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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band,
auf das Jahr 1784.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Göttingen.

[Seite 1745]

Die Vorlesung des Hrn. Prof. Blumenbach
in der Versammlung der königl. Soc. der
Wiss. am 9. Oct. handelte von den Augen
der weißen Mohren und der Bewegung des
Augensterns.
Der Anlaß dazu war von einem
Paar solcher Kackerlacken genommen, die der Hr.
Prof. vor dem Jahre am Fuß der Savonischen Eis-
berge im Faucignythale getroffen, und nach Cha-
mouni hatte kommen lassen, um über ihre sonderbaren
rosenfarbnen lichtscheuen Augen bey Sonnenschein und
bey Kerzenlicht Versuche anzustellen. Da ihr Uebel
im gänzlichen Mangel des braunen Schleims be-
steht, womit gesunde Augen, selbst bey der zarte-
sten Leibesfrucht, wenigstens von der fünften Woche
nach der Empfängniß an, ausgekleidet sind, so ward
[Seite 1746] der Nutzen desselben, (besonders auch aus dem schwar-
zen Fächer im Glaskörper der Vögel, und aus dem
lichtblauen Hintergrunde im Auge der mehresten
wiederkauenden und einiger andern grasfressenden
Säugethiere) erörtert. Freylich ist nicht eben allen
Kackerlacken die Hellung unleidlich und schmerzhaft,
aber immer unnütz: sie werden davon geblendet.
Das ist noch jetzt der Fall jener savoyischen Albi-
nos, ohngeachtet sie des Lichts allgemach gewohnt
worden, das ihnen noch vor 8 Jahren unerträglich
fiel. Blos unter warmblütigen Thieren finden sich
Kackerlacken. Ihr Augenfehler ist immer angebo-
ren, oft angeerbt, und allemal mit einer unnatür-
lich weißen Farbe der Oberhaut und der Haare ver-
bunden. Den Grund dieser Uebereinstimmung sucht
der Hr. Prof. in der Aehnlichkeit des Baues (con-
sensus ex similitudine fabricae
). Der schwarze
Schleim ergiest sich immer nur in solches zartes Zell-
gewebe, das zahlreiche Blutgefäße in der Nähe hat,
und doch niemalen Fett enthält. So das innre
Auge, die Mohrenhaut, der gefleckte Rachen man-
cher Hausthiere u.a. dergl. Stellen. Auch die Ue-
bereinkunft des Augensterns mit der Farbe der Haare.
Daß sich bey blauen Augen weniger Schwärze an
die Traubenhaut anlegt, hat schon Sim. Portius
in seinem seltnen Werke de colorib. oculor ange-
merkt. Auch sind sie empfindlicher als schwarze.
Dieß kommt den nordlichen Völkern bey ihrer lan-
gen Dämmerung zu passe, so wie hingegen das aus-
nehmend schwarze Mohrenauge die brennenden Son-
nenstralen besser ertragen kann.

