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Magazin
für das Neueste
aus der
Physik
und
Naturgeschichte,
zuerst herausgegeben
von dem Legationsrath Lichtenberg,
fortgesetzt
von Johann Heinrich Voigt,
Prof. der Mathematik zu Jena, und Corresp. der Königl.
Gesellsch. der Wissens. zu Göttingen.

Siebenden Bandes viertes Stück mit Kupf.

Gotha,
1792
.
bey Carl Wilhelm Ettinger.
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[[I]] [[II]] [[III]] [[IV]]

[Seite 19] [Seite 20]

Das Haar des Kangaroo ist graubraun, wie das
Haar des wilden großbrittannischen (und auch des
deutschen) Kaninchens. Bey alten Thieren ist
es dick und stark, bey Jungen gleicht es einer star-
ken Pflaumfeder. An einigen Orten wird es eher
ausgebildet als an den andern, z.B. ums Maul
herum u.s.w. Alle junge Kangaroos, die man
bis jetzt fieng, sahen einem ungebohrnen Thiere
gleich, obgleich sie schon so groß als ein Kätzchen wa-
ren. Sie sind unbehaart, die Ohren hängen wie
ein paar Lappen dicht am Kopfe herab, den Füssen
sieht man es an, daß das Thier sie noch nicht zum
Gehen brauchte. Die breite Klaue des großen
Zehens ist an der Spitze scharf. Die Seiten des
Mauls sind durch eine Membran verbunden, die
den Augenliedern eben geworfener junger Hunde
gleichen, indem sie sich blos vorne öffnen. Diese
Verbindung beyder Lefzen an den Seiten ist beson-
ders gebaut, nimmt ab, so wie das Thier wächst,
und verschwindet, wenn es die Größe eines mäßi-
gen Kaninchens erreicht hat.

Die Zähne des Thiers sind so besonders, daß
sich daraus schwer eine Verwandtschaft desselben
[Seite 21] mit andern Thierarten herleiten läßt. Ihrer Ge-
stalt nach sehen sie den Zähnen mehrerer Thierarten
gleich.

Sieht man auf die Breite des Mauls, mit
Rücksicht auf die Lage der Zähne, so findet man
einige Aehnlichkeit mit Scalpris dentata (glires L.)
Weniger Gleichheit mit dem Pferde und den wie-
derkäuenden Thieren. Und sieht man auf die Di-
rectionslinie aller Zähne, so ist diese wieder wie
bey Scalpris dentata (glires L.) Die Vorderzäh-
ne in der obern Kinnlade gleichen den Schweinezäh-
nen, und die in der untern den Zähnen der Nager;
an Anzahl, an Stellung aber und wahrscheinli-
chem Gebrauch gleichfalls den Schweinezähnen. Die
Nagezähne (grinders) gleichen theils den Zähnen
der Schweine, theils den Zähnen der Wieder-
käuer, das Email an ihrer äussern und nagenden
Fläche hat eher Enden als Spitzen, die geschärft
sind. Sechs Schneidezähne finden sich in der
obern und nur zwey in der untern Kinnlade; aber
diese zwey stehen den obern vollkommen entgegen.
Fünf Backenzähne (molares) sind an jeder Seite
jeder Kinnlade, von denen der vorderste indeß
schmahl ist. Die Verhältnisse einiger Theile des
Thiers gegen einander, weichen sehr von ähnlichen
Verhältnissen bey andern Thieren ab. Der Man-
gel an Verhältniß zwischen den langen Hinter- und
[Seite 22] kurzen Vorderbeinen, so wie auch in der Stärke
derselben ist zwar groß, doch aber vielleicht nicht
größer als beym Jerboa (Dipus Jaculus G.)
Dieses Mißverhältniß zwischen den Vorder- und
Hinterbeinen findet vorzüglich bey den mehr ausge-
wachsenen Thieren Statt, denn bey den jungen,
die die Größe einer halb ausgewachsenen Natze
haben, ist sie vollkommen proportionirt, welches
beweiset, daß sie in der frühern Lebensperiode kei-
ne fortschreitenden Bewegungen vornehmen. Die
Verhältnisse der verschiedenen Theile der Hinter-
beine sind sehr verschieden. Die Lende des Kan-
garoo ist sehr kurz und das Bein sehr lang. Der
Hinterfuß ist ungewöhnlich lang. Man bemerkt
deutlich drey Zehen daran. Die Mittelzehe ist die
größte und stärkste, und gleicht sehr der langen
Zehe des Straußes, die äussere Zehe kömmt ihr
in der Größe am nächsten, und was man für die
innere hält, sind eigentlich zwey Zehen, von einer
Haut umschlossen.

Die Klaue der großen Zehe ähnelt sehr einer
Straußklaue, eben so wie die Klaue der äussern
Zehe, die innere aber hat zwey krumme scharfe
Klauen.

Die Haut des ganzen untern Fußes, so wie
die Zehen und der Fuß selbst, sind zur Bewegung
völlig eingerichtet.

[Seite 23]

Die Vorderbeine sind beym ausgewachsenen
Kangaroo, im Verhältniß gegen die Hinterbeine
oder Länge des Thiers, kurz, eben so kurz die Hän-
de oder Vorderfüße. Die Haut der flachen Hand
ist verschieden von der des Handrückens und der
Finger. An diesem Fuße findet man fünf Zehen,
die mittlere ist die größeste, die andern nehmen
stufenweise ab, und haben fast alle einerley Form.
Die Klauen sind scharf und zum halten bestimmt.
Der Schwanz ist bey alten Thieren lang, nicht
so lang im Verhältniß der Größe bey jungen.
Sein Wachsthum nimmt mit dem Wuchs der Hin-
terfüße zu, deren das Thier zum Fortschreiten sich
bedient, woraus man also schließen muß, daß der
Schwanz ein secondäres Werkzeug bey dieser
Handlung ist.

Die Unterlippe ist in der Mitte gespalten, und
jede Hälfte derselben gegen die Mitte des Mauls
zugerundet. Das Thier hat zwey kurze Schlüssel-
beine, so daß die Schultern desselben nicht dadurch
herausgetrieben werden.

Es ist weit leichter Klassen und Ordnungen,
als Geschlechter und Gattungen der Thiere in ei-
nem System aufzustellen, weil man leichter Ex-
treme als Nüancen erkennt.

[Seite 24]

Der Kangaroo wurde zuerst in Neusüdwallis
entdeckt. Man brachte im Anfange blos Schädel
und Felle davon nach Europa, von welchen Schä-
deln mir Sir Joseph Banks einen schenkte. Da
man, wenn die Zähne bekannt sind, gewissermaßen
auf die Verdauungswerkzeuge eines Thieres und
so weiter auf seine Verwandtschaft mit andern
Thieren schließen kann, so hoffte ich gleichfalls
durch die Kenntniß der Kangaroo-Zähne etwas
hierüber aufklären zu können: aber ich fand mich
betrogen, da diese Zähne von allen Thierzähnen
anderer Familien verschieden waren.

(Ich fürchte indeß nicht, daß man den Syste-
matiker anklagen wird, der den Känguruh zu den
Gliribus rechnet. Herr White giebt ja selbst die
Aehnlichkeit im Ganzen zu. A.d. Einsenders.)




Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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