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Göttingische Anzeigen
von
gelehrten Sachen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band,
auf das Jahr 1798.

Göttingen,
gedruckt bey Johann Christian Dieterich.

Paris.

[Seite 1321]

Voyage de la Pérouse autour du monde
Dritter Band, der mit dem bey weitem wichtig-
sten Theil der ganzen Reise beginnt, nähmlich
mit der überaus merkwürdigen Fahrt im Sommer
1787 aus dem Japanischen oder Coreanischen Meer
längs der bisher so wenig gekannten Küste von
Tungusien hinauf bis unfern des Ausflusses des
Amurstromes; und von da, weil man die nord-
liche Durchfahrt zwischen dieser Küste und der
gegenüber liegenden Insel Segalien ins Ochotski-
sche Meer durch Untiefen und Sandbänke gesperrt
fand, an der Westküste jener Insel wieder herab,
und so zwischen ihrer Südspitze und dem nord-
lichen Ende der Insel Jesso durch eine Straße hin-
durch, die nun den Nahmen des verdienten la
Pérouse
führt, bey der (von Marten de Vries
1643 ganz richtig angegebenen) Staaten-Insel
[Seite 1322] und dem Companie-Lande vorbey, und so wie-
der in den nordlichen großen Ocean hinaus. Eine
Fahrt, die sowohl für die Erdkunde, als für die
Naturgeschichte des Menschengeschlechts an neuen
Entdeckungen, oder doch an Berichtigungen und
Bestätigungen der bisher wenig benutzten und
theils gar bezweifelten Nachrichten älterer See-
fahrer ausnehmend reichhaltig ist.

Jene Tungusische Küste ist von einzelnen
Stämmen, die sich durch besondere Nahmen unter-
scheiden, nur schwach bevölkert. Sie ähneln
den Kamtschadalen; haben auch, wie diese, un-
terirdische Jurten und Hundeschlitten. Sie sind
Ichthyophagen, die sich meist mit Lachsfang be-
schäftigen, der ihnen victus und amictus gibt,
denn die Weiber tragen Kleider von Lachshäuten,
die sie vollkommen zu gärben und ausnehmend
geschmeidig zu machen wissen. Sie leben, wie
es scheint, in vollkommener Anarchie, sind aber
dabey das rechtschaffenste, gastfreundlichste Volk,
das sich nur denken läßt. On ne peut rencon-
trer, dans aucune partie du monde, une peu-
plade d’hommes meilleurs.
Bey ihrer gleichsam
religiösen Achtung gegen fremdes Eigenthum konn-
ten die Säcke unserer Reisenden mit den sonst für
Wilde so unwiderstehlich verführerischen Dingen,
als Corallen, Eisenwaren etc. nirgend sicherer und
heiliger aufgehoben seyn, als unter den Augen
dieser respectabeln Tungusen. Und weit entfernt,
daß sie irgend etwa Geschenke begehrt hätten, so
setzte es sie vielmehr in Verlegenheit, wenn man
ihnen welche anbot, und es bedurfte oft viel Über-
redung, ehe sie dieselben annehmen wollten. Um
einer Familie mit guter Manier ein Geschenk zu
machen, rief la P. zwey kleine Kinder von 3 bis
4 Jahren, und gab diesen ein Stück rosenrothen
[Seite 1323] Nankin. Der Vater ging hierauf zur Hütte hin-
aus, und brachte bald seinen beßten Hund her-
ein, den er den Capitain dagegen anzunehmen bat;
und da dieser wegen des unschätzbaren Werthes
es ablehnen wollte, worin bekanntlich ein guter
Hund bey solchen Völkern steht, so rief der Mann
die beiden Kleinen herbey, legte ihre Händchen
auf des Hundes Rücken, und bedeutete seinen
Gast, daß er nun das Gegengeschenk nicht aus-
schlagen dürfe.

Die Insel Segalien oder Sachalin, die jener
Küste des Amur-Landes gegenüber liegt, ist –
wie sich nun zeigt – eine der längsten auf unserer
Erde, und heißt bey den Einwohnern Tchoka, so
wie bey den Japanesen Oku-Jesso (Ober-Jesso).
Sie wird im Süden durch die la Pérouse’s-Straße
von der Insel Jesso oder Chicha, so wie dieser ihre
südliche Küste durch die Straße Sangaar von
Niphon selbst getrennt.

