Table of contents

[titlePage_recto]
J.H. Voigts
Magazin
für den neuesten Zustand
der
Naturkunde
,
mit Rücksicht auf die dazu gehörigen
Hülfswissenschaften.

Dritten Bandes
Viertes Stück
.

Weimar,
im Verlage des Industrie-Comptoirs
1802
.

[Seite 687]

3) Die dritte Generation der berümten
porcupine-men.

In den philosophical Transactions von
1732 (Vol. 37. pag. 299 u.f.) gab der be-
kannte Astronom J. Machin die erste Nach-
richt von einem damals vierzehnjährigen Buben
aus Suffolk, (dem nachher sogenannten por-
cupine-man
) der fast über den ganzen Kör-
per – nur den Kopf, die innern Handflächen und
[Seite 688] die Fußsohlen ausgenommen, mit einer in hor-
nichte Zäpfchen ausgearteten Oberhaut bedeckt und
gleichsam gepanzert war. Dieser Hautfehler
war ihm nicht angebohren, sondern hatte sich erst
7 oder 8 Wochen nach seiner Geburt geäußert;
da die Haut anfangs gelb und allgemach dunkler,
endlich fast schwarz und kurze Zeit nachher immer
dicker und hornartiger wurde.

In den 50er Jahren ließ sich dieselbe Per-
son – nun als verheuratheter Mann und Vater in
London zur Schau sehen, zugleich mit seinem
Sohne der vollkommen den nämlichen Haut-
fehler an sich hatte. Von beiden gab damals
der bekannte Mikrograph, H. Backer ebenfalls
in den Transactionen (Vol. 49. P.I. pag. 21.)
gleichsam eine Nachlese zu Machins’ Aufsatz;
und so wie dieser eine Abbildung von einer Hand
des Vaters geliefert hatte, so jener eine Vor-
stellung von des Sohns seiner, nach einer Zeich-
nung des durch seine zoologischen Kupferwerke
berühmten G. Edwards, so wie sie derselbe
in seinen Gleanings. of natural history
(P. I. tab. 212. bekannt gemacht hat).

Auch dieser Sohn hat eine Gattin gefunden,
und ich habe im vorjährigen September wiederum
zwey (diesem ihrem Vater und Großvater voll-
[Seite 689] kommen ähnliche) Söhne von ihm, also die
dritte Generation der durch diesen bewunderns-
werthen Hautfehler so allgemein berühmt geworde-
nen Familie, zu sehen die mir so willkommne Gelegenheit gehabt.

Der älteste war 22 Jahr alt (und auch schon
verheurathet, und seine Frau jetzt guter Hoff-
nung –), der jüngere 14. Beide groß, wohlge-
wachsen und von athletischer Constitution; der
ältere namentlich ein guter Baxer, so wie denn
auch sein Großvater in dieser Art von Gym-
nastik excellirt hatte. Ihr Gesicht, innre Seite
der Hände und Fußsohlen waren natürlich, doch
wie mirs schien, von einer etwas ungewöhnlichen
Röthe. Die Oberhaut des übrigen Körpers hinge-
gen mehr oder minder in größere oder kleinere
hornartige Warzen oder Zapfen degenerirt. Das
Maximum derselben, d.h. die längsten, stärksten
und härtesten, fand ich an ihren Vorderarmen
und Oberschenkeln; die feinsten an gewissen Thei-
len am Unterleibe. Ueberhaupt aber waren sie
beym jüngern Bruder noch kleiner, und an man-
chen Stellen z.B. auf der Brust weichlich, gleichsam
wie an manche grobnarbichten Corduan. Die
größten Zäpfchen waren 4 bis 5 Linien lang und
irregulär prismatisch, stumpfeckicht; meist wie
breit gedruckt; die breitesten etwa von 3 Linien
[Seite 690] im Durchmesser; am äußern Ende theils wie ge-
spalten, manche Gabelförmig divergirend. Hinge-
gen habe ich kaum eins of a cylindric Figure dar-
unter gefunden die ihnen Backer überhaupt zu-
schreibt, geschweige gar daß es hole Röhrchen seyn soll-
ten wie Haller es verstanden hat und es für eine
Bestätigung der Boerhaavischen Meynung von
dem Bau der Epidermis ansah, da er sagt: in
hoc puero tota superficies abiit in
congeriem tubulorum exstantium, calloso-
rum, subinde renascentium, quod certe exem-
plum quasi de industria ad confirmandam prae-
ceptoris sententiam factum est
. Boerhaave
sagte nemlich von der Oberhaut: constat vasorum
exhalantium et inhalantium innumerabilium
extremis annulis, inter se connatis.

