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xxx
Goettinger Taschen
CALENDER
vom Jahr
1790.
bei Joh. Chr. Dieterich.

Tschercassische
Mädchen.

[Seite 114]

Tschercassien ein ansehnliches Land am Fuße
des Caucasus in der Erdenge zwischen dem
Caspischen und dem schwarzen Meere, ist
[Seite 115] wohl den mehresten unsrer Leser bloß durch
das Landesproduct bekannt, das dieser Ar-
tikel zur Aufschrift hat. Und da doch über
den Vertrieb dieses Products so manche ir-
rige und theils widersprechende Vorstellungen
noch ziemlich allgemein im Gange sind, und
doch gerade jetziger Zeit bey Anlaß des Tür-
kenkriegs desselben oft Erwähnung geschieht,
so wird man hoffentlich diesen Aufsatz hier
nicht am unrechten Orte finden.

Die so allgemein berühmte Schönheit der
Tschercassischen Mädchen, worin sie selbst den
Georgianischen und Mingrelischen weit vorste-
hen, scheint ihren Grund theils zwar in dem
milden glücklichen Himmelsstrich unter dem
sie geboren werden, mehr aber wohl noch in
der sorgfältigen Erziehung zu haben, die bey
diesem Volke fast ganz auf Erhaltung jener
Vorzüge abzweckt.

Die feine Haut sichern die Mütter ihren
Töchtern schon in den ersten Kinderjahren durch
die Einimpfung der Pocken, welche wohlthä-
tige Operation bekanntlich eben aus Tschercas-
sien erst nach Constantinopel, von da nach
[Seite 116] London und Hannover, und nachher erst ins
übrige Europa übergegangen ist. Die schlanke
Taille zu erhalten, näht man den kleinen
Mädchen den Unterleib fest in einen breiten
ledernen Gurt ein, der ihnen nie abgenom-
men, sondern bloß wenn er mit zunehmen-
dem Wachsthum endlich platzt, mit einem
andern eben so dicht anpassenden vertauscht
wird. Erst wenn sie heurathen, löset ihn der
Bräutigam am Hochzeitabend mit seinem
Dolch.

Sie werden von Kindheit an zu elegan-
ten Weiberarbeiten, nähen, stricken etc. ange-
führt, wovon das Göttingische Museum un-
ter den Geschenken des Hrn. Baron von
Asch merkwürdige Proben besitzt. Die gleiche
Sorge wird auf ihr Betragen, Anstand etc.
gewandt. Und daß sie auch selbst in dem
was man feinen Ton nennt ihren obgedach-
ten, übrigens auch wegen ihrer Schönheit
berühmten Nachbarinnen in Georgien überle-
gen seyen, wird wenigstens allgemein ver-
sichert. Die türkischen Grosherren hatten vor-
dem Georgianerinnen und Tschercassierinnen
[Seite 117] in ihren Harems. Allein es ist eine bekannte
und noch neuerlich von Hrn. Peyssonel wie-
derholte Erzählung, daß ein Sultan, der eine
Nacht mit einer der erstern zugebracht, sie ge-
fragt, ob es bald Tag würde? ‘„ja„’ ant-
wortete sie, ‘„denn ich merke das an einem ge-
wissen Bedürfniß was mich immer gegen
Morgen um die Zeit anwandelt.„’ Der Sul-
tan fand die Antwort zu naiv, und beurlaubte
seine Dame sogleich. Ein paar Tage nach-
her that er einer Tschercassierin die an jener
ihre Stelle gekommen war, die nämliche Frage.
Sie antwortete: ‘„ja, Aurora kommt, ich merke
daß der Morgenzephyr schon mit ihren Locken
spielt.„’ – Diese freylich nichts weniger als
naive Antwort war so nach des Sultans Ge-
schmack, daß er sichs und seinen Nachfolgern
von Stund an zum Gesetz machte, nie eine
andre als eine Tschercassierin mit seinem nä-
hern Umgang zu beehren.

Die Tschercassierinnen sind bey einer durch
das gedachte Einnähen des Unterleibes zum
umspannen schlanken Taille doch übrigens von
einem blühenden vollen Fleisch was durchge-
[Seite 118] hends bey den Türken zur höchsten Schönheit
gerechnet wird. Das non plus vltra in ihren
Augen ist, wenn sie von einer Dame sagen
können: ‘„ihr Antlitz ist wie der volle Mond
und ihre Hüften wie Polster.„’

Die Farbe der Augen und Haare ist bey
den Tschercassierinnen verschieden. Es gibt
Mädchen mit schwarzen und welche mit blauen
Augen: welche mit schwarzen, andre mit blon-
den, noch andre mit rothem Haar. In ih-
rem Vaterlande findet man diese letzte Farbe
so über alles schön, daß sich auch die Blon-
dinen ihr Haar mit besondren Pomaden roth
färben.

Bey diesen vielseitigen Vorzügen der Tscher-
cassierinnen begreift sich der hohe und fast
ausschließliche Werth sehr leicht worin sie bey
den Morgenländern, nahmentlich bey den Tür-
ken, Persianern, und bey den vornehmen
Crimmischen und Nogayischen Tattaren ste-
hen. Bey den letztern ist durch die Vermi-
schung mit dem Tschercassischen Blute ihre
sonst nichts weniger als angenehme National-
bildung nach und nach so verschönert, daß
[Seite 119] man jetzt unter den vornehmern Rogayern etc.
viele Gesichter findet die sich der mütterlichen
Schönheit nähern.

