist
schuld, daß das ganze Studium nachher von manchen
für unbedeutend und geringfügig angesehen werden ist.
Auch habe ich deswegen diesem Aufsatz die obige
Ueberschrift gegeben, weil ich fürchten müßte, daß,
wenn ich statt derselben etwa Beytrag zur Petrefa-
ctenkenntniß gesetzt hätte, er von manchem ungelesen
und ungenutzt geblieben wäre, der nun, wenn er
nur erst bis an diese Zeilen gekommen ist, die Sa-
che doch wohl gar sehr der Mühe werth und am En-
de eben so wichtig und interessant findet, als irgend
einen andern nützlichen Gegenstand der mineralogi-
schen Erdkunde.

[Seite 3]

Das erste und wichtigste Haupt-Requisit aber,
das durchaus unumgänglich nothwendig ist, wenn
die Untersuchung der Versteinerung sich auf die ge-
dachte Weise verintereßiren soll, ist und bleibt alle-
mal äußerste Genauigkeit im Beobachten, und das
namentlich bey der Vergleichung eines Petrefacts mit
den demselben mehr oder weniger ähnlichen Origina-
len in der jetzigen organisirten Schöpfung. Denn
darnach muß das Alter der Gebirgsart, die das ur-
sprüngliche Lager des Petrefacts macht, bestimmt
werden. Und gerade das ist es, was von den mehr-
sten Oryctologen zeither so äußerst vernachläßigt wor-
den ist, indem sie so selten den wichtigen Unterschied
zwischen blos ähnlich und wirklich gleich, ge-
nau genug beobachten.

Es ist fast unbegreiflich, wie weit die Nachläßig-
keit mancher Schriftsteller in diesem Punkt gegan-
gen ist. – So hielt der seel. Baumer die platten
kleinen Ostracitenschaalen, die so häufig an großen
Ammoniten aufsitzen, geradezu für die blatta byzanti-
na
. So hielt man vulgo die herrliche Bivalve mit
den glüenden hohen Goldfarben im sogenannten opa-
lisirenden Muschelmarmor aus Kärnthen für Ostrea
ephippium
. Oder den Linnéischen helmin holithus
diluvianus
für Mytilus crista galli u.s.w.

Der Grund dieser fast so allgemeinen Ueberei-
lung lag wahrscheinlicherweise in demeingewurzelten
[Seite 4] Präjudiz, daß nothwendig zu allen Petrefacten auch
noch jetzt ein wahres Original existiren müsse, weil
man die jetzige organisirte Schöpfung mit unsern
Planeten selbst für gleiches Alters hielt und was
dergl. mehr.

Dieß ist noch die Meynung eines der allerneue-
sten Schriftsteller über Geogenie, des ber. Dr. Hut-
ton
in seiner Theorie der Erde, von welcher in dem
nächsten Artikel dieses Magazins eine eigne Nach-
richt gegeben werden soll. Ausdrücklich behauptet er
da wo er vom Zustand der Erde in den Zeiten der
Vorwelt handelt, daß die Seegeschöpfe, die damals
den Ocean bewohnt, ihre Gattungen und Racen bis
auf diesen Tag fortgepflanzt haben. ‘„Um sich von
dieser Wahrheit zu überzeugen,“’ sagt er, ‘„brau-
chen wir blos die Schichten unsrer Erde zu unter-
suchen, in welcher wir thierische Versteinerungen
finden. Bey dieser Untersuchung entdecken wir nicht
nur jedes Geschlecht (Genus) von Thieren, die
jetzt in der See leben, sondern wahrscheinlich jede
Gattung (Species) derselben, und vielleicht noch ei-
nige Gattungen, mit denen wir bis jetzt noch nicht
bekannt sind. Freylich finden sich Spielarten (va-
rieties
) unter diesen Gattungen, wenn wir sie mit
den jetzt lebenden Thieren vergleichen, aber diese
Varietäten sind nicht auffallender als diejenigen, die
vielleicht auch unter der gleichen Gattung in den ver-
[Seite 5] schiednen Gegenden der Erde gefunden werden mö-
gen (no greater varieties than may perhaps be
found among the same species in the different
quarters of the globe
). Folglich ist die thierische
Schöpfung im Ocean der Vorwelt nicht verschie-
den gewesen von derjenigen, die gegenwärtig exi-
stirt und die den Gegenstand des zoologischen Theils
der Naturgeschichte ausmacht.“’

Gegen solche Vergehungen sichert scharfsichtige
präjudizlose Vergleichung, die mir oft Dinge als
specifisch-verschieden gezeigt hat, die ich anfangs
auf den ersten Blick der Aehnlichkeit wegen, für
völlig gleich gehalten hatte.

