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J.H. Voigts
Magazin
für den neuesten Zustand
der
Naturkunde
,
mit Rücksicht auf die dazu gehörigen
Hülfswissenschaften.

Zwölften Bandes
VI. Stück.

Jahrgang 1806.
December.

Weimar,
im Verlage des Industrie-Comptoirs
1806
.
[[585]] [Seite 586]

I.
Naturhistorische Miscellen, meist aus
Briefen an J.F. Blumenbach.

[Seite 481]

1) Ueber die alten Aturer am Orinoco.

(Aus einem Briefe des Hrn. Kammmerherrn von
Humboldt
. Bey Gelegenheit eines höchst sel-
tenen und überaus charakteristischen Schädels von
jenem berühmten Volke, womit der Hr. Kam-
merherr meine Sammlung bereichet hat. Eine
[Seite 482] vorläufige Nachricht von diesem merkwürdigen
Kopfe ist in den Göttingischen gelehrten
Anzeigen
St. 157 v.d.J. gegeben. Aus-
führlicher wird er in der Decas quinta colle-
ctionis craniorum diversarum gentium
be-
schrieben und abgebildet.

Man nennt Alto-Orinoco die unbekannte
Welt, südlich von dem Cataracten von Atures
und Maypure. Atures habe ich lat. 5°
39′ 10″, Maypure 5° 13′ 4″ gefunden. In
Atures sprechen die Indianer jetzt die Sprache
der längst ausgestorbenen Nation der Maypur-
rer
, und in Maypure selbst hingegen die der
Guareken. In dem Wasserfalle von Atures
und etwas südlicher am Ufer des kleinen Bachs
Cataniapo sind die jetzt berufnen Grabhöhlen.
Die Indianer haben sie lange verheimlicht, aber
der Franziskanermönch Zea hat sie besucht und
uns gezeigt. Man glaubt, die ausgestorbene Na-
tion der Aturer habe, von Feinden gedrängt,
zuletzt auf den Felsen im Wasserfalle gelebt, und
dort ihre Grabstätte für sicher und unverstörbar
gehalten. Wie besuchten im May 1800 die Höh-
le von Atarnipa. Man ersteigt fast mit Ge-
fahr die steile Granitwand. Die Höhle (Cueva)
ist ein durch ehemalige Wasserrevolutionen aus-
gehöhlter Granitfels, der weit überhängt. Ro-
mantischer ist schwerlich etwas zu denken. Herr-
[Seite 483] liche Palmgebüsche umher, das Toben und Schäu-
men der Cataracten, in der Ferne das blaue Ge-
birge Uniama. Ich vergesse diesen Eindruck
nie. – Wir zählten an 600 vollständige. Ske-
lette; jedes in einen Korb von Palmblättern, den
man Mapire nennt, eingewickelt. Selbst die klein-
sten Kinder sind so eingepackt. Keine Phalange
fehlt. Sie Knochen sind auf dreierlei Art zu-
bereitet. Theils nämlich bloß gebleicht, theils mit
Onoto (Bixa orellana) roth gefärbt, theils
als Mumien mit wohlriechendem Harz und Blät-
tern eingeknetet. Von den letztern ist uns ein
Theil eines Skelettes in dem Schiffbruch verlo-
ren gegangen, den unser Freund, der Mönch
Juan Gonzales, an der afrikanischen Küste
erlitten. Die Indianer erzählen, man habe die
Leichen erst auf einige Monate in die Erde ge-
graben, bis das mehreste Muskelfleisch verzehrt
worden, dann sey das übrige desselben von dem
Geripee mit scharfen Steinen abgeschabt worden.
Außer jenen Mapires (wie Körbe oder geflochtene
Säcke) giebt es auch Sarcophagen von unge-
branntem Thon, 4 Fuß lang, 3 Fuß hoch, mit
Einfassungen von sogenanntem à la Grecque ge-
ziert und mit Crocodillen bemalt. Diese Behäl-
ter sind voller Knochen; vielleicht von ganzen Fa-
milien. Alles zeigt beträchtliche Kultur dieses al-
ten Volkes an. Die Indianer sahen mit großem
[Seite 484] Unwillen, daß wir in diesen Knochen wühlten.
Mit Verwunderung fanden wir hier auch zwei
Schädel von der europäisch-caucasischen Bildung.
Varietäten der Atures waren es nicht. Viel-
leicht Zamben oder Mestissen, die sich verlaufen
und friedlich unter diesen Indianern gelebt hat-
ten. Die Atures waren verwandt mit den
Macos und Piraoas, gutmüthige Völkchen,
welche noch existiren und in dieser Nähe hausen.
Gegenüber am linken Orinoco-Ufer wohnen die
ungeschlachten rohen Otomaken, Guamen
und Guahiben. – So viel von der Cueva
de Atarnipa
, die wahrscheinlich ihren Namen
von einem alten Heerführer hat.

* * *


Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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