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Allgemeine
Geographische
EPHEMERIDEN.
Verfasset
von einer Gesellschaft Gelehrten,
und herausgegeben
von
A.C. Gaspari und F.J. Bertuch.

October 1800.

Weimar
im Verlage des Industrie Comptoirs.

2.
Neueste Nachrichten vom Zustand der Englischen
Mission auf Otaheite.

[Seite 365]

Bekanntlich hat sich in England aus allen dasigen prote-
stantischen Confessionen eine Missions-Societät zusammen
gethan, die eine Anzahl Heidenlehrer nach einigen Inseln
der Südsee, namentlich nach Otaheite, Tongatabu und St.
Christina
(einer der Marquesas-Inseln) abgesandt hat, wo-
hin sie im Frühjahr 1797 von dem durch seine anziehende
Beschreibung der Pelew-Inseln bekannten Capitain Wil-
son
gebracht worden sind.

Da der grosse Zweck dieser würdigen Männer bey
weitem nicht blos dahin ging, jenen Insulanern die Lehr-
sätze des christlichen Glaubens zu predigen, sondern sie
auch (und vor allen die so sehr corrumpirten Otaheiten)
von den unglücklichen Ausschweifungen und Lastern zu-
[Seite 366] rückzubringen, wodurch binnen 20 Jahren die Bevölkerung
dieser Königin der Inseln, wie sie auch Wilson nennt,
von 200,000, als so hoch sie sich ehemals nach Cook’s An-
gabe belief, nun auf 16,000 zusammengeschmolzen ist: (?) so
musste gewiss jedem, dessen Humanität nihil humani a so
alienum putat
, die neuerlich durch einige Zeitungen ver-
breitete Nachricht wehe thun, als ob die ganze Missions-
Anstalt auf Otaheite von den Einwohnern sey zerstört wor-
den, so dass die Missionäre nur mit Noth hätten entkom-
men, und nach Botany-Bay flüchten können. – Um so
angenehmer wird es daher vielen Lesern der A.G.E. seyn,
wenn sie hier aus der zuverlässigsten Quelle, nämlich aus
dem VII. Band des Evangelical Magazine, eine eben so au-
thentische als beruhigende Nachricht von dem finden, was
zu jenem so übertriebnen Gerüchte Anlass gegeben haben
mag.

Nachdem sich achtzehn Missionäre, von welchen fünf
verheyrathet waren, auf Otaheite eingerichtet hatten, so
verliess Cpt. Wilson diese Insel den 4. Aug. 1797, um nun
über China nach England zurückzukehren. Aber bald nach
seiner Abreise ward ein Complot der Einwohner entdeckt,
sich der Frauen und der Habseligkeiten der Brüder am
nächsten Sonntage während des Gottesdienstes zu bemei-
stern. Die Missionäre erklärten sogleich den Insulanern,
dass sie von diesem verrätherischen Anschlag vollkommen
unterrichtet seyen, und nahmen um so ernstere Präcautio-
nen gegen einen solchen Überfall, da sie gewiss seyn
konnten, dass, wenn ihre Frauenzimmer in die Hände der
Otaheiten fallen sollten, sie die brutalste Behandlung zu be-
fürchten haben müssten. Sie suchten sich also durch Er-
bauung eines so festen Hauses zu schützen, dass sie zugleich
dadurch der ihnen bisher so lästigen starken Wachen, die
sie ausstellen mussten, entübrigt seyn könnten.

Inzwischen kam aber den 6. März 1798 ganz unerwar-
tet ein Englisches Fahrzeug, der Nautilus, nach Otaheite,
das von China des Pelzhandels wegen nach der nordwest-
[Seite 367] lichen Küste von America hatte gehen wollen, aber durch
Unfälle daran verhindert worden, und dafür nach der In-
sel Massafuero (im Westen von Juan Fernandez, der Küste
von Chili gegen über) geseegelt war, und nun von daher
mit einer Ladung Seehundsfelle zurückzukehren, und zwar
zuförderst nach Botany-Bay zu gehen gedachte. – Zwey
Matrosen von diesem Schiffe desertirten auf Otaheite, und
da die Brüder auf des Capitains Ersuchen dem Könige we-
gen Auslieferung derselben Vorstellung thaten, so veran-
lasste das thätliche Mishandlung einiger Missionaire von den
Insulanern, und einen Aufstand unter diesen, der von sehr
gefährlichen Folgen hätte werden können, wenn nicht
durch Vermittlung des (aus Cooks Reisen allgemein be-
kannten) alten Pomarre, Vaters des jetzt regierenden Königs,
die Sache beygelegt worden wäre.

Inzwischen brachte doch dieser bedenkliche Vorfall vier
verheyrathete Brüder, und auch sieben von den ledigen,
zu dem Entschluss, die Abreise des Nautilus den 31. März
zu benutzen, und mit den vier Weibern und eben so vie-
len Kindern nach Botany-Bay abzugehen, wo sie auch
den 14. May wohlbehalten angenommen sind. – Nur eine
einzige Matrone ist im Vertrauen auf ihr 64 jähriges Alter,
so wie die sieben übrigen Missionäre, getrost auf Otaheite
zurückgeblieben; so dass also die dasige Mission nichts
weniger als aufgehoben ist, und dagegen auch die nach
Neu-Holland abgegangnen Brüder in diesem Continente
des fünften Welttheiles Gelegenheit die Fülle finden, gu-
ten Saamen auszustreuen.

Zusatz.

So eben lieset man in öffentlichen Zeitungen in einem
Artikel aus London vom 26. Aug.: ‘„Der Plan, die christ-
liche Religion auf Otaheite zu verbreiten, sey gänzlich
fehlgeschlagen, und die Missionäre seyen vor einigen Ta-
gen mit ihren Familien wieder in London angekom-
men.“’

[Seite 368]

Es ist wohl möglich, dass die nach der Abreise des
Nautilus auf Otaheite zurückgebliebenen Missionäre hinter-
drein doch auch diese Insel haben verlassen müssen, und
nach L. zurückgekommen sind. Aber es ist auch möglich,
dass etwa nur die damals mit jenem Schiffe nach Botany-
Bay
abgegangene Division nun von da in L. angekommen,
und so in der kurzen Zeitungs-Nachricht ein qui pro quo
gemacht worden ist. Was letzteres nicht unwahrscheinlich
macht, ist, dass darin auch der Familien der Missionäre
gedacht wird, und doch waren nach Abreise jener Divi-
sion ausser einer 64jährigen Matrone weiter keine Engli-
schen Frauen, so wie auch keine Kinder, auf Otaheite zu-
rückgeblieben.


[Seite 383] [Seite 384]


Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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