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Zugabe
zu den
Göttingischen Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band.
auf das Jahr 1780.


Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Haag und Paris.

[Seite 769]

Lettres physiques et morales adressées à la
Reine de la Grande Bretagne par J.A. de Luc.

5 Bände in Octav. Was einer der weisesten Men-
schen, Bacon von Verulam, der Naturwissenschaft
zum Ziel sezte, daß sie nicht an schaalen verdun-
stenden Hypothesen sich weiden, sondern zum Glück
der Menschen, und zur Milderung der Ungemäch-
lichkeiten des Lebens abzwecken möchte, das ist
wol von wenigen Schriftstellern mit so warmen
Eifer zu erreichen gesucht worden, als von dem
Verfasser dieser Briefe, einem Mann, der schon
längst seinen Namen nicht bloß in den Annalen der
Gelehrsamkeit, sondern auch in denen der Mensch-
heit, merkwürdig gemacht hat; und der sich da-
her auf keine angemessenere Art belohnt finden
konnte, als daß er diese reifsten Früchte seiner
dreyssigjährigen Untersuchungen einer Königin wid-
men durfte, der es die Welt auch nicht zur größten
ihrer Vollkommenheiten anrechnet, daß sie Unter-
[Seite 770] haltung und Erholung im Umgange der Weisheit
und der Wissenschaften findet. Das gegenwärtige
Werk steht mit den vor einigen Jahren von Hrn.
de L. herausgegebenen Briefen, (die nun den ver-
änderten Titel: Lettres sur quelques montagnes
de la Suisse
, erhalten haben,) in gar keiner wei-
tern Verbindung, und zerfällt selbst in Rücksicht
seines Inhalts, in zwey Haupttheile, in deren einen
der Verf. seine lezten Reisen nach Deutschland etc.
beschreibt, und im andern die Lehren oder viel-
mehr die Resultate der Bemerkungen vorträgt,
die er theils auf diesen Reisen, größtentheils aber
schon längst vorher, und zwar meist in Gesellschaft
seines Hrn. Bruders, zu machen Gelegenheit ge-
habt hat. Zuerst von diesen. – Allein, da es
die Schranken unserer Blätter nicht verstatten,
daß wir uns dem Vergnügen überlassen könnten,
diese Anzeige mit derjenigen Umständlichkeit abzu-
fassen, die der Reichhaltigkeit des Werks selbst
einigermassen angemessen wäre, so müssen wir
gleich jezt unsere Leser warnen, das ganze Gewicht
von Hrn. de L. Lehren ja nicht bloß nach diesem
Laconischen Auszug zu beurtheilen, und sie viel-
mehr versichern, daß sein System, auch blos als
System betrachtet, meisterhaft angelegt ist, alle
fast nur mögliche Zugänge so befestigt und ver-
wahrt, die etwanigen Einwürfe schon so geprüft
sind, daß es Mühe kosten würde, auch nur zur
Uebung des Scharfsinns eine scheinbar leidliche
Widerlegung desselben unternehmen zu wollen.
Also bloß die ersten Grundlinien dieses Gebäudes,
die denn im Ganzen auf folgendes hinauslaufen:

Unsere Erde hat ihre jetzige Gestalt der Sünd-
flut zu danken. – Aber, diese hat sich dadurch
ereignet, daß das damalige feste Land, nachdem
[Seite 771] es durch unterirdisches Feuer allgemach untermi-
nirt worden, endlich eingestürzt und tiefer gesun-
ken ist, als die Oberfläche des damaligen Oceans,
der sich folglich in diese neuen Tiefen gezogen,
und sein vormaliges Bette verlassen hat, das da-
durch aufs Trockene versezt und zum neuen festen
Lande geworden. Dieses neue jetzige feste Land
ist also ruhig und unverändert in seiner ursprüng-
lichen festen Lage verblieben, und seine dermaligen
Berge und Thäler haben fast alle schon damals
existirt, als es noch Boden des Meers war. Die
höchsten Gipfel haben als Inseln über die Ober-
fläche des Wassers hinausgeragt, das übrige hin-
gegen ist von derselben bedeckt gewesen. Das
jetzige Meer hat auch seit jener Catastrophe, da
es als Sündflut die versunkene Vorwelt über-
schwemmt, weder Gränzen noch Niveau verän-
dert, sondern ist, im Ganzen genommen, seitdem
in seiner ungestörten Lage verblieben. Alles aber
zusammengenommen, so ergiebt sich, daß diese
ganze jetzige Erdverfassung nichts weniger, als
sehr alt ist, sondern daß seit der grossen Catastro-
phe, durch welche sie entstanden, nur sehr wenige
Jahrtausende verflossen seyn können.

