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Magazin
für den neuesten Zustand
der
Naturkunde

mit Rücksicht auf die dazu gehörigen
Hülfswissenschaften
herausgegeben
von
Johann Heinrich Voigt,
Professor der Mathematik zu Jena und verschiedener
gel. Ges. Mitglied.
Ersten Bandes zweites Stück.

Mit drey Kupfertafeln und einer gedruckten Tafel.

Jena,
in der akademischen Buchhandlung
1798
.

III.
Ueber die Zauberkraft der Klapperschlange;
besonders in Rücksicht einer Schrift des
Hrn. Dr. Barton*).

[Seite 37]

Man hat von mancherley Thieren (warmblütigen
und kaltblütigen) und besonders von verschiednen
[Seite 38] Schlangen (giftigen sowohl, als harmlosen, in der
alten Welt*) und in der neuen**)) behauptet, daß
sie, selbst in einiger Entfernung auf andre Thiere,
zumal auf die, so ihnen zur Nahrung dienen, auf eine
solche Weise wirken könnten, daß sich dieselben ihnen
nähern müßten, gleichsam als ob sie von ihnen ange-
zogen würden.

Vorzüglich sind die Klapper-Schlangen wegen
dieses sonderbaren Phänomens, das man gemeinig-
lich eine Bezauberung genannt hat, allgemein berufen.

[Seite 39]

Die Naturforscher haben versucht, dasselbe aus
folgenden Ursachen zu erklären:

Manche nemlich dadurch, daß sie annehmen,
die kleinen Vogel oder Eichhörnchen etc. die man vom
Baum herab der Klapper-Schlange gleichsam von
selbst, wie man sagt, in den Rachen fallen gesehn,
müßten kurz vorher schon wirklich von der Schlange
gebißen worden seyn, und das nun würkende ent-
kräfftende Gift hindre, daß sie entfliehen, oder sich
länger auf dem Baume halten könnten.

Andre haben gefunden, daß die Klapper-Schlan-
gen unter gewißen Umständen eine betäubende Aus-
dünstung von sich geben, und dieser die gedachte Wir-
kung zugeschrieben.

Noch andre haben bemerkt, daß diese furcht-
baren Geschöpfe bey dieser Gelegenheit mit der ihnen
so ausschließlich eignen sonderbar gebauten Schwanz-
klapper rasseln, und hierin den Grund des Beneh-
mens jener kleinen Thiere vermuthet.


Gegen diese drey Erklärungsarten findet Hr. Dr.
B. folgendes zu erinnern:

Was die erste betrift, so sind die gewöhnlichen
Zufälle nach dem Biß der Klapper-Schlangen sehr
[Seite 40] von denen verschieden, die man an dem vermeynt-
lich durch sie bezauberten kleinen Thieren bemerkt ha-
ben will. Ferner soll ja diese vorgebliche Bezaube-
rung sogleich gelößt, und das kleine Thier gerettet
seyn, wenn man die Klapperschlange noch bey Zeiten
tödtet. Endlich aber wird diese sogenannte bezau-
bernde Kraft auch manchen nicht giftigen Schlangen,
wie z.B. dem Coluber constrictor zugeschrieben.

Die zweyte Erklärungsart sucht er dadurch zu
entkräften, daß manche Beobachter von der mephi-
tischen Ausdünstung der Klapper-Schlangen nichts
bemerkt, und manchmal kleine Vogel im Kasten bey
einer solchen Schlange sich munter und wohl befun-
den haben, auch daß diese Schlangen oft Tagelang
unter Büschen und Bäumen liegen, während dortige
Droßeln und Fliegenschnäpper ohne Gefährde auf
denselben brüten.

(Schade ist, daß Hr. B. hierbey Kalms
Nachricht in den Schwedischen Abhandlungen von
1752, und noch mehr, daß er den sehr reichhaltigen
Aufsatz des Hrn. Hofr. Michaelis über diesen Ge-
genstand im IVten Jahrgang des Göttingischen Ma-
gazins v.J. 1785 nicht hat vergleichen können).

