Bey Vieweg: Geschichte einer allein durch
die Natur hervorgebrachten animalischen Magne-
tismus und der durch denselben bewirkten Ge-
nesung; von dem Augenzeugen dieses Phäno-
mens, dem Baron Fr. K. von Strombeck, Präsi-
denten, Ritter etc. – Mit einer Vorrede des
Hrn. geh. Raths Dr. Marcard. XXXII und 215
Seiten in groß Octav.
Eine Schrift, die überhaupt wegen der vielseiti-
gen Wichtigkeit des Gegenstandes, zumahl aber
jetzt, da die Erscheinungen des bisher nur durch
ärztliche Einwirkung erregten so genannten animali-
schen Magnetismus wiederum laut zur Sprache ge-
kommen, große und verdiente Aufmerksamkeit erre-
gen muß. Sie enthält die Krankheits- und Gene-
sungsgeschichte einer Demoiselle, die jetzt in ihrem
zwanzigsten Jahre, dem Ansehen nach von starker
Constitution, frischer, blühender Farbe, und von
sanguinisch-melancholischem Temperament ist. Diese
lebt seit fast drey Jahren als Gesellschafterinn und
wie Pflegetochter bey der Frau v. Strombeck, jetzt
[Seite 962] in Celle, und hat, ehe sie in dieses Haus kam,
einige Mahle, doch nur wenige Tage lang, an
heftigen Krämpfen gelitten, die wahrscheinlichst,
so wie die nachherigen vielartigern Nervenübel,
durch unterdrückte Regeln veranlaßt waren. Im
Frühjahr 1811 ward sie auf einmahl wieder von
den heftigsten convulsiven Krämpfen befallen, die
in sehr ungleichen Zwischenzeiten und eben so un-
gleicher Dauer anhielten, wobey die Kranke oft
kaum von mehreren Personen gehalten werden
konnte. In der Folge stellten sich kürzere oder län-
gere Ohnmachten ein, während welchen sie ruhig
zu schlafen schien. Am Ende dieser Periode der
Ohnmachten traten Anfälle von Starrsucht ein,
wobey gewöhnlich die Augen mit sehr erweiterten
Pupillen starr offen standen, und sich (wie in der
Folge angestellte Versuche zeigten) nicht schlossen,
wenn man mit dem Finger dagegen fuhr. Weiter-
hin sprach sie auch in den Ohnmachten, theils wie
mit religiöser und dichterischer Begeisterung. Dabey
zeigte die Kranke die ganze Zeit über einen entschie-
denen Widerwillen gegen Arzneyen, daher auch die
ärztliche Hülfe im Sommer 1812 fast bloß auf die
Anwendung von Bädern beschränkt werden mußte;
wobey sie sich übrigens so wohl befand, daß sie nur
selten auf Stunden in den krankhaften Schlaf fiel.
Aber am 4. Januar des jetzigen Jahres traten
die merkwürdigen vierzehntägigen Erscheinungen ein,
deren Geschichte den Hauptinhalt des ganzen Buchs
ausmacht. Sie verfiel nähmlich nicht nur wieder
in Ohnmachten, Irrereden, Schlaftrunkenheit etc.
mit abwechselnden gesunden Zwischenräumen, son-
dern fing nun am 7. an, in einem solchen Schlaf
mit verschlossenen Augen ihre bevorstehenden hefti-
gen krampfhaften und convulsiven Zufälle und dar-
auf erfolgende vollkommene Genesung zu prognosti-
[Seite 963] ciren, und das, was sie bis dahin gebrauchen müsse,
mit einer fast minutiösen und sehr peremtorischen
Bestimmtheit zu verordnen; wobey die Kranke an-
gab, sie höre eine innere Stimme unter der Brust,
die ihr das während dieses ganz eignen wunderbar-
süßen Schlafes sage, den sie von der Zeit an, da
sie von magnetischem Schlaf gehört hatte, auch
eben so nannte. In vielem exaltirten Zustande
errieth sie, meist auf die Secunde, den Gang ver-
schiedener Uhren; eben so, aus wie vielen Zeilen
das bestand, was im Zimmer aufgeschrieben wor-
den; auch Manches, was außer dem Zimmer ge-
schah; ertheilte auch andern Personen medicinischen
Rath gegen Beschwerden, an welchen sie litten, und
