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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band,
auf das Jahr 1793.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Leiden.

[Seite 1481]

Wir eilen, von einem ausnehmend prachtvollen
und wichtigen Werke Nachricht zu geben, das
unsre Bibliothek so eben von den Herren Curatoren
der Leidner Universität zum Geschenk erhalten.

Museum anatomicum academiae Lugduno-
Batavae descriptum ab Eduardo Sandi-

fort. – Lugd. Bat apud S. & J. Luchtmans.
1793. Zwey Bände in Imperialfolio. Der I. von
335 Seiten mit IX Kupfertafeln. Der II. von 122
Seiten mit CXXVII Tafeln.

Daß sich bey dem Leidner anatomischen Thea-
ter ein beträchtlicher Vorrath von eigentlich soge-
nannten anatomischen Präparaten, zumal aus dem
Nachlaß der drey berühmten dasigen Lehrer, Rau,
B.S. Albinus und van Doeveren befindet, ist all-
gemein bekannt. Aber nicht so allgemein bekannt
[Seite 1482] war zeither, daß dasselbe auch mit einer ausneh-
mend zahlreichen und instructiven Sammlung von
pathologischen Präparaten versehen ist, die sie
größtentheils dem vieljährigen unermüdeten Eifer des
würdigen Hrn. Prof. Sandifort verdankt, den die
Curatoren, um diese so seltenen und doch so lehr-
reichen Schätze gemeinnütziger zu machen, ermuntert
haben, sich der großen, verdienstvollen Arbeit zu
unterziehen, sie in dem splendiden Werke, was wir
anzeigen, zu beschreiben, und von den vorzüglich-
sten darunter getreue und kunstmäßig schöne Abbil-
dungen zu liefern. Das Ganze ist, wie gesagt,
in zwey Bände vertheilt, wovon der erste die Be-
schreibung des ganzen Musei, der zweyte aber die
zur anatome pathologica gehörigen Kupfertafeln
mit ihrer Erklärung begreift. – Jenem ist, als
Einleitung, die Geschichte der Leidner Professoren
der Anatomie vorgesetzt (ein trefflicher Beytrag zur
medicinischen Litterärgeschichte.)

Wilhelm I. betrieb die Stiftung der Universität
noch während des spanischen Kriegs; – sie ward
nach Leiden gelegt, den dasigen Einwohnern zur Be-
lohnung, weil sie sich in jenem Kriege so muthig
ausgezeichnet hatten; – binnen 5 Wochen war die
neue Universität mit Professoren besetzt.

Die ersten drey Abschnitte der Beschreibung selbst
enthalten die Verzeichnisse der Rauischen, Albini-
schen
und van Doeverenschen Sammlung. Doch
sind hier die darunter befindlichen pathologischen
Stücke nur kurz berührt, und ihre ausführlichere
Beschreibung für die folgenden 5 Abtheilungen ver-
spart, von welchen die IV. die ausnehmend reich-
haltige Sammlung von kranken Knochen begreift.
Hiebey, so wie in den folgenden Abschnitten, theils
die ausführlichen Krankheitsgeschichten. V. Krank-
hafte Eingeweide und andere weiche Theile des
[Seite 1483] Körpers. VI. Zahlreiche Steine aus den Harn-
wegen; hingegen wenig Gallensteine (die in Holland
seltener sind); dann einige aus andern Stellen des
Körpers, z.B. aus dem sogenannten Thränensacke.
VII. Mißgeburten von Menschen und Thieren. –
Unter letztern auch der Kopf einer Paduaner Henne
mit dem, dieser seltsamen Spielart von Hühnern
eigenen, blasenförmig aufgetriebenen Stirnbeine etc. –
Endlich VIII. unter der Rubrik Varia einiges zum
natürlichen Bau des Menschen und der Thiere,
was außer den drey gedachtem bekannten Samm-
lungen noch auf dem Leidener anatomischen Theater
befindlich ist.

Diesem ersten Bande sind noch neun Kupfer-
tafeln ohne weitere Erklärung beygefügt, worauf
eben so viele Schedel von verschiedenen Nationen
trefflich abgebildet sind. Ein Kalmüke, Tatar,
Neger, Russe, Schwede, Engländer, Franzose,
Italiäner und eine Hannoveranerin.

Der ganze II. Band enthält nun, wie gedacht,
bloß die tabulas anatomico-pathologicas mit ihrer
Erklärung und Rückweisung auf die im ersten Bande
davon gegebene umständlichere Nachricht. Sie sind
sämmtlich von dem berühmten Künstler, Abr. Del-
fos
(einem würdigen Schüler des großen Wandelaar)
gezeichnet, und von Muys und de Mare in einer
kräftigen und doch netten und deutlichen Manier
gestochen. – Wir können hier nur eine bloß sum-
marische Uebersicht des Ganzen geben.