Da die Widerlegung der dritten Erklärungsart
namentlich und einzig gegen eine Stelle in der vier-
[Seite 41] ten Ausgabe meines Handbuchs des Natur-Geschich-
te gerichtet ist, so darf ich wohl erst die Stelle selbst
hier einrücken:

‘„Daß Eichhörnchen, kleine Vögel etc. von den
Bäumen der darunter liegenden Klapperschlange
gleichsam von selbst in den Rachen fallen, bestätigt
sich allerdings, und ist um so weniger befremdend,
da man ähnliche Phänomene auch an andern Schlan-
gen, und so auch an Kröten, an Habichten und an
Katzen bemerkt hat, die alle, wie es scheint, unter
gewißen Umständen durch bloßes steifes Ansehen an-
dre kleine Thiere an sich locken können. Hier dieser
Schlange kommt dabey ihre Klapper zu statten, de-
ren zischelndem Laut die Eichhörnchen etc. (– sey’s
nun aus einer Art Neugierde, oder Mißverständniß,
oder zagender Angst etc. –) von selbst nachzugehen
scheinen. Wenigstens weiß ich von sehr unterrichte-
ten Augenzeugen, daß es der gewöhnliche Kunstgriff
der dortigen jungen Wilden ist, sich im Busch zu
verstecken, das Zischeln der Klapperschlangen nach-
zumachen,
und dadurch die Eichhörnchen zu locken
und zu fangen.„’

Hierwider erinnert Hr. Dr. B. folgendes:

1) sey das Fascinationsvermögen keinesweges
den Klapper-Schlangen eigen.

[Seite 42]

Dieß ist wörtlich das, was ich selbst gesagt, und
nur hinzugefügt habe, der Klapper-Schlange
komme dabey ihre Klapper zu statten. –
Diesem trägen Geschöpf könnte nemlich bey sei-
nem Aufenthalt auf der Erde jenes sonderbare
Organ dennoch eben so wohl zum Anlocken klei-
ner Thiere dienen, als nach der, wenigstens an
sich nicht ungereimten Sage, dem Cerasten seine
sogenannten Hörnchen dazu dienen sollen.

2) Einige Personen haben dem Verf. versichert,
daß die Schlange während der vermeynten Bezaube-
rung nicht klappere.

Kann sehr wohl seyn daß auch hier Umstände
den Fall ändern. Es haben doch auch einige
andre Personen dem Hrn. Dr. B. das Gegen-
theil versichert. Ein Mohegan-Indianer sagte
ihm, daß die Klapper-Schlange, Eichhörn-
chen und Vögel mittelst der Klapper bezaubre
und durch ihr rasseln die Thiere vom Baum
locke. Eben das sagte ein Dolmetscher durch
den er sich mit einem Choktah-Indianer unter-
hielt, – und Hrn. Vosmaers Erfahrungen
sind allgemein bekannt.

3) Was den Kunstgriff der Wilden betreffe, so
wiße er davon nichts. Auch andern, die er darum be-
[Seite 43] fragt, sey es eben so unbekannt gewesen. Er sey
geneigt zu glauben, daß ich mir etwas hätte aufhef-
ten lassen*); oder, vielleicht habe der folgende Um-
stand Anlaß zu der Sage gegeben: Die jungen In-
dianer fassen Pfeile quer in den Mund, und ahmen,
mittelst einer tremulirenden Bewegung der Lippen
auf dem Pfeile, die Stimme junger Vögel nach, wo-
durch sie die alten locken, so daß sie dieselben leicht
schießen können. So ahme der im Dickicht versteck-
te Bergälster (Lanius excubitor) das Geschrey
junger Vögel nach, und erhasche dadurch oft die Alten,
die auf dieses Geschrey herbeygeflogen kommen.