Nur gleich ein paar interessante Beyspiele der
Art statt vieler.

Ich erhielt vor kurzem aus dem Westphälischen
eine wegen ihrer ansehnlichen Größe und Schönheit
auffallende Art von Terebratuliten, die große
Aehnlichkeit mit Solander’s anomia venosa*) von
den Falkland’s-Inseln zeigte. Aber freylich blieb
es auch nach genauer Vergleichung bey der blosen
Aehnlichkeit.

So ähnelt ein Muricit unter den vulcanisirten
Conchylien aus valle di Ronca, die Hr. Adb. For-
[Seite 6] tis und Hr. Prof. Hacquet beschrieben, dem neuer-
lich entdeckten murex hexagonus*) aus der Süd-
see. Aber in beyden Fällen ist das jetzige Original
von dem Petrefact ganz und gar specifisch verschieden.

Ich habe über die Ursache dieses auffallenden
Aehnelns und doch Nichtgleichens einige Vermuthun-
gen im 1ten Th. meiner Beyträge zur Naturgeschichte
geäußert, die ich hier nicht wiederholen darf.

Aber alles bisher gesagte paßte füglich als Pro-
log zu den folgenden Nachrichten von einem wegen
seines merkwürdigen und eleganten Baues, und we-
gen seiner Seltenheit allgemein berühmten Petrefacts,
nemlich dem Encriniten, der auch als ein wahres
Incognitum aus den Zeiten der Präadamitischen
Vorwelt von allen bekannten jetzigen Bewohnern des
Oceans specifisch verschieden ist, ohngeachtet freylich
unter sich, sich mehrere finden, die einige generische
Aehnlichkeit mit ihm zu haben scheinen.

Den Anlaß zu diesem Aufsatz gab mir eine wich-
tige Fundgrube von ausnehmend schönen Encriniten,
die neuerlich auf unserm, an den mannichfaltigsten
und merkwürdigsten Petrefacten so reichen Heinberg
entdekt worden waren, und aus welcher ich eine Menge
instructiver Stücke in meine Sammlung erhalten ha-
be, wodurch ich den sonderbaren Bau dieses räthsel-
[Seite 7] haften versteinerten Seethieres überhaupt ziemlich
vollständig habe übersehen und verschiedne nützliche neue
Bemerkungen darüber machen können: – besonders
was das untre Ende oder das sogenannte Wurzel-
stück des Thiers betrift, das wenigstens noch nicht
so untersucht und aufgeklärt worden ist, als die lilien-
förmige Krone und der aus den zusammengereihe-
ten Räder- oder Walzen-Steinchen bestehende Sten-
gel desselben. Denn (– blos zum Behuf eines
oder des andern Lesers, dem das Geschöpf noch un-
bekannt seyn möchte, sey es gesagt –) das ganze
Thier ist ein großer ansehnlicher Zoophyte der Vor-
welt, der aus einem lilienförmigen Körper (– Tab. I.
Fig.
2. –) und einem langen, einfachen und astlosen,
cylindrischen, gegliederten Stengel besteht, welcher
letztere wenigstens aus mehrern hunderten von Rä-
dersteinchen oder Trochiten (– Fig. 1. d.e.f. Fig.
2. a. Fig. 4. a. und Fig. 5. b.c. –) zusammenge-
setzt ist, und mit seinem untern Ende wie manche so-
genannte Horn-Corallen mittelst eines breiten Fußes
(– Fig. 3. 4. –) auf einem andern Körper, z.B.
auf einer großen Muschelschaale etc. fest sitzt.

