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J.H. Voigts
Magazin
für den neuesten Zustand
der
Naturkunde
,
mit Rücksicht auf die dazu gehörigen
Hülfswissenschaften.

Vierten Bandes
Fünftes Stück
.

Weimar,
im Verlage des Industrie-Comptoirs
1802
.

3.
Einige naturhistorische Selten-
heiten und Bemerkungen vom
Vorgebirge der guten Hoff-
nung
.

[Seite 671]

Dem Hofr. Blumenbach mitgetheilt von
Hrn. Heße, Prediger in der Cap-Stadt.

Während die Engländer im Besitz des Vorge-
birges der guten Hoffnung waren, starb der deut-
sche Prediger bey der dasigen lutherischen Gemein-
de. Die Stelle mußte also von der englischen
Regierung wieder besetzt werden, und diese über-
trug es dem Consistorium in Hannover. Die
Wahl fiel auf einen dortigen Candidaten, Hrn.
Fr. Heße, einen überaus gebildeten jungen Mann,
von den trefflichsten zweckmäßigsten Kenntnissen.
Da er vor seiner Abreise erst noch nach Göttingen
kam, so hatte ich Gelegenheit, ihn auf manches,
was die Naturgeschichte jener so fernen und so
merkwürdigen Weltgegend betrifft, besonders auf-
merksam zu machen, und ihm eine Menge be-
stimmter Fragen und Winke, und resp. kleiner
Aufträge mitzugeben: und eine Folge davon war,
daß ich ohnlängst mit einigen sehr lehrreichen Brie-
[Seite 672] fen und einer Fülle von wichtigen Naturseltenhei-
ten für meine Sammlung von ihm überrascht
wurde.

Nur einiges von diesen letztern anzuführen, so
befindet sich darunter:

1. Ein aufs vollständigste erhaltener und um
Sprechen characteristischer Schädel einer Hot-
tentottinn
, den der dasige Wundarzt H. Pal-
las
, dem Hrn. Pastor für mich überlassen hat-
te. – Ohne Ausnahme hat jeden, der diesen
Kopf seitdem in meiner Sammlung gesehn, die auf-
fallende Aehnlichkeit frappirt, die er im Totalhabi-
tus mit dem wahren Orangutang hat, den ich be-
sitze; als welchem er wenigstens ohne allen Ver-
gleich näher kommt, als irgend einer von den
acht Negerschädeln, die darneben stehn. – Und
das reimt sich dann aufs vollkommenste mit dem,
was der scharfsichtige treue Beobachter, Ritter
Thunberg von den Hottentotten sagt: ‘„sie ha-
ben in der Bildung des Kopfs unglaublich viel
Aehnlichkeit mit Affen.“’

2. Ein weiblicher Hottentotten-Fö-
tus
aus der Mitte der Schwangerschaft. Das
[Seite 673] passendste Gegenstück zu jenem Schädel. In sei-
ner Art gerade eben so characteristisch und spre-
chend. Aber was dabey auf den ersten Blick gar
wundersam auffällt, das ist ein kurzes, aber dich-
tes bräunliches Flaum- oder Milchhaar, womit
das kleine Geschöpf – vor allem aber sein Kopf,
mit Einschluß des ganzen Gesichts – wie mit
einem zartbehaarten Felle überzogen ist.

Daß auch bey uns in Europa die neugebornen,
und zumal die frühzeitigen Kinder eine gewisser-
maaßen ähnliche seine lanugo, besonders im Ge-
sichte mit zur Welt bringen, ist was Triviales.
Und daß dieselbe bey unreifen foetibus von Ne-
gern vorzüglich stark ist, wußte man auch längst
aus den Abbildungen in den thesauris von
Ruysch und Seba, und ich finde es auch am den
unreifen Mohrenfrüchten im academischen Mu-
seum und in meiner eignen Sammlung bestätigt.
Aber von solcher Dichtigkeit und solcher Stärke,
als an dieser kleinen Hottentottinn, ist mir der-
gleichen durchaus nie vorgekommen.

Daß übrigens das kleine Mädchen am Unter-
leibe nichts von dem vermeynten natürlichen
Schürzchen habe, das der ehrliche Leguat
auf seiner Abbildung einer Hottentottinn sans son
[Seite 674] cottillon
darstellt, und dessen Linné unter dem
Namen des sinus pudoris im Natursystem ge-
denkt, das auch Büffon für ganz ausgemacht
annimmt, und Voltaire’s Amabed so höchlich
bewundert u.s.w., bedarf hoffentlich im 19ten
Jahrhundert keiner weitern Versicherung. Und selbst
die Nymphen sind in nichts von denen bey wohlge-
bildeten europäischen weiblichen Früchten von die-
sem Alter verschieden.

3. Eine zahlreiche Suite der Gebirgsar-
ten vom Cap
, namentlich von den verschied-
nen Lagen des Tafelbergs; zusammen die voll-
ständigen Belege zu den trefflichen Nachrichten,
die Barrow neuerlich über die physische Geo-
graphie jener so merkwürdigen Weltgegend gege-
ben, und zugleich ein äußerst reichhaltiger und
wichtiger Beytrag zu der für die Geographie un-
sers Planeten gar lehrreichen, und nun schon gar
ansehnlichen Sammlung von Fossilien, aus den
verschiedensten Ländern und Inseln der südli-
chen Halbkugel
, welche ich zumal mit Hülfe
des Hrn. Baronet Banks und des seel. Dr.
Forster nach und nach zusammengebracht habe.

