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J.H. Voigts
Magazin
für den neuesten Zustand
der
Naturkunde
,
mit Rücksicht auf die dazu gehörigen
Hülfswissenschaften.

Vierten Bandes
Sechstes Stück
.

Weimar,
im Verlage des Industrie-Comptoirs
1802
.

1.
Ueber den innern Bau des Orni-
thorhynchus paradoxus
.

[[I]] [[II]] [[III]] [[IV]] [[V]] [[VI]] [Seite 719]

Aus einem Aufsatze vom Hrn. Ever. Home in
den philosophical Transactions for 1802.

Die Zähne dieses Thiers, wenn sie so ge-
nannt werden können
*), sind lauter Backzähne,
und differiren sehr wesentlich von gemeinen Zäh-
[Seite 720] nen, indem sie weder Schmelz noch Knochensub-
stanz haben, sondern hornartig sind und sich leicht
[Seite 721] mit dem Messer schneiden lassen; da sich dann ihr
Gefüge faserig zeigt, wie Nägel; die Richtung
der Fasern geht von der Krone niederwärts. Diese
Structur ähnelt der von der innersten Haut im
Fleischmagen der Vögel.

Zwischen dem Backen und den Kiefern, ist auf
jeder Seite eine Backentasche. Beym Weib-
chen fand sich in jeder derselben ein Concrement
von der Größe einer ganz kleinen Nuß, die, wie
sich unter dem Mikroscop zeigte, aus sehr kleinen
Portionen von zerbrochnen Crystallen bestand (of
very small portions of broken crystals.
)

Der Magen ist ein ovaler häutiger Sack,
von welchem man kaum sagen kann, daß der
Schlund in ihn hineintritt, da dieser vielmehr an
der einen Seite desselben vorbey läuft, bis er den
Zwölffingerdarm bildet, so daß der Magen eher
eine Lateral-Erweiterung des Schlundes zu seyn
scheint.

[Seite 722]

Der Blinddarm ist inwendig zellicht, und
ähnelt mehr der Vögel als der Quadrupeden
ihrem.

Uebrigens sind die dicken Därme wenig von
den dünnen verschieden, und der ganze Darmca-
nal nur 5 F. 8 Z. lang.

An jeder Seite des Afters liegt eine große feste
Drüse, (– Taf. XII. Fig. 1. ee –) deren Aus-
führungsgänge sich mit mehrern Mündungen in
den Mastdarm öffnen.

Das eyförmige Loch zwischen den Herz-
ohren war verschlossen.

Der knorpliche äußere Gehörgang bildet
einem langen gewundnen Canal, ehe er ins Schlaf-
bein tritt.

In der Pauke befinden sich nur zwey Ge-
hörbeinchen
: das eine ragt gerade vom Trom-
melfell nach dem eyförmigen Fenster, in welchem
das zweyte liegt, das einige Aehnlichkeit mit dem
Steigbügel hat.

Bey keinem von beyden Geschlechtern zeigen
sich äußere Genitalien; sondern der After bil-
det zugleich die Oeffnung für die Vorhaut des
Männchens und die Scheide des Weibchens.

[Seite 723]

Auch dient bey jenem die männliche Ru-
the
(– Fig. 1. f –). blos zur Ausführung des
Saamens. Der Harn hingegen wird durch einen
besondern Canal (– h –) in den Mastdarm er-
gossen.

Die Vorhaut ist eine Falte von der innern
Haut am Rande des Afters, wie bey den Vögeln.

Die Ruthe hat eine doppelte Eichel
(– gg –); wieder eine Aehnlichkeit mit vielen
Vögeln. Jede Eichel hat am Ende spitze conische
Papillen.

Saamenbläschen finden sich nicht.

Noch unterscheidet sich das Männchen durch
eine Spornförmige Kralle an der Ferse
der Hinterfüße, die dem Weibchen mangelt, und
womit dieses vermuthlich bey der Paarung festge-
halten wird.

Beym Weibchen war keine Spur von Clito-
ris
. Seine Genitalien öffnen sich in den Mast-
darm (– Fig. 2. a –) wie bey den Vögeln.

