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Göttingische
gelehrte Anzeigen
unter der Aufsicht
der königl. Gesellschaft der Wissenschaften.

Der erste Band
auf das Jahr 1813.

Göttingen,
gedruckt bey Heinrich Dieterich.

Göttingen.

[Seite 361]

Der königl. Societät der Wissenschaften ist durch
ihren Correspondenten, Hrn. Legationsrath Ritter
von Struve, aus St. Petersburg von Hrn. Carl
Etter
daselbst, der sich Mineralogus et Antiqua-
rius
nennt, die Zeichnung eines Schinesischen Idols
überschickt worden, welches derselbe in seiner Samm-
lung besitzt, und wovon er die Abbildung nebst
einer beygefügten Lateinischen Notiz der Societät
widmet. – Das aus Bildstein (Agalmatolith)
geschnitzte, 6 Zoll lange 4½ Zoll hohe, Original
stellt einen stehenden Löwen mit einem rückwärts
sehenden Kopfe, einem langen Bocksbarte und einer
quer über den Rücken hängenden Decke vor. Die
von dem Besitzer beygeschriebene Notiz meldet, daß
die Mähne vergoldet, und die Augen aus Sapphir
seyen, und daß dieß das fabelhafte Thier Ki-lin
vorstelle, dessen im Dühalde und in den großen
Mémoires concernant les Chinoisgedacht werde,
und welches nie anders, als zur Vorbedeu-
tung eines wichtigen Glücksfalles, den Menschen
erscheine. So habe sichs denn auch kurz vor der
[Seite 362] Geburt des Confucius im Garten seines Vaters
sehen lassen, und die ihrer Entbindung nahe Mutter
habe dem heilbringenden Wunderthiere einen Yu-
Stein, den es zwischen den Zähnen gehalten, ab-
genommen, und auf selbigem die frohe Prophe-
zeihung über den Sohn, den sie gebären werde,
eingegraben gefunden.

So weit die kürze (– wie wir sehen, aus des
Pater Amiot Vie de Confuciusentlehnte –) No-
tiz des Hrn. E., der wir aber Einiges zur Er-
läuterung beyfügen müssen.

Die Sage von der glückbringenden Erscheinung
des fabelhaften Ki-lin ist beides, in Schina und
Japan, Volksglaube. In letzterem Reiche heißt
es Kirin, und ist in unsers Kämpfer’s Geschichte
von Japan (im Abschnitt von den erdichteten Thie-
ren, welche die Japaner von den Schinesen ange-
nommen, im I. Bande der Ausgabe des Hrn.
Staatsraths von Dohm S. 139 tab. IX. fig. 1. 2)
beschrieben und abgebildet.

Die Vorstellungen des Thiers auf Schinesischen
Mahlereyen und plastischen kleinen Kunstwerken
variiren in der Form mannigfaltig. Vielleicht daß
jede derselben ihre besondere Nebenbedeutung hat.
Diejenige, unter welcher der Ki-lin vor Kong-
futzee’s Geburt erschienen seyn soll, ist in Amiot’s
Werke (im XII. Bande der gedachten Mémoires
concernant les Chinois
tab. II.
) nach einem Schi-
nesischen Originalgemählde gestochen, kommt aber
mit der Figur des Hrn. E. fast in keinem Stücke
überein.

Hingegen besitzt unser academisches Museum
unter den reichen Geschenken seines unvergeßlichen
Wohlthäters, des sel. Baron von Asch, einen
Ki-lin, vollkommen im Character des bey Amiot
[Seite 363] abgebildeten, und von ausnehmender Arbeit; aus
Kupfer getrieben und im Feuer vergoldet; 10½
Zoll lang, und mit dem niedrigen Piedestal 10
Zoll hoch. Diese stehende Figur hat durchaus
nichts Löwenartiges, sondern ihre Totalform ist
eher vom Hirschgeschlechte, mit schlanken Beinen
und gespaltenen Klauen; aber am Halse, Leibe,
und den Schenkeln mit großen Schuppen gepan-
zert. Kleine Geweihe, wie von einem Gabler,
auf dem Kopf, und außerdem noch geweihähnliche
Figuren außen an den vier Oberschenkeln (– wie
bey Kämpfer und Amiot –). Die Form des
rückwärts gekehrten Kopfes wie an den gewöhn-
lichen Vorstellungen der Schinesischen Drachen;
am Kinn mit einem langen Ziegenbarte. Im
Nacken eine lange emporstehende Mähne; eine
kurze gezackte längs des Halses und Rückens,
wieder wie an den Drachen; und einen Roßschweif.
Quer über dem Rücken eine Decke, die oben als
durchbrochener Deckel aufgeklappt werden kann,
und am Boden der Bauchhöhle ein Rost, also um
Rauchwerk drin anzuzünden.

Eine andere, ebenfalls im academischen Museum
unter den Aschischen Geschenken befindliche, Figur
ist aus Lasurstein gearbeitet, und stellt ein auf den
Hinterfüßen sitzendes, im Ganzen löwenähnliches,
Thier vor, das auch im Bocksbarte der Abbildung
von Hrn. E. ähnelt, aber widderartig gekrümmte
Hörner, und wieder eine Andeutung von krummen
Hörnern an den Schultern und Lenden hat.

Zum Schluß noch ein paar Worte über den be-
rühmten Stein Yu, den der Ki-lin im Maule ge-
habt, und dessen Inschrift der Mutter des Con-
fucius
die hohe Bestimmung des Sohnes, den sie
unter ihrem Herzen trug, verkündet haben soll. –
[Seite 364] Er ist der berufenste von den so genannten Kling-
steinen (pierres sonores) der Schinesen, von wel-
chen die gedachten Mémoiresetc. zwar ganze
große Abhandlungen enthalten, aber ohne daß man
sich irgend einen bestimmten Begriff von der Stein-
art selbst daraus machen könnte.

Den ersten mineralogischen Aufschluß darüber
verdanken wir einem verdienstvollen Corresponden-
ten der königl. Societät, dem berühmten Reisen-
den von vielseitigen seltenen Kenntnissen, Hrn.
Hofrath Julius von Klaproth, dessen schon öfter
in diesen Blättern, und noch erst vor kurzem mit
Erkenntlichkeit für ein abermahliges bedeutendes
Geschenk von Asiatischen Münzen, gedacht worden.
Dieser sagt beyläufig in einer seiner Schriften,
die aber wenigen Mineralogen in die Hände kom-
men möchte: Die Ansicht eines von ihm aus
Schina mitgebrachten Stückes Yu habe seinen
Herrn Vater (– den hochverdienten Chemiker und
Mineralogen –) überzeugt, daß dieser berühmte
Stein unser Nephrit sey; und hat hierauf die
Güte gehabt, die Sammlung des Verfassers die-
ser Anzeige mit einem aus Yu geschnittenen Sie-
gelstein, der einem Bucharischen Kaufmann zu
Kiachta gehörte, zu bereichern. Dieser Stein ist
molkenfarb, also von der geschätztesten Art die-
ses Fossils (‘“Le Yu le plus estimé est le blanc
de petit lait
,”’ Mém. Vol. VI. pag. 259), folg-
lich halbdurchsichtig; fettglänzend; ein wenig fet-
tig anzuführen, und hart, so daß er ins Glas
ritzt, doch ziemlich stark von der Feile angegrif-
fen wird.



Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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