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Zugabe
zu den
Göttingische Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band.
auf das Jahr 1782.


Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Neuchatel.

[Seite 1]

Ein sehr unterhaltendes Werk ist bey der typo-
graphischen Gesellschaft unter dem Titel von
Voyage historique et litteraire dans la Suisse
occidentale
in zwey groß Octavbänden abgedruckt
worden, wovon der erste 344, der zweyte 335 S.
stark ist. Der ungenannte Verfasser ist der ver-
diente Berner Bibliothekar, Hr. Sinner, den aber
eine traurige Krankheit an der Ausgabe des drit-
ten Theils, den er noch zu bearbeiten vorhatte,
und der Bern und einige mittlere Cantone, Lucern etc.
auch besonders eine Abhandlung über die Römi-
schen Heerstrassen durch die Schweiz, enthalten
sollte, hindert. Doch hören wir, daß Hr. Pastor
Osterwald in Neuchatel diese Arbeit übernehmen,
und das angenehme Werk ergänzen werde. Im
Vorbericht zum ersten Theil handelt Hr. S. von
der Grösse und Volksmenge der Schweiz; jene
schäzt er nach den neuesten Beobachtungen auf
955 Quadratmeilen. Diese auf 1,600,000 Seelen.
[Seite 2] Solothurn wäre wol das volkreichste Land in Eu-
ropa, da es in 79/10 Quadratmeilen 45,000 Ein-
wohner enthält. Nächst dem kommt Appenzell,
dann Zürch, dann Basel. Uri ist am schlechtesten
bevölkert; fast so schlecht, als Spanien. Der
Verf. ist nicht laudator temporis acti, sondern
sezt vielmehr die alten Schweizer gegen die heu-
tigen herab, und erhebt den Nutzen des Luxus gar
sehr. Basel widersetze sich der Aufheilung am
längsten durch seine Leges sumptuarias. Verfall
der dasigen Akademie, wo die Professuren, so wie
die Aemter beym Magistrat, durchs Loos vertheilt
werden. Holbein und Erasmus. Der Basler Tod-
tentanz, der insgemein jenem zugeschrieben wird,
sey viel älter, und von Hanns Kluber. Beym
Basler Bildersturm im J. 1529 sollten die Heili-
genbilder als Brennholz unter die Bürger vertheilt
werden; doch machte man nachher zwölf Scheiter-
haufen draus und verbrannte sie auf einmal.
Zweifel über die verschiedenen Gemalinnen Rudolfs
von Habspurg: die erste war die fruchtbare Anna
von Hohenberg; die zweyte Agnes von Burgund,
über deren blendende Schönheit sich der Bischof
von Speyer einmal so weit vergaß, daß er sie
küßte; über eine dritte, Namens Gertrud, ist
Hr. S. noch zweifelhaft. Aus den Eseln, die man
im mittlern Zeitalter in Basel zum Transport der
Kohlen gebraucht, habe die Tradition einen heil.
Eselinus gemacht. Sonderbare Gesetze des Dorfs
Prattelen vom J. 1410. z.B. wenn jemand in
seinem Hause in der Nothwehr einen andern er-
stochen hat, und keine andere Zeugen aufstellen
kan, so soll er nur seinen Hund, seine Katze, sei-
nen Haushahn und drey Halmen von seinem Stroh-
dache vor Gericht bringen und auf diese schwören.
Vor Zeiten stand eine grosse Linde beym dasigen
[Seite 3] Schloß, worunter sich die Einwohner zur Pestzeit
versammleten und ihren Kummer vertanzten. Ein
treffliches Seminarium für junge Leute von Stande
in der Abbtey Bellelay, das schon dadurch ein
sehr unverdächtiges Ansehen erhält, daß sich die
jährliche Pension nicht über 18 Louisd’or beläuft.
Hr. S. kan Hrn. Prof. von Saussure nicht zuge-
stehen, daß der berühmte Durchgang von Pierre-
pertuis ein Wasserriß seyn sollte. Rousseaus Auf-
enthalt auf der romantischen Petersinsel im Bieler
See, worauf ehedem ein nachher secularisirtes Kloster
von Clugny stand. In einem alten Erlacher Gesetz-
buch wird das bey den Nordamerikanischen Wil-
den gebräuchliche Scalpiren zur Strafe gesezt.
Der Rath von Erlach besteht eben nicht aus glän-
zenden Mitgliedern, sie fahren Mist aus u.s.w.
In Landeron sind noch jezt Ketzerprediger, deren
einer noch kürzlich beklagte, daß Wilh. Farels
Haut nicht in der Kirche zum Siegeszeichen auf-
gehängt worden wäre. Ein Beyspiel vom erstaun-
lichen Ertrag einer Mergelgrube und der mit dem
Mergel verbesserten Wiesen. Umständliche Nach-
