Table of contents

[titlePage_recto]
Magazin
für das Neueste
aus der
Physik
und
Naturgeschichte,
zuerst herausgegeben
von dem Legationsrath Lichtenberg,
fortgesetzt
von Johann Heinrich Voigt,
d.W.D. Prof. der Mathematik zu Jena, auch Mitglied
der naturforschenden Gesellschaft daselbst, und Corresp. der
Königl. Gesellsch. der Wissens. zu Göttingen.

Eilften Bandes erstes Stück,
mit Kupfern.

Gotha
1796
.
bey Carl Wilhelm Ettinger.
[[I]] [[II]] [[III]] [[IV]] [[V]] [[VI]]

Neue Beobachtungen.

[Seite 1]

I.
Siebenter und letzter geolo-
gischer Brief
des Herrn de Luc an Herrn Professor
Blumenbach.

Aus der französischen Handschrift.


Bemerkungen über den Ursprung der
organisirten Geschöpfe.

Mein Herr!

Am Schlusse meines sechsten Briefes hatte ich die
Ehre Ihnen zu melden, daß ich den siebenten und
[Seite 2] letzten zu Bemerkungen über einen, für den philo-
sophischen Naturforscher sehr interessanten Gegen-
stand, für die Geschichte der organisirten Ge-
schöpfe
auf unsrer Erdkugel, bestimmt hätte.

Wenn man die Offenbahrung, diese Quelle
der unter den Menschen verbreiteten Meynung vom
Daseyn einer ersten verständigen Ursache, bey-
seite setzt, so kann man wohl nicht anders, als daß
man den Ursprung aller großen Erscheinungen des
Weltalls in physikalischen Ursachen sucht. Macht
man auf die Art den Anfang mit der Erde, so
muß man die primitiven physischen Ursachen
aufsuchen: von der Flüssigkeit, die in ihrer Masse
herrschen mußte, damit sich unsere Flötze darinn bil-
den und um ein Sphäroid herum anordnen konn-
ten; von der rotirenden Bewegung, die ihr die
Gestalt einen Sphäroids gab; von der centri-
fugalen Bewegung,
die ihr, in Verbindung mit
der Schwere, die Bahn um die Sonne durchlaufen
ließ. In Rücksicht auf das Universum muß man
die primitiven physischen Ursachen angeben:
von der Bildung der großen Massen, die im Welt-
raum
ausgestreut sind, unter welchen die Erde ei-
nen so niedrigen Rang behauptet; von den verschie-
denen Bewegungen dieser Massen, und von dem Lich-
te, welches die Sterne und unsere Sonne umher-
stralen. Als ich in meinen vorigen Briefen die phy-
[Seite 3] sischen Erklärungen prüfte, die man von diesen Er-
scheinungen vom ersten Range gegeben hatte, so zeigte
ich, daß sie ungereimt wären, und machte überhaupt be-
merklich, daß ein solcher Ursprung nicht bloß die Gren-
zen unserer Beobachtungen sondern auch die Grenzen
unserer Begriffe übersteige. Denn da wir nie etwas
mehr als die secundären Ursachen beobachten können,
so sind wir von aller Analogie verlassen, um uns
vernünftiger Weise bis zu den primitiven Ursa-
chen,
die als zur Physik gehörig betrachtet werden,
zu erheben, und wir konnen uns in der That von
sonst nichts einen Begriff machen, als wovon uns
die Natur wenigstens die ersten Modelle geliefert
hat.

Es giebt noch einen andern Ursprung, der
uns besonders in so fern interessirt, als wir selbst
organisirte Geschöpfe sind. Dies ist der Ur-
sprung der auf unserer Erde vorhandenen Geschö-
pfe.
Die Naturforscher, welche die Ursachen von
allem in der Physik suchen wollen, haben es auch
bey diesem Gegenstande versucht, und es ist hieraus
ein Theil ihrer geologischen Systeme geworden. Ich
habe im Verfolg meiner vorigen Briefe gezeigt, daß
diese Systeme in Absicht ihres mineralogischen Theils
ohne Grund seyen; aber ich habe bis jetzt die Frage
über den Ursprung der organisirten Geschöpfe ver-
schoben, weil, wenn ich sie nach Thatsachen hätte beant-
[Seite 4] worten wollen, ich die Geschichte dieser Geschöpfe,
von der Zeit an, wo sie nach den vorhandenen Denk-
mälern angefangen haben, sich auf unserer Erde zu
zeigen, bis zu ihrem gegenwärtigen Zustande, hätte
verfolgen müssen; eine Geschichte, die sich durchaus
an die Geschichte der Erde selbst anschließt. Jetzt,
da dieses Gemälde entworfen ist, und wo wir beson-
ders die successiven Verhältnisse der organisirten Ge-
schöpfe mit den andern Klassen der Erscheinungen vor
Augen haben, wird sich ein sicherer Grund für die
Fragen über ihren Ursprung finden lassen, wel-
ches der Gegenstand dieses Briefes seyn soll.

Alle die Systeme der Naturforscher, welche den
Ursprung der organisirten Geschöpfe in phy-
sischen Ursachen suchen, kommen, in Absicht der That-
sachen, beynahe auf einerley Behauptungen, und in
Absicht der Ursachen, auf einerley Worte ohne Be-
deutung, hinaus; so daß man sie unter einigen all-
gemeinen Charakteren, die für alle passen, und die durch
ihre verschiedenen Modificationen, in der Hauptsache
nichts ändern, begreifen kann. Ich werde sie also
hier unter diesem allgemeinen Gesichtspunkte aufstel-
len, welches, meines Bedünkens, von ihren Ver-
theidigern nicht wird für unstatthaft erklärt werden.
Wenn indessen einige derselben finden sollten, daß
ich ihre Gedanken nicht richtig dargestellt hätte, so
werden sie mich ohne Zweifel öffentlich zurecht weisen,
[Seite 5] und so werden meine Leser wegen den Unrechts, das
ich unvorsetzlicherweise den Ideen dieser Naturforscher
anthun sollte, hinlänglich gedeckt seyn. Ich werde
überdem selbst dergleichen Berichtigungen zu vermei-
den suchen, indem ich von einem Umstande Gebrauch
mache, von welchem ich die Ehre habe, Ihnen so-
gleich Nachricht zu geben.

Ein junger Naturforscher, der bereits durch eig-
ne Untersuchungen in der Kenntniß wirklicher That-
sachen sehr weit gekommen war, und zuvor durch sei-
ne Studien sich die verschiedenen allgemeinen Syste-
me der Naturgeschichte ebenfalls sehe wohl bekannt
gemacht hatte, war auf meine geologischen Briefe im
Iournal de physique aufmerksam gemacht worden,
und wünschte mit mir in Correspondenz zu treten,
um einige Erläuterungen von mir zu erhalten, und
mir einige Einwürfe zu machen. Hierzu war ich sehr
bereitwillig. Seine ersten Briefe, welche sich auf
mineralogische Gegenstände bezogen, stellten mir ihn
als einen Mann dar, der sehr tiefer Untersuchun-
gen fähig wäre; ich überließ mich denselben mit Ver-
gnügen, und sehr bald setzte ich auf seine Correspon-
denz einen sehr hohen Werth, sowohl wegen der da-
rinn hervorstechenden scharfsinnigen, und oft sehr nütz-
lichen Bemerkungen, als wegen der Ehrlichkeit, mit
welcher er seine eignen Beobachtungen zum Nachtheil
seiner eignen Ideen, mit den meinigen verband,
[Seite 6] sobald ich ihn nämlich dahin gebracht hatte, daß er
ein Mißtrauen in dieselben setzte.

Als wir uns nun einander zu kennen glaubten,
und ein wechselseitiges Zutrauen zu einander gefaßt
hatten, so umfaßte mein interessanter Correspondent
die allgemeinsten Fragen, und wünschte unter andern
mit mir die von dem Ursprung der organi-
sirten Geschöpfe
zu erörtern. Er hatte seine Auf-
merksamkeit auf alles das gerichtet, was von diesem
Ursprunge, als eine Aufstellung physischer Ursa-
chen,
war gesagt worden; und als er darinn Wahr-
scheinlichkeit zu finden glaubte, so entschloß er sich,
mir dieses System unter dem Gesichtspunkte darzu-
stellen, unter welchem es ihm annehmlich geschienen
hatte, und mich zu bitten, daß ich ihm etwas um-
stündlicher, als es in meinen Schriften geschehen
war die Ursachen entwickeln möchte, die mich be-
hindert hätten, dem Gedanken Raum zu geben,
daß diese Geschöpfe, so wie die übrigen Erschei-
nungen auf unserm Erdballe, die Wirkungen allge-
meiner, in der Natur thätiger, Ursachen zu
seyn.

Dieser Gegenstand, mein Herr, der in den
Plan der geologischen Briefe gehört, welche ich an
Sie zu schreiben die Ehre gehabt habe, ist bey gegen-
wärtiger Gelegenheit wieder von mir aufgefaßt wor-
[Seite 7] den, um ihn unter den Augen eines treflichen Rich-
ters, der nicht meiner Meinung war, von Grund
aus abzuhandeln; und da ich nichts destoweniger
überzeugt war, daß das System, welches er anfangs
für beyfallswürdig gehalten hatte, in allen seinen
Theilen chimärisch wäre; so erlaubte er mir, daß ich
bey Gelegenheit Gebrauch von dem Briefe machen
dürfte, welchen ich ihm über diese Sache geschrieben
hatte.

Was ich Ihnen also hier sende, ist eine Ab-
schrift von jenem Briefe. Sie werden darinn, wie
ich glaube, das System der freywilligen Erzeu-
gungen
auf eine so genaue Art dargestellt finden,
als es vorher von keinem seiner Vertheidiger gesche-
hen ist; und diese werden nach meinen Beantwortun-
gen selbst urtheilen, daß alles, was sie über diesen Ge-
genstand gesagt haben, von der Ungeduld herrührt,
mit welcher man entscheidet, ehe man beobachtet
hat.

Schreiben über die Geschichte der
organisirten Geschöpfe auf unserer Erde,
und über die auf ihren Ursprung sich
beziehenden Fragen.

[Seite 8]

‘„Mein Herr!„’

Ich werde dem Zutrauen, dessen Sie mich in Ih-
rem letztern Schreiben würdigen, dadurch entspre-
chen, daß ich den Gegenstand desselben mit aller der
Aufmerksamkeit behandle, welche Sie von mir wün-
schen, und die er für sich selbst fordert. Als ich nach
und nach über die vielen Irrthümer ganz betroffen
war, die sich unter die Wahrheiten der Naturwissen-
schaften gemengt hatten, und deshalb bey mir be-
schlossen hatte, kein allgemeines System über die Na-
tur eher anzunehmen, als bis ich es aufs gründlichste
geprüft hätte, legen Sie mir jetzt als einen Anlaß
zu solchen Prüfungen, die Sie mir ganz besonders
interessant gemacht haben, einen der wichtigsten Ge-
genstände nicht nur aus der allgemeinen Philosophie,
sondern auch aus der Physik und Naturgeschichte vor,
nemlich die Meynung einiger Naturforscher, welche
die Hervorbringung der organisirten Geschöpfe unse-
rer Erde, als eine Wirkung der physischen Ursachen,
betreffen, die alles, was wir daselbst wahrnehmen,
hervorgebracht haben. Sie sähen, sagen Sie mir,
[Seite 9] einen Theil von dem vorher, was ich Ihnen gegen
diese Meynung zu erkennen geben würde, allein Sie
wollen mir nicht vorgreifen; und da das System,
welches Sie mir aufgestellt haben, ein in seinen man-
nichfaltigen Theilen verbundenes Ganzes ist, so wün-
schen Sie, daß ich die Prüfungen in eben der Ord-
nung vornehmen möchte, wie ich den Anlaß dazu
finde, und deshalb nehme ich auch keinen Anstand, in
meinen Beantwortungen dasjenige, was Ihnen
schon bekannt ist, eben sowohl zu berühren als das-
jenige, was Sie noch nicht vorausgesehen haben.

Fundamental-Sätze.

‘„1. Es scheint, daß es Pflanzen und
Thiere giebt, die gewissen Gegenden eigenthümlich
und als einheimisch, angehören, in andern Ge-
genden nicht angetroffen werden.„’

‘„2. Wenn man die organisirten Geschö-
pfe
in solche Gegenden bringt, wo sie sich nicht
anfangs befunden haben, und sie pflanzen sich daselbst
entweder auf natürliche Art fort, oder man sucht sie
durch Kunst fortzubringen, so arten sie daselbst nicht
bis zu dem Grade aus, daß man sie gar nicht mehr
zu den Arten zählen könnte, von welchen sie ab-
stammten.„’

[Seite 10]

‘„3. Die mehresten von den organisirten Ge-
schöpfen, sowohl Pflanzen als Thiere, die auf unserm
festen Lande leben, können nicht zu denjenigen
Arten gerechnet werden, deren Reste sich in so großer
Menge in unsern mineralischen Schichten ver-
graben finden.„’

Folgen aus diesen Sätzen.

‘„1. Da die organisirten Geschöpfe mit
ihrem Wohnorte ihre Art nicht verwechseln, und
da diejenigen, welche auf unserm festen Laude le-
ben, nicht zu denen können gerechnet werden, welche
zu der Zeit lebten, wo sich unsere mineralischen
Schichten im Meere bildeten, so führt dieses wohl
auf den natürlichen Schluß, daß diejenigen, welche
bey dem gegenwärtigen Zustande unserer Erde am
Leben sind, freywillig, das heißt, durch diejenigen
physischen Ursachen müssen erzeugt worden seyn,
welche auf unser festes Land, gleich nach seinem Ent-
stehen, gewirkt haben, z.B. durch diejenigen, wel-
che die Gährung mittelst der Sonnenstrahlen in
dem Schlamme veranlaßt hat, mit welchem das feste
Land bedeckt werden mußte, als es vom Meere
war verlassen worden.’

