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GOETTINGER
Taschen
CALENDER
für das Jahr
1792.
beÿ Joh. Christ. Dieterich.

Von der
Aeolus-Harfe.

[Seite 137]

Die Vorstellung von einer Folge harmoni-
scher Töne, die ohne bestimmte Melodie sanft
anschwellend, nach und nach wieder wie
in der Ferne hinsterben, gleich den Bewegun-
gen einer erquickenden Frühlingsluft, hat, ob
ich gleich nie etwas von der Art gehört habe,
doch immer viel reitzendes für meine Phanta-
sie gehabt. Ich glaube, ich habe die erste
Idee hiervon in den Jahren der Kindheit von
dem singenden Baum in den tausend und
einer Nacht aufgefangen. Dieser Baum,
wenn ein Luftchen seine Blätter bewegte, ließ
entzückende Töne hören, die mit dem Winde
sich hoben und sich mit ihm wieder verloren.
Eine Stelle in des phantasiereichen Zaube-
rers, Spenser’s Ruins of time, werde ich da-
her nicht müde zu lesen. Er sah Orpheus
Harfe nach dem Himmel steigen, und hörte
[Seite 138] in diesem Fluge die Saiten von dem Winde
gerührt himmlische Töne verbreiten. Ich setze
sie ganz her:

I saw an harp strung all with silver twine;
At length out of the river it was rear’d,
And borne about the clouds to be di-
vined:
Whilst all the way most heavenly noise
was heard
Of the strings stirred with the warb-
ling wind.

Nach allem was ich von der Aeolus-Harfe
gehört und gelesen habe, ist durch sie meine
Vorstellung größtentheils realisirt, und was
würde ein solches Instrument in Deutschland
unter den Händen der Hrn. Chladni und
Quandt nicht werden können? Ich theile deß-
wegen eine kurze Nachricht davon aus einem
beträchtlichen Quartanten mit, der unter einer
Menge gewagter und eccentrischer Ideen auf
allen Seiten zeigt, daß es seinem würdigen
Verfasser zwar hier und da gar setze an er-
worbenen gründlichen Kenntnissen aber nicht
an Kraft fehle. Es sind dieses die Physiolo-
[Seite 139] gical disquisitsons or discourses on the natural
philosophy of the elements
, des Hrn. William
Jones F.R.S.
, die zu London 1781 erschienen
sind. Er führt obige Stelle aus dem Spen-
ser
an, und selbst eine aus dem Talmud
(Berac Fol. 6), wo gesagt wird, daß die Harfe
Davids um Mitternacht wenn der Nordwind
sie gerührt, geklungen habe, um damit sei-
nen Aufsatz über die Aeolus-Harfe einzulei-
ten. Für den Erfinder der Aeolus-Harfe oder
des Saiteninstruments, das dem Winde aus-
gesetzt, für sich zu tönen anfängt, wird ge-
meiniglich P. Kircher angegeben, der davon
in s. Ponurgia S. 148 handelt. Indessen
hat dieses Instrument seine Wiedererweckung
in England weder dem P. Kircher, noch dem
Verfasser des Werks on the Principles and
power of Harmony
, der davon redet, zu ver-
danken, sondern einem Dichter, der durch
Harmonien einer andern Art unsterblich ge-
worden ist, Popen. Als dieser nähmlich,
während er den Homer übersetzte, öfters den
Eustathius nachschlug, stieß er in diesem auf
eine Stelle, worin gesagt wird, daß der
[Seite 140] Wind, wenn er auf gespannte Saiten
stieße, harmonische Töne erzeuge. Diese Idee
wurde einem Herrn Oswald, einem Schotti-
schen Virtuosen auf dem Violoncello und sehr
geschickten Componisten im Schottischen Styl,
mitgetheilt; dieser erzählte dem Hrn. Jones
folgendes hierüber. Als er von Popens Ent-
deckung im Eustathius gehört hatte, fing er
sogleich an Versuche darüber anzustellen. Er
nahm eine alte Laute, bezog sie, und setzte
sie dem Winde in allen nur ersinnlichen Lagen
aus, aber ohne Erfolg, und schon war er im
Begriff, das Ganze als eine Fabel aufzuge-
ben, als ihn ein glücklicher Zufall wieder dar-
auf zurückbrachte. Ein Harfenspieler, der eine
Harfe in einem Boot auf der Themse bey sich
hatte, bemerkte, daß bey einem Windstoß die
Harfe plötzlich einige Töne in der Manier,
die man nach eben diesem Instrument, Har-
peggio
nennt, hören ließ. Der Mann er-
staunte über den Zufall, machte ebenfalls viel
Versuche eine gleiche Wirkung wieder zu er-
halten, aber vergebens. Die schönen Töne
waren dahin wie ein Traum. Indessen machte
[Seite 141] diese Erfahrung Hrn. Oswald wieder Muth
mit seinen Versuchen fortzufahren. Nun kam
ihm in den Sinn, daß vielleicht ein mehr
beschränkter Luftstrom nöthig wäre den Effect
hervorzubringen. Er nahm also seine alte
Laute und legte sie an die Oeffnung eines nur
etwas gelüfteten Aufschiebfensters (Sash win-
dow
). In der Nacht erhob sich der Wind,
und das Instrument tönte. Der Künstler
hörte es, sprang aus dem Bette, merkte alle
Umstände auf das genaueste an, und da er
auf diese Weise den Grund entdeckt hatte,
hauptsächlich, daß es auf den dünnen aber
breiten Luftstrom ankam, so fehlte auch der
Effect in der Folge nie, und so war die Aeo-
lus-Harfe wieder erfunden.

