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Göttingische
Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1795.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Offenbach am Mayn.

[Seite 505]

Auf Kosten des Verfassers und in Commission
bey Brede ist so eben mit vieler typographischer Ele-
ganz erschienen: Neuer Versuch einer allgemei-
nen Characteristik des menschlichen Geschlechts,
sowohl im rohen und noch ganz ungebildeten,
als im halbgebildeten Stande.
Mit Kupfern
[Seite 506] und Vignetten. Des ersten Bandes erstes Heft:
Physische Verschiedenheit des menschlichen Ge-
schlechts.
179 Seiten in groß Quart. – Den
Plan dieses ansehnlichen Werks setzt der Verf., der,
wie man aus der Zueignungsschrift sieht, der Frey-
herr F.W. von Ulmenstein ist, in der Einlei-
tung folgendermaßen aus einander: Er gedenkt
nämlich eine allgemeine Darstellung des menschli-
chen Geschlechts zu liefern, so lange sich dasselbe
entweder im noch ganz ungebildeten Stande der
rohen Natur, oder auch schon im halbgebildeten
befindet; und zwar zuvörderst eine kurze allgemeine
Schilderung der physischen Eigenheiten und Verschie-
denheiten des menschlichen Geschlechts, hernach aber
eine ausführlichere Entfaltung der sittlichen Eigen-
schaften des noch ganz ungebildeten und des schon
halbgebildeten Menschengeschlechts. Letzteres ist
daher der Hauptgegenstand seiner Untersuchung, zu
welcher jene Schilderung der physischen Eigenheiten,
die in diesem ersten Hefte enthalten ist, gleichsam
nur als eine Vorbereitung dienen soll. Das Ganze
wird aus zwey Bänden, und jeder derselben aus
vier Heften bestehen. Die nächstfolgenden drey
Hefte des ersten Bandes werden eine Darstellung
der moralischen Eigenheiten und Verschiedenheiten
des noch ganz rohen und ungebildeten Menschen-
geschlechts enthalten. Der zweyte hingegen erst
eine genaue Schilderung der Staats- oder politi-
schen, und der häuslichen Verfassung aller noch un-
gebildeten Völker, ihrer Sitten und ihrer Religions-
meynungen, mit beständiger Rücksicht auf die im
ersten Bande geschilderten moralischen Eigenschaften
derselben, und dann eine Erörterung, wie viel auch
die halbgebildeten Völker der Erde von diesen sitt-
lichen Eigenschaften mit den rohen und ungebilde-
ten noch gemein haben. Besonders gedenkt der Verf.
[Seite 507] in den drey folgenden Heften dieses ersten Bandes
ein seines Wissens neues System zu Grunde zu le-
gen, und zu zeigen, daß es gewisse sittliche characte-
ristische Eigenschaften gebe, die dem ganzen mensch-
lichen Geschlechte im ganz ungebildeten Stande der
rohen Natur eigen seyen; gewisse andere, bey wel-
chen nur seltene und geringe Ausnahmen Statt ha-
ben; und hingegen noch andere, worin eine sehr
merkwürdige Verschiedenheit unter den ungebilde-
ten Völkern der Erde bemerkt wird; eine Wahr-
nehmung, aus welcher sich, nach dem Verf. (den
wir überhaupt bis hieher meist mit seinen eigenen,
nur etwas abgekürzten, Worten reden lassen), viele
auffallende moralische Erscheinungen in der Geschichte
der Menschheit erklären lassen. – Nun ein Wort
von dem ersten Heft insbesondere: Dieser begreift
die Geschichte der körperlichen Nationalverschieden-
heiten bey den Spielarten im Menschengeschlechte,
vorzüglich in Rücksicht auf Gesichtsbildung, Farbe,
Statur und übrigen Körperbau, und auf Sprache. –
Da die characteristische Gesichtsbildung der Haupt-
spielarten im Menschengeschlechte durch bloße Be-
schreibung nicht anschaulich genug gemacht werden
kann, so hatte der Verf. den guten Gedanken, sie
zugleich in porträtmäßigen Abbildungen darzustel-
len, und daher gleich auf dem Titel das Bildniß
des Hrn. Wasa (des durch seine Schriften und
Schicksale bekannten Negers), und so auf den An-
fangs- und Schlußleisten und auf 6 besondern
Kupfertafeln noch 26 Köpfe von andern, in die-
sem Bezug merkwürdigen, fremden Völkerschaften
geliefert, auch zu einer Anzahl Exemplare diesel-
ben mit Farben abdrucken lassen. Zu bedauern
aber ist, daß bey den wenigsten dieser angeblichen
Porträts eine glückliche, recht überdachte, Auswahl
getroffen worden. So ist z.B. gleich S. 1 zum
[Seite 508] Repräsentanten der Nordamerikanischen Indianer der
von W. Bartram so ganz verzeichnete Kopf ge-
wählt, den dieser seinen Travels through Caroli-
na etc
. vorgesetzt hat. Ueberdem aber ist die Co-
pie in dem Werke des Hrn. von U. dem vor uns
liegenden, zu Philadelphia gedruckten, Originale
jener Reise so äusserst unähnlich, daß man sie schwer-
lich für etwas anderes, als für Copie von Copie
halten kann. Und doch hat man von keiner an-
dern fremden Menschenvarietät so viele meisterhafte,
der Natur getreue, und auch in Deutschland gar
nicht seltene, Kupferstiche (von Wenz. Hollar, Ba-
sire, J.R. Smith etc.), als gerade von den Nord-