richt von der Herrenhutischen Mägdchenschule zu
Montmirail. Viele in der Schweiz gefundene
Römische Inschriften seyen als Bausteine vermauert
worden. Wie wohlthätig es einem Volke ist, wenn
sich die klügere Obrigkeit zuweilen über sein Ge-
kreisch nach Freyheit wegsezt, hat Solothurn im
J. 1770 u.f. erfahren; da die Einwohner gezwun-
gen wurden, ihren Getraideüberfluß für einen be-
stimmten Preis an die öffentliche Kornkämmer ab-
zuliefern; dafür lebten sie nachher während der
Theurung im Ueberfluß, da ihre Nachbarn darben
mußten. Neuchatel sey eines der freyesten und
glücklichsten Länder in Europa; und zumal der
Preussische Schutz ihm nichts weniger als nach-
[Seite 4] theilig, sondern sehr wesentlich vortheilhaft. Man
unterscheidet den König von Preussen vom Souve-
rain von Neuchatel, und so konnten z.B. in der
Schlacht von Rosbach viele Neuchateller ohne
Bedenken gegen die Preussen fechten. Man lebt
in Neuchatel ohne alle obrigkeitliche Einschränkung
des Aufwandes, dennoch haushälterisch; und die
allgemein angenommene Einimpfung der Pocken
hat die Schönheit der dasigen Frauenzimmer ge-
sichert. Von Louis Bourguet, Leibnizens Freunde,
einem anfänglichen Zweifler, den aber nachher rei-
fere Kenntnisse in der Naturgeschichte zum eifrig-
sten Vertheidiger der Offenbarung machten. Von
Maupertuis lezten Lebensjahren und seinem Auf-
enthalte bey seinem Freunde Bosset in Neuchatel.
H. Gagnebin, der bekannte Botaniste, hat sein
Haus mit Naturalien bis unters Dach so voll
gepfropft, daß er nun selbst neben an im Gast-
hof logiren muß. Der zufällige und unbedeu-
tende Anfang der nun so wichtig und berühmt
gewordenen Uhrmacher zu Chaux de fonds. Um-
ständlich von der merkwürdigen Einrichtung der
dasigen unterirdischen Getraidemühlen, die Moses
Perret Gentil zuerst angelegt. Wie der recht-
schaffene Petitpierre verfolgt und durch seine H.
Amtsbrüder abgesezt worden, weil er sich nicht,
so wie sie, von der Ewigkeit der Höllenstrafen
überzeugen können, und wie der König von Preus-
sen, da ihm die Sache vorgelegt worden, geant-
wortet, daß ers freylich den Neuchatellern nicht
wehren könne, wenn sie ewig verdammt seyn woll-
ten! Auch in Lode sind über dreyhundert Uhr-
macher und bey 600 Spitzenarbeiter. Die un-
glückliche Lottosucht seiner Landsleute wollte ein
dasiger Einwohner durch ein Lotto von Wallnüs-
sen, das er errichtete, lächerlich machen; aber
[Seite 5] vergebens. Er gewann die Wallnüsse der ganzen
Gegend, und das Geldlotto währte dennoch so
lange fort, bis es einmal eine Terne bezahlen
mußte und bankerott machte. Umständlich von
Rousseaus Aufenthalt zu Motier und dem darüber
entstandenen geistlichen Lerm, wobey die wichtigsten
Actenstücke, auch das königl. Preussische darüber
ergangene Rescript, eingerückt sind. Die Gährung
war allgemein, aber die Partheyen getheilt. In
einem Gasthof, wo der Verf. damals einkehrte,
hielts der Wirth mit dem Hrn. Pastor zu Motier,
die Hausmagd aber mit Jean Jacques. Der
Verf. rechtfertigt die vielen Spitzen- und andere
Fabriken in Val-de-Travers etc. ungeachtet der
Landbau dabey fast gänzlich vernachlässigt wird.
Die schönen Alleen um Colombier sind ein Anden-
ken von Herzog Heinrich von Longueville, der sei-
nen Unterthanen eine Bürgschaft von 70,000 Tha-
lern mit der Bedingung erließ, daß sie das Land
mit Bäumen bepflanzen sollten. Der Anlaß zum
Burgundischen Krieg sey nicht, wie Commines will,
blos ein Wagen mit Schaaffellen gewesen. Die
Geschichte der Schlacht von Grandson und des
berühmten Demants Herzog Carls des Kühnen.
Vormaliges Ansehen der Scharfrichter zu Bern.
Die Reformation von Orbe, wobey sich die Weiber
der Mönche annahmen und aufs muthigste gegen
die neuen Reformatoren zu Feld zogen. Verglei-
chung zwischen Bayle und Rousseau. Voltairens
Verse auf die einmal zum Schrecken von Genf
vorgehabte Befestigung von Versoy.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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