Meines Wißens ist der alte Mead der erste,
der vor funfzig Jahren, nachdem er den from-
men Wahn widerlegt, als ob die Vorsehung
der Klapper-Schlange ihre Rassel den Wande-
rern zur Warnung verliehen habe, dagegen be-
hauptet hat sie diene ihr, um Eichhörnchen und
Vögel aufzuschrecken, die dann durch den An-
blick des ihnen so furchtbaren Thieres so ausser
sich geriethen, daß sie endlich zu Boden fielen,
und demselben zur Beute würden. Das sey es,
was die Wilden Bezauberung nennen. So
habe er selbst gesehn, daß, da man einen Sper-
ber im Garten auf einen Baum gesetzt, die klei-
[Seite 44] nen Vögel in der Nachbarschaft so betäubt wor-
den, daß sie zwar in einem kleinen Bezirk hin
und her geflattert, aber nicht im Stande ge-
wesen, den Klauen des Raubvogels zu entfliehn.

Das reimt sich übrigens recht gut mit dem
was Hr. Dr. B. selbst S. 56. im allgemeinen,
sagt, die Natur habe verschiedene Thiere belehrt
was für Thiere ihre Feinde seyen; und S. 35.
von der Klapper-Schlange, wenn kleine Thie-
re auf dieselbe zuliefen, so möge es Furcht seyn,
die sie treibe.

Mit der angeblichen Wirkung des Lauts aber,
den die Klapper verursachen soll, kann sich wohl
nichts passender reimen, als was der Hr. Dr.
in der eben angeführten Stelle von dem Kunst-
stückchen der jungen Indianer mit dem Pfeil
im Mund angiebt.

Uebrigens habe ich meine Nachricht vom Hrn.
Major Gardner und seiner Familie mit der
er lange in Ost-Florida gelebt hat. Er ist ein
sehr unterrichteter Naturkenner und genauer
Beobachter, und gewiß sehr davon entfernt, mir
etwas aufzuhefften.

Nachdem Hr. Dr. B. die drey angeführten Er-
klärungsarten der vorgeblichen Zauberkraft durch die
[Seite 45] gedachten Einwendungen zu widerlegen gesucht, so
giebt Er dagegen eine vierte, die darauf hinausläuft,
daß die Vögel, von denen man behauptet hat, daß sie
unter den gedachten Umständen der Klapper-Schlan-
ge in den Rachen flattern, meist solche sind, die auf
der Erde, oder in Buschwerk, oder niedrig auf
Bäumen nisten, und gerade Eyer oder Junge im
Nest haben, denen zu Liebe sie sich bey Annäherung
dieses gefährlichen Feindes der Lebensgefahr aus-
setzen.

Diese Erklärungsart ist die nemliche, die wir seit
1785. aus dem gedachten Aufsatz des Hrn. Hofr.
Michaelis kennen, als welcher unter den mancher-
ley versuchten Lösungen des Problems auch folgende
angiebt:

‘„– Andere glauben es wäre blos Vorsorge
der Eltern für ihre Jungen, wo sie sich zwischen
diese und den Räuber werfen, und so die Beu-
te des letztern werden. Einer meiner Freunde,
Hr. David Colden zu Flushing, ein Liebha-
ber der Naturgeschichte, und Sohn des um die-
se Wissenschaft so verdienten, allgemein bekann-
ten Governor Coldens, versichert mir, er habe
mehrmals Vögel von Schlangen bezaubert gese-
hen, aber allemal das Nest des Vogels mit
Eyern oder Jungen in der Nähe gefunden, und
[Seite 46] die Zuschauer von ihrem Wahne einer Bezaube-
rung zurückgebracht.„’

‘„Aber„’ (– fährt Hr. M. fort –) ‘„ich
weiß einige Beyspiele wo wohl kaum ein Nest
in der Nähe seyn konnte, und die Schlange
anfangs äusserst weit vom Vogel war, der
ganz zu ihr herabkam.’