Um hier doch nur ein paar Worte von diesem
Beytrag anzuführen, so besteht die Grundlage
[Seite 675] der Tafel-Valley, aus welcher sich der Tafelberg
erhebt, größtentheils aus frischem festen Thon-
schiefer, der theils in Chloritschiefer übergeht,
außerdem aber finden sich auch in dieser Abthei-
lung der mir von Hrn. H. zugesandten Samm-
lung schöne Stücken, eines aus dem dunklen
Lauchgrün ins Schwarzgrüne übergehenden harten,
am Stahl Funken gebenden, Nephrit-ähnlichen
Gesteins.

Höher nach dem eigentlichen Fuß des Tafel-
bergs selbst, besteht das Gestein hauptsächlich
aus mancherley weicheren Abarten des Thonschie-
fers, und aus dazwischen liegenden, theils unge-
heuer großen Geschieben von verwittertem Granit,
theils auch von grobkörnigem, meist eisenschüßigen
Sandstein.

Dieser hält weiter hinauf immer mehr an,
wird theils selbst durch Quarzcäment fester, und
geht so zum Theil in körnigen Quarz über,
theils hat er aber auch ein Breschenartiges Ansehn,
indem er zahlreiche Bohnenförmige Gerölle von
Milchquarz eingemengt hält.

Der Gipfel endlich oder die eigentliche Tafel,
wovon der Berg den Namen hat, und welche Hr.
H. den 2. Nov. 1801 bestiegen, besteht meist
[Seite 676] ganz aus solcher Sandsteinartiger Bresche, wo
theils die ungleichförmigen Milchquarzkörner und
kleinen Geschiebe noch fester zusammen geküttet
sind, außerdem aber loße, meist von Bohnen- und
Mandel-Größe, in zahllosen Tausenden umher-
liegen.

Unter den andern Fossilien aus der
Nachbarschaft der Cap-Stadt
bemerke
ich ein Faustgroßes, völlig Farbenloses und Was-
serhelles, durchaus reines Bruchstück von Berg-
crystall;

ferner Gliedslange, rein auscrystallisirte der-
gleichen Crystalle;

Bergcrystall mit eingewachsnen Glimmer-
blättchen;

schwarzen Stangenschörl in Milchquarz;

großblättriges rauchbraunes Russisches Frauen-
glas;

von Erzen, zumal Kupfergrün mit Kupferla-
sur und Kupferpecherz;

cubischen Rotheisenstein, Bohnenerz etc.;

grobspeisigen Bleyglanz.

[Seite 677]

Von Petrefacten aber findet sich in dieser
Suite nichts als Judensteine, die auch schon der
wackre Kolbe vor 90 Jahren dort gefunden hat.

* * *

Diesem allem füge ich endlich noch einige na-
turhistorische Eclogen aus Hrn. Pastor Heße’s
Briefen bey:

‘„Die Hautfarbe der Hottentotten ist
wenig von derjenigen verschieden, welche bey uns
die Menschen von etwas gelben Teint haben.“’

‘„Unter den schwarzen Sclaven von Mo-
sambique finden sich nicht selten weiß gefleckte
oder getigerte Individua, die ich übrigens ganz
rüstig und frisch bey ihrer Arbeit getroffen habe.“’

‘„Ihre Frage, was Wahres an Kolbens Er-
zählung sey, wie ganze Schaaren von Papio
maimon
die Gärten plündern sollen, wird
hier im Ganzen so beantwortet, wie Forster in
seinen Anmerkungen zum Levaillant davon
spricht. Ein ganz glaubwürdiger bejahrter
Mann hat, wie er erzählt, selbst eine dergleichen
[Seite 678] Gartenplünderung mit angesehn, und das Spiel
so seltsam und comisch gefunden, daß er sich, wie
er sagt, nicht habe entschließen können, auf die
Paviane zu schießen, ohnerachtet er sich in dieser
Absicht mit einem Gesellschafter in seinem Garten
versteckt gehabt.“’

‘„Auf die Frage, ob auch wohl hier die wun-
derliche Sage gehe, als ob das Stachelschwein
seine Stacheln von sich schießen könne, antwor-
te ich, daß allerdings die Sage auch hier ist, daß
aber mehrere kundige Einwohner mir versichert
haben, daß nichts dran sey, sondern daß das
Thier, wenn es gereizt wird, in der Wuth schnell
auf seinen Verfolger zulaufe, und ihm die Sta-
cheln in den Leib renne, die dann leicht darin
stecken bleiben. Einer hatte sie auf diese Weise
in den Stiefel bekommen.“’

‘„Ueber die Quästion, ob es unter den Afri-
canischen Rhinocern
doch nicht auch Ein-
hornige Individua gebe, habe ich einen Mann
befragt, der weite Züge landeinwärts gethan, und
Nashörner zu Duzenden geschossen haben will;
aber der behauptet, daß sie alle ohne Ausnahme,
zwey Hörner gehabt hätten.″’
[Seite 679] ‘„Die vorgebliche sogenannte bezaubern-
de
Kraft mancher hieländischen Schlan-
gen
, von welcher Forster zum Levaillant so
auffallende Umstände anführt, wird her geglaubt,
und man nennt es im Holländischen besaugen
(bezuigen), und stellt sich also die sogenannte Be-
zauberung als ein Saugen vor. Man behauptet
das Factum von Land- und Wasser-Schlangen.
Jemand hatte z.B. auf dem Anstande des Abends
eine Maus ängstlich pfeifen, und hin und her
laufen gehört, und siehe, sie ward von einer
Schlange besogen, und dann verzehrt. – Ein
andrer sah einen Frosch, der im Wasser durchaus
nicht weiter kommen könnte, und auch Er mußte
einer Schlange, die ihn besogen hatte, in den
Rachen fallen.“’

J.F.B.




Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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