Erst nicht weniger denn 103 Tafeln mit kran-
ken Knochen,
– nämlich: t. 1–4. ein in seiner
Art einziges Stück; der truncus eines weiblichen
Gerippes, der, vermuthlich durch krankhafte Erwei-
chung, an fast unzähligen Stellen gebrochen, und
diese endlosen Fracturen doch wieder zusammengeheilt
worden. – 5. sichelförmige rachitische Röhrenkno-
[Seite 1484] chen von Armen und Beinen. – 6–12. Wasser-
köpfe, von Kindern und Erwachsenen. – 13. wider-
natürlich dicke, theils durch einen fungus der har-
ten Hirnhaut verdorbene Hirnschaalenknochen. –
14. 15. Ankylosen der Nackenwirbel und – 16. des
Unterkiefers. – 17. 18. Fissuren des Hirnschedels. –
19–21. andere Hirnschalenwunden. – 22–29.
venerischer u.a. Beinfraß am Schedel. – 30 –
33. vier schaudervolle Blätter; der ganze Kopf und
dann der Schedel einer 44jährigen vorher kerngesun-
den Frau, Mutter von 13 Kindern; die ihre letzten
12 Lebensjahre durch ein Gewächs in der einen Höhle
der Oberkiefer, das allgemach die Gesichtsknochen
sprengte, das Antlitz mit einem scheußlichen Klum-
pen bedeckte etc. zuletzt blind und ohne daß sie an-
dere als flüssige Nahrung hinterwürgen konnte, da-
hinjammern mußte. – 34. 35. eingedrückte und
sonst verunstaltete Schedel von Leibesfrüchten und
neugebornen Kindern, auch ein sogenannter Krötenkopf
(acephalus). – 36–44. einzelne Stücken zur Sco-
liosis, Kyphosis und Ankylosen des Rückgraats. –
45. fehlerhafte Kreuzbeine, – 46. Brustbeine, und –
47–49 mit den Wirbeln ankylosirte, oder unter ein-
ander verwachsene, cariöse oder sonst verdorbene Rib-
ben. – 50–60. ganze trunci mit Scoliosis, Ky-
phosis etc. – 61–76. fehlerhafte Becken, z.B. mit
offen voneinander stehenden Schaambeinen; oder die-
selben mit einem Knochenblatt, wie mit einer Art An-
kylose, zusammenverwachsen; Becken von Hinken-
den mit ihren Schenkelköpfen; Anlage zu neuen
Hüftpfannen u.s.w. – 77–98. merkwürdig ge-
heilte und dadurch theils äußerst entstellte Beinbrü-
che, Exostosen, Ankylosen, Beinfraß, Necrosen,
krankhafte Verdickung und mancherley andere Feh-
ler der untern Extremitäten. – 99–103. Eben
so von den Armen. – Unter dieser lehrreichen
[Seite 1485] Menge kranker Knochen sind auch viele durchgesägt,
und ihre innere widernatürliche Beschaffenheit treff-
lich abgebildet.

Es folgen hierauf t. 104–113. Krankheiten der
Eingeweide u.a. weichen Theile. Z.B. eine Aorta,
die erst durch ein Geschwür mit dem Oesophagus
verwachsen war, und nachher, da dasselbe berstete,
ihr Blut in den Magen stürzte. Andere Fehler des
Oesophagus. – Beyläufig einige merkwürdige
anatomische Varietäten am Bogen der Aorta; mon-
strose Nieren etc. – Wassersuchten des Eyerstocks,
Geschwülste an und in der Gebärmutter etc. – Zwey
meisterhafte Tafeln von einem im 22. Jahre durch
Einklemmung tödtlich wordenen angebornen Netz-
und Darmbruch; – eine tödtlich wordene Verschwel-
lung im Harnblasenhalse u.s.w.

t. 114. 115. die Steine, unter denen aus den
Harnwegen einige von entsetzlicher Größe.

Endlich t. 116–127. Mißgeburten, darunter
auch ein doppeltes Mohrenkind. Wieder sogenannte
Krötenköpfe, und gehaltenes Rückgraat derselben etc.

Auch diese kurze Anzeige wird dennoch hinreichend
seyn, um den Lesern einen Begriff von der für die
ganze Chirurgie und Pathologie, und, wie sich
folglich von selbst versteht, auch für die Physiolo-
gie
so belehrenden, reichhaltigen Fülle zu geben,
die in diesem prachtvollen Werke enthalten ist, das
seinem würdigen Hrn. Verf., so wie den Herren
Curatoren der Leidner Universität, aber auch den
dabey gebrachten Künstlern, verdiente und bleibende
Ehre macht.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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