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Medicinisch-chirurgische
Zeitung
herausgegeben
von
D. Johann Jacob Hartenkeil.
Vierter Band.
1799.

Parcere personis, dicere de vitiis. Martial.


Zu haben posttäglich auf allen löbl. Postämtern;
bandweise in den med. chir. Zeitungs-Comtoirs in Salzburg,
Frankfurt am Main, Jena und Wien,
und
in der Mayrschen Buchhandlung zu Salzburg.

Salzburg
gedruckt bey F.X. Oberer, Landschafts- und Stadtbuchdrucker.

[Seite 349]

Göttingen. In der Versammlung der königl. Societät
der Wissenschaften am 5ten October legte Hr. Hofr. Blumen-
bach
eine vierte Decade aus seiner nun über hundert Num-
mern enthaltenden Sammlung von Schedeln verschiedener Völ-
kerschaften vor. Sie zeichnete sich unter andern durch drey
Köpfe von hohem Alterthum, und zwar aus allen dreyen den Alten
bekannt gewesenen Welttheilen aus. – Dieß waren: 31) ein
ausnehmend gut erhaltener männlicher Mumienkopf, und zwar
von der kostbarern Bereitungsart, wobey auch die fleischigten
Theile conservirt, und mit Harz durchzogen sind. Er hat eben
so sonderbar dicke, stumpfe Vorderzähne, wie sie neuerlich an
[Seite 350] so manchen andern Mumien derselben Bereitungsart bemerkt
worden sind. (Nahmentlich z.B. an der Stuttgarder, von
deren Gebiß Hr. Prof. Autenrieth in Tübingen eine treffliche
Abbildung in Kupfer gebracht hat, die dem au diesem Kopfe
so auffallend ähnelt, als ob sie genau nach demselben gemacht
wäre). Die innere Nase war nach der Hirnhöhle durchstoßen,
weil die Leichenbereiter nach Herodot’s Bericht durch diesen
Weg das Gehirn auszogen. (Gerade so fand es der Hr. Hofr.
an einem Stück eines Mumienschedels, das er von Hn. Dr.
Weigel aus Leipzig erhalten, nachdem er das Harz, womit es
noch ganz gefüllt war, behutsam schmelzen und auslaufen lassen).
Hingegen waren die obern Halswirbel, und selbst die fleischich-
ten Theile des Nacken noch in ihrer ganz unverletzten Verbin-
dung mit dem Hinterhauptbein, so daß hier die von Middleton
u.A. behauptete Ausleerung des Gehirns durch’s For. magn.
occipitale
unmöglich gewesen wäre. Die Gesichtsbildung nä-
hert sich der Aethiopischen, so wie sie sich an einer gewissen
Classe altägyptischer Kunstwerke zeigt, z.B. an einer kupfernen
Isis, die der Hr. geh. Rath Guldberg nebst mehrern andern
ägyptischen Idolen dem hiesigen akademischen Museum geschenkt
hat. Den Mumienkopf verdankt der Hr. Hofr. unserm ehemahli-
gen gelehrten Mitbürger, Hn. Th. Turner in London. – 32) Ein
alter Römischer Soldat, aus einem bey Rom aufgegrabenen
Castrum praetorianum. Zugleich nebst dem dabey gefunde-
nen Marmor mit dem Nahmen des alten Kriegers (V.L. Aleius)
ein Geschenk des Hn. Cardinals Borgia. Daß auch dieser bra-
ve Römer so wenig, als andere Adamskinder, ein thierisches
Os intermaxillare hat, das Galeuus dem Menschen zu-
schrieb, wäre kaum einer Erwähnung werth, geschähe es nicht
des alten Sylvius halber, der, um die Galenische Meinung
zu retten, lieber gar meinte, das Menschengeschlecht könne doch
wohl zur Römerzeit diesen Knochen gehabt haben – und daß
[Seite 351] er bey den folgenden Generationen verwachsen und gleichsam ver-
schwunden, ja da sey Galen nicht Schuld daran: ‘„sed na-
turae impedimenta quaedam nostris corporibus in victu
et venere intempestiva ac immodica vitiis succedentia
.“’
– 33) Ein durch die Länge der Zeit fast calcinirter Schedel
aus einem der uralten sogenannten Tschudischen Grabhügel am
Ober Irtisch, die einem fremden Volke zuzugehören scheinen,
das in jenen Gegenden des südlichen Sibirien vor langen Zei-
ten zuerst Bergbau betrieben. Die Bildung im Ganzen ist ei-
gen. In einzelnen Partieen hält sie das Mittel zwischen der
Tartarischen und Calmückischen. Der Hr. Hofr. hat ihn durch
die unermüdete Sorgfalt des Hn. Baron von Asch, und dieser
durch den Hn. Hofr. Schenk aus Barnaul erhalten. – Nun
die übrigen sieben von Menschen jetziger Zeit: 34) Von einem
hundertjährigen Juden. Zum Sprechen charakteristisch. – 35)
Von einem persischen Beg, aus dessen Begräbniß-Capelle am Kur
der Kopf im letzten Russischen Feldzuge gegen die Perser dem Hn.
Baron v. Asch mitgebracht worden – 36) und 37) Zwey Grön-
länder Schedel von dreyen, die der Hr. Hofr. der Güte des
Hn. Prof. Wad zu Kopenhagen verdankt. Sie ähneln den in
der vorigen Decade beschriebenen Eskimosköpfen auffallend; sind
auch, wie jene, ganz ausnehmend leicht. – 38) Von einem
Nordamerikanischen Indianer bey Cayhokia am Missisippi. Der
Scheitel dachförmig zulaufend. Von Hn. Prof. Barton in Phi-
ladelphia. – 39) Von einem Javaner. Ganz Malayische Ge-
staltung, und die Zähne von Betelkauen mit einer rothbraunen
(recht wie es Mandelslo vergleicht ‘„als aufgedörrt Blut anzu-
sehenden“’) Glasur überzogen. Von Hn. Prof. Forsten aus Har-
derwyk. – 40) Von einem Neuholländer von Botanybay. So,
wie der in der vorigen Decade beschriebene, ein Geschenk des
Hn. Baronet Banks. Beyde Schedel sind wie aus einer Form-
gegossen. An beyden ist auch die Zahnzelle des einen obern Vor-
derzahns verwachsen, der den Neuholländischen Knaben (wenn
[Seite 352] sie unter den (nun in Collins’s Werke ausführlich beschriebenen)
seltsamen Feyerlichkeiten wehrhaft gemacht worden, zum Be-
schlusse ausgeschlagen wird. Also fast wie der Bachantenzahn,
der weiland in den Zeiten des Pennalismus auf einigen deutschen
Universitäten den neu angekommenen Musensöhnen ausgerissen
ward; zwar diesen, wie man sagt, nur pro forma; indessen
bleibt es doch eine curiöse Aehnlichkeit, die einen Lafiteau auf
curiose Folgerungen hätte leiten können.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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