‘„2. Und wenn dieses nun in Rücksicht der
neuen organisirten Geschöpfe, die auf unserm Bo-
[Seite 11] den wohnen, richtig ist, ist es nicht natürlich, daraus
zu schließen, daß die vorherigen organisirten Ge-
schöpfe,
von welchen wir jetzt die Ueberbleibsel in
unsern Schichten finden, ehedem, unter andern Um-
ständen, gleichmäßig durch die Wirkung physischer
Ursachen, wären erzeugt worden?„’

Weitere Bemerkungen.

‘„1. Wir sehen, daß die Natur nach unverän-
derlichen Gesetzen handelt; mithin wird die Be-
wegung,
oder irgend ein Naturgesetz, welches den
Keimen ihr Daseyn gegeben hat, ohne Zweifel immer-
fort bestehen; allein es befindet sich nicht mehr unter
ebendenselben Umständen, um seine Wirksamkeit
Statt finden zu lassen. Liegt also nicht hierinn der
Grund, warum sich jetzt unsere Pflanzen und
Thiere nicht anders, als durch ihres Gleichen,
fortpflanzen?„’

‘„2. Aber, ist es denn auch wirklich bewie-
sen, daß jene Ursache jetzt nicht mehr wirksam ist?
Mir dünkt, es sey der Mühe werth, nachzuspüren,
wie die Pflanzen an denjenigen Plätzen wachsen,
welche dergleichen bisher noch nicht getragen haben.
Z.B. wie isolirte Felsen mit solchen Pflanzen be-
deckt werden können, deren Körner vielleicht zu
schwer waren, als daß sie durch den Wind auf solche
[Seite 12] Höhen, wo Berggipfel zusammen gestürzt waren,
hätten geführt werden können, und so wenig dieses
auch wahrscheinlich ist, wie sie so an diejenigen Oer-
ter hätten niedergelegt werden können, daß ihr
Wachsthum möglich geworden wäre?„’

‘„3. Sehen wir denn nicht auch sonst den
Schimmel, das Haar-Aftermoos (Byssus)
und so viele andere Vegetationen, die an unterir-
dischen Oertern, oder auf organisirten Körpern im
Zustande der Fäulniß, erzeugt werden, wovon wir
die Fortpflanzung durch ihren Gleichen so wenig,
als bey den Infusionsthierchen, beweisen können?„’

‘„4. Endlich, wenn wir den Ursprung der
Pflanzen, oder der Thiere, die Amerika besonders
eigen zu seyn scheinen, aufsuchen, so wird uns wohl
nicht einfallen, ihn von solchen Geschöpfen herzulei-
ten, die von der andern Halbkugel hinüber gebracht
worden sind, da sich die Arten derselben dort nicht
finden – warum sollten denn also diejenigen Arten,
welche beyden Halbkugeln gemein sind, nicht durch
eben dasselbe Naturgesetz entstanden seyn, wenn nur
sonst die Umstände so gewesen sind, daß sie seine
Wirksamkeit haben begünstigen können? – Warum
sollten, mit einem Worte, alle Arten der organi-
sirten Geschöpfe
(Pflanzen, Thiere und Men-
schen,) nicht auch sonst in der jedesmaligen Gegend,
[Seite 13] wo sie einheimisch sind, haben erzeugt werden kön-
nen; oder warum hätten sie von ursprünglichen in
ihren Art einzigen Individuen herkommen
müssen?„’

* * *

‘„Wenn irgend ein Vertheidiger der freywil-
ligen Erzeugungen
Ursache hätte, sich über die
Art zu beschweren, wie Sie dieses System darge-
stellt haben, so wäre es in so fern, als Sie es in ei-
ner logischen und strengen Form gethan haben. Sie
haben die scheinbarsten Argumente, wie man sie in
Ihren Schriften zerstreut findet, beygebracht; indem
einige daselbst die Thatsachen erzählen, wie sie selbige
gefunden haben, andere sie citiren und Systeme dar-
auf bauen; so daß man nie das Ganze von den Sä-
tzen und unmittelbaren Beweisen unter einem einzi-
gen Gesichtspunkt vereiniget findet. Indessen macht
die Sache doch Eindruck bey den Lesern, die bey
Ihnen Unterricht suchen, besonders bey jungen Leu-
ten; welche nach ausserordentlichen Ideen begierig
sind; und je unbestimmter ein solcher Eindruck ist, de-
stomehr widersteht er den Thatsachen, welche im
Stande wären, ihn auszulöschen, weil sich nicht recht
wahrnehmen läßt, wie sie vermögend seyen, so
große Dinge
zu entkräften, die man da und dort
bemerkt hat. Sie, mein Herr, wollten diese Argu-
[Seite 14] mente nicht so im Weiten lassen, und haben Sie
deshalb gesammelt, concentrirt, und unter scharfe Ge-
sichtspunkte gebracht; hierdurch können wir denn
geradesweges auf die Grundfesten dieser Systeme los-
gehen, von welchen ich Ihnen zeigen werde, daß sie
die Prüfung der Thatsachen und der Vernunft nicht
aushalten können.„’

‘„Das ganze System beruht auf Ihrem dritten
Fundamentalsatze; denn ohne diesen helfen die beyden
andern dem Systeme nichts.’ In diesem stellen Sie
als eine Thatsache auf: ‘„daß die mehresten der
itzt lebenden organisirten Geschöpfe nicht zu
denen gerechnet werden können, die wir in unsern
Erdschichten finden.„’ Nachdem Sie das Wort:
‘„die mehresten„’ welches in diesem allgemeinen
Satze als eine Art von Ausnahme, welche man aus
der Acht lassen kann, anzusehen ist, vergessen, und
diesen Satz mit dem zweiten verbinden, so ziehen
Sie daraus diese erste Folge: ‘„Weil die organi-
sirten Geschöpfe
mit der Veränderung ihres
Wohnorts ihre Art nicht ändern; und weil die-
jenigen, welche auf unserm festen Lande leben,
nicht zu denjenigen Arten können gezählt werden,
welche zu der Zeit lebten, wo unsere Erdschich-
ten
sich im Meere bildeten, ist es da nicht natür-
lich, daraus den Schluß zu machen, daß diejeni-
gen, welche jetzt leben, freywillig, das heißt,
[Seite 15] durch die Wirksamkeit physischer Ursachen, die
sich in einer neuen Ordnung der Dinge thätig be-
wiesen, erzeugt worden seyen?’

Ich bitte, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit
auf die Bemerkungen, die ich Jahren hier darstellen
werde, denn diese werden Ihnen bey Ihrer weitern
Lectüre von großem Nutzen seyn können: Sie werden
darinn ein auffallenden Beyspiel finden, auf welche
Weise ein Irrthum in eine nahmhafte Ahnzahl der
Systeme, die auf Thatsachen gestützt zu seyn schienen,
sich eingeschlichen hat.

In dem Systeme, von welchem hier die Rede
ist, gieng man auf die Fundamental-Untersuchung
aus: ‘„ob die jetzt lebenden organisirten Ge-
schöpfe
als die Abkömmlinge von denen betrach-
tet werden könnten, welche in ältern Zeiten, vor der
Entstehung unsers festen Landes, gelebt hätten.„’ Man war zu dieser Untersuchung berechtiget, weil
die Mineral-Schichten, die an eben den Stellen
unserer Erdfläche vom Meere waren gebildet worden,
wo unser festes Land entstanden ist, einen großen
Ueberfluß von Resten organisirter Geschöpfe in
sich enthalten, welche mit den Klassen derjenigen Ge-
schöpfe, die jetzt noch leben, in Vergleich gestellt
werden können; und man glaubte, daß, wenn sich
unter ihnen keine Aehnlichkeit der Arten fände, man
[Seite 16] diesen Umstand als eine Anzeige betrachten könnte,
daß die Gattungen von diesen Geschöpfen, nach
der großen Veränderung unserer Erdfläche, durch
physische Ursachen könnten erneuert worden seyn.
Dies ist der Gesichtspunkt, aus welchem diese große
Frage der Naturgeschichte von einigen Geologen ist
betrachtet worden.

Entfernen Sie nun aus Ihrer Vorstellung alle
die Eindrücke welche Sie bey Lesung dieser Schrift-
steller erhalten haben, um sich einen Begriff zu ma-
chen, wie Sie bey dieser Prüfung würden zu Werke
gegangen seyn, wenn Sie selbst, sie vorzunehmen,
Willens gehabt hätten. Sie wissen aus Ihrem eig-
nen Vorrath von Kenntnissen, daß unsere Mine-
ral-Schichten
aus verschiednen übereinander lie-
genden Klassen bestehen, woraus wir auf große,
nach und nach auf unserer Erde vorgegangene Ver-
änderungen
schliessen können. Sie wissen ferner,
daß bey dieser Folge der verschiedenen Schichten,
man auch allmähliche Veränderungen in den Arten
der organisirten Geschöpfe findet, die in ihnen
enthalten sind; welches ein Beweis ist, daß die or-
ganisirten Geschöpfe
an den Veränderungen mit
Theil genommen haben, welche die Erde selbst betraf,
und dieser ist ohne Zweifel ein großer Gegenstand der
Geologie.

[Seite 17]

Indessen ist es dieses nicht, wovon hier die
Rede ist; es ist hier die Frage von einer Prüfung:
‘„ob die heut zu Tage noch lebenden Arten als
Nachkömmlinge derer können angesehen werden,
welche in frühern Zeiten, bey der Entstehung unsers
festen Landes, am Leben waren; indem man zu
diesem Behuf, die Resten derer, welche in unseren
Erdschichten aufbewahrt worden sind, mit den ih-
nen entsprechenden und noch jetzt lebenden Arten
vergleicht.„’ Aber, wenn man weiß, daß die or-
ganisirten Geschöpfe
eben so wie die Erdschichten
in ihrer Natur, bis zur Entstehung unsers festen
Landes,
allmähliche Veränderungen erlitten haben,
so frage ich Sie, in welchen Klassen von Erd-
schichten
Sie die Gegenstände dieser Vergleichung su-
chen wollen? Sollte es in denen seyn, welche sich
allgemach verändern, und bey welchen die verschiede-
nen Phänomene Anlaß zu den wichtigsten geologischen
Fragen geben; oder in den letzten Klassen der
Schichten, die uns den Zustand zeigen sollen, in wel-
chem die organisirten Geschöpfe unmittelbar nach
der Entstehung unsers festen Landes angekom-
men sind? Ich bin gar nicht im Zweifel über die
Parthie, welche Ihnen Ihre eignen Reflexionen
werden ergreifen lassen.

Sehen Sie nun, wohin Sie sich haben führen
lassen! Die Vergleichung, wovon man Ihnen vor-
[Seite 18] sagt, ist blos aus den alten Klassen der Schichten
gezogen. Ihr Gegenstand ist das, was man lange
Zeit Versteinerungen genannt hat, um die frem-
den Körper
damit zu bezeichnen, die in unsern
steinigten Schichten gefunden werden; nur von
dieser uralten Klasse organischer Geschöpfe konn-
te man mit einigem Schein von Grund sagen, ‘„daß wir
die mehresten ihres Gleichen nicht mehr unter den
jetzt lebenden Arten hätten.„’ Auf solche Art hat
man aber die wichtigste, ja die einzig wichtige Pe-
riode bey dieser besondern Prüfung überschritten,
nemlich diejenige, welche unmittelbar vor der Ent-
stehung unsers festen Landes vorher gieng, und
während welcher sich ein großer Theil der Schichten,
theils aus Sand, theils aus andern Substanzen bil-
deten, die sich nicht verhärtet haben, so daß die
Reste der organisirten Geschöpfe, die sie enthalt
ten, sich vollkommen vom Stoffe der Schichten
unterscheiden, und sich sehr leicht erkennen lassen.
Hier wäre also der Ort gewesen, wo man die Reste
der organisirten Geschöpfe hätte studieren sollen,
um zu sehen, ob es verstattet sey zu glauben, daß
die jetzt lebenden Arten von denen abstammten,
welche vor der Bildung unsers festen Landes,
durch den Zurücktritt des Meeres wären gebildet
worden. Aber sehen Sie, was man da würde ge-
funden haben, und was allein den Grund aller Ih-
rer Argumente umzustürzen im Stande ist. ‘„Alle
[Seite 19] organisirten Geschöpfe, deren Reste wir in jenen
Schichten finden, haben (mit Ausnahme einiger
Schaalenthiere, die ohne Zweifel ihr äusseres Anse-
hen im neuen Meere verändert hatten) ihren Glei-
chen
ganz genau unter den jetzt lebenden Arten.„’

‘„Ich könnte mich mit dieser peremtorischen Wi-
derlegung den ganzen Systems, welches sie mir zur
Prüfung vorgelegt haben, begnügen, wenn Sie nicht
durch die Eindrücke, welche eben diese Naturforscher
bey Ihnen gemacht hatten, zu noch verschiedenen an-
dern Verunstaltungen naturhistorischer und physi-
scher Resultate, wären verleitet worden, welche nach-
her in die philosophischen Systeme als treue Abdrücke
der Natur gekommen sind. Ich werde also die
Prüfung diesen Gerüstes von Irrthümern noch weiter
fortsetzen.’

