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MONATLICHE
CORRESPONDENZ
ZUR BEFÖRDERUNG
DER
ERD- UND HIMMELS-KUNDE,

Herausgegeben
vom
Freyherrn F. von ZACH,
Herzoglichen Sachsen-Gothaischen Oberhofmeister.

XXIV. BAND.

GOTHA,
im Verlage der Beckerschen Buchhandlung.
1811
.
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XLIII.
Über
Herrn Röntgen’s Reise nach dem
innern Afrika
.

[Seite 466]

Von
Herrn Hofrath
Blumenbach.


Göttingen, den 13. Oct. 1811.

Die Monatl. Corresp. hat vormals die ersten Nach-
richten von unsers Hornemanns Entdeckungsreise
ins innere Afrika dem Publicum mitgetheilt, und so
darf ich mir wohl jetzt in eben dieser classischen
Zeitschrift auch einen Platz für einige Notizen von
seinem Nachfolger dahin, ebenfalls einem meiner
treuen geliebten Zuhörer, dessen im August-Stück
S. 183 schon beyläufig Erwähnung geschehen, er-
bitten.

G. Heinr. Röntgen, der jüngste Sohn des
schon vor einigen Jahren verstorbenen, wegen seiner
eben so unübertrefflich kunstreichen und geschmack-
vollen, als kostbaren Arbeiten allgemein berühmten
Ebenisten zu Neuwied, kam im Herbst 1807 nach
Göttingen, und gerade zu mir, um sich zu Vorle-
sungen zu melden, zugleich aber auch mir zu eröff-
nen, dass er nun schon seit mehreren Jahren für
Afrika lebe, und nun herkomme, sich bey uns vol-
lends zu einer Reise ins Innere dieses so wichtigen
und so wenig bekannten Erdtheils vorzubereiten.

[Seite 467]

Ich fand sehr bald, und nachdem wir zusam-
men warm worden waren, in den zwey Jahren die
er bey uns zubrachte, je länger destomehr, dass die-
ser treffliche junge Mann – wenn je Einer – zu
solch einem Unternehmen wie vom Himmel beru-
fen sey. Alle körperliche und intellectuellen Erfor-
dernisse zu solch einer Expedition, waren bey ihm
aufs glücklichste vereint. So hatte er namentlich
das grosse aber seltne Talent der Kunst zu sehen in
einer ganz eminenten Vollkommenheit, und dazu
ein Gedächtniss, das schnell fasste, treu bewahrte
und alles gesuchte sogleich wiedergab, und wodurch
er sich schon eine reiche Masse von soliden Vorkennt-
nissen zu seinem Zweck gesammelt hatte, die er nun
hier mit ernstem rastlosen Eifer immer mehr zu er-
weitern und zu vervollkommen suchte. Dabey ver-
wandte er den grössten Theil seiner Musse auf zwey
besondere wichtige Arbeiten; auf eine vergleichende
critische Revision alles dessen, was wir bis jetzt vom
Innern von Afrika wissen, und auf ein arabisches
Wörterbuch, ganz zum Gebrauch für seine Reise.
Und dazu erhielt er ein unschätzbares Hülfsmittel.
Ein Mitglied der evangelischen Brüdergemeinde, oder
sogenannten Herrnhuter, Herr Pilder, der lange Jah-
re in Aegypten gelebt, hatte sich ein arabisches Lexi-
con – nicht für gelehrtes Studium dieser Sprache,
sondern einzig zum Behuf des leichtern Verkehrs
unter den Völkern, welche dieselbe reden, verfertigt.
Einige tausend Quartseiten zum Wunder nett calli-
graphisch geschrieben. Das war unserm Röntgen,
der zu dieser respectablen Gemeinde gehört, überlas-
sen, und er hatte sich nun einen völlig gleichen
[Seite 468] Quartanten weissen Papiers von gerade eben so vie-
len Seiten paginirt, und trug nun seine Zusätze und
Bemerkungen aus dem Unterrichte, den ihm unser
Herr Prof. Tychsen ertheilte und aus häusslichem
Studium hinein. Vom Umfange aber und von der
Reife seiner Kenntniss dessen was über das innere
Afrika bekannt worden, habe ich mich hundertmal
zu meiner grossen Zeitersparniss überzeugt, wenn
er mir meine Fragen über irgend einen noch so spe-
ciellen dahin einschlagenden Gegenstand meist aus
dem Stegreif und mit pünctlicher Angabe der theils
sehr wenig bekannten Quellen, beantwortete. Eine
Probe dieser Kenntnisse hat er in einem Aufsatz über
die Bewohner von Gingiro, südlich von Habessi-
nien gegeben, der sich im ersten Bd. von Bertuchs
und Vaters Archiv für Ethnographie findet.

Ins Innere von Afrika zu reisen, war sein un-
wandelbarer Vorsatz. Von welcher Seite aber und
auf welchem Wege er dahin gelangen werde, das
musste er den Umständen überfallen.

Eben deshalb suchte er sich aber auch für jeden
Weg und auf alle Weise vorzubereiten. So hat er
z.B. als Vorübung hier eine geraume Zeit hindurch
tagtäglich auf Habessinisch rohes Rindfleisch in dün-
nen Scheiben gegessen; eine Kost, die auch gar man-
che seiner Bekannten aus Neugier versucht und eben
so schmackhaft als leicht verdaulich gefunden, u.
dgl. m.