dergl. mehr. – Vom 10. Jan. an äußerte sie zu-
weilen, daß ihr Berührung mit Metall widrige Em-
pfindung verursache; und hingegen vom 13. an
bediente sie sich der Schlüssel, Scheren etc., entwe-
der um sich damit zu streichen, oder sie in ihr Trink-
wasser zu legen. Einmahl hatte sie einem Schlüssel
mit dem Griffe zwischen die Zähne gefaßt; erschrack
plötzlich; drehte ihn um, und nahm nun den Bart
desselben in den Mund. – Vom 11. an war es
der Seherinn zuweilen, als wenn ein redender Kör-
per, den sie nicht beschreiben konnte, neben ihr
stände, welcher ihr es sage, was sie thun solle. –
Vom 13. an ward ihre Clairvoyance (ihr inneres
Licht) immer schwächer, und am 25. ist endlich,
ihrer Versicherung nach, der letzte Schimmer magne-
tischer Kraft von ihr gewichen. – Ueberhaupt
aber nahmen in jener Zeit der Exaltation die Par-
oxysmen des Schlafredens, die von Anfang her,
ihrer Zeit nach, wann sie eintreten würden, und
nach der Dauer aufs bestimmteste angegeben waren,
genau 7 Tage ein, in welchen sie sich täglich ein
oder zwey Mahl einstellten. Daß die übrige Zeit,
[Seite 964] vor und nach diesen Paroxysmen, auch in einem ecsta-
tischen Zustande verlief, ist schon daraus klar, daß
die krank Gewesene sich von allen diesen sämmtlichen
14 Tagen nichts erinnert, sondern mit ihrer Lebens-
rechnung wieder vor Eintritt jenes Zustandes an-
fing. Er endigte zur Stunde, wie es viele Mahle
vorher angekündigt war, plötzlich, wie er angefan-
gen hatte, und damit war auch jede Spur von Ex-
altation gänzlich verwischt, aber auch jede vorheri-
ge Abweichung von der völligen Gesundheit des
Leibes und des Gemüths verschwunden.
Indeß war sie jene Tage über zwischen ihren
Paroxysmen mitunter spazieren und in Gesellschaft
oder ins Concert gegangen, hatte Musikstunde ge-
nommen, häusliche Geschäfte verrichtet, ohne, wie
gesagt, bey der am 17. erfolgten Crise von allen
diesen Handlungen, noch überhaupt von dem, was
mit ihr seit dem 4. vorgegangen, die mindeste Er-
innerung zu haben, ganz als ob sie diese vierzehn
Tage nicht gelebt hätte, oder während der Zeit eine
andere Person gewesen wäre. Bloß am dritten
Tage nach überstandener Crise hat sie unter An-
wandlung von Angst bey Leiden ihrer Pflegemutter,
ihrer Versicherung nach, wenige Augenblicke lang
einige Reminiscenz von dem gehabt, was in jenen
Tagen mit ihr vorgegangen; es sey aber dieser
Rückblick sogleich verschwunden.
Der Herr Präsident schließt sein Tagebuch den
24. Januar mit den Worten: ‘“Niemand, als wer
Julien sonst kannte, und jetzt kennt, kann davon
urtheilen, welche unglaubliche Veränderung, seit
dem großen Vorgange, in ihrem ganzen Wesen be-
wirkt ist. Die melancholischen Stimmungen und
eigensinnigen Launen sind aus ihrem Wesen ver-
schwunden. Sie ist heiterer als sonst, und preiset
[Seite 965] täglich die vierzehn Tage ihres Lebens, durch welche
sie einer völligen Gesundheit theilhaftig worden.“’
Alles bisher Gesagte hat der Recensent meist
wörtlich aus dem Werke selbst, das der königl.
Societät der Wissenschaften zugeschrieben ist, aus-
gehoben. Hauptsächlich aus der Erzählung des
Hrn. von Strombeck (S. 1 bis 162), zum Theil
aber auch aus der Vorrede des Hrn. geh. Raths
Marcard, und aus den in den Anlagen enthalte-
nen Bemerkungen und Protocollen sowohl des
Hausarztes, Hrn. Hof-Medicus Köler, als zweyer
andern Aerzte, eben des Hrn. geh. Raths M. und
des Hrn. Hof-Medicus Schmidt, welche einige
der magnetischen Schlafe an den bedeutendsten Ta-
gen beobachtet haben.