‘„Der erste von den Mißgriffen in der Geolo-
gie, welcher die Irrthümer gehegt hat, ist der Ge-
danke, daß unser festes Land von einem Alter
wäre, dessen Grenzen man gar nicht angeben konn-
te. Auf die Art geschah es auch unter andern daß
man sich berechtigt glaubte, gewisse, den physischen
Ursachen fremde, Zustände anzunehmen während
welcher sie verschiedene organisirte Geschöpfe un-
ter verschiedenen successiven Umständen hervorge-
bracht hätten, bis endlich in einer äusserst entfern-
[Seite 20] ten Epoche, wo unser festes Land entstanden
wäre, dieses keine neuen Arten mehr erhalten hät-
te, und die sich nun bis auf unsere Zeiten durch ih-
res Gleichen fortgepflanzt hätten. So geschah es,
sage ich, daß, indem man allen Ursprung in die
Nacht des Alterthums zurück wieß, man Frey-
heit zu haben glaubte, seiner Einbildung den Lauf
zu lassen, um diesen Ursprung solchen Ursachen bey-
zumessen, welche gewissen Lieblingssystemen nicht ent-
gegen sind. Ader sehen Sie, mein Herr, wie un-
bestimmte Eindrücke, die man zur guten Stunde er-
halten hat, Wahrheiten widerstehen können, welche
sie zerstören sollten! Sie wiederholen diese Ideen
über den Ursprung der organisirten Körper,
ob Sie gleich jetzt sehr gut wissen, daß das vermein-
te unermeßliche Alterthum des gegenwärtigen
Zustandes
unserer Erde, welches ihnen zur Hülle
dient, eine Chimäre ist; und daß es hingegen durch
die directesten Phänomene erwiesen und von den aus-
gezeichnetsten Geologen anerkannt ist, daß die physi-
sche Chronologie unsers festen Landes, seit seiner
Entstehung, sich, in einem nicht sehr entfernten
Zeitraum, an die historische Chronologie derjenigen
Nationen anschließt, die es seit dieser Zeit bewohnt
haben. So ist denn der Schleyer, mit welchem man
die ältern Zeiten verhüllte, nun zerrissen; alle Ver-
irrungen der Einbildungskraft sind nun den Prüfun-
gen der Thatsachen unterworfen, und es läßt sich,
[Seite 21] unter andern, nicht mehr behaupten, wenigstens nicht
unter den Augen solcher Personen, die eben so auf-
merksam,
als unterrichtet sind, daß die organi-
sirten Geschöpfe,
welche noch jetzt auf der Erde le-
ben, daselbst durch physische Ursachen erzeugt
worden wären; denn die Menschen, die nothwendi-
gerweise Zeugen von einigen dieser großen Phänomene
gewesen seyn müssen, würden sich diese Kenntnisse, eben
so, wie die Thatsachen ihrer eignen Geschichte, ein-
ander überliefert haben.’

Um diesen vorgeblichen freiwilligen Erzeu-
gungen
einigen Anschein von physischer Erklärung
zu geben, hat man zu der unbestimmten Idee, die
Sie in Ihrer zweiten Folgerung ausgedrückt ha-
ben, seine Zuflucht genommen; nemlich zu einer
durch die Sonnenstrahlen bewirkten Gährung
in dem Schlamme, welcher nach dem Rücktritte des
Meeres das Land bedeckt haben sollte. Ich werde
auf diese angeblichen physischen Erklärungen kom-
men, die ganz des Zeitalters würdig sind, in wel-
chem sie erfunden wurden; allein jetzt gleich bemerke
ich, daß man auf solche Weise die Thiere vergißt,
welche damals das Meer bevölkerten, und von wel-
chen wir sehen, daß sich ihre Gattungen in dem neu-
en Meere erhalten haben; und man bedenkt nicht,
daß, wenn das vormalige Meer eben so wie das
jetzige, Inseln gehabt hat, diese hinlänglich gewesen
[Seite 22] seyn können, um auch die Gattungen der Land-
Gewächse
und Thiere, auf unserm neuen Conti-
nens fort zu erhalten, wovon hernach diese Inseln
Berge geworden seyn müssen. Dieses hat in sich
selbst, unabhängig von den Beweisen, daß sich die
Sachen wirklich so zugetragen haben, wenigstens ei-
nen auf Erfahrungen gestützten Sinn; da im Gegen-
theil, neue, durch die Wirkung der Sonnenstrah-
len
geschehene Generationen bloße Worte, ohne ir-
gend eine Analogie mit etwas Bekanntem sind. Sie
wissen auch, daß ein allmähliger Rückzug des
Meeres,
längs gewisser Küsten, statt findet, wel-
cher durch den Schlamm bewirkt wird, der von sei-
nem Boden gegen das Ufer getrieben wird: die Be-
wohner dieser Küsten nehmen diesen neuen Boden
wohl in Obacht, um sich seine in dem Maaße zu be-
dienen, als er sich mit Pflanzen bedeckt, wo sie ihr
Vieh weiden, und am Ende sich selbst darauf nieder-
lassen können. Hier haben wir also einen Fall, der
mit demjenigen in Vergleich gestellt werden kann, wo
von einer Wirkung der Sonne, auf einen aus dem
Meer hervorgegangenen Schlamm, beym allgemei-
nen Rückzug des Meeres über unser festes Land,
die Rede ist, und zwar für einen Zeitpunkt, der sich
noch in unsern Geschichtbüchern aufbewahrt findet;
und wo man niemals das neue Land mit andern
Gewächsen bedeckt, oder andern Thieren bevölkert
gesehen hat, als mit solchen, die durch die Fortpflan-
[Seite 23] zung der schon vorhandnen Racen auf anderes Land
gekommen sind.

‘„Sie sagen in Ihrer zweyten Bemerkung:
‘„Es lohnte sich der Mühe nachzuspühren, wie die
Pflanzen auf solchem Boden wüchsen, wo nie derglei-
chen sind gesehen worden.„’ Dies haben die Berthei-
diger der freywilligen Erzeugungen längst ge-
than, um wenigstens einiges Beyspiel von Entste-
hung neuer Pflanzen und Thiere ohne Dazwi-
schenkunft von etwas ihres Gleichen, und folglich ei-
ne Entstehung durch die simple Wirkung physischer
Ursachen zu geben; allein sie sind genöthigt worden, den
Schauplatz unter den kleinen Thierchen zu eröfnen,
deren Sie in Ihrer dritten Bemerkung gedenken;
das heißt, in der mikroskopischen Welt, wo man
kaum das unterscheidet, was da ist, und dasjeni-
ge, was dasselbige hervorbringt, ganz unsern Augen
entwischt.

‘„Aber, fragen Sie, wie konnten denn Pflan-
zen auf isolirten Felsen nach großen Einstürzungen
von Berggipfeln wachsen, da ihre Saamenkörner
vielleicht zu schwer waren, um vom Winde dahin
getragen werden zu können, ja, wo es auch selbst auf
diesem Fall nicht so wahrscheinlich ist, daß sie gerade
da wären niedergelegt worden, wo sie hätten aufkei-
men können?„’ Was die Körner anlangt, die zu
[Seite 24] schwer möchten gewesen seyn, um vom Winde fort-
geführt werden zu können, (wenn dies wirklich der
Fall bey irgend einer auf Felsen wachsenden Pflanze
ist, die Sie im Auge haben) so vergessen Sie ganz
die Vögel, welche nicht blos die Rinde der Bäume
mit einer Menge von Schmarotzerpflanzen besaa-
men, die hier ihren natürlichen Boden haben, son-
dern die selbst die Eyer der Thiere auf solche Art von
einem Ort zum andern bringen, wie solches z.B. die
Reiher thun; welche auf diese Art die neuangeleg-
ten Deiche mit Hechten bevölkern, wo man sonst
diese gefräßige Art von Fischen sorgfältig entfernt zu
halten sucht. Sie vergessen in der Folge das, was
Sie beym Botanisiren auf den Felsen haben bemerken
müssen: nämlich daß sich daselbst die Wurzeln der
Pflanzen beständig, entweder zwischen den Spalten,
oder unter den ausgewaschenen Steinblättern, oder
in den Moosen und Falten der Flechten befinden,
und zwar von Pflanzen, deren Saamen beständig
in der Luft herum schwimmen, und sich in den kleinsten
Höhlungen der härtesten Steine anhängen. Aber eben
diese Trümmer, welche die Wurzeln der größten
Pflanzen beschirmen, halten auch ihre Saamen-
Körner
zurück, wenn sie durch den Wind auf die
Flächen der Felsen geführt werden.

‘„In Ihrer dritten Bemerkung halten Sie
sich an den Schimmel und die Haar-Aftermoose, in-
[Seite 25] dem Sie mit den Naturforschern, deren System Sie
aufstellen, behaupten ‘„daß man die Fortpflanzung der-
selben durch ihres Gleichen nicht beweisen könne.„’
Allein Sie werden gewiß in den Werken anderer Na-
turforscher gefunden haben, daß die Arten von Häär-
chen,
welche den Schimmel oder einen ähnlichen
Beschlag bilden, aus kleinen Röhren bestehen, an
deren Ende sich ein Bläschen bildet, welches sogleich
mit einem durchsichtigen Saft erfüllt ist, der sich nach
wenig Stunden in einen braunen oder schwarzen
Staub verwandelt, und sich bald darauf durch eine
Explosion zerstreut, wie es bey den Saamen der
Moose zu geschehen pflegt, deren Fructification
jetzt bekannt ist. Auf solche Art geschieht es dann,
daß die Saamen dieser beyden Pflanzengattungen
ohne Unterlaß durch die Luft geführt werden, und
daß sie allenthalben fortkommen, wo sie schickliche
Oerter antreffen. Was die Byssusarten betrift,
so sind sie mehrentheils perennirend, und pflanzen
sich durch ihre herumkriechenden Wurzeln fort. Ih-
re Fructification ist ohne Zweifel jetzt noch sehr im
Dunkeln, ob sich gleich einige zu gewissen Zeiten mit
einem Staube bedecken, der sich an die Finger
hängt; allein man weiß überhaupt, daß mehrere
Pflanzen, die sich sowohl durch die Wurzeln, als
Saamen, fortpflanzen, solches zu gleicher Zeit nur
auf eine von diesen beyden Arten thun; so hat mir
der Hr. D. Shmith ein Beyspiel vom Lilium
[Seite 26] bulbiferum
erzählt, welches sich auf dreyerley Art
fortpflanzt, durch Saamen, durch Knollen die an
der Wurzel sitzen, und durch andere Knollen, die
sich an den Stielen der Blätter gebildet haben; er
hat aber mehrmals beobachtet, daß zu der Zeit, wo sich
diese letzten Knollen bildeten, die Blüthen der
Pflanzen unfruchtbar waren. Sie sehen also, daß
sich über die Geschichte der Byssus nichts bestimmen
läßt, eine Pflanze, deren genauere Kenntniß deshalb
so schwer ist, weil sie eine so geringe Größe hat und
sich so wenig Gelegenheit findet, sie in allen Abwech-
selungen der Jahrszeiten und in jeder Art ihrer Lage
zu beobachten; und gleichwohl ist dieses um desto nö-
thiger, als wir noch eine Menge Pflanzen kennen,
die bey Veränderung ihres Himmelsstrichs, die Fä-
higkeit, sich durch Saamen fortzupflanzen, verliert,
blos einige seltene Fälle ausgenommen; immittelst sie
sich also sehr gut durch ihre Wurzeln, oder Augen,
vermehren.’

‘„Werfen Sie endlich nach einen Blick auf die
Worte: man kann nicht beweisen, die Sie
nachahmungsweise mit gebrauchen, und deren man
sich oft bedient, um denjenigen Systemen ein Anse-
hen zu geben, in welchen man gar nichts beweiset.
Wenn alle sichtbaren Phänomene einer unermeßli-
chen Klasse, einen gewissen bestimmten Gang nehmen,
ist man de nicht berechtigt zu sagen, ja sogar zu
[Seite 27] versichern, daß er allgemein sey; kann es etwas scha-
den, daß dieser Gang in den wenigen Fällen, oder
unter den Umständen, welche seine Allgemeinheit zu
bemerken gehindert haben, noch nicht wahrgenommen
worden ist, um ihn demohngeachtet für allgemein zu
halten? Indessen pflegen sich doch wirklich auf sol-
che Art die Vertheidiger der willkührlichen Er-
zeugungen
das Ansehen zu geben, als wenn sie sich
auf Thatsachen stützten.’

Bis jetzt, mein Herr, habe ich, um die Täu-
schungen zu zerstreuen, in welche Sie durch einige,
von unserm dermaligen Gegenstand, handelnde
Schriften, gerathen sind, nichts weiter gethan, als
Ihre Aufmerksamkeit auf Umstände gelenkt, die Ih-
nen selbst bekannt waren; so daß, wenn Sie sich
die Fertigkeit erworben gehabt hätten, kein Urtheil
eher über besondere Gegenstände zu fällen, als bis
Sie zuvor einen Blick auf die Verhältnisse geworfen
gehabt, in welchen Sie mit andern, Ihnen besser
bekannten, stehen mußten, – Sie sich gewiß vor
den Irrthümern würden gehütet haben, welche ich
Ihnen so eben bemerklich gewacht habe. Es ist aber
noch eine, wegen des weiten Feldes, das sie umfaßt,
sehr große Folge zurück, auf welche Sie, Ihrer
Kenntnisse ohngeachtet, gerathen mußten, indem Sie
sich eine Gewohnheit mit zu eigen machten, welche
selbst unter denjenigen Schriftstellern sehr gemein ist,
[Seite 28] bey welchen sie sonst keine weitern Folgen hat, als
daß sie Ihnen sehr leicht verdächtig werden muß;
es ist dieses Ihre erste Bemerkung, welche jetzt
der Gegenstand unserer Prüfung werden soll, und
wo ich Sie bitte, ihr die größte Aufmerksamkeit zu
schenken.

