Die Bibliotheca medica unsers großen Hallers,
wozu er seit seinen Jugendjahren unablässig ge-
sammelt, und deren Ausgabe er für seine reifsten
Jahre, gleichsam um seine glänzende Bahn damit
zu krönen, verspart hatte, dieses in seiner Art so
einzige Werk, dem, was Vollständigkeit und mu-
sterhafte Bearbeitung betrifft, kein anderes Fach
menschlicher Kenntnisse etwas Gleiches entgegen-
stellen kann, ward bekanntlich vor Beendigung
des practischen Theils durch den Tod des sel. Prä-
sidenten unterbrochen. Da indeß die Fortsetzung
der nächstfolgenden Perioden im Manuscript meist
ausgearbeitet war, so unternahm es unser ehe-
maliger Correspondent, der gelehrte und arbeit-
same Dr. Vicat zu Petterlingen, der als alter Ge-
hülfe von Hallers Arbeiten mit dessen Hand ver-
traut war, die Ausgabe derselben zu besorgen.
Allein auch ihn rief der Tod von diesem Unterneh-
men ab. Man übertrug hierauf das ganze Ge-
schäft unserm damaligen gelehrten Mitbürger,
dem nunmehrigen Hrn. Dr. Brandis zu Hildes-
heim, der sich durch seine gelehrte Preisschrift
von den fetten Oelen u.a. Arbeiten bekannt ge-
macht hatte, und wir sehen nun mit Vergnügen
an dem neuen Theil, den wir anzeigen, wie glück-
lich diese Wahl ausgefallen ist.
Alb. v. Haller bibliotheca medicinae
practicae. T. IV. – Edidit, novisque curis au-
xit etc. J.D. Brandis. 464 S. in gr. Quart,
ohne das mühsame, aber überaus nützliche, allge-
meine Register über alle vier Bände, das der
Herausgeber hier diesem angehängt hat. – Be-
kanntlich ist das große Werk in chronologischer
Ordnung verfaßt, die einzelnen Abschnitte aber meist
nach derjenigen Schule benannt, die zu der Zeit
[Seite 845] die herrschende war. So begreift hier dieser neue
Band den Rest der Stahlischen und dann die
Boerhaavische Schule bis zum J. 1707. Von
beyden heben wir nur einige wenige auffallende
Namen aus. – Der berühmte Naturkundige und
Pariser Akademiste v. Tschirnhausen, der über seine
eigene Gesundheit sonderbare genaue diätetische
Beobachtungen anstellte. Des Gr. Gabalis seltne
phaenomena medica. So andre seltne und doch
wichtige Schriften im umständlichen Auszug: wie
die von Viridet, Gausapé u.m. dergl. Chardins,
Tourneforts u.a. Reisen, auch für die Arzney-
kunde so reichhaltig. Umständliche Auszüge aus
mehrern gar wenig bekannten Schriften des übri-
gens berühmten Floyer’s. Der religiöse, fast schwär-
merische, aber durch seinen surdus loquens um die
Menschheit unendlich verdiente Amman von Schaf-
hausen. Der Jatromathematiker Pitcairn, der
gegen die Hypothesen eiferte, und dessen Schrif-
ten doch von den abentheuerlichsten Hypothesen
wimmeln. Morton. – Boerhaave selbst, wie sich
erwarten ließ, ein sehr detaillirter, aber durchaus
musterhafter Artikel. Umständlich von diesem ama-
to praeceptore, cuius eruditionem aliqui, pauci
quidem, adtingent, animum vix quisquam, di-
vinum, omnium amantem, in invidos et adver-
sarios beneficum, nemini detrahentem, eumque
ipsum a quo quotidie refutabatur, maximis sibi
beneficiis obstringentem. (Zielt das etwa auf
seinen Collegen B.S. Albinus?) Hr. v.H. hörte
ihn von 1725–27. disertum, in sermone suo
facilem, laetum, ut nihil audire cuperes magis.
Beyläufig auch manches von des großen Mannes
vita domestica; Taedia vitae, testudine consola-
batur. Vita ei simplex, calcei in horto lignei,
in toto victu exili vestituque civis minoris et
opificis alicuius similem se gerebat. – Der an
[Seite 846] wichtigen practischen Bemerkungen so reiche, und
doch von unsern Aerzten so wenig benutzte Val-
lisneri. Hingegen wird das Lob, womit man sonst
den Bagliv zu erheben pflegte, sehr herabgestimmt!
Der fromme Vielschreiber Hecquet und sein Anta-
goniste Andry. Ein vollständiger lehrreicher Aus-
zug aus der ganzen Sammlung der Act. medi-
cor. Berolinens. – Freind und Mead: letzterer
doch voll Hypothesen, das König Georg II. sehr
richtig einsah und nie rechtes Vertrauen zu die-
sem Leibarzt hegte. – Die Reform der Pariser
Akademie der Wiss. im J. 1699. neque alio insti-
tuto, sagt der Verf., Ludovicum XIV. maiorem
gloriam consecutum fuisse puto etc. – Der
Leinwandhändler und nachherige berühmte Arzt
und Naturforscher Woodward. – Die hist. mor-
bor. Vratisl. das Meisterstück der Stahlischen
Schule, wovon Hr. v.H. bekanntlich selbst eine
neue Auflage besorgt hat. – Astruc, einer der
solidesten französischen Aerzte, voll ausgebreiteter,
verdauter und fruchtbarer Gelehrsamkeit. – So
der würdige Morgagni. – Torti, Heister und
hundert andere verdiente Schriftsteller mehr.
Nun noch ein Wort von dem, was Hr. Dr.
Brandis geleistet hat. Schon das mühsame Ein-
studiren in Hallers unleserliche Hand, bey einem
Werke, wo so viele Namen vorkommen, wäre ver-
dienstlich genug. Allein Hr. Br. ist ungleich wei-
ter gegangen, und hat, da der Hr. v.H. so oft
seit seiner Abreise von Göttingen über den Man-
gel einer größern Büchersammlung, als seine eigne
war, klagen mußte, die Subsidien, die ihm hier-
in die hiesige Universitätsbibliothek gewährte, mit
dem rühmlichsten Fleiße benutzt, daher das Werk
an unzähligen Stellen Berichtigungen und Zusätze
von seiner Hand erhalten hat. Beyläufig hat er
nun aber auch für die Zukunft sorgen und zur
[Seite 847] fernern Fortsetzung des wichtigen großen Werks
auf die neuern Zeiten sammeln und vorarbeiten
können, zu deren Ausführung wir ihm ferner
Eifer und Beharrlichkeit wünschen.