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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band
auf das Jahr 1811.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Paris.

[Seite 1233]

Auch von der ersten naturhistorischen Lieferung
in der prachtvollen Description de l’Egypte müssen
wir, außer der allgemeinen Anzeige in der oben
(Stück 72) gegebenen Uebersicht des Ganzen, ei-
nige ausführlichere Nachricht ertheilen. Die Ernte
in diesem Felde ist um so wichtiger, da einerseits
gerade die Naturgeschichte von Aegypten mehr wohl,
als die irgend eines andern Landes, ein so viel-
seitiges Interesse auch für so mancherley andere
Wissenschaften hat, wie z.B. für die Deutung
der Altägyptischen Bildwerke, für die Erklärung
und respective Rechtfertigung so mancher der wich-
tigsten alten Classiker, Herodots u.a., und doch
anderseits das, was wir bisher von der Natur-
geschichte dieses ehrwürdigen Wunderlandes wuß-
ten, fast bloß fragmentarisches Stückwerk war.

Inzwischen beschränkt sich vor der Hand das,
was wir in jener ersten Lieferung erhalten, nur
auf einen Heft Text von 114 Folioseiten, und auf
eine Lage von 31 herrlichen Kupfern in großem
[Seite 1234] Atlasformat, die aber selbst bey weitem noch nicht
alle in jenem Hefte erklärt sind. Daher sich denn
unsre dießmahlige Anzeige bloß auf diesen Text
und die dazu gehörigen Platten erstrecken kann.

Jener enthält viererley. I. nähmlich den An-
fang der Naturgeschichte der Nilfische, vom Hrn.
Chevalier Geoffroy Saint-Hilaire. II. Beschrei-
bung der Doum-Palme in Oberägypten, von Hrn.
Delile. III. vergleichende Ansicht der Flora von
Aegypten mit der von Frankreich, vom verstorbe-
nen Coquebert. IV. System der Ornithologie
von Aegypten und Syrien, von Hrn. Jul. Cäsar
Savigny
(dem Verfasser der interessanten Histoire
naturelle et mythologique de l’Ibis
).

I. In der Einleitung zur Naturgeschichte der
Nilfische zeigt der Verf. wie auch die Zoologie
von Aegypten sich mit der geologischen Ansicht die-
ses Erdstrichs und mit der bey Herodot erhaltenen
Sage von der spätern Entstehung oder Ausbildung
desselben zu bewohnbarem Lande reimt. – Bevor
der Nil die der Breite nach laufenden Gebirgs-
strecken bey Edfou und Gebel-el-Selseleh durch-
brechen konnte, mußte sein vormahliges Bette
oberhalb dieses Dammes erst nach Westen, und
dann wieder nordlich nach dem so genannten Arabi-
schen Meerbusen laufen. Die Spur dieses seines
ehemaligen Laufes wird noch durch die Richtung
bezeichnet, in welcher die Oasen liegen, so wie
durch die noch jetzt merkliche Fruchtbarkeit, die
weiland Libyen jenem damahligen Laufe in so rei-
cher Maße zu verdanken hatte. Das nachherige Nil-
thal bildete hingegen damahls noch eine Bucht des
Mitländischen Meeres, bis der Nil jenen Felsen-
damm durchbrochen, sich seinen neuen Weg durch Nie-
derägypten gebahnt, und sein jährlicher Bodensatz
[Seite 1235] die vormahlige Bucht gefüllt, und das Meer allge-
mach bis zum Delta hinaus verdrängt hatte. – Eine
natürliche Folge ist, daß sich auch in der Aegypti-
schen Fauna, wie man mit Linné die einheimische
Thierwelt eines Landes zu nennen pflegt, keine ihr
ausschließlich eigenthümlichen Geschöpfe finden, da
das neue Land, so wie das neue Flußbette, seine
Bewohner erst aus der Nachbarschaft erhalten konn-
te. – Die eigentlichen Nilfische finden sich, wie
man aus Adanson’s handschriftlichem Nachlasse erse-
hen kann, auch im Senegal, und das bestärkt die
Vermuthung, daß diese beiden Ströme zu der Zeit,
wenn ihre Wasser am höchsten stehen, sich mischen.
Auch die Vögel und Säugthiere Aegyptens finden
sich in andern Gegenden von Africa, zumahl in
der Barbarey, doch auch zum Theil südlich bis
zum Cap; und eben das ist der Fall mit den Aegypti-
schen Insecten. – Aber auch die Littoral-Ge-
schöpfe des Mittelmeeres kommen, wie der Verf.
gefunden, mit denen an der Küste von Soueys
überein, was denn auch auf einen Zusammenhang
jenes Meeres mit dem rothen zu deuten scheint.