So wie jene Tungusen am ostlichsten Amur-
Lande den Kamtschadalen ähneln, so hier die In-
sulaner auf Segalien
den Kurilern. La P. fand
nahmentlich auf der Südküste der Insel eben so
am Leibe auffallend stark behaarte Menschen, wie
Spangberg und Andere auf den Kurilen. – An
körperlichen Vorzügen sind sie jenen Tungusen, so
wie an Cultur und Kunstgeschick, überlegen: zeig-
ten auch ungleich mehr Aufmerksamkeit und Wiß-
begier. Sie haben manche Schinesische Sitten;
lassen sich z.B. die Nägel lang wachsen; essen
mit Stäbchen; halten auch die Weiber eifersüch-
tig versteckt. Sind aber ungleich eigennütziger,
als jene ihre ehrlichen Nachbarn auf der Conti-
nens. Sie nähren sich besonders vom Lachsfang,
treiben aber auch auf der Ostküste starken Wallfisch-
fang, und verführen den klaren Thran, den sie
[Seite 1324] davon bereiten, so wie den geräucherten Lachs,
an die Mandschuren. – Auf dieser Insel (so wie
auf jenem benachbarten festen Lande) hausen viele
Bären, deren Köpfe von den Insulanern, wie es
scheint, als Trophäen aufgehoben werden; we-
nigstens fand la P. 20 derselben auf Piken im
Kreis aufgesteckt. Das S. 116 eingerückte Wör-
terbuch der Segalien-Insulaner zeugt von einer
nichts weniger als armen Sprache. Sie haben
z.B. für jeden der fünf Finger ein eigenes Wort.
(– Übrigens stimmen viele andere interessante
Nachrichten von dieser Insel und ihren merkwür-
digen Bewohnern und deren Sitten aufs genaueste
mit den Notizen überein, die der berühmte Ent-
decker der Ostküste von Jesso, so wie der Staaten-
Insel und des Companie-Landes, gegeben hat, und
die aus der classischen Sammlung des ältern The-
venot bekannt sind. –)

Anfangs Septembers kam la P. im Peter-
Paulshafen auf Kamtschatka an, und fand da
die gleiche zuvorkommende Aufnahme beym Obri-
sten Kasloff, wie sie Cook von dessen Prä-Ante-
cessor, dem Major Behm, erfahren hatte.

Die Kamtschadalen werden immer mehr ci-
vilisirt. Sie wohnen schon nicht mehr wie ani-
malia subterranea
in den Erdhöhlen (Jurten);
bedienen sich hingegen der Russischen Badstuben;
nehmen die Russische Sprache an, und verheirathen
sich häufig mit den Russen. Der Pfarrer zu Pa-
ratunka war aus einer solchen Ehe; hatte einen
Kamtschadalen zum Vater, und eine Russische Mut-
ter. Seine Frau, seine Schwester und seine Toch-
ter waren die drey beßten Tänzerinnen. Auch
fing man damals in Kamtschatka an, Kartoffeln
zu bauen, und sie gedeihen trefflich. La P. hin-
terließ zum Andenken zweyer verdienten Europäi-
[Seite 1325] schen Reisenden, die dort einst ihr Grab gefunden,
messingene Platten mit Inschriften: eine auf den
Petersburger Academisten, Louis de l’Isle, der
auf Tschirikow’s Entdeckungsreise dort begraben
worden; die andere auf Cook’s Begleiter und
Nachfolger im Commando, Capitain Clerk, der
dort 1779 auf seiner vierten Reise um die Welt,
gestorben.

Von Kamtschatka aus fuhr la P. mitten auf
dem großen Ocean nach der südlichen Halbkugel
hinab, passirte die Linie zum dritten Mahl, ohne
doch auf dieser weiten Fahrt irgend eine neue In-
sel zu entdecken, und kam endlich Anfang Decem-
bers nach Bougainville’s Iles des Navigateurs
(= 14 Gr. S. Br.), wo er aber auf einer der-
selben, Maouna, einen zweyten großen Verlust
litt, dem ähnlich, der ihn im Port des Français
betroffen hatte. Nur war der Anlaß verschieden.
Es ward nähmlich hier eine Expedition, die, um
frisches Wasser einzunehmen, ausgeschickt war,
mit den Einwohnern handgemein, die dann zwölfe
davon, und unter diesen selbst den Commandeur
des Astrolabe, de Langle, und den Geologen de
Lamanon,
erschlugen.

