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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band
auf das Jahr 1809.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Cassel.

[Seite 1961]

Bey Thurneysen Entwurf eines Systems der
unorganisirten Naturkörper, von J. Fr. L. Haus-
mann
(königl. General-Inspector der Berg-, Hüt-
ten- und Salzwerke). 141 Seiten in groß Octav. –
Da es das höchste Ziel der Naturforschung ist, die
Mannigfaltigkeit in der Natur aufzufassen, und die
Natursysteme den Weg dazu bahnen müssen, so wird
ein solches System um so vollkommener, je mehr es
auf Kenntniß und Vergleichung sämmtlicher bekann-
ten Eigenschaften der Naturkörper gegründet ist.
Und eben darin liegt der anerkannte Vorzug eines
deßhalb so genannten natürlichen Systems vor
allen künstlichen, die nähmlich nur von gewissen ein-
zeln ausgehobenen Characteren abstrahirt sind, daß
diese zwar ihre Brauchbarkeit zum Leichtauffinden
der Naturalien, wie gute Register, behalten, aber
nicht, wie jenes, zugleich dem Verstande hellere An-
sicht ihrer Natur selbst gewähren können. – Daß
die Mineralogie ein solches wichtiges Hülfsmittel so
viel länger, als die meisten Fächer der Zoologie und
Botanik, hat entbehren müssen, davon liegt, ausser
[Seite 1962] andern, schon ein leicht begreiflicher Grund in der spä-
tern wissenschaftlichen und systematischen Bearbeitung
derselben. Um so willkommener muß folglich jeder
reif durchgedachte Versuch seyn, dieses edle Stu-
dium jenem Ziele immer näher zu bringen. Und
von der Art ist der scharfsinnige Entwurf, den wir
anzeigen, wozu der Grund vor drey Jahren von dem
Hrn. General-Inspector während seines Aufenthalts
in Stockholm, in Verbindung mit seinem Freunde,
dem durch sein Handbok i Oryktognosien um die
Mineralogie verdienten Hrn. G.M. Schwartz, ge-
meinschaftlich gelegt worden. Es umfaßt dieses
System alle ponderabeln unorganisirten Natur-Pro-
ducte; folglich ausser den eigentlichen Fossilien auch
die so genannten Atmosphärilien und die Wasser.

(– Letztere hatte schon der Vater der wissenschaft-
lichen Mineralogie, der ehrwürdige G. Agricola, in
seinen geist- und sachreichen Libris subterraneo-
rum
darunter begriffen und abgehandelt; und eben
so der durch das erste, und noch heute classische,
Werk über bloß vaterländische Naturgeschichte unend-
lich verdiente Casp. Schwenkfeld in seinen Fossilibus
Silesiae
. – Gasarten freylich konnten beide ihrer
Zeit noch nicht ahnen. – So unbenommen es
übrigens dem eigentlichen Mineralogen, geschweige
dem bloßen Sammler, bleibt, diese Substanzen als
exoterisch (– jener für sein Studium, und dieser für
seine Schiebladen –) anzusehen, und ihre Unter-
suchung oder Beschreibung andern Disciplinen nach
wie vor zu überlassen, so sind einerseits derselben
doch so wenige, daß er bey weitem nicht etwa fürch-
ten darf, das System werde dadurch überladen, und
anderseits muß er es immer höchst fruchtbar finden,
sie hier mit den Fossilien zusammengeordnet zu sehen,
und dadurch auf neue Ansichten von wichtigen Ana-
logien und Verwandtschaften geleitet zu werden. –
[Seite 1963] Hier machen z.B. gleich den Anfang die drey In-
flammabilien, Demant, Schwefel und Wasserstoff-
gas, zusammen als erste Ordnung der Classe von
Combustibilien. Zum Aufsuchen mags wohl einem
Anfänger für den ersten Anlauf bequemer seyn, den
Demant bey den kieselartigen Edelsteinen zu finden;
aber belehrender ist es ihm gewiß, ihn beym Schwefel
zu treffen; und so ist es ihm wieder fürs Nachden-
ken doppelt instructiv, beiden hier das Wasserstoff-
gas zugesellt zu sehen. – Eine Bemerkung, die sich
auf dieses ganze System erstreckt, und die Jeder bey
näherer Prüfung desselben zugehen wird; er selbst
mag übrigens zu seinem eigenen regulativen Gebrauch
sich längst an irgend ein anderes gewöhnt haben, und
demselben ferner treu zu bleiben für gut finden. –)