Hr. de L. theilt also, in Rücksicht auf Cosmo-
logie, die ganze Weltgeschichte in zwey grosse
Perioden, zwischen welchen jene Catastrophe die
Gränze macht. Die alte Geschichte nemlich, die
Geschichte der Vorwelt, da unsere Erde nach und
nach zu dem grossen allgemeinen Wechsel zwischen
Ocean und Land vorbereitet ward: und die neuere,
d.h. die Geschichte der nun auf diese Weise catastro-
phirten Erde. Um sich über die Histoire ancienne
einigen Aufschluß zu verschaffen, hat ihm also
unser jetziges festes Land als Archiv, und seine
[Seite 772] Berge als Urkunden dienen müssen. Diese leztern
sind, in Rücksicht des Stoffs, woraus sie beste-
hen, im Ganzen genommen, von dreyfacher Art:
primordiales, aquatiques, volcaniques. Die
erstern, die Ganggebirge, seyen die ältesten und
bestehen aus Granit, Gneus u.s.w. Der Verf.
läßt sich auf ihre Entstehung etc. weiter nicht ein;
und erwähnt ihrer bloß in so fern sie mit den
übrigen beiden in Verhältniß stehen. Sie machen
gleichsam das Herz der Erde aus, und werden
wol, wie er sagt, oft von den andern Gebirgs-
arten bedeckt, aber diese niemals von ihnen. (Aber
doch hat Hr. Charpentier in den Sächsischen Gneus-
gebürgen durchgehends grosse Marmor- und Kalk-
lager, und in Tiefen von 100 und 200 F. unter
dem Gneus gefunden: und zwar so, daß sie mit
den Gneusbergen ein völlig gleiches Fallen haben
und sie nirgend durchschneiden.) Diese andern
beiden Gebürgarten, die ungleich neuer seyen,
belegt er deshalb mit dem gemeinschaftlichen Na-
men von Montagnes secondaires; unterscheidet
sie aber sowol nach ihrer Entstehungsart, als nach
dem Gestein, woraus sie bestehen. Die aquati-
ques (unsere Flözgebürge) bestehen größtentheils
aus Kalk, der oft, aber gar nicht nothwendig,
mit Versteinerungen durchmengt ist, und der nach
und nach schichtweise im damaligen Boden des
Meers abgesezt worden, (par des Dépôts succes-
sifs). Denn das Meer hatte in diesem seinen vor-
maligen alten eben sowol, wie noch jezt in sei-
nem nachherigen Bette, seine Ebbe und Flut, vor-
züglich auch seine Strudel und Ströme (Courants)
u.s.w. Und hieraus erklärt er mit ungemeinem
Scharfsinn sowol die Lage der Versteinerungen,
zumal der Landthiere und Gewächse, die sich in
unsern Flözgebürgen finden, und die durch die
[Seite 773] Flüsse erst vom Land in die See, und dann durch
jene Strudel an den Ort ihres nachherigen und
noch jetzigen Aufenthalts geführt worden sind;
als auch die Sandlager, die sich auf diesen Ge-
bürgen und in den Ebenen hin und wieder unter
der Dammerde finden, und die er für den lezten
Absatz des Meers vor der grossen Catastrophe hält.

Die Montagnes volcaniques endlich, nemlich
die unzähligen hin und wieder zerstreuten alten aus-
gebrannten Vulcane, sind ebenfalls größtentheils
schon damals entstanden, als noch das Meer
seinen damaligen Boden, unsere jetzige Continens,
bedeckte. Das Wasser nemlich ist nach und nach
hin und wieder durch den Boden ins Innere der
Erde gesippert (filtrirt), hat Schwefel und Eisen
angetroffen, die durch die Nässe auf die bekannte
Weise in Gährung und Hitze gekommen sind, end-
lich entzündet worden, Erdbeben und wirkliche
vulcanische Ausbrüche und Explosionen verursacht
haben. Durch den Ausbruch ward der Boden des
Meers immer mehr gebürgicht, und eben diß
veränderte auch den Lauf der Meeresströme, und
zugleich entstanden natürlicher Weise unterirdische
Gänge und Klüfte, und zwar beweist der Verf.,
daß solche Klüfte bey den damaligen und noch
jetzigen Vulcanen sich nicht sowol in die Tiefe,
als vielmehr seitwärts weit umher erstrecken, so
daß endlich die ganze Erdcruste dadurch nach und
nach unterminirt ward. Hin und wieder brach
die immer mehr verdünnte Decke dieser durch-
brannten Minen ein; es versunken auf die Art
auch wol waldichte Inseln, und hieraus erklärt
der Verf. die unermeßliche Menge fossilen Holzes etc.
die sich hin und wieder finde. Manche solche
vulcanische Explosionen cessirten auch wol nachher
[Seite 774] wieder auf einige Zeit, und das Meer konnte in-
zwischen wieder seine Schichten dahin absetzen;
daher die abwechselnden Lagen von vulcanischen
Producten und von Petrefacten, die sich an theils
Orten zeigen. Bey solchen Ausbrüchen mußte
nothwendig das Seewasser in diese Klüfte einstür-
zen, und dieß hatte die doppelte Folge, daß er-
stens die Fläche des sich in die Gänge verlieren-
den Meeres dadurch niedriger werden, sinken;
und zweytens der gewaltsame Eintritt des Wassers
in die vulkanischen Gänge, die Gewalt des unter-
irdischen Feuers nur um so mehr verstärken mußte.