Das ganze Geschöpf kan man wohl freylich
Seelilie nennen.

Die Krone insbesondere, Encrinit oder Li-
lienstein
.

[Seite 8]

Die untersten Wirbel des Wurzelstücks nen-
ne ich, zum Unterschied von den übrigen, die Stamm-
wirbel
, und die flache Cruste, aus welcher sie ent-
springen, den Fuß.

Der Name Encrinit ist schon vor Entdeckung des
Liliensteins einem andern Petrefact beygelegt worden.
Der unsterbliche Georg Agricola nemlich, der sich
meines Wissens der Worte Encrinos und Pentacri-
nos
in der Oryctologie zuerst bedient hat*), ver-
stand darunter nicht den Lilienstein, sondern die so-
genannten Asterien, die auf ihren beiden Hauptflä-
chen wie mit fünf in Form eines Sterns beysam-
men stehenden Lilien bezeichnet sind, die aber einem
von unsrer Seelilie ganz und gar verschiednen Ge-
schöpfe mit astichten Stengel zugehören.

Der erste hingegen, der den Lilienstein selbst,
doch nur als Bruchstück beschrieben und abgebildet hat,
ist der alte Friedr. Lachmund**), und dieser
gab ihm auch gleich den von Agricola den Asterien
beygelegten Namen Encrinus oder Lilienstein, der
in der That diesem Petrefact ganz angemessen ist, da
die Krone des Thiers, so wie man sie gewöhnlich
findet, einer geschlossenen Lilie ähnelt. Wenigstens
ist er passender, als der ohnehin zweydeutige von stel-
la marina
, womit der Hauptschriftsteller über dieses
[Seite 9] Petrefact, der eifrige Sammler und äußerst genaue
Beobachter Rosinus*) in Münden daßelbe be-
legte.

Der neueste Monograph über die Liliensteine,
unser seel. Prof. Hollmann**), nennt sie, so wie
manche andere Oryctologen auch gethan haben, Penta-
criniten
, weil sie freylich gewöhnlich eine fünfeckigte
Basis (– Fig. 2. b. –) in der Krone haben, da
dieselbe insgemein aus fünf Gelenksteinen zu beste-
hen pflegt. – Allein zu geschweigen, daß man auch
schon längst die Hiemersche Medusen-Palme (Hel-
mintholithus portentosus Linn.
) mit dem Namen
[Seite 10] Pentacrinit zu belegen pflegt, weil die rundlichen
Wirbel, aus welchen der mächtig lange Stengel der-
selben besteht, auf den beiden Hauptflächen fast wie
die gemeinen Asterien, die Figur einer fünfblättri-
gen Blume zeigen; so giebt es ja auch nicht selten
Liliensteine mit sechs Gelenksteinen in der Kronenwur-
zel, und 12 Hauptarmen statt der sonstigen zehn*).

Nach nie hat man eine ganz complete Seelilie
gefunden, die nemlich vom Wurzelstück bis zur Kro-
ne ununterbrochen zusammengehängt hätte.

Daher läßt sich das Verhältniß des Stengels zur
Krone und die Länge des ganzen Thiers nicht genau
bestimmen, die aber zum allerwenigsten über mehrere
Spannen betragen haben muß, wie ich aus der
Vergleichung der verschiednen Form und Stärke der
Wirbel von einzelnen Spannen langen Stücken aus
der Mitte des Stengels mit andern fast eben so lan-
gen vom obern Ende, wo die Krone ansitzt, und
mit denen an Wurzelstücken, ersehe.

Als Petrefact haben alle Theile des Thiers im
Bruche die rhomboidale Textur des Kalkspats, so
wie sie sich z.B. auch in jedem Bruchstück der gemei-
nen, ehedem officinellen, Judensteine zeigt.

