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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der zweyte Band
auf das Jahr 1812.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Berlin.

[Seite 1881]

Beyträge zur Anthropologie und allgemei-
nen Naturgeschichte, von D. K. Asm. Rudolphi

1812. Bey Haude und Spener. 188 Seiten in
groß Octav. – Eine überaus interessante Samm-
lung von vier gehaltreichen Vorlesungen des treff-
lichen Naturforschers. Drey hat er in der Acade-
mie der Wissenschaften vorgelesen; die letzte in der
Humanitäts-Gesellschaft.

I. P.S. Pallas: ein biographischer Ver-
such.
Viel Merkwürdiges und Neues aus dem
Leben des hochverdienten, unermüdbar arbeitsamen
Mannes, der bekanntlich sein letztes Lebensjahr in
seiner Vaterstadt Berlin zubrachte, wo der Verf.
seinen genauern Umgang genossen, und nachher von
der Tochter desselben alle zu dieser Biographie die-
nenden Tagebücher und andere Papiere ihres Va-
ters erhalten hat. – Unter seinen Göttingischen
Lehrern hatte doch der wundersame Polyhistor, Chr.
W. Büttner, genannt zu werden verdient, dessen
Vorlesungen und Naturaliensammlung, welche die
[Seite 1882] Grundlage zum academischen Museum gegeben, P.
sehr benutzt hat. Aber hauptsächlich hat ihn sein
letzter dreyjähriger Aufenthalt in Holland zum gro-
ßen Zoologen gebildet. Dort untersuchte er auch
das, durch die darüber entstandenen Streitigkeiten
berühmt gewordene, so genannte Incrustat von
Rakanje, das er für eine wirkliche Zoophyten-Bil-
dung erklärte (– wovon sich doch der Rec., nach
den mancherley Exemplaren, die er davon besitzt,
noch nicht überzeugen kann –). Seine Spicile-
gia
, diese trefflichen Muster, für Naturbeschrei-
bung sowohl, als für Naturgeschichte und verglei-
chende Anatomie. Und doch gerieth das herrliche
Werk ins Stecken, weil sich weiter kein Verleger
dazu fand, nachdem schon drey ihr Heil damit ver-
sucht hatten. Aber auch der wackere Joh. Her-
mann
in Straßburg klagte, daß von seiner Ta-
bula affinitatum animalium
erst 25 Exemplare
abgesetzt worden (– wie lange nach der Erschei-
nung des, eben so grundgelehrten als scharfsinni-
gen, Werks er das geschrieben, ist nicht angege-
ben –). Im Unwillen über solche, der Litteratur
freylich nicht rühmliche, Erscheinungen sagt Hr. R.:
‘“frägt Jemand: warum Hermann’s Meisterwerk
und ähnliche keine Leser finden? so ist die Ant-
wort sehr leicht: weil sie von ihren Lesern zu viele
Kenntnisse fordern. Der jetzt so vielen Eingang
findende Mysticismus sucht Unwissende, und die
findet er reichlich genug. Unwissenheit heißt die
Mutter der meisten naturphilosophischen Schriften.
Träumen kann Jeder“’ u.s.w. (– Das dünkt
dem Rec., der sich übrigens nie zu irgend einer
besondern Schule bekannt hat, hier doch nicht recht
anwendbar. Die Tabula ist vor 30 Jahren, und
der letzte Fascikel der Spicilegia noch früher erschie-
[Seite 1883] nen, also lange bevor von Naturphilosophie Rede
war; überdem aber mußten beide auf den Haupt-
absatz im Auslande rechnen, wo ihnen diese Phi-
losophie noch heute keinen Eintrag thun kann –).
Der große Wirkungskreis von Pallas in Rußland.
Die wundernswerthe patientia laborum bey die-
sem tenax propositi vir, zumahl auf seiner er-
sten sechsjährigen Reise. Freylich kam er von
derselben A. 1774 mit einem entkräfteten Körper
und schon, in seinem 33. Jahre, grauenden Haa-
ren zurück. Ganz auffallend ist, mit wie geringen
Kosten die wichtigen, für den Staat und für die
Wissenschaften so überschwenglich ergiebigen, Rei-
sen der St. Petersburger Academisten bestritten
worden. Die von Pallas kostete jährlich, mit
Einschluß dessen, was der Zeichner, Ausstopfer
und Schütze erhielt, noch nicht tausend Rubel;
die von Güldenstedt, eben so gerechnet, 1115
Rubel; die von Lepechin gar nur 625. – Ei-
ne höchst interessante vorläufige Nachricht von
Pallas’s letztem Hauptwerke, der Fauna Rossi-
ca
, wovon bey seinem Tode der erste Band und
Anfang des zweyten abgedruckt war. Die im
Russischen Reiche vorkommenden Säugethiere
bringt er unter VII Ordnungen: Ferae, Semi-
ferae
(Fledermausgeschlecht, Maulwurf, Spitz-
mäuse, Igel), Glires, Ruminantia, Anomalo-
poda
(Pferdegeschlecht und Schweine), Belluae
(das Wallroß), Cetacea (mit Einschluß des Ma-
naten). – Er vermuthet, ‘“daß das Leuchten
der Augen der Raubthiere eine electrische Wir-
kung der bloßliegenden Markhaut sey; man habe
hier die einzige Stelle, wo die Nerven-Substanz
im lebenden Körper sichtbar ist.“’ (– Wir hät-
ten den Grund des Phänomens eher im Tapetum
[Seite 1884] der Chorioidea gesucht –). Die Angorische Katze
scheint ihm von Felis manul abzustammen, und
die köstliche Seeotter zu den Seehunden zu gehö-
ren. – Unter den Vögeln nicht wenige nirgends
betriebene, und darunter immer noch welche
aus dem wunderreichen Nachlaß des classischen
Steller’s.