‘„Diese Bemerkung, welche in ihrer an-
scheinenden Simplicität, die größten philosophischen
Fragen umfaßt, war folgende; ‘„Wir sehen, sagen
Sie, daß die Natur nach unveränderlichen Ge-
setzen
wirkt; also wird die Bewegung oder irgend ein
andres Gesetz, welchem die Keime ihre Entstehung
zu verdanken haben, ohne Zweifel noch jetzt bestehen,
allein es findet nicht mehr dieselben Umstände um
seine Wirksamkeit Statt finden zu lassen.„’ Der
erste hier zu erwägende Gegenstand ist die Competenz
der Beobachter, die einen solchen Grundsatz, für
das, was in der Natur vorgeht, aufstellen wollen.
Sie heben mit den Worten an: Wir sehen –;
auf wen bezieht sich hier das Fürwort: Wir? auf
die Menschen. – Seit wann beobachten denn die
Menschen die Natur? Seit wenigen Jahrhun-
derten. – In welchem Zustande der Dinge haben
sie denn ihre Beobachtungen angefangen? In dem-
jenigen, worinn sie sich jetzt wirklich befinden, über
eben dasselbe feste Land, welches wir bewohnen, und
unter dem Einfluß eben derselben Anordnung der
[Seite 29] physischen Ursachen – Haben wir Grund zu
glauben, daß dieser Zustand immer derselbe gewesen
sey? Keineswegs, denn unsere Erde trägt Spuren
sehr großer Ereignisse, die sich vor der Entstehung
unsers festen Landes begaben, und die seit der
Zeit aufgehört haben. – Woher fließt also dieser
Satz: ‘„Wir sehen, daß die Natur nach unver-
änderlichen Gesetzen
wirkt?’ Er ist seit geraumer
Zeit die Erfindung von einer anmaßlichen Unwis-
senheit.’

‘„Sie reden in der Folge von diesen Gesetzen in
der Manier derer, welche bis jetzt geglaubt haben,
daß man die Erscheinungen des Weltalls durch
Worte erklären könne; denn Sie sagen:’ ‘„die Be-
wegung,
oder jedes andere Gesetz, welchem die
Keime ihre Entstehung zu verdanken haben, besteht
ohne Zweifel noch immer fort, allein es befindet sich
nicht mehr unter den Umständen, wo es seine Wirk-
samkeit
zu Tage legen könnte.„’ Dies ist eben das,
was Ihre Schriftsteller allgemeiner gesagt haben:
daß in der Vorzeit eine unermeßliche Menge Com-
binationen
von Elementen – nach gewissen
Gesetzen, geschehen, und woraus alles hervorge-
gangen sey, was wir beobachten; unter andern eine
Folge von verschiedenen organisirten Geschöpfen,
die nach den Umständen, mehr oder weniger per-
manent gewesen wären, so daß gegenwärtig sonst kei-
[Seite 30] ne davon mehr vorhanden wären, als die, bey wel-
chen sich die Eigenschaft gefunden hätte, ihres Glei-
chen hervorzubringen.„ – Dies ist das Re-
sultat von allem, was Sie ohne viele Auslegung bey
den Schriftstellern über das Ursprung der Dinge,
und insbesondere über das Entstehen und Fort-
pflanzen
der Keime, haben finden können.

‘„Ich frage Sie jetzt als einen Physiker was
Sie wohl denken würden, wenn man Ihnen von
den Erscheinungen der Luft, der Dämpfe, der Ele-
ctrizität, des Magnetismus, der Flüssigkeit, des
Gefrierens, und so viel anderer Phänomene, welche
die Gegenstände der Experimentalphysik ausmachen,
als eine Erklärung sagte, dass sie das Werk der Na-
turgesetze,
unter gewissen Umständen, die man
übrigens nicht weiter bestimmte; wären? – Ich
greife Ihrem Urtheil vor, Sie würden antworten,
daß dieses blos mit andern Worten so viel sage: ‘„als
daß dasjenige, was wir beobachten, seine Ur-
sachen hätte;
und daß eine solche Sprache, in der
Voraussetzung, daß sie eine Erklärung enthalten
solle, keinen gesunden Sinn habe.„’ Prüfen Sie
jetzt, warum Sie in diesem Falle von der Abge-
schmacktheit einer solchen angeblichen physischen Er-
klärung
frappirt gewesen wären. Gewiß deswegen,
weil hier von Erscheinungen die Rede war, worüber
wir etwas vernünftiges sagen können, wenn wir die
[Seite 31] bekannten Umstände zusammen ordnen, unter wel-
chen sie sich hervorbringen und modificiren lassen.
Dieses wird Ihnen deutlich machen, was man unter
physischen Erklärungen zu verstehen habe; sie
bestehen darinne, daß man genau anzeige, was für
Umstände zu Hervorbringung gewisser Wirkungen
nöthig seyen, und wie die, wenigstens unmittelbare
Manier beschaffen seyn müsse, nach welcher diese
Umstände die beobachteten Wirkungen bestim-
men. Dieses sind nun die bey jeder physischen
Erklärung
unerläßlichen Bedingungen; und ich
frage Sie, ob Sie Etwas dem Aehnliches in der
angeblichen physischen Erklärung des Ur-
sprungs
und der Fortpflanzung der Keime ge-
funden haben?’

Nichts hat der Philosophie, unter einem all-
gemeinen Gesichtspunkte betrachtet, mehr geschadet,
als die bey physischen Erklärungen so gemeine, still-
schweigende Vertauschung der Idee von Gesetz mit
der einer Grundursache. Hierdurch haben die
speculirenden Nicht-Physiker geglaubt, daß
die Physik alle Geheimnisse der Natur ent-
hüllt gehabt habe. Das Wort Gesetz hat bey
allen Erscheinungen keinen andern Sinn als den ei-
nes Ganges; es ist aus der Geometrie entlehnt,
die man als die Logik der strengen Physik be-
trachten kann. In der Geometrie werden selbst die
[Seite 32] Verhältnisse bestimmt, die zwischen gewissen Grös-
sen
Statt finden; und wenn diese Verhältnisse auf
successive Größen anwendbar sind, welche den Ver-
änderungen gewisser anderer Größen entsprechen,
so nennt man diese Bestimmungen Gesetze. Die stren-
ge Physik,
welche immer Größen liefert, welche
sich nach einem gewissen Umstande ändern, bedient
sich der Geometrie, um einen mit gewissen Wir-
kungen
übereinstimmenden Gang durch einfache
Formeln auszudrücken; und es sind dieses die For-
meln,
oder allgemeinen Ausdrückungen der aus
den Beobachtungen abgeleiteten Resultate, wel-
che man die Gesetze der Erscheinungen zu nennen
pflegt. Auf solche Art wird aber kein aufgeklärter
Physiker mit denselben den Gedanken von Grund-
ursachen
verbinden. Ich werde Ihnen einige Bey-
spiele geben, um diese Ideen zu fixiren.

‘„Die Körper fallen nach der Erde; dieß ist
eine Erscheinung.Galiläi fand bey
seinen Versuchen über die Räume, welche die Kör-
per in bekannten Zeiten, die man vom Anfang ih-
res Falles an abmaaß, durchliefen, daß sich diese
Räume, so viel man bemerken konnte, wie die
Quadräte der Zeiten verhielten; und dieses
ist das Gesetz des Falls der Körper gegen die Erde.
Ist aber wohl dieses Gesetz eine Erklärung des Phä-
nomens?
Nein, es ist weiter nichts, als der
[Seite 33] Gang oder der genaue Ausdruck, wenigstens
so weit, als ihn die Beobachtungen haben geben kön-
nen. – Das einfache Pendel schwingt, nachdem
es in Bewegung ist gesetzt worden, in immer klei-
nern Bögen, in gleichen Zeiten. Wenn man einen
Physiker um die Ursachen dieser Erscheinung
fragt, so zeigt er, daß sie aus dem Gesetze des Fal-
les der Körper
fließe, welches durch die Aufhän-
gung
dieses Körpers modificirt worden ist. Dies
ist eine physische Erklärung; allein drückt man
hierdurch eine Grundursache aus? Nein, denn man
thut auf diese Art nichts weiter, als daß man einen
besondern Fall von einer allgemeinern Erscheinung
zeigt, die durch einen gewissen besondern Umstand
modificirt worden ist, und die Grundursache
des Phänomens befindet sich nicht mit in dieser
Erklärung.’

‘„Noch ein anderes Beyspiel will ich Ihnen da-
von geben, was für uns wirkliche physische Er-
klärungen
sind, und wodurch ich Sie auf eine
Epoche zurüchführe, die merkwürdig für unsern Fort-
gang in den Naturwissenschaften ist, nemlich diejeni-
ge, in welcher Torricelli, Pascal und
Boyle gelebt haben. Vor dieser Zeit glaubte man
die Erscheinungen zu erklären, wenn man ihnen
gewisse Ursachen zuschrieb die Qualitates occultae
genannt wurden. Eine davon wurde durch die Worte
[Seite 34] ausgedrückt: die Natur verabscheut den leeren
Raum;
hierdurch erklärte man besonders das Auf-
steigen
des Wassers in den Saugwerken, und das
Eindringen der Luft in die geöfneten Blasbälge;
dies geschähe, sagte man, um den leeren Raum
zu verhüten.
Torricelli fand zuerst,
daß, wenn man eine lange, an einem Ende zuge-
schmolzene Glasröhre nähme, sie voll Quecksilber
füllte, sie dann umkehrte und mit dem offenen Ende
in ein anderes Gefäß mit Quecksilber stellte, alsdann
das in der Röhre befindliche zum Theil herabsänke,
und bey einer gewissen Höhe stehen bliebe. Dieses
war eine neue Erscheinung, welche die Aufmerksam-
keit der Physiker stark fixirte. – Pascal ver-
muthete, daß jenes Hängenbleiben des Queck-
silbers
dem Gewicht der Luft zuzuschreiben wäre,
wodurch dasselbe von unten hinauf gedrückt würde,
ohne daß dieser Druck von oben herab compensirt
werden könne, weil der Raum über der Quecksilber-
säule von Luft befreyt war. Um diese Vermuthung
zu bestätigen, ließ er eben diesen Versuch auf einem
hohen Berge wiederholen, in der Meynung, daß,
wenn die Vermuthung gegründet wäre, das Queck-
silber
jetzt tiefer in der Röhre stehen müsse, da es
jetzt nicht mehr vom Druck der untersten Luft ge-
halten würde, und der Versuch bestätigte diese Er-
klärung.
Hierdurch wurde denn die große That-
sache
entdeckt, daß die Luft schwer sey; das
[Seite 35] heißt, daß das Phänomen vom Falle der Kör-
per
gegen die Erde, auch in der Luft selbst erkannt
würde, deren Theilchen ein Bestreben äussern, dahin
zu sinken; und es war dieses der erste reelle Schritt
in der Meteorologie, die seit dem eine der wich-
tigsten Zweige von der Physik der Erde geworden ist.
Boyle schloß Luft in einen zugeschmolzenen
Schenkel eines umgekehrten Hebers ein, und füllte
sodann in den ofnen Schenkel nach und nach Queck-
silber
ein; hierdurch zeigte er, daß sich die Luft
zusammendrücken
lasse, daß sie aber dem Druck
widerstehe: denn das in den ofnen Schenkel einge-
füllte Quecksilber trat zum Theil in den andern
Schenkel, indem es die Luft vor sich her trieb, und
jemehr er in den ersten Schenkel eingefüllt hatte,
desto mehr mußte er dazu thun, um im andern die
Luft um einen eben so großen Theil, wie vorher,
weiter zurück zu treiben. Dies ist der Ursprung von
unsern Kenntnissen über das große Phänomen der
ausdehnbaren Flüssigkeiten.Richard
Townley
, ein Schüler von Boyle, der bey
diesen Versuchen zugegen war, maaß die Quecksil-
bersäulen,
welche in den offenen Schenkel nach und
nach eingefüllt wurden, so wie die denselben entsprechen-
den Verkürzungen der Luftsäule im andern
Schenkel, und fand durch Rechnung, daß die Kraft
der Luft, dem Druck zu widerstehen, im umge-
kehrten Verhältnisse
der Räume wäre, welche
[Seite 36] sie einnahm; und daß sonach ihre Dichtigkeit oder
ihre Quantität in einem und demselben Raume
der Kraft, womit sie zusammengepreßt wurde, pro-
portional sey.’

‘„Auf diese Art wurde das berufne Gesetz von
der Verdichtung der Luft entdeckt, welches uns aber
nicht eher dasjenige verschafte, was es uns anfangs
versprach, nemlich die Höhenmessung durch das
Barometer, als bis vorher eine Menge Physiker
auf die Veränderungen der Atmosphäre auf
merksam gemacht worden waren. Da sind eine Men-
ge neuer Erscheinungen entdeckt worden; hier hat
sich aber auch vornehmlich unsere Unwissenheit über
eine Menge von Naturwirkungen zu Tage gelegt,
welche man glaubte erklären zu können, und die
man in der That nicht anders erklären wird, als
im Wege der Beobachtung und mit dem größten Mis-
trauen gegen vorgefaßte Ideen, die sich dem Verstan-
de darstellen, immittelst sie auf nichts als Vermu-
thungen
beruhen.’

