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Magazin
für den neuesten Zustand
der
Naturkunde

mit Rücksicht auf die dazu gehörigen
Hülfswissenschaften
herausgegeben
von
Johann Heinrich Voigt,
D.W.D.H.S. Weimar. Hofrath, Professor der
Mathematik zu Jena und verschiedener gel. Ges.
Mitglied.
Zweyter Band.

Mit drey Kupfertafeln.

Weimar,
im Verlag des Industrie-Comptoirs
1800
.

Joh. Fr. Blumenbach über das Schnabel-
thier (Ornithorhynchus paradoxus) ein
neuentdecktes Geschlecht von Säugthie-
ren des fünften Welttheils.*)

[Seite 205]

Was Commerson von Madagascar behaupte-
te, ‘„daß die Natur daselbst gleichsam nach ganz
andern Mobellen als in der übrigen Schöpfung
zu arbeiten scheine, so daß man mit jedem
Schritt aus fremdartige und wunderbar geform-
te Geschöpfe stoße“’ –, das könnte wohl mit un-
[Seite 206] gleich größeren rechte von Neuholland gesagt wer-
den: – einer Insel, oder vielmehr (wie sie
auch nun schon seit zehn Jahren in den englischen
officiellen Berichten genannt wird) einer Conti-
nens, die ungefähr mit unserm Welttheile von
gleichem Flächengehalt ist, und die, was ihre or-
ganisirte Schöpfung betrifft, selbst schon auf dem
kleinen Fleckchen an der Ostküste, wo sich die engli-
sche Kolonie befindet, eine solche Fülle von ganz
auffallend seltsam gebildeten Thieren und Gewäch-
sen zeigt, daß sich der Einfall wohl hören läßt, da
mir einmal ein scharfsinniger und berühmter Natur-
forscher im Scherze schrieb, fast sey er geneigt
zu vermuthen, daß Neuholland ursprünglich kaum
zu unserm Planeten gehöre, sondern etwa weiland
ein kleiner Komet gewesen der mit samt seinen
heterogenen Thieren und Pflanzen auf unsern Erd-
ball gestoßen, dort in die Südsee gefallen und so
liegen geblieben sey. – Und doch werden alle
bisher bekannte noch so seltsame Thiere jenes Welt-
theils, was paradoxe Bildung betrifft, durch
das neuerlich daselbst entdeckte abentheuerliche
Schnabelthier übertroffen, wovon ich durch
die Güte des Hn. Baronet Banks ein ausge-
stopftes Exemplar erhalten, (– das einzige das
außer England bis jetzt in Europa existirt –)
und nach selbigem folgende Beschreibung abge-
faßt habe.

[Seite 207]

Das ganze Thier, das, den Kopf abgerech-
net, im übrigen Totalhabitus einer Flußotter
ähnelt, ist 17 engl. Zoll lang, wovon der Rumpf
10″, der Kopf 3½ und eben soviel der Schwanz
beträgt.

Die Haut ist zunächst (fast wie bey der köst-
lichen Seeotter) mit einem sehr dichten Seide-wei-
chen Wollhaar von meist Mausefahler Farbe be-
deckt, und dieses wieder mit längern glänzenden
Haar besetzt, das auf dem Rücken schwarzbraun,
am Bauche gelblicht, und auf dem Schwanze
ziemlich straff, fast borstenartig ist.

Auf den Beinen sind die Haare graulichweiß,
glatt aufliegend, und zumal auf den vordern nicht
cylindrisch sondern platt (wie an den Pfoten des
gemeinen Stachelschweins).

An den Vorderfüßen sind die Zehen unbe-
haart, an den hintern hingegen bis an die Kral-
len mit Haaren bedeckt.

Die Hinterbeine sind 2½ Zoll lang; die vor-
dern etwas kürzer. Sowohl die Einen als die
Andern mit fünf Zehen*), und mit einer Schwimm-
[Seite 208] haut versehen, die zumahl an den vordern ein
sonderbares Ansehn hat. Hier ragt sie nemlich
einige Linien lang unter den oben darauf sitzenden
Zehen hervor, und läßt sich mittelst derselben
fächerartig ausbreiten oder zusammenlegen.

Auch sind die langen Krallen an diesen Vor-
derfüßen nicht wie bey andern Thieren (und so
wie es auch bey diesem an den Hinterfüßen der
Fall ist) niederwärts, sondern aufwärts gebogen.

Der Schwanz ist länglicht, etwas aufwärts
gebogen, und ähnelt, die Haare abgerechnet,
im Umriß fast des Bibers seinem. In der Mit-
te ist er wohl 1½ Zoll breit, an beyden Enden
schmäler, und am äußersten stumpf zugespitzt.