Die Scheide (– c –) ist anderthalb Zoll
lang. Am Ende derselben ist bie Oeffnung des
[Seite 724] Harnwegs (– d –), und zu dieser ihren bey-
den Seiten zwey andre Mündungen, (– ff –)
die zu zwey Hölen (– gg –) führen, welche
den beyden Hörnern an der Gebärmutter der
Quadrupeden gleichen. Jede dieser Hölen endi-
get sich in eine Fallopische Röhre (– hh –)
die sich zuletzt in die Capsel eines Eyerstockes
(– ii –) öffnet. – Dieser Bau ähnelt dem
von den Gebärmüttern derjenigen Eidexen, die
zwar ein Ey bilden, das aber nachher erst in ei-
ner Cavität die dem Uterus andrer Thiere äh-
nelt, aufgenommen, und bis zum Auskriechen des
Jungen behalten wird, welche Eidexen daher ovi-
vivipara
genannt werden können. Auch bey die-
sen finden sich zwey Gebärmütter, die sich in ei-
ne gemeinschaftliche Scheide öffnen, und ihr Harn-
organ liegt zwischen diesen Oeffnungen. Beym
Seehund-Hay (Dog-Fish, Synalus canicula
und catulus) der auch ein ovi-viviparum ist,
haben die innern Sexualorgane des Weibchens
einen diesem sehr ähnlichen Bau; und es ist da-
her alle Ursache zu glauben, daß das Schnabel-
thier ebenfalls in seiner Fortpflanzungsweise ovi-
viviparum
sey.

Von Zitzen war keine Spur zu finden.

[Seite 725]

Die Fleischhaut (panniculus carnosus),
ist ausnehmend stark, und erstreckt sich über den
größten Theil des Körpers.

Das Thier hat 16 Rippenpaare.

Vor dem ersten Paare, am vordern Rande
des Brustbeins, ist noch ein besondrer ansehn-
licher Knochen angefügt, dessen vordre Seiten-
theile gleichsam die Stelle des Schlüsselbeins ver-
treten, und der in Verbindung mit den daran zu
einem Stücke verwachsenen Schulterblättern, eine
fast Beckenähnliche Form hat.

Das eigentliche Becken ist sehr schmal und
eng, und am vordern Rande der Schambeine
sitzen (– fast wie bey dem Känguruh und andern
Boutelthieren –) ein Paar cornua pelvis abdo-
minalia
.


Noch ein paar Worte zur Erklärung
der Figuren.

[Seite 726]
* * *

Taf. XII. Fig. 1.

aa. Die Geilen.

bb. Die Nebengeilen.

c. Die Harnblase.

d. Der Mastdarm.

Fig. 2.

bb. Die Ränder des abgeschnittnen Mast-
darms
.

e. Die Harnblase.


[Tab. XII]
Taf. XII.xxx
Notes
*).
[Seite 719]

*) – ‘if they can be so called’ –

* * *

In der ersten Nachricht, die ich von diesem
Wunderthiere nach dem Exemplare gegeben habe,
[Seite 720] das ich der Güte des Hrn. Baronet Banks ver-
danke, (– s. den II. B. dieses Magazins S. 205
u.f. –) beschrieb ich es als zahnlos, und damit
stimmte auch Hrn. Dr. Shaw’s Beschreibung ei-
nes andern Exemplars überein, der ebenfalls da-
von sagte: Dentium nulla sunt vestigia, (– s. eben
das. S. 286 u.f. –) Allein Hr. Ever. Home wi-
derlegte das ganz bestimmt und entscheidend, als eine
gar voreilige Angabe in einem Aufsatze in den philo-
sophical Transactions
, wovon im III. B. des
Magazins S. 78 u.f. ein Auszug gegeben worden.
Nun kamen mir zwar diese sogenannten Zähne,
die nach dieser Berichtigung weder Wurzeln noch
Zahnzellen haben sollten, ziemlich paradox vor.
Inzwischen dürfte mich das allein an einem so
abentheuerlichen Geschöpfe eben nicht sehr befrem-
den, – hatte ich es doch selbst Ornithorhynchus
paradoxus
benahmt. Daß aber nun nach obi-
gem neuern Aufsatz desselben Verf. jene vorgeblichen,
erst so bestimmt und entscheidend von ihm behaup-
teten Zähne, auch nicht einmal weder substantia
vitrea
noch ossea haben, sondern ihre Structur
mit der von der innern Haut des Hünermagens
verglichen wird, das dünkt mir fürwahr Hyper-
paradox
, und ich muß es dem Urtheil der Leser
überlassen, ob sie diese Organe, sey’s nach dem
[Seite 721] gemeinen Sprachgebrauch, oder nach der wissen-
schaftlichen anatomischen und naturhistorischen Ter-
minologie, für Zähne eines warmblütigen Quadru-
peds anerkennen wollen.

J.F. Blumenbach.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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