‘„Erwägen Sie nun, was das Wort Gesetz
sagen will, dessen Gebrauch Sie so oft werden be-
merkt haben, als von Verdichtungen der Luft
die Rede war, und wovon sie so eben die Abstam-
mung
gesehen haben; Sie werden da finden, daß
die Idee von einer Grundursache gänzlich ver-
[Seite 37] schwindet. Die Erscheinung, wovon man auf
diese Weise den Gang ausdrückt, ist aus zwey an-
dern, mehr allgemeinen zusammen gesetzt, nemlich aus
der vom Falle der Körper gegen die Erde, und
dem Widerstande der Luft gegen den Druck. Die
Theilchen dieser Flüssigkeit sinken gegen die Erde, die
einen auf die andern, von Oben nach Unten; allein
ihre, vergleichungsweise niedrigen Schichten,
widerstehen, dem Gesetz, oder der oben bemerkten
Gegenwirkung zu Folge, dem Drucke, und können
nicht weiter zusammengedrückt werden, als bis auf
den Punkt, wo sie Räume einnehmen, die im um-
gekehrten Verhältniß des Drucks der obern Schich-
ten stehen: jemehr also die höhern Massen, für die
nach und nach mehr im Luftkreis erhabnen Oerter
abnehmen, desto weniger haben in eben dem Verhält-
niße die Luftschichten dieser Oerter Dichtigkeit;
je weniger endlich die Dichtigkeit in einer Schicht
beträchtlich ist, desto mehr haben die Luftsäulen
von dem nämlichen Gewichte, daselbst Höhe; die-
ses ist es, was hier das Gesetz sagen will.’

‘„Ich habe Ihnen hier in wenig Worten den
Ursprung und Fortgang einer wahren Physik ent-
worfen, welche die verborgnen Qualitäten aus
dem Geiste aller ächten Physiker verbannt hat, die,
als bloße Schimären, den Menschen glauben machten,
daß sie etwas wüßten, immittelst sie in der Un-
[Seite 38] wissenheit waren, und ihnen auf solche Weise den
Weg zu Entdeckungen verschlossen. Indessen haben
sich noch eine Menge solcher Schimären bey einer
ziemlichen Anzahl von Leuten erhalten, welche für
Aufgeklärte gelten; und so ist es geschehen, daß man
Ihnen die Idee von einem Gesetze beygebracht hat,
welches den Keimen ihre Entstehung gegeben ha-
ben mußte, und wodurch man aus diesem Gesetze
eine Grundursache machte. Allein wenn Sie auf
eine, von ächten Physikern gebilligte Art eine An-
wendung von dem Worte Gesetz auf diese Erschei-
nungen
machen wollen, so müssen Sie sagen:’ ‘„das
Gesetz der Keime ist, für den gegenwärtigen Zu-
stand unserer Erde, daß sich jeder von ihnen in seiner
Art reproducirt, ohne merkliche Veränderung
in den organisirten Geschöpfen, die vor unsern
Augen daraus entstehen.„’ ‘Dies ist alles, was uns
die Beobachtung, in Rücksicht der lebenden orga-
nisirten
Geschöpfe, lehrte. Ich werde auch auf das
kommen, was sie uns von der ehemaligen Geschichte
dieser Geschöpfe lehrt, nachdem ich Ihnen vorher
einen von den großen Schritten der Physik vorge-
zeichnet habe, welcher seit der, vorhin von mir cha-
rakterisirten Epoche geschehen ist, und welchen sich
die Vertheidiger der verborgenen Qualitäten
zu Nutze gemacht haben, um ihr System unter ei-
ner neuen Gestalt darzustellen.’

[Seite 39]

‘„Wir wollen zu dem Ende auf das Phäno-
men des Falles der Körper
gegen die Erde zu-
rückgehen, von welchem ich Ihnen den Einfluß auf
andere Phänomene, von welchen es einen Theil aus-
macht, bereits gezeigt habe. Nach allen den Fällen
wo sich dieses Phänomen auf verschiedene Art äusser-
te, kam Newton auf den Gedanken, daß es
wohl noch viel allgemeiner seyn könne, so daß der
Fall der Körper gegen die Erde nichts weiter als
die Modification einer allgemeinen Bewegung der
Körpertheile, gegen einander, seyn mögen. –
Als er in der Folge diesen Gedanken mit den Er-
scheinungen
der himmlischen Körper verglich,
die gewisse Gesetze befolgten, oder mit den Um-
ständen
im genauen Verhältniß standen, schloß
er sogleich daraus, daß die Bewegung der Theil-
chen
in eben dem Maaße beschleunigt werden müsse,
in welchem sie nieder fielen, es sey nun gegen einen
großen Klumpen von andern Theilchen, oder ge-
gen einen eben solchen, näher dabey befindlichen
Klumpen. Als er nun in der Folge den Lauf
der Planeten um die Sonne, und die Satelliten
um ihre Hauptplaneten entwickelte, so wie er,
nach dem gemeinsamen Resultate der Beobach-
tungen
in den Replerischen Gesetzen be-
stimmt ist, so fand er, daß unter der Voraussetzung,
daß jeder dieser Körper eine eigne Bewegung von
bestimmter Geschwindigkeit in einer gewissen Rich-
[Seite 40] tung habe, man auf Keplers Gesetze komme;
das heißt: man ist mit dem Resultat aller Beobach-
tungen im Einverständnisse, wenn man annimmt,
daß in Absicht der Beschleunigung, die Körper-
theile
bey ihrem Fallen gegen andre Körper, das-
selbe im geraden Verhältniß ihrer Masse, und im
umgekehrten der Quadrate ihrer Abstände, ge-
schehe. Als er endlich die Irregularitäten, oder
Anomalien prüfte, welche sich fanden, wenn man
die Beobachtungen nach den Keplerischen Gesetzen
berechnete, und auf die gegenseitigen Lagen aller
Planeten und der Sonne für die Fälle, worein
diese Anomalien fielen, Rücksicht nahm, so ver-
schwanden sie mehrentheils, und da er nun vollends
die Beobachtungen nach seinen neuern Gesetzen be-
rechnete, die nicht empirisch, wie die Kepleri-
schen
waren, sondern sich aus allgemeinern und
genauern Bestimmungen der Phänomene vom
Falle der Körper und der Bewegung ergeben,
so fielen diese Irregularitäten fast sämmtlich hin-
weg, ein Beweis von der Haltbarkeit seines ersten
Gedankens, der ihm auch, mit Recht, den Ruhm
des tiefsten Denkers unter dem Menschengeschlecht er-
worben hat.’

‘„Ich habe Ihnen jetzt die Abstammung der
famösen Gesetze der Gravitation vorgezeichnet,
die man so oft in verborgene Qualitäten, unter
[Seite 41] dem Titel von wesentlichen Eigenschaften der
Materie, umgewandelt hat. Indessen, was haben
Sie in ihrer ganzen Geschichte gefunden? Immer
weiter ausgedehnte und genauere Bestimmungen
der beyden allgemeinen Erscheinungen, des Falles
der Körper und der Bewegung. Aus diesem
Gesichtspunkte sahe Newton selbst seine Entdek-
kung an; denn er suchte eine physische Ursache von
der Gravitation, einen Namen, wodurch er das
Phänomen vom Falle der Körper, in dieser
Ausdehnung angesehen, bezeichnete. Wenn er aber
seine Erklärung noch weiter hätte vervollkommnen,
und sie aus dem Druck einer andern Flüssigkeit, die
er Aether nannte, gegen die Theilchen der Körper,
hätte herleiten wollen, so hätte er blos auf die Exi-
stenz einer neuen, noch weiter hinter unsern unmit-
telbaren Beobachtungen zurückliegenden, Erscheinung,
geschlossen. Denn er glaubte selbst, daß die erste
Ursache
aller Dinge, in keiner einzigen Erschei-
nung,
so lange man innerhalb der Grenzen der
Physik bleibe, offenbaret sey. Dies wäre also ei-
ne kurze Darstellung der Grundprinzipien dieser Wis-
senschaft und ihrer Grenzen, nach den Ideen jenes
ächten Philosophen.’

‘„Die Beobachtungen lassen uns im Weltall
allgemeine Phänomene unterscheiden, aus wel-
chen wir stufenweise ihre Gesetze oder den Gang
[Seite 42] entdeckt haben, welchen sie nach bestimmten Umstän-
den
nehmen, und man hat ihnen Namen gegeben,
wobey wir uns ihrer sogleich wieder erinnern. Auf
solche Art kennen wir die Trägheit, Bewegung,
Dichtigkeit, Flüssigkeit und Elasticität bey den
festen; die Ausdehnbarkeit bey den flüssigen und
die Verwandschaft, bey verschiedenen Körpern.
Diese allgemeinen Erscheinungen haben unstrei-
tig ihre Ursachen, allein diese entziehen sich unserer
Beobachtung; und da wir ihnen vernünftigerweise
anders keine, als nach der Analogie mit den Wir-
kungen,
deren unmittelbare Ursachen uns be-
kannt sind, zuschreiben können, so ist es uns auf sol-
che Weise nicht verstattet, aus dem Bezirke der
Wirkungen, deren erste Ursachen unsern Beob-
achtungen entwischen und immer entwischen werden;
dies sind die Grenzen, welche wir nie überschreiten
werden und die Physik selbst bezeichnet uns dieselben.
Diesseits dieser Grenzen verschmelzen sich die allge-
meinen Phänomene in die besondern, von wel-
chen sie als Elemente anzusehen sind, so daß dasjeni-
ge, was man in der Physik die Aufsuchung der Ur-
sachen
nennt, nichts anders, als die Erforschung
der allgemeinen Phänomene ist, die sich in ein
solches besondres Phänomen nach Maaßgabe der de-
terminirenden Umstände, verschmolzen hat, und
wovon ich Ihnen so eben Beyspiele gegeben habe.
Ueberhaupt also, wenn ein Phänomen mit Ge-
[Seite 43] nauigkeit beschrieben, und blos, auf irgend einen
distincten Theil von dem, was uns die Beobachtung
in Rücksicht der Modifikationen gelehrt hat, welche
die allgemeinen Phänomene nach determinirenden
Umständen erleiden, bezogen worden ist; so ist die-
ses Phänomen als erklärt, nach dem Gepräge der
Natur, und zwar so genau, als es die Beobach-
tung
verstatten wollte, anzusehen –. Allein, die
allgemeinen Phänomene, die Grundlagen physi-
scher Erklärungen,
in Gesetze der Natur um-
wandeln wollen, heißt der Physik, dieser Niederla-
ge
aller vom Weltall uns erworbenen Kenntnisse,
den Rücken zukehren, und sich in das Gebiet der
Schimären versetzen. Sie haben mich zu dieser
Discussion veranlaßt, indem Sie von Schriftstellern,
die es sich in diesem Gebiete wohl seyn lassen, die
Idee eines Gesetzes erborgt haben, das den organi-
sirten Geschöpfen
ihren Ursprung gegeben hat;
ich hoffe, daß sie jetzt die Verkehrtheit einer solchen
Idee einsehen, und sich vornehmen werden, um de-
sto mehr Ihre Aufmerksamkeit auf das zu richten,
was ich Ihnen von der wahren Geschichte dieser Ge-
schöpfe auf unserer Erde, die ganz mit der von ihr
selbst in Verbindung steht, wieder ins Gedächtniß
bringen werde.’

‘„Wir haben es dem aufmerksamen Studium un-
sers festen Landes zu verdanken, daß wir zur
[Seite 44] Entdeckung einer Menge Ereignisse gelangt sind, die
sich vor der Entstehung desselben auf der Erde zuge-
tragen haben; und unsere Führer sind in diesem Be-
tracht die mineralischen Schichten, aus welchen
dasselbe besteht. Diese sind zuverläßig im Meere
gebildet worden, dessen Rücktritt sonach eine große
Ereigniß ist, und wir finden daselbst Anzeigen von
zwey allgemeinen Klassen von Veränderungen im Zu-
stande physischer Ursachen, das heißt: im Zu-
stande der Substanzen, aus welchen die Erde gleich
anfangs zusammen gesetzt war, oder im Zustande von
Umständen, durch welche sich die allgemeinen
Phänomene offenbarten; denn dies ist der Sinn,
welchen wir mit dem Ausdruck: physische Ursa-
chen,
verbinden müssen. Diese Veränderungen be-
treffen zuerst die Schichten selbst, welche von ver-
schiedener Art, und nach und nach entstanden sind,
auch große Katastrophen erlitten haben. Andere,
mit jenen gleichzeitige, Veränderungen beziehen sich
auf die organisirten Geschöpfe, von welchen wir
in diesen Schichten Ueberbleibsel finden, woraus
wir abnehmen können, daß sie nach und nach ver-
schiedene äussere Ansichten angenommen haben. Wir
wollen jetzt zuerst die Veränderungen der ersten Klasse
verfolgen, weil sich hieraus Vergleichungspunkte
für die aus der letztern ergeben werden.’