Der Kopf ist nach Proportion klein und
schmal. Die Augen winzig klein, und so auch
die Ohren: beydes fast wie beym Maulwurf.

Das allerwunderbarste aber, und wodurch
sich diese Kreatur von allen bisher bekannten
Säugthieren in der Schöpfung auszeichnet, ist
daß ihr völlig zahnloses Gebiß im Aeußern aufs
vollkommenste einem platten breiten Entenschna-
bel ähnelt!

[Seite 209]

Der Obertheil desselben ist über 1½ Zoll lang,
und vorn wo er Löffelförmig zuläuft, und die
Nasenlöcher sitzen, 1 Zoll 3 Linien breit, und wie
bey den Enten mit einer weichen Nervenreichen
Haut bekleidet, so daß sie diesem Thiere wie den
Enten zum eigentlichen Organ des Tastens (ta-
ctus
) dienen muß.

Der Unterkiefer ist schmäler; und an den bey-
den Rändern, zumal nach hinten, eben so wie
bey den Enten Sägeförmig gezähnelt.

Der Gaumen hat starke Querfurchen.

Der ganze Schnabel ist an seiner Wurzel mit
einer lappichten Fortsetzung jenes weichen häuti-
gen Ueberzugs eingefaßt. Vermuthlich auch als
Gefühlsorgan (ohngefähr wie die Ohrlappen der
Fledermäuse denen Hr. Spallanzani einen neuen
Sinn zuschreiben wollte!)

Ein Kupfer von diesem wunderbaren Thiere
erscheint im 5ten Heft meiner Abbildungen
naturhistorischer Gegenstände
.

Von seinem Aufenthalt und übrigen Lebens-
weise ist, wie mir Hr. Baronet Banks schreibt,
bis jetzt nur so viel bekannt, daß es sich in Men-
ge in einem Landsee jener fernen Weltgegend fin-
det, wo es oft nach der Oberfläche des Wassers
[Seite 210] kommt um Luft zu schöpfen, und dann wieder
auf den Grund taucht, wo es vermuthlich seine
Nahrung sucht.

Da in keiner von allen den Nachrichten die
mir über dieses Thier aus London von dem Hn.
Baronet, so wie vom Hn. Hofr. Best und Hn.
D. Noehden mitgetheilt worden, ein Name
für dasselbe angegeben war, so habe ich es von
seiner auffallendsten Eigenheit Ornithorhynchus
paradoxus
genannt. Beydes dieser Geschlechts-
und Gattungs-Name sind nach ähnlichen
im Natursysteme gemodelt. So heißt z.B. ein
Geschlecht von Würmern Echinorhynchus, und
eine Gattung von Fröschen Ranaparadoxa so
wie der Trilobit (das Dudley fossil) Entomoli-
thus paradoxus.
*) Im Deutschen habe ichs
das Schnabelthier genannt so wie Panzer-
thier, Schuppenthier, Faulthier, Bisamthier,
Elennthier, Rennthier, u.s.w.

[Seite 211]

Sobald ich weitere Nachricht von der Natur-
geschichte dieses Geschöpfs erhalte, werde ich sie
hier im Magazine mitheilen. Vorzüglichst bin
ich begierig zu erfahren, wie das Junge an der
Mutter saugen mag?

Für die Philosophie der Naturgeschichte wird
indeß dieß Thier auch schon dadurch interessant,
daß, ohngeachtet es auf den ersten Blick recht ge-
macht zu seyn scheint, die Bonnetische Vor-
stellung von Stufenfolge in der Natur zu recht-
fertigen, es doch anderseits vielmehr zu einer
nicht unwichtigen Instanz wider dieselbe ge-
braucht werden kann. Denn auf jener (bloß nach
der äußern Bildung geordneten) einfachen Leiter
ist ja die Uebergangs-Sprosse von den Vögeln zu
den Quadrupeden schon durch die Fledermäuse be-
setzt: und doch können schwerlich zwey Gestalten
von Säugthieren gedacht werden, die auffallen-
der von einander verschieden wären, (mithin
in jener Gradation weiter von einander abstehen
müßten) als die der Fledermäuse und des Schna-
belthiers.

Ganz anders verhält es sich hingegen, wenn
man so wie die klassischen Naturkenner, Hr. Ritter
Pallas und Hr. Prof. Hermann längst ge-
than haben, bey Bestimmung der Verwandt-
schaften und Uebergange zwischen den verschiedent-
[Seite 212] lichen organisirten Körpern, und namentlich im
Thierreiche, vorzüglichst auf die innere Oekono-
mie, auf die Physiologie der Funktionen, Rück-
sicht nimmt, – Da ist es lehrreich zu sehen,
wie die Natur, um bey einzelnen Gattungen von
Thieren aus ganz diversen Klassen gewisse ähnliche
Zwecke zu erreichen, auch ähnliche Mittel ge-
braucht, und dem zu Folge auch zu einer Funktion,
die solche übrigens noch so sehr von einander diverse
Thiere mit einander gemein haben, auch dem Ei-
nen eben solche Organe dazu giebt, die sonst sei-
ner Klasse nicht zukommen.

