Die Vorlesung des Hrn. Prof. Blumenbach
in der am akademischen Jubelfeste veran-
stalteten feyerlichen Versammlung der kön.
Societät der Wissenschaften betraf die, zumal
neuerlich, so zuversichtlich behauptete und theils
mit so lautem Beyfall aufgenommene, Lebenskraft
des Blutes. Ein wichtiger Gegenstand, so bald
man sich erinnert, daß die Behandlung, Lenkung etc.
der Lebenskräfte das höchste Ziel der ausübenden
Arzneywissenschaft ist, und es sich also fragt, ob
sich diese Behandlung auch aufs Blut, so wie auf
die Nerven u.a. feste Theile des Körpers, erstreckt?
Da diese Frage, so wie jede andere, die die Lebens-
kräfte betrifft, einzig und allein durch Erfahrungen
und Versuche entschieden werden muß, so prüfte
also Hr. B. nun diejenigen, deren man sich zu
[Seite 1730] Behauptung einer Lebenskraft des Bluts bedient
hatte, und unter diesen, vor allen der beyden,
dem Anschein nach wichtigsten und gleichsam ent-
scheidenden; nemlich der berühmten Harveyischen
Behauptung, daß bey Vivisectionen, selbst nach-
dem das Herz des sterbenden Thiers schon alle
Bewegung verlohren, doch noch, in ipso sanguine,
wie sich H. ausdrückt, modulationem quandam et
obscuram trepidationem sive palpitationem (ex-
tremum vitae indicium) reperiri: und dann der
neuerlich in England zu gleichem Behuf angeführ-
ten Gefäße, die sich bekanntlich zuweilen in Blut-
pfröpfen und Extravasaten erzeugen. Beyde noch
so blendende Argumente lassen sich bey einer stren-
gern Prüfung leicht entkräften. Im einen liegt
die Täuschung im Versuche selbst, im andern in
der aus einer übrigens richtigen Erfahrung gezo-
genen Schlußfolge. Hr. Prof. B. hat den Har-
veyischen Versuch an lebendigen Säugethieren,
zumal an Hunden, Igeln und Caninchen, nach-
gemacht, verschiedentlich verändert etc. und sich da-
durch vollkommen überzeugt, daß jene scheinbare
Bewegung des Bluts im geöffneten Herzen doch
blos von der Reizbarkeit dieses letztern selbst her-
rührt, so daß das Blut (oder jeder andere Saft,
dessen er sich an dessen Statt bediente) nicht eher
und nur so lange oscillirte, als die darunter lie-
genden Muskeln ihre Irritabilität äusserten. Die
Entstehung der neuen Gefäße aber hat nicht im
Blute als Blut, sondern einzig in der nun dar-
aus geschiedenen plastischen Lymphe statt, so daß
zwar der Stoff zu diesen Gefäßen so gut, wie zu
andern festen Theilen des Körpers, vorher im
Blute war, seine organische Bildung und Belebung
aber erst nachdem er aus der Blutmasse abge-
schieden und der Bildungstrieb in ihm rege wor-
[Seite 1731] den war, ihren Anfang nahm. – Die übrigen
Gründe, deren man sich bis jetzt zum Erweis einer
eigenthümlichen Lebenskraft des Blutes bedient hat,
sind, beym Lichte betrachtet, noch ungleich schwä-
cher: so daß, wie die Sache jetzt steht, man vom
vermeynten Leben im Blute wohl so wie Virgil von
der sterbenden Dido sagen kann: – in ventos
vita recessit.