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J.H. Voigts
Magazin
für den neuesten Zustand
der
Naturkunde
,
mit Rücksicht auf die dazu gehörigen
Hülfswissenschaften.

Fünften Bandes
I. Stück.

Jahrgang 1803.
Januar.

Weimar,
im Verlage des Industrie-Comptoirs
1803
.

1.
Das Mammut-Ohioticum, nun
wirklich in London!

[[I]] [[II]] [[III]] [[IV]] [Seite 1]

Nun so ist denn H. Peale der Sohn, mit ei-
nem der beyden colossalischen Mammut-Skelete,
die sein Vater mit großen Kosten und unsäglicher
Mühe in der neuen Welt nach und nach ausgra-
ben lassen, glücklich in der alten angekommen,
und giebt in einer so eben erschienenen Schrift,*)
[Seite 2] die wir vor uns haben, nähere Nachricht von die-
sem auf 1000 Pfund wiegenden Knochenberg des
ungeheuersten von allen Incognitis der Urwelt.

Voran geht einiges von den frühern Notizen
vom Mammut, seit den Zeiten des Dr. Mather,
der 1712 die erste, freylich sehr abentheuerliche
Nachricht davon in einem Briefe an Woodward
gegeben, wo er diese Knochen einem Enackskinde
der alten Welt zuschrieb, das, seinem Ermessen
nach, so circa ein 75 Fuß lang gewesen seyn
müßte.

Dann folgt die Entdeckungsgeschichte und Be-
schreibung der beyden fast vollständigen Gerippe
selbst.

Der Vater des Verf., Hr. C.W. Peale,
ein bekannter eifriger Naturaliensammler in Phi-
ladelphia, erfuhr im Frühjahr 1801, daß zu En-
de des J. 99 eine Menge Mammutsknochen in
den Morästen von Schawangunk ohnweit New-
burgh in Newyork entdeckt seyen, reiste sogleich
(200 englische Meilen weit) dahin, und erkaufte
sie von dem Besitzer, einem Oeconomen, aus dessen
Grund und Boden sie ausgegraben worden. Es
war der größte Theil eines ganzen Gerippes, und
nach der Erndte, da der Boden frey ward, ließ
[Seite 3] er nun selbst, wie gesagt, mit unsäglichem drey-
monatlichen Aufwand von Mühe und Kosten,
durch 25 Arbeiter dem übrigen weiter nachgraben.

Bald nachher gelangte er auch in den Besitz
eines großen Theils von einem zweyten Gerippe,
das 20 englische Meilen westlich vom Hudsons-
fluße entdeckt ward.

Beyde wurden nun die 200 Meilen weit nach
Philadelphia transportirt und dort zusammenge-
setzt, indem man die Lücken am Einen durch
Gypsabgüße vom Andern ausfüllte, so daß jetzt
nichts weiter fehlt, als der Obertheil des Schädels
und das Ende der Schwanzrippe.

Das eine dieser prodigiosen Knochengerüste ist
im Museum zu Philadelphia aufgestellt, das an-
dre soll nun bekanntlich die Tour von Europa
machen.

Es ähnelt dem vom Elephanten zwar in so
fern, daß es mit Stoß- oder Elfenbeinzähnen ver-
sehen ist; aber sie unterscheiden sich doch auffal-
lend von der Elephanten ihren, da sie beym Mam-
mut einen doppelten Bug haben, wovon der grö-
ßere selbst weit stärker gekrümmt ist, als bey jenen
größten Landthieren der jetzigen Schöpfung, der
[Seite 4] kleinere aber eine Spiralwindung macht, fast wie bey
manchen Ochsenhörnern; auch liegen die Alveolen
beym Mammut mehr horizotal. – Uebrigens
vermuthet Hr. P., daß es auch wahrscheinlich ei-
nen Rüssel gehabt haben müsse. Eben so kommt
es in Rücksicht der 19 Brustwirbel und eben so
vieler Rippenpaare, so wie in den 3 Lendenwir-
beln mit dem Elephanten überein.

Hingegen unterscheidet es sich von demselben,
außer jener eignen Windung der Stoßzähne, haupt-
sächlich noch

a) in der Schedelform; zumal des Hinterkopfs
und Unterkiefers. Jenem fehlt z.B. die tiefe
Grube, worin beym Elephanten das vordre Ende
sfeiner ungeheuren Nackensehne inne sitzt, und bey
der Kinnlade (die 63½ Pfund wiegt) machen die
Seitenflügel einen starken Winkel, statt daß sie
beym Elephanten bogenförmig nach den Condylis
hinaufsteigen, welche letztere beym Mammut auch
mehr in die Breite gezogen sind, nicht so rund-
liche Knöpfe bilden, als beym Elephanten.

[Seite 5]

b) In der eignen Form der 8 Backenzähne*);
deren Kronen überdem bey diesem Skelett auf eine
merkwürdige Weise abgeschliffen sind, nicht hori-
zontal, sondern schräg, nämlich von den vor-
dern
der untere nach innen und der obere nach
außen; von den hintern hingegen gerade um-
gekehrt, der untere nach außen und der obere nach
innen, so daß sie durchaus keine Seitenbewegung
des Unterkiefers gestatten, sondern fest auf und
in einander schließen, woraus denn der Verf. in
Verbindung mit andern Umständen, z.B., der
ganz mit Schmelz überzogenen Krone, der durch
Scheidewände von einander abgesonderten Alveo-
len etc. folgern will, daß das Mammut allerdings
ein fleischfressendes Thier gewesen seyn müsse.**)

[Seite 6]

c) In der Form des Rückens, der nach allem
Anschein beym Mammut scharf, wie am Schwein,
nicht flach und breit wie beym Elephanten ge-
wesen.

d) Besonders aber auch noch in der ganz un-
erhört anomalischen Zahl der Halswirbel, als de-
ren an beyden Skeleten nur 6 seyn, und diese
doch so zusammen passen sollen, daß man nicht
glauben könne, daß der 7te etwa nur nicht aufge-
funden sey.

Die Höhe des Gerippes beträgt über den
Schultern = 11 Fuß,

Ueber den Hüften = 9.

Die Länge vom Kinn bis zu Ende der Becken-
knochen = 15.

Von der Spitze der Stoßzähne bis zum
Schwanzende (so viel davon da ist) in gerader Li-
nie = 20.

Hingegen nach der Krümmung jener Zäh-
ne, und des Schädels und Rückens = 31.

[Seite 7]

Die Länge der Stoßzähne selbst = 10 Fuß
7 Zoll.

Und ihr Umfang = 21 Zoll.

J.F. Blumenbach.


Notes
*).
[Seite 1]

Account of the Skeleton of the Mammoth, a
non-descript carnivorous animal of immense
Size, found in America. By Rembrandt
Peale
,
the Proprietor. Lond.
1802. 46 S.
in Quart.

*).
[Seite 5]

S. Blumenbach’s Abbildungen natur-
hist
. Gegenstände. 2. Heft, Taf. 19. Fig. A.
Nach einem Exemplar, das ihm aus dem Britti-
schen Museum überlassen worden.

**).
[Seite 5]

Aber alle diese hier angeführten Umstände dünken
uns doch für Hrn. Peale’s Meynung nichts we-
niger als entscheidend; da sich solche Beschaffenhei-
ten des Gebißes sowohl auch bey manchen bloß Gras-
fressenden Thieren, z.B. beym Murmelthier, als
bey den multivoris, wie z.B. beym Schwein-
dachs etc. finden.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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