[Seite 11]

Im frischen Zustand hingegen, ist vermuthlich
das ganze Thier noch mit einem weichen Ueberzuge
bekleidet, und dadurch die unzähligen Glieder unter-
einander verbunden gewesen. Da diese aber nach dem
Tode des Thiers wohl schnell verfault und dadurch
die Glieder auseinander gefallen, so begreift sich da-
her die Seltenheit beträchtlich großer zusammenhän-
gender Stücken des Ganzen, und hingegen die un-
ermeßliche Menge der einzelnen Wirbel des Stengels,
nemlich der sogenannten Trochiten.

Daß jener Ueberzug sehr dünne gewesen, schließe
ich daraus, weil zumal an den Wurzelstücken in
meiner Sammlung hin und wieder sehr zarte Wurm-
röhren etc. ansitzen*).

Diese Wurzelstücken selbst sind, wie gesagt, der
bisher noch am wenigsten bekannt gewesene Theil des
ganzen Thiers**), wovon ich aber nun eine be-
trächtliche Zahl instructiver Stücke von unserm Hein-
berg
vor mir habe.

Die erste Grundlage oder der Fuß einer Seeli-
lie ist eine flachgewölbte spatichte Cruste (– Fig. 3.

[Seite 12]

4. –) den unbestimmter, doch meist scheibenförmi-
ger Gestalt mit wellenförmigen dünnen Rändern.

Im vollkommensten Zustand sitzt dieser Fuß auf
einem andern flachen Körper auf. So habe ich z.B.
mehrere Exemplare, die auf Bruchstücken von brei-
ten dünnen Muschelschaalen aufsitzen, die ich der Tex-
tur nach, weil sie aus vertical aneinander stehenden
Fasern bestehen, (ohngefähr wie die Fäden auf dem
Sammt oder wie dünne Schichten Strahlgyps)*)
für Fragmente von Pinnriten zu halten geneigt wä-
re. (– Fig. 3. b. –)

Häufiger aber findet sich dieser Fuß von seiner
Stelle losgelößt und verdruckt, zusammengebogen,
theils wie eingerollt etc. (– Fig. 1. a.b. –)

Oft sitzt auch ein Fuß einer jungen Seelilie seit-
wärts am Wurzelstück einer ältern größern auf, fast
wie ein Schorfmoos, umfaßt daßelbe gleichsam.
(– Fig. 1. c. –)

Ein solcher Fuß hat ohngefähr auf der Mitte
seiner obern Fläche eine sternförmige Vertiefung
(– Fig. 3. a. –) in welcher nun der unterste Tro-
chit, gleichsam der erste Stammwirbel, aufsitzt.
(– Fig. 4. a. –) auf diesem der zweyte, und so
[Seite 13] die folgenden den ganzen langen Stengel hindurch
bis an die Krone.

Ich besitze solche Wurzelstücken, die ganz einzeln,
isolirt sitzen, wie z.B. Fig. 3. und 4. Ich habe
aber auch andere, wo mehrere wie in ganzen Klum-
pen dicht zusammen gruppirt sind*). Das merkwür-
digste Stück der Art ist Fig. 1. so wie alle übrige
in natürlicher Größe abgebildet. An diesem zähle ich
nicht weniger als 18 bis 20 Wurzelstücken, deren
Stammwirbel nach dem ungleichen Alter auch von
sehr verschiedner Dicke sind. Der kleinste (– d –)
ohngefähr von der Dicke einer Stricknadel. Andre
(– e –) wie der Kiel einer Rabenfeder; die
stärksten (– f –) wie Gänsespuhlen. Ueberhaupt
ist dieß wohl eine ziemlich junge Colonie gewesen.
Hingegen habe ich große vielpfündige Massen, die
mit starken, theils fast Daumensdicken Wurzelstücken
ganz dicht wie durchflochten sind.

Bey solchen alten großen Stücken scheinen die un-
tern Stammwirbel mit der Zeit (wie durch eine Art
[Seite 14] von Ankylose) mit einander verwachsen zu seyn. We-
nigstens bildet dann der Fuß zuweilen statt der flach-
gewölbten Scheibe einen ansehnlichen abgestumpften
Kegel, an welchem keine Näthe von abgesonderten
Wirbeln zu unterscheiden sind. Etwas dergleichen
zeigt sich auch schon bei verschiednen Stämmen in
Fig. 1.