Eben jener hohe Werth worin die Tscher-
cassische Mädchen bey den gedachten Völkern
stehen, gibt den Grund warum gewöhnlich
die Eltern solcher schönen Töchter dieselben sehr
willig jenen Fremden überlassen und um ihren
Preis zu erhöhen so viele Sorgfalt auf ihre
körperliche Bildung und übrige Erziehung
verwenden. Die Aussicht in das blendende
Glück daß diesen Töchtern dann bevorsteht,
da manche vielleicht Sultaninnen werden kön-
nen u. dergl., macht den Müttern die Tren-
nung von denselben nicht bloß leicht, sondern
erwünscht, vollends die reiche Ausstattung an
nützlichen Waaren dazugerechnet, die nicht sie
den Töchtern, sondern die Armenischen und
Crimmischen Menschenhändler ihnen den Müt-
tern selbst geben.

Freylich wird aber auch ein großer Theil
dieser schönen Mädchen nicht erkauft, sondern
geraubt, – und das vorzüglichst durch die in
jenen Gegenden, zumahl auf Menschenraub
[Seite 120] herumstreifenden und wegen ihres unüber-
windlichen Löwenmuthes allgemein berühmten
Lesghier, die dann ihre schöne Beute wieder
an gedachte Sklavenhändler verkaufen.

Der Hauptmarkt für den Tschercassischen
Mädchenhandel ist (oder war wenigstens bis-
her) zu Caffa in der Crimm, wo überhaupt
dieses Gewerbe den beträchtlichsten Zweig des
Commerces ausmacht. Die Kaufleute aus
Rumili (Griechenland) und Natolien (Klein
Asien) ziehen zu gesetzten Zeiten dahin zur
Messe, doch hatte ehedem der Khan allemahl
zuerst das Aussuchen.

Der Preis für eine Tschercassierin ist
freylich äußerst relativ. Doch z.B. für ein
schönes junges Mädchen mit recht rothem
Haar gewöhnlich 12 bis 14 Beutel Türkisch,
d.i. 6 bis 7000 Piaster oder Gulden.

Es ist eine oft nachgeschriebne Sage, daß
es sowohl Christen als Juden, von welcher
Nation sie auch seyn möchten, verboten sey,
Tschercassische Mädchen zu kaufen, und das
aus dem Grunde, weil die Tschercassier zu
den Mohamedanern gerechnet würden. Dieß
[Seite 121] Verbot kann vielleicht in der Türkey etc. gel-
ten: aber weder in Tschercassien selbst, noch
auf dem Markte zu Caffa, scheint man da-
von Notiz zu nehmen. Wie de la Motraye
Tschercassien durchreiste, both man ihm öf-
ters hübsche Mädchen zu Kauf an. Und wie
noch neuerlich Hr. Kleemann in Caffa war,
wurden ihm ebenfalls Tschercassierinnen an-
gestellt. Eine davon, die 18 Jahr alt seyn
sollte, und nach seiner Beschreibung einen
ansehnlichen Wuchs, schlanken Leib, guten
Gang, hellblondes Haar, große blaue Au-
gen, eine etwas lange Nase und reizende
Lippen, weisse schön gereihte Zähne, eine
blendende Haut, einen etwas langen Hals und
den schönsten Busen hatte, ward ihm von ihrem
Armenischen Verkäufer für 4000 Piaster an-
gebothen.

Andre Schriftsteller haben gerade im Ge-
gentheil behaupten wollen, es gebe vielmehr
in den Harems der Türken keine wahre Tscher-
cassierinnen, denn dieses wären rechtgläubige
Christen, und zur Knechtschaft zu edel (– dieß
sind die Worte eines der größten Völker- und
[Seite 122] Länderkenners unsrer Zeiten, der sich dabey auf
sichre Nachrichten beruft –). Der Irrthum
kann daher entstanden seyn, weil wirklich
einmahl die christliche Religion unter den
Tschercassiern eingeführt war, da nähmlich
Czaar Iwan Wasiliowitsch um die Mitte des
XVIten Jahrhunderts sich ihres Landes be-
mächtigte. Aber sie sind kaum hundert Jahre
lang der griechischen Kirche zugethan gewesen,
sondern aus Mangel an Unterricht ist nun
wenigstens seit eben so langer Zeit das Chri-
stenthum unter ihnen unbekannt, und sie
bekennen sich dagegen wieder zur mohameda-
nischen Religion von der Sunnischen Secte.

Im Grunde aber, scheinen sie überhaupt
eben so wenig eifrige Mohamedaner als Chri-
sten zu seyn. Wenigstens wußten die Rus-
sen schon vor 60 Jahren, daß bey Verträ-
gen mit den Tschercassiern ihr Eid auf den
Koran so unzuverlässig war, als wenn sie
auf die Bibel schworen, und fügten ihm also
eine Clausel bey, die tiefern und heiligern
Eindruck auf sie machte: ‘breche ich diesen Eid,
[Seite 123] so werde mein Weib zur Hure und ich
zum Schelm.„’


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Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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