Also jenem paradoxen Säugthier auch den
nemlichen Bau des zum Tasten eingerichteten mit
einem mächtigen Apparat von Nerven des fünften
Paars versehenen Schnabels, wie die Enten; weil
beyderley, wenn gleich übrigens noch so diverse
Geschöpfe ihr Futter auf eine ähnliche Weise
durchs Gefühl da aussondiren müssen, wo ihnen
weder Sehen noch Geruch dabey zu statten kom-
men kann. Denn da ich die Schnabelhaut des
Ornithorhynchus in Wasser aufgeweicht und
abgelößt, so habe ich die merkwürdige Vertheilung
jener Nerven darin im Ganzen eben so gefunden
wie ich sie im IXten Band der Commentationen.
der Göttingischen Soc. der Wissens. am Enten-
schnabel abgebildet und beschrieben.

[Seite 213]

So wie nun aber dieß dem teleologischen
Princip in der Bildung der organisirten Körper
aufs genaueste entspricht; so ist zugleich anderseits
an eben diesem so anomalisch gebildeten Freßwerk-
zeuge der eigentlich sogenannte bloße Mecha-
nismus
der Natur unverkennbar, da sie in ge-
wissen Klassen, zumahl des Thierreichs, gleich-
sam ein allgemeines Normalschema des Baues
zum Grunde legt, und dem zu Folge wenigstens
die Anlage zu Organen auch bey solchen Gattun-
gen anbringt, bey welchen sie nach dem bloß teleo-
logischen Princip sehr überflüssig scheinen (– wie
z.B. der Urachus der menschlichen Leibesfrucht;
oder die außer Verbindung mit dem Gerippe im
bloßen Fleisch steckenden ossicula clavicularia
mancher reißenden Thiere etc. –) Und so habe
ich denn die knöcherne Grundlage des Oberschna-
bels an dem Neuholländischen Wunderthiere bey
aller jener auffallenden Aehnlichkeit mit der Enten
ihrem, doch im Ganzen eben so gefunden wie bey
andern Säugthieren; namentlich auch zwey deut-
liche Schaltbeine (ossa intermaxillaria) wenn
gleich auch von beyspielloser Gestaltung, so daß
sie vorn eine breite Synchondrose zwischen sich
lassen etc.

Und so dient dieses merkwürdige Geschöpf
zu einem sprechenden Beyspiele des Bildungs-
[Seite 214] triebes; d.h. der Verbindung jener beyden
Principien, des mechanischen mit dem teleologi-
schen, in der Erklärung eines Naturzwecks als
Naturproducts (wie sich Hr. Kant in der Kri-
tik der Urtheilskraft ausdrückt), so wie in der
Gründung einer den Phänomenen des Zeugungs-
geschäfts angemeßnen Theorie desselben.


Druckfehler.

In des 1 Bds. 3. St. S. 126. Z. 8. v.u. lese man
Selenit, statt Salmiak.

Notes
*).
[Seite 205]

Den gegenwärtigen Aufsatz erhielt der Herausge-
ber, als bereits die beyden ersten Abschnitte dieses
Magazinstücks abgedruckt waren. Anstatt aber den-
selben ins nächste 2te St. zu nehmen, erscheint er,
seines ganz vorzüglichen Interesse wegen noch hier
als Nachtrag. Eine Abbildung von dem merkwür-
digen Thiere zu geben, war jetzt nicht möglich,
hoffentlich hat aber der Hr. Hofr. Blumenbach die
Gefälligkeit dem H. eine zum nächsten Stücke,
wenigstens den Kopf derselben, mitzutheilen. In-
dessen wird der zunächst erscheinende 5te Heft der
Blumenbachischen Abbildungen Naturhist. Gegen-
stände den gegenwärtigen Mangel hinreichend er-
setzen.

*).
[Seite 207]

Hr. D. Noehden schreibt mir aus London,
daß zwey andere Exemplare an den Hinterfüßen noch
[Seite 208] eine sechste Zehe haben, wovon aber an dem Meini-
gen keine Spur zu finden.

*).
[Seite 210]

Erst einige Monate nachher erfahre ich, daß es in
einem der neusten Hefte von D. Shaw’s natura-
list’s miscellany Platypus anatinus
genannt wor-
den. Aus dem oben angeführten Grunde aber
scheint mir der vom Vogelartigen Schnabel ent-
lehnte Geschlechtsname passender.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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