Ich würde noch ein andres Aber hinzusetzen, und
das zwar aus Hrn. Bartons Schrift selbst, da
er S. 54. versichert das Resultat seiner Untersu-
chung, ob die Klapper-Schlange auf Bäume krie-
che, sey quod non. Er habe Gelegenheit gehabt,
ihrer in Menge zu sehen, aber keine anders, als auf
der Erde. Zudem aber bewege sie sich nicht, wie die
mehresten übrigen Schlangen, spiralförmig, sondern
gerade ausgestreckt*), und dieß sey Ursache, warum
sie nicht auf Bäume klettern könne. Auch sey sie
eine der trägsten von allen Schlangen.

[Seite 47]

Unter diesen Umständen scheint dem trägen Ge-
schöpf ein Lockungsmittel ganz angemessen, um die
kleinen Thiere vom Busche herab zu ziehen, die aus-
serdem von einer Schlange die nicht hinaufkriechen
kann, in der Höhe nichts zu fürchten hätten.


Alles dieses führe ich einzig und allein in der Ab-
sicht an, um präjudizlose Naturforscher, die Gele-
genheit haben, Klapper-Schlangen, im freyen Natur-
zustande zu beobachten, vor allen aber den scharfsin-
nigen Hrn. Dr. Barton selbst, der diese Anzeige
lesen wird, zu weiterer Prüfung der Umstände, und
namentlich zur möglichsten Erforschung des Zwecks
der Klapper, (– dieses so sonderbaren und in seiner
Art einzigen Organs, –) zu ermuntern; schlechter-
dings aber nicht etwa um seine Behauptung dadurch
zu entkräften, oder die von der Wirkung des Klap-
perns zu vertheidigen. Wie weit ich davon entfernt
hin, habe ich durch die Abänderungen bewiesen, die
ich, sobald ich die ausnehmend interessante Schrift
von ihm erhalten, mit dem Artickel von den Klap-
per-Schlangen, in der 5ten Ausg. des Handbuchs
der N.G. vorgenommen habe.

J. Fr. Blumenbach.


Notes
*).
[Seite 37]

A Memoir concerning the fascinating Faculty
which has been ascribed to the Rattle-Snake
[Seite 38]
and other Amerikan Serpents. By Benj. Smith
Barton
M.D. and Prof. of natural History and
Botany, in the University of Pennsylvania.
Philadelphia.
1796. 70 S. in gr. 8.

*).
[Seite 38]

Daß die sogenannte Zauberkraft mancher Schlan-
gen bey den Hottentotten, so wie bey afrikanischen
Negern und Mauren ein gemeiner Glaube sey, sagt
le Vaillant in s. neuen Reise in das Innere von
Afrika 1 B. S. 84 u.f. der Forsterschen Ausg.

**).
[Seite 38]

Hr. Dr. Barton sagt S. 19. unter den Süd-
Amerikanischen
Indianern finde er keine Spuren
dieser Behauptung. – Doch entsinne ich mich in
mehrern Reisebeschreibungen von jenem Erdtheil
dergleichen getroffen zu haben. So versichert z.B. Do-
brizhoffer
in s. Geschichte der Abiponer II. Th.
S. 388. daß alle Spanier und Indianer in diesem
Theil von Paraguay dasselbe einstimmig von der
Ampalabas-Schlange behaupten.

*).
[Seite 43]

that Mr. Bl. has been imposed upon.

*).
[Seite 46]

Da mir zwar die Worte, aber nicht der Sinn von
dieser Bewegungsweise der Klapper-Schlange recht
deutlich ist, so setze ich die Stelle, wie sie sich S.
55. findet, selbst her: ‘„Most species of serpents
move in a spiral manner: the rattle-snake mo-
ves
straight on; and this is the reason why he
cannot climb trees
.„’



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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