[Seite 45]

‘„Was wir also in Absicht der mineralischen
Schichten
beobachten, besteht im Folgenden: – 1)
Sie müssen in einer Flüssigkeit gebildet worden
seyn; denn sie halten unter einander einen solchen
Parallelismus, der keine andere Ursache, als diese,
haben kann; und diese Flüssigkeit kann keine ande-
re, als das ehemalige Meer gewesen seyn; denn eine
große Menge dieser Schichten, selbst diejenigen
nicht ausgenommen, welche sich da noch bildeten, als
unser festes Land aufs Trockne kam, enthalten eine
sehr große Menge Seegeschöpfe in sich –. 2)
Diese Schichten bestehen aus verschiedenen Klassen,
wovon eine auf der andern liegt, und zuweilen eine
in die andere durch Mittel-Nüancen übergeht, oft
aber auch ohne allen Uebergang bleibt, so daß Schich-
ten von ganz verschiedener Art unmittelbar über ein-
ander liegen. 3) Die Granitschichten sind, so
wie die andern, welche mit in diese Klasse eingreifen,
zuerst gebildet worden; über diese haben sich die Pri-
mordial-Schichten,
und andere, sowohl compakte
als blättrige Felsen angesammlet. Diesen folgte
dann eine große Anhäufung von Kalkschichten von
eigner Art; nachher, wiewohl weniger allgemein,
Kalkschichten von verschiedenen Arten, und Schichten
von andern Gattungen, bis auf die von Sand und
mehrern, nicht zur Verhärtung gelangten Stoffen.
4) Die Bildung der Schichten selbst muß während
der ruhigen Intervallen im Meere statt gefunden
[Seite 46] haben; denn sie sind viel zu regelmäßig übereinander
her verbreitet, als daß man eine Anzeige von großen
Bewegungen, entweder in die Flüssigkeit, auf deren
Grunde sie sich anhäuften, oder auf diesem Grunde
selbst, darinn antreffen sollte. Allein es müssen von
Zeit zu Zeit große Katastrophen im Bette dieser
Flüssigkeit vorgefallen seyn; denn grosse Massen
von den Schichten sind über Ruinen älterer
Schichten
gebildet, und in spätern Zeiten selbst
wieder durch einander geworfen worden; auch ein
großer Theil der Flüssigkeit muß bey diesen Kata-
strophen nach und nach verschlungen worden seyn, wie
man solches aus andern Erscheinungen abnehmen
kann. Endlich wurde unser Continens, welches
aus Ruinen dieser verschiedenen Klassen von Schich-
ten
besteht, durch irgend eine Revolution aufs Trock-
ne versetzt, welche während der Periode vorfiel,
wo sich die Sandschichten bildeten und nach wel-
cher nichts, diesen Operationen ähnliches weiter auf
unserer Erde statt gefunden hat.’

‘„Von der, den organisirten Geschöpfen ent-
sprechenden Geschichte, finden wir in eben diesen
Denkmälern folgendes. 1. Wir bemerken keine
Spur von denselben in den beyden Klassen von
Granit- und denselben ähnlichen Schichten; eben
so wenig in den blättrigen oder compakten Primor-
dialschichten; so daß wir keinen Grund zu glauben
[Seite 47] haben, daß dergleichen schon in der Periode auf der
Erde existirt haben, in welcher sich diese Schichten
bildeten. 2. Die ersten organisirten Körper
finden sich in den Kalkschichten, die unmittelbar
auf jene folgten, und sie bestehen aus schalichten
Seegeschöpfen.
– 3. Die mehresten der folgen-
den Schichten von verschiedenen Klassen, enthalten
ebenfalls Seegeschöpfe; allein es fangen sich schon
allmählig in einigen Klassen der Schichten eine
große Menge von Landgewächsen an einzumi-
schen, woraus erhellet, daß das damals vorhandene
Land eben so, wie der gesamte Meeresgrund, Ka-
tastrophen erlitten hat; und noch später hin fingen
auch, durch ähnliche Katastrophen, viele Kadaver
von Landthieren an, sich unter die von Seethie-
ren
zu mischen. – 4. Nach der, noch immer all-
gemeinen, Bildung der Kalkschichten, welche die
ersten Reste von Seethieren enthalten, und in der
Folge durch andere von verschiedener Gattung und
besonderer Bildung vermehrt wurden, finden wir in
denselben eine Art, die zu der Klasse der sandigen
Steine
gehört, wovon die Bildung einen großen
Einfluß auf die Seegeschöpfe scheint gehabt zu ha-
ben; denn im Anfange findet man keine von ihren
Hüllen in diesen Schichten, welches beweißt, daß
diese Thiere nicht auf demjenigen Boden leben konn-
ten, wo sie sich bildeten; und mehrere Arten, die
vor ihrer Bildung existirten, finden sich weder in den
[Seite 48] spätern Schichten, noch im gegenwärtigen Meere,
wieder. – 5. Ausser dieser Vertilgung einiger
Arten von Seegeschöpfen, finden wir von Schicht
zu Schicht große sucessive Veränderungen von
verschiedener Art, in den nach und nach auf einan-
der folgenden Arten dieser Thiere, ohne daß sie
übrigens von solchen ausgehen sollten, welche man
die nämlichen Gattungen nennen könnte. Also muß-
ten auch die Veränderungen, welche die Flüssigkeit
erlitt, und wovon sich die allmähliche Bildung der
verschiedenen Klassen von Schichten herschrieb,
Einfluß auf die Art, wie die Seegeschöpfe existir-
ten, haben. – Während eben dieser Perioden,
ereigneten sich auch große Veränderungen unter den
Landgewächsen, von welchen verschiedene Arten unter-
gegangen, und andere merkliche Veränderungen er-
litten zu haben scheinen, welches nothwendig auf
große Veränderungen in der Atmosphäre führen
muß, und welche Folgen von den im Meere vor-
gefallenen waren. – 6) Auch die Landthiere
erlitten Veränderungen, wiewohl viel geringere, als
die Seethiere, und auch geringere, als die Land-
gewächse,
indem diese (wie man aus den Schichten
sieht,) viel später auf der Erde erschienen, und folg-
lich bey weitem nicht so lange die Wirkungen der all-
mählichen Veränderungen in den Landursachen, die
nachzulassen strebten, erfuhren. – Endlich finden
sich die Arten von allen diesen Klassen organisir-
ter,
sowohl See- als Landgeschöpfe, (einige
[Seite 49] Schaalenthiere ausgenommen) deren Reste wir in den
letzten durch das vormalige Meer gebildeten Schich-
ten
antreffen, ohne Verschiedenheiten, unter den
noch jetzt lebenden organisirten Geschöpfen, wie-
der; weil nach der Zurücktretung des Meeres wo-
durch unser Continens entstand, die Landursa-
chen
alsbald einen daurenden Zustand annahmen.’

‘„Wenn man mit der Fackel solcher Thatsachen,
und mit solchen unmittelbaren Folgen daraus, in die
verflossenen Zeiten zurück geht, so läßt sich hoffen,
daselbst Wahrheiten zu finden, und Irrthumer zu
vermeiden. Die Denkmäler, die ich oben schon de-
taillirt habe, stellen sich verständlich genug allen de-
nen dar, die Lust haben, sie kennen zu lernen, wel-
ches bey denen der Fall bey weitem nicht ist, aus
welchen man die Geschichte der alten Völker hat ab-
leiten wollen; sie betreffen zwey neben einander ge-
hende Geschichten, nemlich die von unsern Schich-
ten,
und die von den organisirten Geschöpfen.
Man erblickt gleich anfangs in jeder von diesen Ge-
schichten
die Epochen des Anfangs; die von
den Schichten, ist der Anfang ihrer Bildung;
und die von den organisirten Geschöpfen sind die
Anfänge der Erscheinung ihrer verschiedenen Klas-
sen in diesen Schichten. Wir sehen auch von der
einen und der andern Seite Fortschritte der Verän-
derung;
in Rücksicht der Schichten ist es die all-
[Seite 50] mähliche Hervorbringung der verschiedenartigen
Schichten; und bey den organisirten Geschö-
pfen
sind es die allmähligen Veränderungen in
ihren Ansichten. Wollen wir mittelst unserer eignen
Einsichten noch weiter gehen, so ist es einzig die
Physik, die wir dabey zu Rathe ziehen müssen; wir
wollen also diesem Führer so weit fölgen, als er uns
bringen kann, und jetzt mit der Geschichte der
Schichten den Anfang machen.’

‘„Die erste Untersuchung, welche wir hier vor-
zunehmen haben, betrift die, über irgend eine phy-
sische Ursache,
mittelst welcher die Bildung der
Schichten ihren Anfang hat nehmen können, weil
wir wissen, daß die Granitschichten zuerst gebil-
det worden, und die Entstehung der andern Schich-
ten allmählich
erfolgt ist. Ich werde mich dar-
auf einschränken, Ihnen den Gang dieser Untersu-
chung anzuzeigen, von welchen Sie das Ausführli-
chere in bekannten Schriften finden werden.’

‘1) Nach den allgemeinen Erscheinungen unse-
rer Mineralschichten im Vergleich mit dem Lichte,
welches die Chemie für sie aufgesteckt hat, sind die
aufgeklärten Geologen jetzt darinn einig, daß die ge-
sammten Stoffe, aus welchen diese Schichten be-
stehen, auf einmal in eben derselben Flüssigkeit müs-
sen enthalten gewesen seyn, aus welcher sie alsdann
[Seite 51] nach und nach im Wege der Chemie, sich abgeschieden
hätten. 2) Die Chemie lehrt uns überdem noch, daß
ohne Flüssigkeit keine Verbindung in einer Masse
von verschiedenen Bestandtheilen statt finden könne,
daß aber so, wie diese Flüssigkeit existirt, auch diese
Verbindungen ihren Anfang nehmen; auf diese Art
hat die Bildung der Schichten nicht eher, als
bis es eine Flüssigkeit auf der Erde gab, anfan-
gen
können. 3) Die Physik ist auf dem Punkte,
mit Gewißheit den Umstand zu entdecken, von wel-
chem sich in jedem Falle die Flüssigkeit herschreibt;
es ist nemlich eine gewisse Verbindung des Feuers mit
den Theilen der schmelzbaren Substanz. Wenn
also noch keine Flüssigkeit auf der Erde vorhanden
war, so mangelte es hier an einer hinlänglichen
Menge Feuer, um das Wasser flüssig zu machen.
Endlich lehrt uns die Physik noch, daß das Feuer
selbst etwas zusammengesetztes sey, daß es sich
aus Licht und einer andern, der Erde zugehörigen
Substanz bilde; wenn denn also keine Flüssigkeit
auf der Erde existirte, und deshalb unsere Schich-
ten
nicht anfangen konnten, sich da zu bilden, so
fehlte es an einer hinreichenden Menge Licht; und
der Zusatz dieser Menge ist die einzige physische
Ursache,
welcher man den Anfang dieser Opera-
tion zuschreiben kann, indem sie zugleich klaren Auf-
schluß über die Art giebt, wie es damit zugegangen
ist.„’

[Seite 52]

‘„Sie sehen hier, wie weit sich unsere sichern
Kenntnisse erstrecken, allein nun müssen wir auch
Halt machen; denn weder geologische Denkmäler,
noch irgend eine andere Klasse von Beobachtungen,
oder sonst etwas von dem, was uns die Physik lehrt,
kann uns einen Schritt weiter bringen. Wir sehen
im Raum zerstreute Materien, welche Licht ver-
breiten. Dasjenige, was aus der Sonne strahlt,
bringt aus unserer Erde Wirkungen hervor, welche
die Abwechselungen der Jahrszeiten, der Tage und
Nachte, der Kilimaten, wiewohl ohne einige Anhäu-
fung, begleiten; wir sehen auch Licht, bey der Zer-
legung einer Menge irdischer Körper, sich abscheiden;
und nachdem wir alle diese Thatsachen zusammen ge-
nommen haben, können wir in diesen verschiedenen
Rücksichten zwar bestimmen, was für Wirkungen
nicht haben, ohne Zusatz des Lichts zu andern
Substanzen, auf der Erde und in den bekannten
Gegenden des Weltraums, ihren Anfang nehmen
können; allein wie das Licht hervorgebracht
und vertheilt worden ist, bleibt ein Geheimniß,
welches wir mit unsern eignen Fähigkeiten niemals
durchdringen werden.’

‘„Wenn wir aber von dieser, soweit hinaus
liegenden Epoche, als wir mit unsern Untersuchun-
gen gelangen können, zurück gehen, so erwartet uns
die Physik in ihrem Gebiete, um uns zur Führerinn
[Seite 53] zu dienen: diese sagt uns nämlich 1) daß, wenn
eine gewisse, nicht flüssige Masse, Bestandtheile
enthält, die sich chemisch verbinden können, diese
Verbindungen sogleich anfangen, sich zu zeigen, als
eine Flüssigkeit darin zu wirken anfängt; und daß,
wenn jene Bestandtheile von der Natur sind, daß fe-
ste Theilchen
daraus werden können, alsdann ein
Niederschlag erfolge. – 2) Daß, wenn nach
den ersten Verbindungen der Art, neue Bestand-
theile in diese Flüssigkeit eingebracht, oder andere
daraus weggeschaft werden, sich alsdann andere Ver-
bindungen und neue Niederschläge, daselbst bilden.
– 3) Daß sich unter den Ursachen dieser successiven
Operationen, in eben derselben Flüssigkeit, auch die
Einmischung oder Absonderung ausdehnbarer Flüs-
sigkeiten,
befinden. – Wenn endlich eine wäß-
rige Flüssigkeit, wie z.B. die, welche gleich anfangs
unsere Erdkugel bedeckte, eine große Menge verschie-
dener Bestandtheile enthält, so bringen die durch neue
Zusätze oder Absonderungen bewirkten, allmählichen
Niederschläge, dieselbe nicht in den Zustand von rei-
nem Wasser, sondern es bleiben immer einige an-
dere ältere oder neuere Bestandtheile darinn zurück,
so daß man nicht anders reines Wasser daraus
erhalten kann, als blos in dem Falle, wo es sich
durch die Verdampfung aus der übrigen Masse
abscheidet; dieses ist der Fall mit dem gegenwärtigen
Seewasser, welches von der Flüssigkeit zurück geblie-
[Seite 54] ben ist, welche gleich Anfangs unsere Erde be-
deckte.’