Solche zusammengruppirte Wurzelstücken sind,
wie ich vermuthe, zuweilen für astichte Entrochiten
(so nennt man nemlich bekanntlich die Stücken vom
Stengel der Seelilie, wo noch mehrere Glieder oder
sogenannte Trochiten aneinander sitzen) angesehen
worden; an deren Existenz ich aber überhaupt zu
zweifeln Ursache habe. Wenigstens sind alle dieje-
nigen vorgeblichen astichten Entrochiten, die mir noch
vorgekommen, bey näherer Untersuchung nichts an-
ders gewesen, als solche zusammengruppirte Wur-
zelstücken.

Ein sonderbares Phänomen, worüber ich mir
aber noch keinen befriedigenden Aufschluß verschaffen
kann, ist, daß man zuweilen kleine Strecken des
Stengels von 10 und mehrern Gliedern findet die
mit einer ovalen spatichten Kruste umgeben sind,
(– Fig. 5. a. –) ohngefähr als wenn sie durch ei-
nen glatten länglichten Judenstein hindurch liefen.
Rosinus hat tab. VIII cl. A.n. 1. 2. 3. ähnliche
Stücken abgebildet. Nur sind die meinigen regel-
[Seite 15] mäsiger, olivenförmig, oder von der Gestalt eines
Dattelkerns etc.

Eine kleine zufällige Varietät, die ich nirgend
sonst angemerkt finde, ist ein Stuck des Stengels,
wo zwischen zwey Wirbeln in der Fuge auf der ei-
nen Seite ein länglichtes Zwickelstückchen durch eine
wahre Sutur*) wie eingeflickt ist, das also gewis-
sermasen den sogenannten Wormischen Knöchelchen
in manchen Hirnschaalen ähnelt.

Nun auch noch ein Wort über die Krone oder den
eigentlich sogenannten Lilienstein, dessen Bau zwar
schon von Rosinus und unsern seel. Hollmann
meisterhaft auseinander gesetzt ist.

Die grösten Stücken der Kronenwurzel (– Fig.
2. b. –) sind fast wie die Knochen in der Hand-
wurzel (carpus) des menschlichen Gerippes durch ei-
ne Art von amphiarthrosis straff unter einander ver-
bunden.

Jeder der zehn Arme ist von der Gegend c. an,
an beyden Seitenrändern nach innen (– e –) mit
einer zartgefiederten Flosse versehen. Und so weit die
Arme gefiedert sind (also von c bis oben zur Spitze
d) so weit ließen sie sich auch wie eine entfaltete Blu-
me auswärts schlagen.

[Seite 16]

Der äußere rundliche Rücken dieser Arme ist bey
den verschiednen Spielarten der Liliensteine von ver-
schiedner Bildung. Bey manchen, zumal bey den
jüngern, ist er wie aus knotichten Körnern zusam-
mengesetzt, so daß er dann fast einer Maizähre
ähnelt. Bey andern hingegen ist er glatter, da ihn
dann schon Lachmund nicht uneben mit der ge-
schuppten Haut einer Hünerpfote verglich.

Die Zahl der Glieder in der Hauptribbe der zehn
Arme und auch wohl in ihren beiden Flossen scheint
mit dem Alter des Thiers zugenommen zu haben.

Die äußerste Eleganz des zartesten Baues zeigt
sich an den einzelnen radiis, woraus die Flossen der
Arme zusammengesetzt sind. Diese radii selbst sind
fein gegliedert, und auf der obern und untern Flä-
che, womit sie (wie die Zasern in der Fahne einer Fe-
der) auf einander liegen, wiederum aufs allerzarte-
ste in die Quere gestreift.