Nicht blos die sehr begreifliche Möglichkeit, wie
ein unter fernen Völkern in Afrika als Muselmann
reisender Fremdling wohl in den Fall kommen könn-
te, sich darüber auf alle Weise legitimiren zu müs-
[Seite 469] sen, sondern selbst physische Ursachen machen es ei-
nem solchen Reisenden räthlich, sich vorher bey Zei-
ten der kleinen Operation der Beschneidung zu un-
terwerfen. Denn der ursprüngliche Zweck dersel-
ben mag gewesen seyn welcher er wolle, so ist so-
viel unwiderredlich ausgemacht, dass dadurch in
den tropischen Erdstrichen ein leicht lästiger Reiz
verhütet wird, welchem, wie wir aus den zuver-
lässigsten Reisebeschreibern wissen, unbeschnittene
Fremde in jenen heissen Gegenden leicht ausgesetzt
sind. Auch hat daher schon vor fünftehalb hundert
Jahren der grosse Restaurator der Chirurgie und päbst-
liche Leibarzt Guy de Chauliac (Guido de Caulia-
co
) die Beschneidung als ein Vorbauungsmittel ge-
gen jenes tropische Uebel mit dem ausdrücklichen
Zusatze empfohlen, dass deswegen die Juden und
Muhamedaner von demselben befreyt blieben.
‘”Propterea”’ – wie er sagt – ‘”quod non congre-
gantur sordities in radice balani et calefacerent ip-
sum.
”’

Zu den nöthigsten Vorbereitungen zu seiner gro-
ssen Expedition rechnete Herr Röntgen vorzüg-
lichst auch weite Fussreisen, deren er vor und wäh-
rend seines hiesigen Aufenthalts gar manche gemacht;
und so wenig er sich dabey einzuschränken gebraucht
hätte, so absichtlich versagte er sich dann doch ge-
rade zur Vorübung alle entbehrliche Bedürfnisse und
Bequemlichkeiten, und scheute selbst Bürde so we-
nig, dass er z. B, auf einer Ferienreise, die er von
hier ans nach der Schweiz und Savoyen machte, ein
junges Murmelthier, dergleichen ich mir wohl eher
[Seite 470] zu einigen Untersuchungen gewünscht hatte, vom
Chamouni Thale für mich hieher brachte.

Nach einem zweyjährigen Aufenthalte bey uns
ging er nach England, um von da, wie er gedacht-
te, entweder mit Herrn Salt, der bekanntlich nach
Habessinien gesandt worden, oder aber durch die
African Association das grosse Ziel seines vieljähri-
gen Wunsches zu erreichen. – Allein beydes schlug
ihm fehl. Herr Salt, der vormalige Begleiter des
Lord Valentia auf dessen weiten Reisen, der nun die
Gegengeschenke an den Kaiser von Habessinien brin-
gen sollte, war schon nach dieser seiner Bestimmung
abgegangen, und die afrikanische Gesellschaft hatte
ihrerseits ebenfalls schon einen neuen Emissair,
Herrn Burkhard abgeschickt.

Dafür bahnte aber unserm Röntgen sein Glücks-
stern ganz unverhofft einen andern Weg, auf wel-
chem er noch dazu völlig unabhängig, und doch
nach aller Wahrscheinlichkeit aufs sicherste, die Rei-
se nach Afrika unternehmen konnte. Und das ging
so zu:

Ohngefähr sechs Wochen nach seiner Ankunft
in England, war wie bekannt, hier in Deutschland
Lord Bathurst auf seiner Heimreise von Wien, bey
Perleberg in der Churmark verschollen. Seine dar-
über trostlose Gemahlin lernt unsern Röntgen in
London kennen. Er, der allzeit fertige Reisende,
bey welchen sich diesmal auch wohl Neben-Ideen
von Ritterpflicht associirt haben können, unternahm
es noch im gleichen Winter nach Deutschland zu-
rückzukehren, um alle ihm mögliche Nachforschung
anzustellen. Im Sommer kam Lady Bathurst selbst
[Seite 471] nach, und beyde gingen Anfangs Augusts vorigen
Jahres über Göttingen nach Paris und von da zurück
nach London.

Die Bereitwilligkeit, womit der junge Mann
die ernste eifrige Vorbereitung zu seiner grossen Reise
durch ein so ganz fremdartiges beschwerliches Ge-
schäfte, als jene Nachforschung für ihn seyn musste,
unterbrach, und damit die Ausführung jenes Plans,
deren Beschleunigung ihm so sehr am Herzen lag,
wenigstens um ein volles halbes Jahr verzögerte, die
ward ihm aber auch durch die erkenntliche Freyge-
bigkeit der edlen Lady dahin vergolten, dass er zu
seiner Reise nun nicht nur mit allem was er nur da-
zu wunschen mochte aufs reichlichste ausgestattet,
sondern überhaupt in eine Lage versetzt ward, wo
er sie, wie gesagt, ganz unabhängig, und selbst für
die Zukunft versorgt unternehmen, und am 14. Jan.
dieses Jahres von Portsmouth nach Mogadore abrei-
sen konnte.

Was ihm aber nach aller eingezogenen Kund-
schaft und reiflicher Überlegung durchaus bestim-
men musste, den Weg über Marocco allen andern
vorzuziehen, das war hauptsächlich das eben bey
seiner ersten Ankunft in London erschienene classi-
sche Werk von James Gray Jackson, der 25 Jahre
in diesem Theile von Afrika gehausst hatte; sein
Account of the Empire of Marocco and the District
of Suse
to which is added an accurate Account
of Tombuctoo the great Emporium of central Afri-
ca.
– Noch habe ich es nicht selbst gesehen; aber
[Seite 472] Röntgen hat mir seine ausführlichen Excerpte dar-
aus überschickt, zumal was das directe Verkehr
zwischen Marocco und Tombuctu betrifft, aus wel-
chen sich denn offenbar ergibt, dass von allen We-
gen, die ihn offen standen, kein anderer so leicht
und so sicher als gerade dieser zu seinem grossen
Ziele zu führen scheint.


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Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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