II. Ueber eine neue Eintheilung der Thie-
re,
mit Critik der neuern Versuche, wobey man
entweder die Gesammt-Organisation oder ein her-
vorstechendes System des Körpers gewählt hatte.
Der Verfasser geht van dem Grundsatze aus,
‘“daß keine Classification genügen könne, die die
Geschöpfe in einer geraden Linie auf einander
folgen lassen will. Man hat es längst einge-
sehen, daß sich die Thiere auf keine Stufenleiter
bringen lassen, und doch fängt man immer wie-
der an, daran zu arbeiten. So bald man aber
davon abgeht, wird die Anordnung von den mei-
sten Schwierigkeiten befreyt.“’ Er macht die
Haupteintheilungen der Thiere nach ihren Ner-
ven, weil diese nur bey ihnen vorkommen, und
ihre edelsten Organe sind. Die Haupteintheilung
in Phaeneroneura und Cryptoneura. Erstere
mit distinctem Nerven-System. Letztere, bey
welchen das Nervenmark in den übrigen Orga-
nismus verschmolzen ist. Jene entweder mit dop-
peltem Nerven-System, nähmlich mit Rücken-
marks-Nerven sowohl, als mit Ganglien-Sy-
stem, Diploneura, die vier höheren Thierclassen
(die so genannten rothblütigen Thiere); oder aber
die übrigen in zwey Reihen, deren Eine eine
dem Rückenmark analoge Marksäule, aber an der
Bauchseite, besitzt, Myeloneura, zu welchen die
Crustaceen, die Insecten und die Anneliden gehö-
[Seite 1885] ren; die andere aber nur eine dem Ganglien-
System der höheren Thiere analoge Nervenein-
richtung zeigt, Ganglioneura, die Mollusken
nähmlich, und Strahlthiere.

III. Ueber die Verbreitung der organi-
schen Körper.
Erst von der angeblichen Wan-
derung der Pflanzen; dann von der Verbrei-
tung der Thiere, und des Menschengeschlechts.
Auch hiervon können wir nur Weniges aushe-
ben. Auf die Verpflanzung der Gewächse durch
mancherley Thiere, zumahl durch Vögel und Fi-
sche, rechnet der Verfasser nicht viel. Auch die
Hypothese von einem Niedersteigen der Pflan-
zen von den Gebirgen in die Thäler, nachdem
sich die Wasserfluthen nach großen Erd-Revo-
lutionen zurück gezogen haben, schränkt er sehr
ein, durchgehends mit Gründen und Beobach-
tungen; auch über die Ausartung der Gewächse.
Auf dem Mont Reudon bey Marseille fand er
einest sonderbaren kleinen Dianthus, dessen klei-
ne, rosenförmig liegende Blätter eine eigne Art
verriethen: er nahm Samen davon mit, und im
Garten zu Greifswald ward daraus Dianthus
caryophyllus.
So nahm er eben daselbst Sa-
men von einem kleinen, dünnen Holcus auf,
den er für neu hielt, und es ward daraus der
gemeine Holcus sorghum. – Im folgenden Ab-
schnitt wird zumahl die Meinung von Verbrei-
tung der thierischen Schöpfung von einer einzi-
gen Gegend aus über die übrige Erde bestrit-
ten, vollends wenn angenommen wird, ‘“daß
ursprünglich nur Ein Paar von jeder Thierart
erschaffen wäre, daß nur Ein Paar nach einer
großen Fluth übrig geblieben sey“’ u.s.w. –
Nun und so stellt der Verfasser endlich im letz-
[Seite 1886] ten Abschnitt sein Bedenken gegen die Abstam-
mung des Menschengeschlechts aus Einem Erd-
puncte und von Einem Paare auf. Von sei-
nen Vorgängern sagt er: ‘“es haben schon Meh-
rere die Einheit des Menschengeschlechts ange-
fochten, doch kenne ich keine Schrift, welche die
Sache mit der nöthigen Gründlichkeit durchge-
führt hätte.“’ Beyläufig viel Interessantes über
die Begriffe von Species in der Naturgeschichte,
und von Raße; von Bastarden, zumahl von
fruchtbaren, und dergl. mehr.

IV. Ueber das Schönheitsverhältniß zwi-
schen beiden Geschlechtern bey Menschen und
Thieren.
Zweckmäßig für das gemischte Audi-
torium, dem diese Vorlesung gehalten ward, und
das auch Damen in seiner Mitte hatte.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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