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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1789.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Göttingen.

[Seite 73]

Die Vorlesung des Hrn. Hofr. Blumenbach in
der Versammlung der Königl. Societät der
Wissenschaften am 27. Dec. v. J. enthielt ein Spe-
cimen physiologiae comparatae inter animantia
calidi sanguinis vivipara et ovipara
, woraus wir
hier blos einige einzelne Bemerkungen anzeigen
können. – Die neuerlich so berüchtigt wordene
Streitfrage, ob das sogenannte corpus luteum
im weiblichen Eyerstock einzig und allein Folge
eines vorhergegangenen befruchtenden Beyschlafs
sey, oder aber auch im jungfräulichen Körper
gebildet werden könne? läßt sich wohl folgender-
maßen beylegen. Bekanntlich können kirre weib-
liche Vögel, auch ohne daß sie nur ein männliches
Geschöpf ihrer Art gesehen haben, durch bloßes
Kitzeln am Leibe in eine Ecstase gebracht werden,
[Seite 74] bey welcher sich, wie hernach die Zergliederung
zeigt, eben so gut ein Dotter aus seiner Hülfe im
Eyerstock losreißt, als wenn sie von einem Hahne
getreten worden wären. Die Hülfe (calix) selbst
aber bleibt in beyden Fällen am Eyerstocke hän-
gen, schrumpft ein, und ist nun das beym weib-
lichen Vogel, was das corpus luteum bey Frauen-
zimmern u.a. weiblichen Säugethieren ist. Hier-
mit nun die Fälle kritisch verglichen, wo die ge-
nauesten und zuverlässigsten Zergliederer, wie
Santorini u.a.m. diesen gelben Körper auch in
jungfräulichen Leichen gefunden zu haben versichern,
so machen es manche dabey erwähnte Umstände
mehr als blos wahrscheinlich, daß diese verdäch-
tige Veränderung im Eyerstocke wohl einen ähn-
lichen unnatürlichen Ursprung, wie bey jenen Vö-
geln, haben möge. Bertrandi z.B. fand sie blos
bey Mädgen vom 14. Jahre an. Die schöne 18-
jährige Fräulein, die Vallisneri öffnete, war in
einem strengen Nonnenkloster erzogen, hatte aller-
hand hysterische Anfälle gehabt, und die Fallopi-
sche Röhre an der Seite, wo der gelbe Körper saß,
sah aus, wie bey brünstigen Thieren (quando
hanno suegliato l’estro de’ loro amori
). Da also
der unnatürliche Anlaß zur Entstehung eines so
unzeitigen gelben Körpers wohl bey erwachsenen
Mädgen und bey Vögeln statt hat, schwerlich aber
wohl bey andern warmblütigen Weibchen versucht
worden ist, so begreift sich, warum man nach
der, auf unzählige Zergliederungen vierfüßiger
Säugethiere gegründeten, negativen Behauptung
des de Graef, Verheyen und unsers Kuhlemanns,
und des Hrn. v. Haller selbst, die Möglichkeit des
gelben Körpers ohne vorgängigen Beyschlaf ver-
worfen hat, und so läßt es sich allerdings ent-
schuldigen, wenn Hr. v. Haller schrieb: ‘”je défie
[Seite 75] l’Univers d’avoir vu un corps jaune dans une
vierge
”’ – Vergleichung des bebrüteten Küchel-
gen mit der Leibesfrucht der Säugethiere. Beym
Vogel im Ey ist die erste Gestalt, worin er sich
zeigt, unendlich mehr von seiner nachherigen Form,
wenn er zum Auskriechen reif ist, verschieden;
als die früheste Gestalt des neuempfangenen gal-
lertigen Säugethiers von seiner nachwärtigen Bil-
dung. Man kann sagen, das Küchelgen im Ey
gelangt erst durch eine Art Metamorphose zu sei-
ner vollkommenen Gestalt; und das in Rücksicht
einzelner Eingeweide sowohl, als in der Totalbil-
dung. So z.B. sein Herz, das als punctum sa-
liens
eine geschlungene, in mehrere Säcke erwei-
terte, Röhre vorstellt, die Hr. B. zur Lösung des
Räthsels anwendet, warum bey Vögeln so oft
(und versteht sich von den genauesten Zergliede-
rern, wie Rudbeck, Littre etc.) doppelte Herzen bey
übrigens vollkommen natürlichem einfachem Körper-
bau bemerkt worden sind, und bey Säugethieren
hingegen, so viel ihm erinnerlich, nie. Wenig-
stens ist wohl begreiflicher, wie bey einer solchen
Anlage durch ein Uebermaaß des dann ohnehin
noch am allerthätigsten Bildungstriebes aus einem
vorher getheilten Herzen nun ein gedoppeltes ent-
stehen konnte; als durch welchen Zauber in den
einfachen Keim eines Hühnchen zwey Keime zu
doppelten Herzen sollten gelangen können. –
Ueberhaupt erhält auch die neuempfangene Leibes-
frucht der Säugethiere ungleich früher ihre voll-
kommene Ausbildung, als das bebrütete Küchel-
gen; und es ist daher ein abentheuerlicher Miß-
brauch der physiol. comparata, wenn man z.B.