‘„Dieses sind die vornehmsten Fäden, welche uns
die Physik endlich gesponnen hat, um uns mittelst
derselben durch das Labyrinth der auf unserer Erde,
durch die Wirkungen ihrer physischen Ursachen
zurückgebliebenen Denkmäler zu leiten. Denkmä-
ler, die sich unter Umständen befanden, welche größ-
tentheils nicht mehr vorhanden sind, welche aber die
Physik durch die Analogie mit andern, die uns vor
Augen liegen, charakterisirt. In Gemäsheit der
Leitung dieser Fäden, und analogischer Bestimmung
der Umstände, die da seyn mußten, um dasjenige
hervorzubringen, was wir in diesen geologischen Denk-
mälern erblicken, habe ich gleich Anfangs die alte
physikalische Geschichte der Erde, das heißt, seit der
obern charakterisirten Epoche, bis zur Entstehung
unsers festen Landes, entworfen; und in der
Folge habe ich damit die neuere Geschichte verbunden,
welche von jener Ereigniß bis auf unsere Zeit geht,
indem ich von hier an die Wirkung derjenigen Ursa-
chen im Auge hatte, welche noch jetzt in Thätigkeit
sind. Ich lasse mich dabey nicht auf das Umständli-
chere ein, weil sich dieses in meinen, und anderer
Geologen Schriften befindet, und weil auch hier nicht
von Beweisen die Rede ist, sondern blos von der
Natur dieses Ganges, von welchen ich Ihnen die
[Seite 55] Charaktere habe bemerklich machen wollen, bevor wir
wieder auf die organisirten Geschöpfe zurück
kommen.’

‘„Alles, worauf es bey diesem Gange an-
kommt, sowohl Analyse, als Synthese desselben, ge-
hört zur Physik; so daß er durchaus einer strengen
Prüfung, nach besondern oder allgemeinen Thatsa-
chen,
und nach den Regeln der Analogie, unter-
worfen ist. Wenn wir uns bis zu dem Begrif,
wie unsere Schichten entstanden sind, haben erhe-
ben können, so ist dies in so fern möglich, als wir
selbst feste Körper in flüssigen erzeugen können. –
Wenn wir bis dahin gekommen sind, daß wir wissen,
was dazu gehört, um diese Bildung der Schichten
bestimmen zu können, so haben wir solches der Er-
fahrung zu verdanken, an deren Hand wir die Um-
stände
generalisirt haben, unter welchen feste Kör-
per
aus flüssigen, bey unserer Behandlung dersel-
ben, gebildet werden. Wenn wir endlich durch das
Studium der Symptomen, die sich bey den großen
Umwälzungen in allen diesen Schichten, nach
ihrer Bildung in verschiedenen Epochen, und bis
zur Entstehung unsers Continens ereignet haben,
so weit gekommen sind, daß wir die Ursachen davon
angeben können, so ist es deswegen geschehen, weil
uns die Grundsätze der Statik, Mechanik und Hy-
draulik durch die Erfahrung ausgestellt worden sind,
[Seite 56] und daß wir nach denselben, beym Anblick der Wir-
kungen
dieser Art, zu bestimmen vermögen, was
für Umstände vorhanden seyn mußten, um dieselben
hervorbringen. So kommt es, sage ich, daß in der
wahren Geologie alles der Prüfung, nach allgemein
zugestandenen Grundsatzen, unterworfen ist.’

‘„Wir wollen jetzt diesen Schauplatz verlassen
und uns zu den organisirten Geschöpfen
wenden. – Diese Geschöpfe leben; dies ist
ein Phänomen welches wir kennen: allein
alles, was Leben hat, ist blos durch sie hervor-
gebracht worden; deshalb ist der Ursprung des Le-
bens
für uns eins der tiefsten Geheimnisse. – Die
Geschöpfe des Thierreichs haben Empfindlich-
keit;
dies ist ein anderes Phänomen welches uns
wohl bekannt ist das wir aber doch weder durch den
Weg der Chemie, noch den der Mechanik, hervor-
bringen können, wie wir dieses mit der Ausdehn-
barkeit
oder Elasticität bey einigen Substanzen
zu thun im Stande sind; und wir kennen dieses Phä-
nomen
mit Zuverläßigkeit blos an den Geschöpfen
des Thierreichs und einigen ähnlichen, wiewohl
noch etwas zweydeutigen Symptomen, bey manchen
Pflanzen. – Alle, unserer Beobachtung unter-
worfenen organisirten Geschöpfe sterben nach
einer bestimmten Zeit; und auch dieß ist ein Phä-
nomen,
welches wir beobachten, ohne etwas weiter
[Seite 57] über diese Thatsache hinausliegendes davon zu be-
greifen. Ihre bemerkbaren Theile zersetzen sich als-
dann, wir sammlen und zerlegen sie chemisch, unter-
scheiden darinn gewisse Ingredienzen, von welchen
eine gewisse Anzahl aller Arten beyder Reiche ge-
mein sind, einige haben sie mit den mineralischen
Körpern gemein, und andere gehören einigen Arten
eigenthümlich zu; allein bald sehen wir, daß uns
diese letztern Ingredienzen nicht den geringsten Faden
in die Hand geben, der uns zur Entwickelung der
Phänomene derjenigen lebenden Geschöpfe leiten könnte,
denen dieselben zugehören; und überhaupt, weit ent-
fernt, daß aus diesen Zerlegungen sich wenigstens ei-
nige Anzeigen über die Art, wie diese Geschöpfe
zum Daseyn gelangen, ergeben sollten, so sind wir
selbst nicht einmal im Stande, mit allen diesen bekann-
ten Ingredienzen nur eine einzige thierische
oder Pflanzen-Faser nachzumachen – Was ge-
denken wir uns nun unter den Dingen, die man
Keime nennt, unter diesen Gegenständen, auf wel-
che man die Idee übergetragen hat, daß sie durch
ein Gesetz der Natur hervorgebracht worden wä-
ren? Das Wort Keim ist erfunden worden, um
die bekannte, aber für uns nicht verständliche Er-
scheinung
von der Reproduction der organi-
sirten Geschöpfe
durch ihres Gleichen, auszu-
drücken; was für einen Sinn kann es also für einen
Philosophen haben, wenn man den angeblich physi-
[Seite 58] schen Ausdruck braucht, daß ein Gesetz die Keime
hervorgebracht habe? Wie können Sie endlich, nach
Beobachtungen, die blos im gegenwärtigen Zustande
der Erde angestellt worden sind, wo die organisir-
ten Geschöpfe
keine anderen Veränderungen von
äusserlichen Umständen erleiden, als von de-
nen des Bodens und des Klimas, in ihrer
zweiten Proposition, als ein allgemeines Gesetz
dieser Geschöpfe, den Satz aufstellen, daß ihre
Arten in eben denselben Racen keiner Veränderun-
gen fähig zu seyn scheinen, immittelst wir ganz un-
wissend über die Manier sind, nach welcher diese Ge-
schöpfe
auseinander hervorgehen, und daß wir so-
nach nicht Grund haben sollten, anzunehmen, daß
in den Zeiten vor dem gegenwärtigen Zustande
unserer Erde, in jenen Zeiten, wo wir aus andern
Erscheinungen abnehmen, daß das Wasser des
Meeres, die Atmosphäre, und das Innere der
Erdkugel große allmählige Veränderungen haben
erfahren müssen; die neuen, durch Reproduction
erzeugten Geschöpfe ihr äusseres Ansehen bis zu dem
Grade könnten verändert haben, daß sie uns als
ganz neue Arten vorkommen mußten.’

‘„Nehmen Sie, mein Herr, auf alles das
Rücksicht, was ich Ihnen jetzt auseinander gesetzt ha-
be, was, indem es durchaus auf unmittelbaren
[Seite 59] Thatsachen beruhet, Ihrer Aufmerksamkeit sehr
würdig ist; und fragen Sie sich dann hernach, was
man von Menschen denken müsse, die sich Naturfor-
scher und Philosophen nennen, und die gleichwohl
bey ihrem Entwurf von Natursystemen unter
andern zu uns sagen:’ ‘„daß die physischen Ursa-
chen,
nachdem sie bis zu einem gewissen Grade
gelangt wären, organisirte Geschöpfe hervorge-
bracht hätten?’

‘„Es ist mir nun nichts weiter übrig, m.H.,
als Ihre vierte Bemerkung zu prüfen, welches
jetzt sehr leicht seyn wird. Wenn wir, (sagen Sie
daselbst,) den Ursprung einiger, Amerika besonders
eigner, Pflanzen und Thiere aufsuchen, werden
wir da nicht auf den Gedanken gerathen, diesen bey
den ersten Individuen zu suchen, die von einem an-
dern Continens dahin gebracht worden sind, indem
sich ihre Arten daselbst nicht finden. Warum soll-
ten denn die, den beyden Hemisphären gemeinschaftli-
chen Arten nicht freywillig durch eben das Na-
turgesetz
erzeugt worden seyn, so lange nehmlich die
Umstände seiner Wirksamkeit angemessen waren? –
Warum sollten überhaupt die Pflanzen, die Thie-
re
und Menschen, mit einem Wort alle Arten von
organisirten Geschöpfen nicht in den jedesmali-
gen Gegenden, wo sie einheimisch sind, erzeugt
[Seite 60] worden seyn? und mußten sie denn alle von ersten
Individuen jeder Art abstammen?’

‘„Lassen Sie uns hier die Menschen bey Seite
setzen, weil unsere mineralischen Schichten, die
einzigen directen Denkmäler, welche wir vor der al-
ten Geschichte der organisirten Geschöpfe haben,
uns nichts zeigen, was auf dieselben Beziehung hätte,
und lassen uns jetzt das verfolgen, was uns jene
Denkmäler über die andern organisirten Geschö-
pfe,
deren Geschichte wir darinn lesen, über ihre
ersten respectiven Erscheinungen auf der Erde, bis
zur Entstehung unsers festen Landes, zu erkennen
geben.’

‘„Wir sehen, nach diesen unbezweifelten Denk-
mälern, daß bis auf die letztere Periode der Verwei-
lung des Meeres auf den Theilen der Erde, die
jetzt unser festes Land ausmachen, eine Menge Ue-
berbleibsel von organisirten Landgeschöpfen,
sowohl aus dem Pflanzen- als Thierreiche, im-
mer fortfuhren, über den Boden seines Bettes fort-
zugehen, und sich in seine letzten Schichten unter
die Ueberbleibsel der Seethiere, welche damals noch
lebten, zu mischen; und daß alle organisirten
Geschöpfe, die gegenwärtig in jenen Schichten
gefunden werden, einige Schaalenthiere ausge-
nommen, ihres Gleichen sehr genau unter den Arten
[Seite 61] haben, welche gegenwärtig am Leben sind; so daß
wir nicht zweifeln dürfen, daß es sich nicht eben so
mit allen übrigen, jetzt lebenden Arten, verhalte.
Ich habe überdem aus mehreren Erscheinungen, und
besonders aus der unermeßlichen Menge von Pflan-
zenresten,
welche in die, auf dem vormaligen Mee-
resbette entstandenen Schichten eingeschlossen sind,
bewiesen, daß dieses Meer damals mit Inseln
durchsäet gewesen seyn müsse, welche eben solche Ka-
tastrophen, wie die gesammte Schichtenmasse,
erlitten haben müßten; daß diese Inseln erstlich
durch die äussere Abnahme des Wassers gebildet,
sodann aber durch ihre Versinkung unter Wasser
gesetzt worden, und daß bey dem Zurücktreten des
Meeres, die auf dessen Bette sich befindenden Inseln,
auf dem neuen Continens zu Berggipfeln ge-
worden wären.’

‘„Sehen Sie also, wie sich sogleich der in Ih-
rem ersten Satze ausgedrückte Umstand erklärt:’
‘„daß es Pflanzen und Thiere gäbe, die gewissen
Gegenden, als darinnen einheimisch, zugehörten
und die sich sonst nirgends fänden. Jede Gegend
wurde nemlich sogleich von Thiergattungen aus den
beyden Klassen bevölkert, welche sich auf den nächsten
Bergen befanden, allein sie konnten sich nicht alle
daselbst erhalten, und sehen Sie, was uns hier noch
die Geologie über diese Periode, die in Absicht die-
[Seite 62] ser Geschöpfe, wovon die Art zu existiren, bestän-
dig mit den großen, auf unserer Erde vorgefallenen
Veränderungen verbunden gewesen, zu erkennen
giebt.’

‘„Vor der Entstehung unsers festen Landes
lebten dieselben, sowohl See- als Landthiere,
ohne Unterschied in jeder geographischen Breite; die
erstern in der See, und die letztern in den Län-
dern,
welche sie damals bewohnten. Denn wir fin-
den in unsern oberflächlichen Schichten, in jeder
Breite Seethiere und Amphibien, z.B. den
großen Perl Nautilus, und den Hippopotamus,
die jetzt blos zwischen den Wendekreisen wohnen,
so wie wir auch daselbst Kadaver von Elephanten und
Nashörnern finden. Ohne Zweifel war damals
die Atmosphäre von einer solchen Beschaffenheit,
daß sie die von den Sonnenstrahlen hervorge-
brachte Wärme länger erhalten und sonach eine
gleichförmige Temperatur über die Erdfläche verbrei-
ten konnte.’