Und so ward das vormalige feste Land unter-
graben, und dem furchtbaren Weltgericht vor-
bereitet, das die Allmacht über die Menschen vor
der Sündflut verhängt hatte. Die feuerschwan-
gern Tiefen der Erde öfnen sich – das nun nicht
mehr feste Land stürzt hin und wieder hinab –
das Meer ihm hin und wieder nach – die
Sündflut bricht ein!

Die Gewässer überschwemmen das Land, finden
allgemach hier ihr neues Bette, statt daß dage-
gen ihr vormaliges der Luft ausgesezt, und trocken,
und zum festen Lande wird. – – Die Erde ge-
winnt eine andere Gestalt!

Wer Hrn. De L. nur irgend näher, als dem
blossen Namen nach kennt, der begreift, daß er
weder Beruf, noch auch wol je den unzeitigen
enthusiastischen Drang gehabt haben kan, in der
Absicht auszugehen, um die gute Sache der Offen-
barung zu verfechten und ihr cosmologische Stü-
tzen zu verleihen; aber daß es ihn, wie jeden
Freund der Wahrheit, gefreut haben müsse, da er
[Seite 775] am Ende fand, daß alle seine vieljährigen Unter-
suchungen und deren unerwartete, theils so auf-
fallende, Resultate auch eben so unerwartet und
auffallend mit dem übereinstimmten, was Moses in
den heiligen Büchern von der mit unserer Erde
vorgefallenen Revolution erzählt.

1. B. Mos. 6, 13. ‘”Da Sprach Gott zu Noah:
alles Fleisches Ende ist vor mich kommen, denn
die Erde ist voll Frevels von ihnen, und siehe da,
ich will sie verderben mit der Erde.”’ –

Mit der Erde – also über die Art, wie
sich die Sündflut ereignet, konnten kaum zwey
Nachrichten vollkommener mit einander überein-
stimmen, als die, so Hr. de L. aus den Archiven
der Natur schöpft, und die, so uns der göttliche
Geschichtschreiber ertheilt; ein Mann, der weder
Naturforscher war, noch es zu seyn affectirte,
sondern der ohne alles Räsonnement die Sache
ganz kurz und einfach nur mit drey Worten, aber
so wahr, so treffend berührte.

Es war also nur noch eine Schwierigkeit zu
heben, die Zeit, wenn sich die Sündflut ereignet,
oder mit andern Worten, Bestimmung des Alters
unserer jetzigen Continens. Und auch hier har-
moniren die cosmologischen Data mit der christ-
lichen Zeitrechnung aufs bündigste. Die Erdcata-
strophe muß schlechterdings nur erst vor wenigen
Jahrtausenden vorgefallen, folglich unsere jetzige
Erde und ihre Bevölkerung annoch sehr neu seyn.
Vorzüglich stüzt sich der Verf. auf die, im Gan-
zen genommen, sich durchgehends so gleiche und
und unbeträchtliche Dicke der Dammerde, die un-
sern Boden überzieht, und erweist aus der Ge-
schichte ihrer Entstehung und ihrer Zunahme durch
[Seite 776] die Vegetation, daß sie nicht höher hinaus, als
von der Zeit jener Sündflut her datirt werden
könne. Zugleich fertigt er die bekannten Einwürfe
ab, die man gegen ein so jugendliches Alter der
Erde und ihrer Bevölkerung aus dem vermeint-
lichen langsamen Fortgange der Wissenschaften und
Künste hat hernehmen wollen. Diese Kenntnisse
seyen Alle entweder mehr das Werk des Genies oder
der Erfahrung und Beobachtung. Jene, wohin
der Verf. auch die nachahmenden Künste zählt,
seyen an keine Zeit gebunden. Ein einziges Genie
könne da Riesenschritte thun. Also seyens bloß die
andern, die hier in Anschlag kommen können.
Sie lassen sich aber alle unter eine gemeinschaft-
liche Rubrik bringen, nemlich: die ganze Natur-
wissenschaft (L'ensemble de la Physique) und frey-
lich setze dieser ihr Wachsthum Zeit voraus. Aber
man brauche auch bloß die engbegrenzten Kennt-
nisse der Alten in diesem Fache anzusehen und zu
bedenken, wie weit auch Unser Zeitalter noch im-
mer hierinnen von einiger Vollkommenheit ent-
fernt sey, um den Fortgang der Künste und Wis-
senschaften und die Zeit, die sie seit der Sündflut
dazu gehabt haben, in einem sehr passenden an-
gemessenen Verhältnisse zu finden. So weit die
Histoire ancienne.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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