Überhaupt waren die Männer von martiali-
schem Charakter, groß und von athletischem Kör-
perbau. On peut assurer, sagt la P., qu’ils
sont aux Européens ce que les chevaux danois
sont à ceux des différentes provinces de Fran-
ce.
– Unter den Weibern hingegen reitzende
Gesichter und schöner Wuchs. Leur taille était
élégante, la forme de leurs bras arrondie, et
dans les plus justes proportions; leurs yeux,
leur physionomie, leurs gestes, annonçaient de
la douceur, tandis que ceux des hommes pei-
gnaient la surprise et la ferocité.
– Auch
[Seite 1326] konnten einige der Reisenden, trotz la Pérouse’s
Verbot, solchen Reitzen nicht lange widerstehen.
Über die Folgen davon müssen wir wieder ihn selbst
sprechen lassen: Les regards de nos Français ex-
primaient des désirs, qui furent bientôt devinés;
de vieilles femmes se chargèrent de la négo-
ciation; l’autel fut dressé dans la case du vil-
lage la plus apparente; toutes les jalousies fu-
rent baissées, et les curieux écartés: la victime
fut placée entre les bras d’un vieillard, qui,
pendant la cérémonie, l’exhortait à modérer
l’expression de sa douleur: les matrones chan-
toient et hurloient, et le sacrifice fut consommé
en leur présence et sous les auspices du vieil-
lard qui servait d’autel et de prêtre. Toutes les
femmes et les enfans du village étaient autour
de la maison, soulevant légèrement les jalousies,
et cherchant les plus petites ouvertures entre
les nattes, pour jouir de ce spectacle.

Um aber zu verstehen, was hier von Jalou-
sieen
gesagt ist, muß man wissen, daß die Woh-
nungen dieser Insulaner an ausnehmender Eleganz
alle die Vorstellung übertreffen, die man sich etwa
von Hütten so genannter Wilden zu machen pflegt.
La P. beschreibt eine, die er besucht hat. Ma sur-
prise
, sagt er, fut extrême, de voir un vaste
cabinet de treillis, aussi bien exécuté qu’aucun
de ceux des environs de Paris. Le meilleur archi-
tecte n’aurait pu donner une courbure plus éle-
gante aux extremités de l’ellipse qui terminait
cette case; un rang de colonnes, à 5 pieds de
distance les unes des autres, en formait le pour-
tour: ces colonnes étaient faites de troncs d’ar-
bres très-proprement travaillés, entre lesquels
des nattes fines, artistement recouvertes les
unes par les autres en écailles de poisson, s’éle-
[Seite 1327] vaient ou se baissaient avec des cordes, comme
nos jalousies.

Nun und zu Verfertigung dieser eleganten Ar-
beiten, so wie ihrer Geräthschaften und Waffen, ist
diesen kunstreichen Insulanern ihr basaltenes Hand-
werkzeug so vollkommen hinreichend, daß sie, gegen
die Weise anderer Südsee-Völker, auf Eisenwaren,
Äxte, große Nägel etc., die ihnen zum Tausch an-
geboten wurden, nicht den mindesten Werth setzten;
hingegen sich Alles mit Corallen bezahlen ließen.
Selbst der Botaniker mußte ihnen auf seinen Ex-
cursionen jede Pflanze, die er einsammelte, mit
einer Coralle vergüten.

La P. widerspricht der Meinung, daß diese In-
seln mit Roggewein’s Baumanns-Inseln einerley
seyen. (– Wenn er aber dabey sagt, la relation
historique du voyage de Roggewein a été ecrite
en langue Française, en 1739, par un Allemand
natif de Meckelbourg etc.
so ist dieß ein kleiner
litterarischer Irrthum. Der merkwürdige Mecklen-
burger, der mit Roggewein die Welt umreiset hat,
C. Fr. Behrens, seines Handwerks ein Lebküchler-
geselle,
hat sein Werk Deutsch geschrieben, und
die seltene Original-Ausgabe ist unter dem Titel:
Reise durch die Südländer und um die Welt, und
zwar schon 1737 erschienen. –)

Von jener für unsere Reisende so unglücklichen
Inselgruppe ging die Fahrt nach Schouten’s Cocos-
und Verräthers-Inseln; dann nach den Mayor-
gen
des Spanischen Piloten Maurelle (– s. oben
im 116. St. S. 1152 –); von da nach Tongatabu
und bey Tasmann’s Pylstaert vorbey nach der Nor-
folk-Insel,
und so endlich nach Botanybay, wo
die Fregatten durch den abenteuerlichsten Zufall ge-
rade mit der von der andern Seite der Welt her ein
Paar Tage früher angekommenen Englischen Flotte
[Seite 1328] des Governor Phillips zusammentrafen: – und
hiermit schließt sich des unvergeßlichen la Pérouse
eigenes, bis zum 26. Jan. 1788 geführtes, Tagebuch.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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