Die Schrift selbst ist in drey Abschnitte getheilt:
I. methodologische Grundsätze für die Classification
der unorganischen Naturkörper überhaupt; II. all-
gemeine Characteristik der Haupteintheilungen des
neuen Systems, seiner Classen, Ordnungen u.s.w.,
und III. Uebersicht des Systems selbst, nach der
Folge der einzelnen Substanzen, und ihrer ver-
schiedenen Formationen und Abänderungen, durch-
gehends mit Haüy’s und Karsten’s Synonymen. –
Dieses System begreift folgende fünf Classen, und
in denselben die nachstehenden Ordnungen.

I. Classe: Combustibilien, eingetheilt in A) In-
flammabilien (eben die drey schon obgedachten Sub-
stanzen). B) Die gediegenen Metalle. C) Die
Erze, und diese zwar a) als Kiese, und b) als
Blenden (zu letzteren ausser denen, die ohnehin die-
sen Nahmen führen, auch Zinnober, Rothgülden
und Rothspiesglaserz).

II. Classe: Incombustibilien, einfache nicht
verbrennungsfähige Stoffe (Erden und Kalien) und
Verbindungen derselben. (Die meisten Arten aus
[Seite 1964] dem Kiesel-, Zircon-, Ytter-, Glücin-, Thon- und
Talkgeschlechte.)

III. Classe: Oxyde. A) Metalloxyde. B) Oxy-
doide (Graphit, Erdharze und die Wasser).

IV. Classe: Säuren. A) Unvollkommene oder
Halbsäuren (Arsenikblüthe). B) vollkommene (dar-
unter Sassolin und Honigstein).

V. Classe: Salze, oder neutrale Verbindungen von
Säuren mit Incombustibilien oder mit Metalloxyden.
A) erdige (darunter Borazit). B) Kalinische (wie
Kryolith und die Kalk-, Strontian- u. Barytgeschlech-
ter). C) Metallische. – Hin und wieder sind annoch
problematische Fossilien bloß vermuthungsweise als
Anhang an die vor der Hand passendsten Stellen einge-
schaltet. So: Katzenauge, Chiastolith, Pinit, Umbra etc.

Noch einen von dem Entwurfe des Systems selbst
unabhängigen eigenen Werth erhält das Werk durch
eine bedeutende Menge beyläufig mitgetheilter genauer
Betreibungen neuer, zumahl Nordischer, Fossilien;
so wie lehrreicher Bemerkungen über manche schon
bekannte, Berichtigungen u. dergl. So z.B. über
den Kalkgehalt des Spatheisensteins, der, wie so
manche Formationen des Eisenkieses, als einleuchten-
des Beyspiel von dem wichtigen Einfluß der so ge-
nannten characterisirenden Bestandtheile der Fos-
silien, im Gegensatz der vorwaltenden, auf die Be-
stimmung des ganzen Habitus derselben, aufgestellt
wird. Auch häufige nützliche Fingerzeige, wie auf-
fallend und theils recht überraschend das Wernersche
System nach den äussern Kennzeichen mit dem Haüy-
schen stereotomischen, und beide mit dem chemischen
nach den principiis proximis, wie es Bergmann
nannte, in einander greifen und zusammenstimmen.

S. 102 vor der 5. Z. v. u. ist die S. 55 richtig aufge-
führte Unterordnung des Kiesel-Zirkons vom Setzer
übersehen worden, und also nachzutragen.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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