Unter den einzelnen beschriebenen Fischen eröffnet
die Reihe 1) der abenteuerliche Polypterus bichir,
wovon der Verf. schon vorläufig in den Annales
du Museum d’Histoire naturelle
eine Abbildung
und kurze Nachricht bekannt gemacht. Schon durch
diese Entdeckung allein würde er sich, wie er sagt,
für alle von einer so langen Reise unzertrennlichen
Mühseligkeiten belohnt gehalten haben. ‘“Il n’y a
guère que l’ornithorhynque qu’on pourroit pla-
cer sur la même ligne, pour la singularité de
ses formes
”’. Allerdings zeichnen ihn sein lang-
gestreckter Bauch, die zahlreichen Rückenflossen (16
und drüber), die gleichsam wie an Beinen ansitzen-
[Seite 1236] den Brust- und Bauchflossen, die länglichte Knochen-
platte statt aller Strahlen der Kiemenhaut, die da-
mit correspondirenden Spritzlöcher auf dem Kopfe,
und mehr dergleichen auffallende Eigenheiten von
allen andern Fischen aus, und qualificiren ihn zu
einem besondern Geschlechte derselben, das auch
als solches schon in dem classischen Werke des Hrn.
Grafen de la Cepède aufgeführt worden. Uebri-
gens gehört er unter die Ordnung der Abdomina-
len, und nahmentlich in die Nachbarschaft des
Episosteus (Esox osseus). Die Beschreibung und
Anatomie, die der berühmte Entdecker des wun-
dersamen Thiers hier liefert, kann als Muster von
ausführlicher Genauigkeit in diesem Fache angese-
hen werden; so wie auch überhaupt seine Zerglie-
derungen dieses und anderer Fische zu den wichtig-
sten Bereicherungen eines bis jetzt noch sehr wenig
bebauten Feldes der vergleichenden Anatomie ge-
hören. Der Bichir ist ungefähr zwey Spannen
lang, von meergrüner Farbe, mit so starken Schup-
pen bepanzert, daß man ihn für die Küche nicht
mit dem Messer durchschneiden kann, sondern ihn
erst im Ofen bäckt, wodurch sich das Fleisch vom
Panzer löset, so daß sich dieser wie ein Futteral
abziehen läßt.

Zunächst folgen ein paar Stachelbäuche; nähm-
lich 2) Tetrodon physa, oder fahaka Hasselqu.
oder lineatus Linn. unter welchen Synonymen
aber bey den neuern Zoologen manche hier nun auf-
geklärte Verwirrung herrschte; und 3) Tetrodon
hispidus
. Letzterer im rothen, so wie in den In-
dischen Meeren, aber nicht im Mitländischen. Ge-
naue Beobachtung des eignen Mechanismus, wie
dieser und andre Tetrodonten sich, besonders wenn
sie von andern Fischen verfolgt werden, ihre sonst
[Seite 1237] längliche Form in eine kugeliche umwandeln, wo-
durch zugleich die unzähligen Stacheln, womit sie
besetzt sind, steif heraustreten und zur Vertheidi-
gung dienen. Der aufgetriebene Luftbehälter ist
der Magen selbst, den sie durch die eingeschluckte
Luft aufzublasen vermögen. Wir übergehen die
dazu erforderliche merkwürdige Maschinerie von
Muskeln und Knochen, weil sie ohne Abbildung
doch unverständlich bleiben würde. Die eigentliche
Schwimmblase hat Hufeisenform, und steht in kei-
ner sichtlichen Verbindung mit dem Schlunde. Un-
geachtet die Tetrodonten so wenig, als irgend ein
anderer Fisch, mit wahren Lungen versehen, und
folglich nach dem Aristotelischen Canon stumm sind,
so ähnelt doch der Ton, den sie von sich geben,
in Rücksicht der Art, wie sie zu diesem Behuf ihre
Zunge bewegen, allerdings dem, welchen manche
Reptilien mit gleichsam blasenförmiger Lunge her-
vorbringen. Eigentlich sollte dieses Fischgeschlecht
auch weder den Kiemen, noch dem Gerippe nach,
zu den Knorpelfischen gerechnet werden.

4) Serrasalmus citharus, den der Verf. für den
Citharus bey Athenäus und Strabo zu halten ge-
neigt ist. – 5) Characinus nefasch oder Salmo
niloticus Hasselqu
. über welchen Fisch aber in
den neuesten Ausgaben des Syst. Nat. sonderbare
Verwirrung waltet. – 6) Characinus raschal
oder dentex, und 7) Characinus raï oder niloti-
cus
, ebenfalls zwey oft verwechselte und hier nun
zuerst scharf bestimmte Gattungen.