in Frankreich bey strittigen Rechtsfällen über die
erbfähige Vitalität einer frühzeitigen Geburt die
Sache aus der Vergleichung mit den Hallerschen
[Seite 76] Beobachtungen des bebrüteten Hühnchen entschei-
den wollte. Nur ein Beyspiel statt vieler von
jener Verschiedenheit zwischen beyden: Beym
Hühnchen zeigt sich die erste Spur der Rippen in
der 192. Stunde des Bebrütens: dieser Termin
trifft aber, wenn er auf die menschliche Schwan-
gerschaft angewandt wird, mit dem Anfang der
16. Woche derselben überein. Und doch besitzt
Hr. B. in seiner Sammlung menschliche Leibes-
früchte, die nicht viel größer, als eine gemeine
Ameise, und höchstens in die fünfte Woche nach
der Empfängniß zu setzen sind, und die doch die
knorplichte Grundlage ihrer Rippen schon aufs
schärfste ausgewirkt zeigen. – Ueber den Zweck
der bekannten merkwürdigen fleischernen Klappe,
die blos bey den Vögeln in der rechten Herzkam-
mer sich findet, und nach Hrn. B. Untersuchun-
gen zur Erleichterung des kleinen Blutumlaufs
dient, da bey diesen Thieren die festgewachsenen,
an sich nicht großen, und noch oben drein in die
Luftbehälter sich öffnenden, Lungen nicht so, wie
bey den Säugethieren, im Einathmen aufgetrieben,
und dadurch dem eindringenden venosen Blute
die Wege gebahnt werden. Und daß dies der
Zweck sey, erweist die Vergleichung mit der lin-
ken Herzkammer, die, wie bey den Säugethieren,
ihre zarten membranosen Klappen hat, so wie sie
bey dem geringen Widerstand der Aorta zum gros-
sen
Blutumlauf völlig hinreichen. – Nur sehr
wenige Vögel, die Enten nemlich u.a. verwandte
Gattungen, scheinen den wirklichen Sinn des
Gefühls (im engern Verstande) zu besitzen; und
das Organ dazu ist wohl die weiche Bedeckung
ihres Schnabels, die mit ausnehmend starken
Hautnerven von allen drey Aesten des fünften
Paares versehen, und beym lebendigen Thiere äus-
[Seite 77] serst empfindlich ist. Auch sieht man, wie die
Enten in den Pfützen, wo sie bey Aufsuchung
des Fraßes weder dem Gesicht, noch dem Geruch
nachgehen können, mit dem Schnabel wirklich
sondiren. – Mancherley Aufschluß über die Na-
turgeschichte der Pfefferfraße, wovon Hr. B. neu-
lich eine Gattung zergliedert hat. Die Geruchs-
werkzeuge in den ungeheuren Schnäbeln dieser
Vögel sind klein; hingegen ansehnliche Gaumen-
nerven, zumal vom ersten Ast des fünften Paars,
die gewissermaßen den Mangel des Geschmacks in
der so eigenen ganz hornigten Zunge dieser Thiere
ersetzen. Alles zeigt die Schwäche der nüchternen
Declamation, womit Graf Büffon in seiner Ge-
schichte dieser Vögel viele Irrthümer und Ueber-
eilungen hat erweifen wollen, deren sich, seiner
Meynung nach, der Schöpfer bey Bildung der-
selben schuldig gemacht haben soll.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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