Nach dieser Vorstellung ist nun die Con-
struction einer solchen Harfe leicht. Es wird
ein schmaler, etwas hoher und langer Kasten
von trocknem Tannenholze verfertigt, der unten
einen Resonanzboden hat, auf diesem werden
über zwey Stege, die nahe an den schmalen
Enden einander gegenüber liegen, acht bis zehn
Darmsaiten, alle im Einklang (unisono),
[Seite 142] nicht allzu stark aufgespannt, eine der breiten
Seiten läßt sich aufschieben, so daß man einen
dünnen aber breiten Luftstrom quer auf die
Saiten leiten kann. Um diesem den Durch-
gang zu verschaffen, kann der obere schmale
Boden wie ein Pultdeckel aufgehoben werden,
der an beiden Seiten noch Flügel hat, theils
um auch bey der Oeffnung desselben die Luft von
den Seiten einzuschränken, und theils um den
Deckel bey jedem Grade von Oeffnung durch Fric-
tion festzuhalten. So eingerichtet, wird das In-
strument mit der Oeffnung am Schieber dem
Winde ausgesetzt. Sobald nun dieser durch-
zieht, tönt das Instrument. Die tiefsten
Töne sind die des obigen Einklangs, aber so
wie sich der Wind mehr erhebt, so entwickelt
sich eine Mannigfaltigkeit entzückender Töne,
die alle Beschreibung übertrifft. Sie gleichen
dem sanft anschwellenden und nach und nach
wieder dahin sterbenden Gesang entfernter
Chöre, und überhaupt mehr einem harmoni-
schen Gaukelspiel ätherischer Wesen, als einem
Werke menschlicher Kunst. Es ist hier der
Ort nicht sich in eine Erzählung von Hrn.
[Seite 143] Jones’s Theorie hierüber einzulassen. Sie ist
sehr gewagt, und läuft kurz darauf hinaus,
daß die Aeolus-Harfe das für die Töne sey,
was das Prisma für die Farben ist. Außer
diesem ersten Anschein von etwas wahrem hat
der Gedanke aber auch nichts. Eine scharfe
Prüfung hält er nicht aus, es ergeben sich
zwar einige Aehnlichkeiten die etwas ge-
fälliges haben, aber viel zu entfernt sind um
etwas wahres und weiter führendes daraus
herzuleiten. Schwer ist es allerdings zu er-
klären, wie eine einzige Saite, die man in
der Aeolus-Harfe aufspannt, alle die harmo-
nischen Töne, sieben oder acht an der Zahl,
durchlaufen, und zuweilen mehrere derselben
zu gleicher Zeit hören lassen könne, wie Hr.
Jones bemerkt hat. Hr. Jones hat ein Mo-
dell eines solchen Instruments an die Herrn
Longman und Broderip in Cheapside ge-
schickt, und unter seiner Aufsicht welche ver-
fertigen lassen, wo sie also vermuthlich zu
haben seyn werden. – Ich bin zu wenig
mit der Geschichte der Musik und der musica-
lischen Instrumente bekannt, um zu wissen,
[Seite 144] ob man nicht schon versucht habe Saitenin-
strumente zu blasen. So sonderbar der Ge-
danke von Anfang scheint, so sieht man doch
bey der Aeolus-Harfe die Möglichkeit eines
solchen Instruments ein, denn wenn der na-
türliche Wind Töne auf Saiten hervorbringt,
und zwar solche anmuthige und sanfte, warum
sollte der aus einem Blasebalg, wie bey
der Orgel, es nicht auch können. Freylich mag
wohl vieles von dem Reitz, dieses luftigen
Harfenspiels, und was die Hörer mit so
vieler Begeisterung davon reden macht, haupt-
sächlich mit in dem Umstand liegen, daß die
Töne so ganz ohne alles Zuthun der Kunst
von selbst gleichsam entstehen, und dadurch
unvermerkt die Seele auf höheres Zauber-
werk leiten, unter dessen Einfluß sich gefühl-
volle Menschen zur Erhöhung unschuldigen
Vergnügens oft vorsetzlich und gern schmie-
gen, so sehr sich auch sonst ihre wachende
Vernunft dagegen empören mag. – Zum
Beschluß merke ich noch an, daß diese natür-
liche Aeolus-Harfe also angenehmer klingen
muß, als die Musik der noch natürlicheren
[Seite 145] Aeolus-Orgeln, womit uns zuweilen bey
einem Regenwindchen unsere schlecht verwahr-
ten Fenster und Thüren unterhalten. Jedoch
erinnere ich mich in einem Gartenhanse, wo
die Ritzen in Fenstern und Thüren, durch die
Stäbe verschlossener Sommerläden gar man-
nigfaltig angeblasen wurden, auch angenehme
Töne gehört zu haben. Es waren gewöhn-
lich Octaven, Quinten, und zuweilen Septimen.
Was aber das Vergnügen hierbey gar sehr
verminderte, war die beständige Arbeit der Ver-
nunft von diesen Empfindungen die stark as-
sociirten Ideen von schlechter Beschaffenheit
des Hauses, Zahnweh, Schnupfen und rauher
Witterung zu trennen, welches aller Mühe
unerachtet, nicht immer gelingen wollte.


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Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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