Dann von der Bewegung des Augensterns, die
der Hr. Prof. bey der fast durchsichtigen Regenbo-
genhaut der Kackerlacken genau beobachtet und mit
dem verschieden Bau dieser Haut in mancherley
Thieren verglichen hat. Besonders merkwürdig ist
[Seite 1747] er in der grönländischen Robbe, deren dicker und
schwammichter Augenstern nicht sowohl mit seinen
Blutgefäßen durchwebt – als vielmehr von densel-
ben als einem fein gegitterten los aufliegenden Ader-
netz an seiner Vorderseite überzogen ist. (Am glei-
chen Auge hat der Hr. Prof. eine überaus sonder-
bare Einrichtung der harten Haut bemerkt, die
den Aufschluß giebt, wie diese Amphibien durch
zweyerley medium von so verschiedner Dichtigkeit,
nemlich sowohl wie die Fische durchs Wasser, als
auch wie Landthiere durch die Luft sehen können?
Der vordere Theil der sclerotica, nemlich der zu-
nächst an die sehr dünne Hornhaut anschließt, ist
dick und fast wie knorplicht: Der darauf folgende
mittlere Gürtel des ganzen Augapfels hingegen sehr
dünne und geschmeidig: Der Hintergrund endlich
wieder ausnehmend dick und stark, so daß folglich
bey dieser Einrichtung durch den Druck der Muskeln
auf jenen mittlern so nachgiebigen Theil die Form
des Augapfels, die Wölbung der so dünnen Horn-
haut, die Lage der Linse etc. sehr leicht verändert
werden kann). Die Bewegung des Sterns im
Schuhu (Strix bubo) hat er aufs bequemste und
deutlichste mit dem vom Hrn. Staatsrath Aepinus
erfundnen achromatischen Apparat beobachten kön-
nen, der im 125 St. dieser Anzeigen beschrieben
worden. Die Zergliederung der Schuhuaugen zeigte
aufs deutlichste, daß die Regenbogenhaut keine Fort-
setzung der braunen Aderhaut seyn kann. – Der
Hr. Prof. hat sich überzeugt, daß, nicht wie unser
Zinn und Hr. Fontana glaubten, die Verengerung
der Sehe, sondern ihre Erweiterung der natürlich
ruhige Zustand für den Augenstern sey. Auch er
hat zwar den Stern bey schlafenden Kindern breit
ausgespannt gesehn, erklärt dieß aber aus der Macht
der Gewohnheit, da er bey der ungebornen Leibes-
[Seite 1748] die längste Zeit ihres neun monatlichen Schlafs hin-
durch mittelst der membrana pupillaris geschlossen
ist. Bey dieser Gelegenheit umständlich vom bisher
ganz unbekannten Nutzen dieser merkwürdigen, die
Sehe der Leibesfrucht verschließenden Haut. – Da
der Augapfel bey der Frucht so äusserst schnell wächst,
und so frühe schon fast seine völlige Größe erreicht,
so würde ihm die in ihm eingeschloßne und nur mit
ihrem äussern Rande an ihn befestigte Regenbogen-
haut in diesem schnellen Wachsthum schwerlich mit
Beybehaltung ihrer für die Zukunft nöthigen satt-
samen Breite folgen können, wenn sie gleich vom
Anfang so wie nachher, ein bloßer offner Ring
wäre: Wohl aber so, als geschloßne Scheibe, die
doch endlich, wenn der Apfel sich seiner bestimmten
Größe nähert, im 7ten 8ten Monat allgemach aus-
einander gerissen wird. Vorzüglich aber wird der
Stern durch diese lange Ausspannung zu seiner künf-
tigen Beweglichkeit vorbereitet, da er zwar in der
Ruhe sich zurückziehn, aber doch auch im hellen Licht,
oder bey nahen Gegenständen, oder im Schlaf ohn-
beschwert wieder, so wie er es in Mutterleibe gewohnt
war, ausdehnen kann. – Doch diese Ausführung
läßt sich, zumal ohne die dazu gehörige Zeichnung,
nicht wohl ins Kurze fassen.

Dann von der nächsten Ursache der Bewegung
des Augensterns. Der Hr. Prof. verwirft beides
sowohl die vermeynten Muskelfasern, als den vorgeb-
lichen Zuschuß der Säfte in denselben, um die Sehe
zu verengern. Auch aller angewandten Handgriffe
ohngeachtet, hat er nie eine Fleischfaser in demsel-
ben entdecken können, und das Eigenthum der Muskel-
faser, die Reizbarkeit, fehlt ihm gänzlich. Zudem
widerspricht den ringförmigen Fasern die besondre
Gestalt der Sehe bey einigen Thieren: zumal beym
Rochen, beym Dintenfisch, bey der Feuerkröte u.s.w.
[Seite 1749] den stralichten aber die, alle Muskelkräfte weit über-
steigende, Verkürzung der Breite des Sterns bey der
Erweiterung der Sehe: zumal in Katzen, Eulen etc. –
Ueberhaupt hält er auch diese Bewegung für unwill-
kürlich.
– Das vermeynte Anschwellen des sich
ausdehnenden Sterns ward durch den Augenschein
bey den gedachten savoyischen Albinos, aber auch
bey den weißen Caninchen, beym Schuhu s.w. wider-
legt. So wie die zu diesem Behuf angenommene Aus-
dehnung der Blutgefäße ausser andern Gründen,
besonders auch durch die vergleichende Anatomie und
durch Erfahrungen in Krankheiten entkräftet wird.
So hat sich der Hr. Prof. da er selbst vor geraumer
Zeit einmal an einem unterbrochnen Aderschlag litte,
durch genaue und anhaltende Beobachtung im Spie-
gel überzeugt, daß der Stern beym Ausbleiben des
Pulses sowohl als beym darauf folgenden sehr fühl-
baren Zuschuß dennoch ganz unverändert blieb.

Er glaubt vielmehr, den Grund der Beweglich-
keit dieser sonderbaren Haut in einer eignen Lebens-
kraft (vita propria) zu finden, die schon der freylich
oft schwärmerische aber auch oft sehr tief ins innre der
thierischen Physiologie eindringende Bapt. Helmont
anerkannte –, die bey der unübersehlichen Schwie-
rigkeit alle Verrichtungen so vieler besondern Or-
gane von so ganz eignen Bau und ganz eigner Be-
stimmung blos auf Nervenkraft oder Reizbarkeit
oder Schnellkraft zurückzubringen, immer mehr
Wahrscheinlichkeit erhält –, und wovon der Hr. Prof.
eben in der so eignen Bewegung des Augensterns
(als welcher keine andre Bewegung in der ganzen wei-
ten thierischen Oeconomie wesentlich ähnlich ist –)
ein unwiderredlich Beyspiel gefunden zu haben hofft.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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