Wo die Zäpfchen am längsten und dicksten
waren, da schienen sie mir denen auf der Haut
des Elephanten zu ähneln, so wie ich sie zumal
bey manchen dieser Thiere vorn unter der Stirne
über dem Rüssel gesehen habe.

Ihre Farbe schien im Ganzen fast Castanien-
oder Caffeebraun; doch war dieß nur auf der
Oberfläche; denn sonst waren zumal die größern
Warzen mehr gelblichgrau.

[Seite 691]

Die Haare auf der Haut waren theils in die
hornichte Substanz dieser Zäpfchen wie einge-
wachsen.

Beide Brüder hatten so wie ihr Vater und
Großvater die Blattern gehabt, und auch so wie
diese im lezten Stadium derselben ihre Leich-
dornartigen Zapfen gröstentheils verlohren, die
aber bald nachher wieder reproducirt wurden.
Ueberhaupt fallen sie ihnen auch von Zeit zu
Zeit, zumal im Winter einzeln ab und werden
eben so allgemach wieder durch neue ersetzt.
Wenn sie aber außerdem abgelößt werden, so fängt
die darunter liegende Haut leicht an zu bluten.

Vorn auf dem Scheitel bildete die Ober-
haut, zumal beym ältesten eine Art von breiter
Schwiele die einigermaßen den tofis an den
Kamelen ähnelte.

Die Ausdünstung dieser beiden Brüder hatte
gar nichts ungewöhnliches, keinen merklichen Ge-
ruch etc. und in großer Hitze oder bey starken Echau-
sement schwitzen sie wie andre gesunde Menschen.

Von ähnlichen Parallelfällen sind mir nur
zwey bekannt, die nämlich wahre Aehnlichkeit mit
den porcupine-men aus Suffolk haben. Das
eine ist der Bube aus Biseglia von welchem
Stalp van der Wiel Abbildung und Notiz ge-
[Seite 692] geben hat (in seinen Observat. P. II. pag. 374);
das andre ein dreyjähriges Mädchen in Wien
dessen Geschichte und Cur J. Al. von Bram-
billa
(in den Abhandl. der Josephinischen medi-
cinisch-chirurgischen Akad. I. B.S. 371) beschrie-
ben hat. Bey beiden war ebenfalls das Gesicht
frey; hingegen die Fußsohlen und innern Hand-
flächen gerade am stärksten verunstaltet.) Auch
paßt was von dem Buben angemerkt wird:
delapsis veteribus, novae illico succedebant
squamae, quibus avulsis mox effluebat san-
guis,
so wie das was Brambilla von dem
Mädchen sagt: es sey mit glatter, nur etwas
gelber Haut zur Welt gekommen; aber nach 6
Wochen sey dieselbe braun und binnen Jahres-
zeit so schwarz und borstig geworden. Bey diesem
letztern Kinde verlohren sich die borstenartigen
Warzen nach anhaltendem Gebrauch von Bädern
und Mercurialmitteln und so meldet auch Backer
von dem ersten porcupine-man daß er zweymal
die Salivationscur gebraucht um seine Haut da-
durch zu reinigen: wirklich seyen auch hie warzich-
ten Zapfen abgefallen und die Haut eine Zeitlang
so glatt und weiß gewesen wie bey andern Leuten,
aber kurz nach beendigter Cur sey sie doch wieder wie
vorher mit dem hornichten Ueberzuge bedeckt worden.

[Seite 693]

Andere Beyspiele von seltner sonderbaren Degene-
ration der Oberhaut dergleichen z.B. Fabricius
Hildanus, Fourcroy
u.a. beschrieben haben,
sind doch zu sehr von dem Hautfehler wovon hier
die Rede war, verschieden, als daß sie dazu ge-
rechnet werden könnten.




Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
This page is copyrighted