amerikanischen Indianern. – So ist S. 177 einer
von den Carricaturköpfen aus Dobrizhoffers Buche
entlehnt, da doch selbst die übrigen Kupfer in dem-
selben auf den ersten Blick zeigen, daß dabey gar
an keine der Natur nur irgend treue Aehnlichkeit
zu denken ist. – Ein Paar Kamtschadalen aus
Krascheninnikow sind zwar selbst im Russischen Ori-
ginal, das wir vor uns haben, gewiß mehr der
Tracht wegen vorgestellt, als daß es porträt-
mäßige Gesichter seyn sollten: sie sind aber in der
Copie bey Hrn. von U. wiederum so sehr von jenen
in der Urkunde verschieden, daß wir bey dem Manns-
kopfe noch gar nicht herausbringen können, nach
welcher Figur des Originals er wohl copirt seyn
mag? – Die Samojeden nach de Bruyn, einem
ganz guten Maler auch in diesem Fache, sind eben-
falls unglücklicher Weise nicht nach den Original-
kupfern, sondern nach den elenden Nachstichen der
Quartausgabe copirt. – Die Grönländer hätten
um so weniger aus Cranzens, sonst noch so classi-
schem Buche genommen werden sollen, wo sie wie-
der der Tracht, und nicht der Gesichtsähnlichkeit
wegen stehen, da die Abbildungen, die Olearius
[Seite 509] von drey Grönländerinnen in Gottorf nach dem
Leben machen lassen, in seinen beyden bekannten
Hauptwerken in Kupfer gestochen sind. – Acht
Figuren sind aus der großen Beschreibung von Cook’s
letzter Reise genommen; aber auch den Originalen
nicht getreu. Doch ist hierbey noch am wenigsten
verloren, denn der Zeichner derselben, der nun ver-
storbene Webber (den der Rec. recht gut gekannt
hat) war ein geschmackvoller Landschaftmaler, aber,
trotz des Aufhebens, was man in Deutschland von
seinen schönen Bildern der Südseeinsulanerinnen ge-
macht hat, zum Porträtmaler durchaus verdorben.
Er konnte nicht einmal den Capitän Cook treffen,
mit dem er fast drey Jahre lang täglich umgegan-
gen war, und dessen markirte Gesichtsbildung doch
ein nur mittelmäßig treffender Zeichner nicht wohl
verfehlen konnte. – Vier Figuren stellen Schine-
sen vor, nach Kunstarbeiten dieser Nation in zwey
Frankfurter Sammlungen. Diese sind sehr cha-
racteristisch, und vielen Schinesen, die der Rec. zu
sehen Gelegenheit gehabt, im Totalblick völlig ähn-
lich. – Im Werke selbst, das im Ganzen von
großem Fleisse des Verf. zeugt, vermissen wir doch
zuweilen strengere Kritik, zumal beym Gebrauche
der Reisebeschreiber; wie bey den Gewährsleuten
für die vorgegebene natürliche Bartlosigkeit der Ame-
rikaner. Die Avantures du Sr. le Beau z.B.
sind ein Roman. Und daß Martiniere mit seinem
nouveau Voyage du Nord eben so wenig als Ge-
währsmann angeführt werden dürfe, konnte der
Verf. aus Knud Leem sehen, den er doch nach
S. 23 vor sich gehabt. – Die Echtheit des
S. 20 erwähnten angeblichen Kalmükenschedels, der
in der nachgelassenen Schrift des sel. Campers
über den natürlichen Unterschied der Gesichtszüge
verschiedener Nationen etc. eine Hauptrolle spielen
[Seite 510] und zu einem Grundbeweise der Camperschen Hy-
pothese dienen soll, bezweifelt der einsichtsvolle
Uebersetzer dieser Schrift, Hr. Hofrath Sömmer-
ring,
selbst, und hält ihn nach der Vergleichung
mit echten Kalmükenschedeln und mit den vielen
Kalmüken, die er lebendig betrachtet hat, für einen
ausgezeichneten Negerschedel. – Hingegen ist es
wohl zu weit getriebener Scepticismus, daß der
Verf. die Nachricht des Raymond Breton, daß bey
den Caraiben die Weiber eine andere Sprache ge-
habt, als die Männer, deßwegen für apocryphisch
hält, weil er sie bey keinem einzigen neuern Reise-
beschreiber bestätigt gefunden. Freylich bey ganz
neuerlichen läßt sich keine Bestätigung hierüber er-
warten, da dieses einst so ansehnliche tapfere Volk
erst von seinen mehresten Inseln vertrieben, und
nun fast ganz ausgestorben ist. Aber aus ältern
Reisebeschreibern ist die Sache bekannt genug. Z.B.
aus dü Tertre (T. II. p. 361 der nämlichen Aus-
gabe, die der Verf. nach S. 97 vor sich hatte. –
Die Ursache erklärt Hr. Hofrath Gatterer sowohl
in der Einleitung in die synchronistische Universal-
historie, als in dem kurzen Begriff der Geogra-
phie. –) Und wie mags kommen, daß die weit-
schichtige History of Jamaica des auch durch man-
che andere Schriften bekannten Ed. Long, Richters
beym dortigen Admiralitätscollegium, einem Sam.
Estwik zugeschrieben wird?

Doch dieß sind nur beyläufige kleine Erinnerun-
gen, die übrigens den Werth des verdienstlichen
Werks, wovon der Rec. dieses erste Heft mit Ver-
gnügen und Belehrung gelesen, um so weniger
herabsetzen sollen und werden, da dieser Anfang,
nach des Verf. ausdrücklicher Erklärung, nur gleich-
sam als eine Vorbereitung zu den folgenden Heften,
[Seite 511] die mehr Neues, ihm Eigenes, enthalten werden,
anzusehen ist.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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