‘„Durch unbegreifliche Mißgriffe von einem
Manne, der für einen großen Naturforscher gilt,
stellte Herr von Büffon aus diesen Kadavern
von Elephanten und Nashörnern, die auch von an-
dern Geologen blindlings befolgte Hypothese auf,
daß sich die Erde allmählig abkühle, und daß
[Seite 63] diese Arten von Thieren nach und nach aus Norden
gegen Süden gezogen wären, um diejenige Tem-
peratur
zu suchen, welche ihnen angemessen wäre.
Es war, sage ich, gleich Anfangs ein großer Ver-
stoß, eine solche Wanderung von Landthieren
auf einem Continens anzunehmen, das noch gar
nicht existirte. Wenn er die Thatsachen aus eigner
Beobachtung gekannt hätte, so hätte er wissen müs-
sen, daß die auf unserm gegenwärtigen Lande ver-
breiteten Kadaver, eben so wie die von den See-
thieren
in die Schichten eingehüllt sind, welche
von dem Meere, das damals diesen Theil der Erd-
fläche bedeckte, waren gebildet worden. Die Hypo-
these von der Abkühlung der Erde, woraus er
diese Erscheinung erklären wollte, war nicht minder
eine Folge seiner Unwissenheit in den Thatsachen;
denn, um den Mangel aller, von irgend Jemand
über diese vorgebliche Abkühlung gemachten Beo-
bachtungen zu ersetzen, hätte man auf einen unermeß-
lichen Abstand zurück gehen müssen, nemlich auf das
Zeitalter, wo jene Thiere in den nördlichen Gegenden
gelebt haben sollten, ohne daß sie damals noch, we-
gen einer allzugroßen Hitze, in die südlichen Gegenden
hätten vordringen können; immittelst man jedoch die
Erhaltung ihrer Ueberreste ganz gleichförmig, in
jeder Breite bemerkt, und selbst die verschiedene Tiefe,
in welcher sie durch das Wasser in die Schichten ein-
gewaschen worden sind, keinen Unterschied macht.
[Seite 64] Dies ist ein Phänomen, welches zu gleicher Zeit be-
weißt, daß unser festes Land bey einer plötzlichen
Revolution vom Meere ist verlassen worden, und
daß diese Ereigniß um eine nicht gar zu große Reihe
von Jahrhunderten zurück liegt.’

‘„Allein durch diese allgemeine Revolution fand
sich der Zustand der physischen Ursachen, beson-
ders in Absicht der Atmosphäre gar sehr auf un-
serer Erde verändert; und dies war die Zeit, wo
sich die großen Verschiedenheiten, welche wir zwischen
der Temperatur des Tages und der Nacht und
den verschiedenen Jahrszeiten ausserhalb der Wen-
dekreise,
bemerken, bildeten. Die Winter wurden seit
dieser Zeit, für einige Arten von Pflanzen und
Thiere in den nördlichen Gegenden zu kalt, und
die Hitze war dagegen wieder für andere Arten zwi-
schen den Wendekreisen zu anhaltend. Eine Men-
ge dieser Geschöpfe gingen deshalb an den Orten,
wo sie sich Anfangs befanden, zu Grunde, deshalb
finden wir in den Moosarten und andern aufgehäuf-
ten Materien von dieser Zeit an thierische Reste, de-
ren Arten in den benachbarten Gegenden nicht mehr
existiren; so daß endlich jedes Klima, ja selbst je-
des Land,
keine Geschöpfe weiter aufbehalten
hat, als diejenigen, welche sich daselbst weiter fort-
pflanzen konnten.’

[Seite 65]

‘„Was die Menschen betrift, die ich bisher
bey Seite gelassen hatte, so kann uns die Naturge-
schichte keine Anzeige von ihrem Zustande vor der
Entstehung unsers Continens liefern; weil unsere
einzigen Denkmäler von dieser Zeit her unsere
Mineralschichten sind, und man in diesen keine
Menschengerippe findet. Allein sie lehrt uns so-
gleich, es sey hiezu hinreichend, daß sich zu jener
Zeit keine Menschen auf den Inseln befunden ha-
ben, deren Versinkung die Ursache ist, daß wir die
Reste von Land-Thieren und Gewächsen unter un-
sern Fossilien finden, und sie verbreitet ein großes
Licht über die spätere Geschichte der Menschen;
denn ihr Geschlecht auf unserm festen Lande kann
nicht älter seyn, als dieses feste Land selbst, wovon
sie uns zeigt, daß es von sehr mäßigem Alter sey;
wo zu gleicher Zeit alle Traditionen der Völker den
Ursprung ihres Geschlechts von einigen Personen
herleiten, die bey einer großen Revolution der Erde
am Leben blieben, bey welcher alle andere ihres Glei-
chen, mit sammt den Pflanzen und Thieren die
eben dasselbe feste Land bewohnten, von den Flu-
then verschlungen wurden.’

‘„Lassen Sie uns nun, mein Herr, alle die
wahren Belehrungen der Naturgeschichte und Physik
zusammen nehmen, durch welche so viele Chimären,
die man sich einbildete, ehe man beobachtete, zer-
[Seite 66] streut worden sind. Diese Resultate der Beobach-
tung und Erfahrung lassen sich in folgende Lehrsätze
fassen. 1) Eine große Menge Lichtstoff mußte
den übrigen Substanzen, welche Anfangs unsere
Erdmasse ausmachten, beygemischt werden, um al-
lem demjenigen was wir daselbst beobachten, den
Ursprung zu geben. – 2) Eine erste Wirkung
dieser Beymischung war, daß die Erde mit einer
Flüssigkeit bedeckt wurde, welche die Substan-
zen
unserer mineralischen Schichten enthielt. –
3) Um diese Zeit erhielt die Erde durch eine ro-
tirende Bewegung,
die sich seitdem, soviel man
bemerkt, in gleichem Grade erhalten hat, ihre sphä-
roidische
Gestalt, die man durch die Beob-
achtungen des gegenwärtigen Jahrhunderts bey ihr
gefunden, und die Newton schon vorher nach
den Grundsätzen der Statik aus jener Bewegung
bestimmt hatte. – 4) Es bildete sich schon damals
eine große Masse von Mineralschichten in dieser
Flüssigkeit, ehe noch ein einziges bekanntes orga-
nisirtes Geschöpf
auf der Erde existirte, und es
waren dieses diejenigen Schichten, die unter dem
Namen der uranfänglichen bekannt sind. 5) Es
mußten sich in der Folge trockene Theile auf der
Erde bilden, die sich mit Pflanzen bedeckten; im-
mittelst in irgend einer spätern Periode, eine uner-
meßliche Menge von Pflanzenresten unter das Was-
ser des Meeres gerieth, und daselbst mit steinigten,
[Seite 67] und Seegeschöpfe enthaltenden Schichten bedeckt
wurde, welche gegenwärtig unsere Steinkohlen-
Flötze ausmachen. – 6) Das Meer wurde in der
Folge mit Thieren bevölkert, deren Reste sich in
denjenigen Schichten zu zeigen anfangen, welche un-
mittelbar über den uranfänglichen aufgesetzt sind,
indem man in diesen letztern keinen organisirten
Körper findet; allein seit dieser Periode umfassen
die mehresten Schichten, die weiter fortfuhren sich
zu bilden, einen großen Ueberfluß von Meeres-
resten.
– 7) Die Landthiere existirten weit später
auf unserer Erde, als die Pflanzen, Seethiere und
Amphibien; denn wir finden von denselben nicht eher
Ueberbleibsel, als in denjenigen Schichten, welche
später, als diejenigen gebildet wurden, wo jene ver-
schiedenen Klassen ihre Reste zurückgelassen hatten.
8) Die Landgewächse und Thiere, wovon ge-
wisse Schichtenarten Ueberreste enthalten, müssen auf
den Inseln des alten Meeres gelebt haben; indem
diese auf unserm festen Lande zerstreuten Schich-
ten
ebenfalls eine große Menge von Seegeschöpfen
in sich schließen, die mithin unter dem Wasser des
Meeres zu der Zeit gebildet worden seyn müssen,
da es noch denjenigen Boden bedeckte, welcher jetzt
unser festes Land ausmacht. – 9) Während
der Bildung der Schichten im Meere, erlitten
die Arten der Seethiere allmähliche Veränderun-
gen; während der nämlichen Zeit geschah eben dassel-
[Seite 68] be mit den Arten der Gewächse; allein man findet
nichts dem Aehnliches bey denen der Landthiere,
indem sie diejenigen Veränderungen, welche auf der
Erde selbst erfolgten, nicht so lange erfuhren. –
10) Wir finden in den Schichten keine Anzeige
von der Geschichte des Menschen während dieser
Zeit, indem kein menschlicher Leichnam unter
dem Wasser des Meeres fortgeführt worden war.
– 11) Die organisirten Geschöpfe, welche zu
der Zeit im Meere lebten, die unmittelbar vor der-
jenigen, wo es sein Bette veränderte, hergieng;
so wie die letzten Land-Gewächse und Thiere,
welche, zu dieser Zeit, durch das Versinken einiger
Inseln dahin geführt wurden, haben ihres Gleichen
unter den noch jetzt lebenden Gattungen.
12) Unser Continens ist durch einen jählingen
Rücktritt des Meeres, welcher durch die totale
Versinkung eines andern festen Landes, das seit
einer andern Epoche existirt hatte, bewirkt worden
war, gebildet worden, und die mit Thieren und
Pflanzen bevölkerten Inseln, die sich damals auf sei-
nem Bette befanden, wurden zu Berggipfeln, die
noch gegenwärtig vorhanden sind. – 13) Die
Epoche von dieser Revolution ist uns durch die
Menge der Wirkungen, welche seitdem verschiedene
Arten von Ursachen, deren Thätigkeit noch immer
fortdauert und meßbar ist, auf unserm festen Lan-
de
hervorgebracht haben: und diese Epoche fällt, nach
[Seite 69] unserer Chronologie, in die Zeit der Erneue-
rung
des Menschengeschlechts durch Noah
und seine Familie nach der Sündfluth. – End-
lich, ob wir gleich in dieser Folge von Begebenhei-
ten, die durch geologische Denkmäler beglaubigt sind,
nothwendige Uranfänge, wie z.B. die Beymi-
schung einer großen Menge Lichtstoff zur Masse
unserer Erde, in einer gewissen Epoche; eine die-
ser Masse eingedrückte Rotationsbewegung und
andere unmittelbar angezeigte Uranfänge, als die
auf der Erde, in verschiedenen auf einander folgen-
den Epochen vorkommenden Erscheinungen
von mancherley Classen organisirter Geschöpfe; so
findet sich doch nichts im ganzen Umfange unserer
Kenntnisse, was uns auf physische Ursachen,
zur Erklärung dieser Uranfänge, leiten könnte.’

‘„Dies ist das summarische Resultat der Natur-
historischen und physikalischen Lehren, die sich auf die
Geschichte unserer Erde beziehen, und es ist zu-
gleich Zug für Zug eben dasselbe, was die Gene-
sis
den Menschen zu erkennen gegeben hat, ehe sie
noch an solche Untersuchungen dachten, dergleichen
uns bis auf diesen Punkt geleitet haben. Vorgeb-
liche Naturforscher hatten diese großen, durch den
Urheber der Schöpfung selbst, geoffenbarten Wahr-
heiten verdunkelt; in der Meynung, den Ursprung
aller Dinge entdeckt zu haben, kannten sie nicht ein-
mal das, was existirte; allein, heut zu Tage ent-
[Seite 70] decken sie sich von allen Seiten durch die tiefen
Spuren, welche sie auf der Erde zurückgelassen haben,
und es wird nicht mehr in der Macht der Einbildung
stehen, Chimären an deren Stelle zu setzen
. . . .„’

* * *

Sie sehen, mein Herr, daß ich auf die nämli-
che allgemeine Conclusion zurückgeführt worden bin,
welche den Inhalt meines sechsten Briefes ausmachte.
Ich habe eine Zusammenstellung der Thatsachen zurück-
gelassen, welche die organisirten Geschöpfe, und
die Frage von ihrem Ursprunge, betreffen, weil ihre
in den Systemen einiger Naturforscher eben so sehr
entstellte Geschichte als die der Erde selbst, alle
geologischen Denkmäler bis auf die Entstehung un-
sers festen Landes und dessen Bevölkerung,
umfaßt. Beym Anfange dieses Briefes habe ich die
Ehre gehabt, Ihnen zu erklären, bey was für einer
Gelegenheit ich den Inhalt desselben bereits in dem-
jenigen, wovon ich Ihnen die Abschrift übersandt,
abgehandelt habe, und womit ich solchergestalt den
kurzen Abriß meiner geologischen Werke, den Sie
von mir zu verlangen die Güte hatten, beschließe.
Ich hoffe, daß dieser Brief unter Ihrem Einfluß,
bey denjenigen, welche ernstlich die Wahrheit su-
chen, eben die Wirkung hervorbringen werde, welche
[Seite 71] er bey meinem Correspondenten hervorgebracht hat;
und daß er denselben besonders die Wichtigkeit der
physiologischen Abhandlung fühlbar machen werde, in
welcher Sie die Identität des Menschenge-
schlechts
bewiesen haben.*)

Wir können demnach hoffen, daß die Zeit nicht
mehr fern seyn werde, wo man den Geschmack an
Naturbildern verlieren wird, welche eine
Klasse von Speculatoren, mit der Binde der Unwis-
senheit vor den Augen, als die Natur selbst
darstellt, und einer untrüglichen Quelle des ersten
Unterrichts der Menschen den Rücken zukehren, in-
dem sie sich anmaßen, daß sie uns in ihr Heiligthum
einführten.

Ich habe die Ehre u.s.w.


Notes
*).
[Seite 71]

De generis humani verietate nativa.



Blumenbach, Johann Friedrich and Deluc, Jean André. Date:
This page is copyrighted