Die Seelilien selbst müssen nach der Menge der
Orte zu schließen, wo man nur ihre Wirbel, die
Trochiten, versteinert findet, im Ocean der Vorwelt
eine sehr weit ausgedehnte Heimat gehabt haben, eins
der gemeinsten Seegeschöpfe gewesen seyn. Auch
müssen sie in großen Colonien beysammen gelebt ha-
ben, wie man außer den ungeheuern Trochitenmas-
sen, die sich in hundert Gegenden zeigen, auch aus
[Seite 17] der Menge der Liliensteine schließen kann, die zuwei-
len auf einem einzigen Steine, etwa einem Raum ei-
nes Quadratfußes, etc. gefunden worden sind. Ein Bey-
spiel der Art, worauf sieben Encriniten beysammen lie-
gen, führe ich nur deswegen an, weil es in einem Werke
abgebildet ist, das wohl noch von wenigen Oryctolo-
gen benutzt worden ist: nemlich in des Rector Haren-
berg
historia ecclesiae Gundershemensis diplomatica.
Hannov.
1734. fol. pag. 1624.


Notes
*).
[Seite 5]

s. Captn. Dixon’s voyage round the world pag. 355
und die Abbildung der Muschel pag. 208.

*).
[Seite 6]

s. Hrn. Chemnitz Conchylien-Cabinet Xter B.
tab. 162 fig. 1554 u.f.

*).
[Seite 8]

de natura fossilium L. V. p. m. 610.

**).
[Seite 8]

s. deß. oryctographia Hildesheimensis p. 58 u.f.

*).
[Seite 9]

Mich. Reinh. Rosinus starb zum unersetzli-
chen Verlust für die Oryctologie im 38ten J. sei-
nes Alters an seinem Geburtsorte Münden a. 1725.
Von seinem ausnehmenden Beobachtungsgeiste zeigen
die beiden, leider einzigen Schriften, die von ihm
im Druck erschienen sind. Nemlich das hieherge-
hörige Meisterwerk de stellis marinis fossilibus. Ham-
burg.
1719. 4. mit 10 Kupfertafeln. Und ein kleines
opus posthumum de belemnitis, Francohusae 1728. 4.
von welchem letztern Hr. Hofr. Kästner im VIII.
B. des Hamburgischen Magazins eine Uebersetzung
gegeben hat.

Ein merkwürdiges Verzeichnis vieler andern
oryctologischer Schriften, die Rosinus unvollendet
hinterlassen, giebt Balth. Ehrhart in der diss.
de belemnitis Suevicis
ed.
2. 1727. pag. 27. u.f.

Nachrichten von seinen Lebensumständen etc. finden
sich in Dan. Eberh. Barings Beschreibung
der Saala im Amt Lauenstein. 1744. 4. im II. Th.
S. 217 u.f.

**).
[Seite 9]

s. deß. descriptio pentacriporum etc. Goetting. 1784.
4. mit 6 Kupfertafeln.

*).
[Seite 10]

Schon Rosinus hat einen dergleichen abgebildet
tab. I. Fig. 3.

*).
[Seite 11]

Vergl. Rosinus tab. VIII. cl. E. Fig. 5.

**).
[Seite 11]

Schon Rosinus hat zwar tab. X. cl. A.B.C.D.
mancherley dergleichen Wurzelstücke abgebildet, aber
ohne sie recht gekannt zu haben, da er sie einem
besondern vom eigentlichen Encriniten verschiednen
Geschöpfe zuschreibt, das er stellam polyactinobo-
lam
nennt.

*).
[Seite 12]

Oder auch wie Hrn. De Lüc’s merkwürdige pin-
nigene
vom Saleveberg bey Genf, die in Hrn. de
Saussüre’s
Reisen im I. B. tab. II. Fig. 6. ab-
gebildet ist.

*).
[Seite 13]

Das heißt, sie sitzen neben- und aufeinan-
der, aber ohne deshalb Theile eines gemeinschaft-
lichen Ganzen auszumachen, wie sich der seel.
Walch den Encriniten dachte, der ihm, wenn er
auch noch seinen Stiel hat, demohngeachtet nur
ein Theil eines ehemaligen großen Ganzen gewesen
zu seyn schien etc. Man s. seinen Beytrag zur
NG. der Encriniten im Naturforscher St.
VIII. S. 272 u.f.

*).
[Seite 15]

Durch diese wahre Sutur unterscheidet sich dieses
Stück von denen, die Rosinus tab. VIII cl. D. und
E. abgebildet hat.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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