Auf diesen Anfang der Ichthyologie des Nils
folgt, wie obgedacht, II. Hrn. Delile’s Beschrei-
bung der Doum-Palme, Cucifera thebaica, oder
Palma thebaica Pocock, oder Hyphaene crinita
[Seite 1238] Gärtn. Schon Theophrast hat sie unter dem
Nahmen Cucifera, und gar kenntlich, beschrieben.
Sie wächset in Oberägypten, Nubien und Ara-
bien. Zu ihrer Befruchtung bedarf es keiner
künstlichen Hülfe, da der Blumenstaub der männ-
lichen Stämme schon durch die Luft, selbst in
beträchtlicher Entfernung, auf die weiblichen ge-
bracht wird. Das Mark der Frucht schmeckt wie
Pfefferkuchen. Unter den Hieroglyphen auf den
alten Kunstwerken in Oberägypten kömmt diese
Palme nicht vor.

III. Coquebert’s vergleichende Ansicht der
Aegyptischen Flora mit der von Frankreich. In
jener weit weniger Mannigfaltigkeit; denn Aegyp-
ten hat nur zweyerley Boden, den fetten im Nil-
thal und im Delta, und den sandigen in den
Wüsten. Die Gewächse der letztern zeichnen sich
nahmentlich durch ihre weit umhertreibenden Wur-
zeln aus. Gleichsam ein vegetabilischer Instinct
treibt sie fort, um so weit und breit, als mög-
lich, die spärliche Feuchtigkeit einzusaugen. Ueber-
haupt ähnelt die Flora von Aegypten mehr der
von Syrien und Candien, als der von Guinea
oder Habessinien. Die Bäume und Stauden sind
im Aegyptischen sehr kurzen Winter nicht halb so
lange entblättert, als in Frankreich. Die ganzen
großen Horden von Pflanzen, die in Frankreich in
den Wäldern wachsen, fehlen in Aegypten ganz,
so wie die so genannten Alpenpflanzen. Aber von
Küstengewächsen und denen, die sich zwischen
dem Getreide
finden, haben beide Länder Vie-
les mit einander gemein. Von großen schattigen
Bäumen gibts in Aegypten nur wenige Gattun-
gen, wie z.B. die Pharao’sfeige (Ficus sycomo-
[Seite 1239] rus
), die Mimosa lebbek und dergl. Rasen aber
zu bowling green etc. gar nicht. Von der viel-
fachen Brauchbarkeit der Dattelpalme. Mit dem
Reis seyen vorlängst eine Menge anderer Indi-
scher Gewächse, die in stehenden Wassern wachsen,
zufällig nach Aegypten verpflanzt worden, daher auch
die Reisfelder von den Botanikern vorzugsweise
besucht werden. Von Cryptogamisten hat Aegyp-
ten fast nichts, und überhaupt in seiner ganzen
Flora kaum den vierten Theil so viel Gattungen
(species), als Frankreich.

IV. Hrn. Savigny’s System der Ornithologie
von Aegypten und Syrien. Ein mühsames, höchst
verdienstliches, Stück Arbeit. Für die Vögel
jener Länder ungefähr das, was für die Säug-
thiere überhaupt unsers sel. Erxleben’s Systema
mammalium
. Nur in seiner Art noch vollstän-
diger, besonders in Rücksicht der Synonymen
a) bey den alten Classikern, b) bey den neuern
Naturforschern, c) bey den Reisebeschreibern, und
d) bey den Arabern. Durch besondere Zeichen
sind diejenigen Gattungen, die der Verf. nicht
selbst zu sehen Gelegenheit gehabt, von denen,
die er selbst beobachtet, und unter diesen wieder-
um auch diejenigen unterschieden, die er mit nach
Frankreich gebracht. Auch die Verschiedenheit der
Morgenländischen Spielarten von den Europäi-
schen ist genau bemerkt. Hier diese erste Liefe-
rung vom Texte begreift die Ordnung der Raub-
vögel. Von den herrlichen Kupferplatten sind,
eben so wie von denen zu Hrn. Geoffroy’s Ich-
thyologie, schon weit mehrere ausgegeben, zu
welchen die Erklärung erst in den folgenden Heften
des Textes zu erwarten steht.

[Seite 1240]

Die Vögel sind in einer starken, kräftigen Ma-
nier gestochen; die Fische hingegen, nach Redou-
te’s meisterhaften Zeichnungen, in verschiedener,
wie es ihr Habitus erforderte, also die schleimi-
gen in weicher, punctirter u.s.w. Alle aber mit
größter Lebendigkeit und Klarheit.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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