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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band,
auf das Jahr 1806.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Göttingen.

[Seite 609]

Die königl. Gesellschaft der Wissenschaften hat
vom Hrn. Ober-Commissär Westfeld, ihrem Mit-
gliede, dem die gelehrte und die practische Land-
wirthschaft so Vieles verdankt, eine wichtige Ab-
handlung, nähmlich Beyträge zur Geschichte der
Blatternkrankheit der Schafe,
erhalten, worin
er zuvörderst das Alter dieser merkwürdigen Seuche,
zumahl aus einer ganz nosologisch passenden, über-
aus merkwürdigen Stelle beym Columella (– L. VII.
c. 5. –) erweiset, als bey dessen insanabilis sacer
ignis
, quam pusulam vocant pastores
sich keine
andere Krankheit der Schafe, als eben die Blat-
ternkrankheit, denken läßt, ea nisi compescitur
intra primam pecudem, quae tali malo corrupta
est, universum gregem contagione prosternit,
siquidem nec medicamentorum nec ferri reme-
dia patitur etc
. Denn leider haben wir noch bis
jetzt kein Heilmittel – weder medicamentorum,
noch ferri remedia – dagegen; und wenn das
kranke Vieh nicht bey Zeiten von dem gefunden ab-
gesondert wird, so theilt sich die Krankheit, beson-
[Seite 610] ders bey warmer Witterung und in Ställen, der
ganzen Heerde so allgemein mit, daß oft nicht ein
einziges Stück davon frey bleibt; So wie sich
hingegen durch zeitige Absonderung die Heerde leicht
retten läßt; auf welches Vorbauungsmittel der
Hr. Ober-Commissär um so mehr dringt, da ihm
wenige ansteckende Krankheiten unserer Hausthiere
vorgekommen, bey welchen sich die Ansteckung an-
fangs so langsam mittheilte, und wobey man durch
die zeitige Absonderung so viel ausrichten könnte. –
Den äussern Gebrauch der Ziegenmilch gibt Colu-
mella selbst nur als ein Palliativmittel an, ut
eblandiatur igneam saevitiam, differens magis
occidionem gregis, quam prohibens
. So ge-
denkt er auch des von einem Aegyptischen Schrift-
steller, Bolus von Mendes, vorgeschlagenen sym-
pathetischen Mittels, das erste an der Seuche er-
krankende Schaf unter die Thürschwelle lebendig zu
vergraben, und die Heerde dann darüber hingehen
zu lassen, was denn freylich auch nur als Abson-
derungsmittel geholfen haben könnte. Der Hr.
Ober-Commissär hält dazu die Bedeckung mit 1
oder 2 Fuß tief Erde schon für hinreichend, ob man
gleich um mehrerer Sicherheit willen das kranke
Vieh lieber ganz wegbringen läßt.

Die Schafpest, wovon Leontinus in den geo-
ponicis
(– Lib XVIII. c. 15. –) handelt, scheint
nach der vorgeschlagenen Behandlungsweise gleich-
falls nichts anders, als die Blatternkrankheit zu
seyn, zumahl da er offenbar die Beschreibung des
Columella, so wie dieser hinwiederum bey dem,
was er überhaupt von den Schafen sagt, Virgil’s
Georgica vor Augen gehabt.

Nach letzterem (– Georgic. III. 566. –) soll
Zeug von der Wolle der am heiligen Feuer gestor-
benen Schafe auch die Menschen mit dieser Krank-
[Seite 611] heit anstecken. Das ist nun, in Deutschland we-
nigstens, unerhört. Folglich wohl durch eine poe-
tische Licenz von der Hornviehseuche auf den sacer
ignis
übergetragen, man müßte denn diese so he-
terogene Infection auf Rechnung einer climatischen
Verschiedenheit schreiben, so wie freylich auch bey
den hiesigen Versuchen das Kuhpockengift keine
Schafe hat anstecken wollen: ob es gleich diese Wir-
kung bey denen, die in Frankreich deßhalb ange-
stellt worden, allerdings geäussert hat.

Hingegen ist es schon längst eine gemeine Sage
gewesen, daß den Schafen die Blattern von den
Schweinen mitgetheilt werden können; nur blieb
dieß aus Mangel entscheidender Erfahrung so zwei-
felhaft, daß die Schriftsteller es nicht einmahl zu
erwähnen gewagt haben. Vorigen Sommer aber
hat der Hr. Ober-Commissär den Versuch gemacht,
die Schweineblattern einem Lamme einzuimpfen,
und die Ansteckung des letztern mit wahren Blat-
tern, die sich in allem wie die Schafblattern gezeigt
haben, ist wirklich erfolgt (– s. die Landwirthschaft-
liche Zeitung vom J. 1805 S. 592 u.f. –)

In keinem der neuern Englischen Bücher von der
Vieharzneykunst findet sich eine Nachricht von der
Blatternkrankheit der Schafe. Erst durch einen
Aufsatz des Hrn. Ober-Commissärs über diese Krank-
heit, den der Hr. Baronet Banks in Arth. Young’s
Annals of Agriculture bekannt machte, und nach
seinem, für das gemeine Beßte seines Vaterlandes
immer regen, Eifer zugleich das Englische Publicum
warnte, sich vorzusehen, daß es dieselbe nicht etwa
noch mit ausländischen Schafen dahin verpflanzen
möchte, ist die Sache zur Sprache gekommen; und
es hat sich nun gefunden, daß diese Krankheit in
ältern Zeiten allerdings auch in England gewesen,
sich aber nachher so gänzlich wieder verloren hat,
[Seite 612] daß sie, wie gesagt, nun daselbst ganz unbekannt
geworden. Hieraus zieht der Hr. Ober-Commissär
die doppelte Folge: 1) daß die Krankheit, wie man
auch bey uns schon längst zu vermuthen Ursache
gehabt, nicht von sich selbst, sondern allein durch
Ansteckung entstehe; und 2) also, wenn man ein
Mittel findet, diese letztere zu verhüten, gänzlich
entfernt werden könne.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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