So wie der Rec. die äußerst genaue Ausführ-
lichkeit, womit diese Tagesberichte und Protocolle
abgefaßt sind, den Verfassern derselben zum gro-
ßen, wahren Verdienste anrechnet, so sieht er sich
aber eben dadurch bey dem beschränkten Raum
unserer Blätter genöthigt, eine Menge Umstände
zu übergehen; zumahl von solchen, die gerade
ihm nach seiner – vielleicht unrichtigen – An-
sicht minder wesentlich geschienen haben; als wo-
hin er z.B. sogar die andern Lesern vielleicht
wichtiger verkommenden umständlichen Verordnun-
gen der kranken Seherinn wegen eines zu ihrem
Glück erforderlichen Ringes rechnet, der für sie aus
reinem Golde, aber nicht in Celle, verfertigt wer-
den müsse. (Wobey S. 120 Z. 3 v.u. nach Ma-
roquin die Worte: mit einem eisernen Häk-
chen, zuzusetzen sind.) Ueberhaupt aber stößt man
auf gar manche Nebenumstände, wofür sie nähm-
lich der Rec. ansieht, bey welchen er es an seinen
Ort gestellt seyn läßt, ob und wie doch auch wohl
[Seite 966] der Wille der Kranken einigen Einfluß darauf ge-
habt. Wenigstens getrauet er sich nicht, eine be-
stimmte Grenze zwischen den absolut unwillkühr-
lichen, bewußtlosen, gleichsam instinct mäßigen Hand-
lungen oder Reden derselben, und denen, wobey
Bewußtseyn und Wille plus minus mit eingewirkt
haben können, zu ziehen. Denn daß hin und
wieder von solcher Einwirkung wohl die Frage seyn
darf, scheint dem Rec. sowohl aus manchen Aeus-
serungen der Kranken, wie z.B. daß sie zu Zeiten
eine gewisse Gewalt über ihren Körper in Hinsicht
der Verminderung der Ohnmachten auszuüben ver-
möge, u.a.m., als aus manchen Erinnerungen
des Verfassers zu fließen, der z.B. bey ihr sogar
in jenen vierzehn Tagen zuweilen etwas Prahleri-
sches in ihren Bemerkungen, ein Bestreben, mehr
zu sagen, als sie wußte und gewisser Maßen groß
zu thun, zugibt; daher es um so weniger auf-
fällt, wenn sie sich dann auch in ihren divinatori-
schen Angaben gar manchmahl irrte. Was hin-
gegen das Wichtigste, Wesentlichste bey diesen von
der Natur selbst hervorgebrachten Phänomenen des
animalischen Magnetismus betrifft, so hat der Re-
censent – der zwar, beyläufig gesagt, nie Gele-
genheit gehabt, eine auch nur durch ärztliche ma-
gnetische Manipulation in Somnambulismus oder
Clairvoyance versetzte Person zu beobachten, sich
aber aus vielseitigem Interesse seit 38 Jahren das
bekannt zu machen gesucht hat, was über diesen so
genannten Magnetismus geschrieben worden (– und
wovon die hiesige Bibliothek nicht weniger denn 90
einzelne Schriften besitzt, der ohne Vergleich zahl-
reichern Abhandlungen und Aufsätze zu geschweigen,
die darüber in periodischen Sammlungen etc. erschie-
nen –) gar manche Nervenkrankheit und Heilung
derselben beschrieben gefunden, die mit dem vor-
[Seite 967] liegenden Falle in der Hauptsache auffallend über-
einstimmt; wie, um z.B. nur Eine anzuführen,
im Hannoverschen Magazine von 1787 im 64. St.
die eines jungen unverheiratheten Frauenzimmers
im Bremischen, welche von einem verdienstvollen,
aber dem animalischen Magnetismus abgeneigten,
Arzte, recht in der Absicht bekannt gemacht wurde,
um zu beweisen, wie dergleichen Phänomene auch
ohne alle ärztliche Magnetisation Statt haben
können.
Auch zeigt der Hr. geh. Rath Marcard, der
bekanntlich sonst auch das Daseyn und die Reali-
tät des so genannten animalischen Magnetismus
sehr bezweifelt hatte, in der Vorrede zu dem
Werke, das wir vor uns haben, die Wichtigkeit
des darin betriebenen, allein durch die innern
Naturkräfte hervorgebrachten, solchen Magnetis-
mus, ‘“der als vollständiges Gegenstück zu den
höchsten Wirkungen der künstlichen Magnetisatio-
nen, unwidersprechlich darthue, daß der animali-
sche Magnetismus keineswegs ein nur durch die
Kunst zu erzwingender, sondern in der menschlichen
Natur für sich schon vollkommen gegründeter Zu-
stand sey, der durch die bloßen innern Kräfte sich
entwickeln und zu heilsamen Zwecken, wie es
scheint, gleich den critischen Krankheitsanstrengun-
gen, und nicht ohne ein solches Ziel, wirksam
werden könne. Der vorliegende Fall beweise,
daß dasjenige, was eigentlich den magnetischen
Zustand hervorbringt, auch ohne alle Magnetisa-
tion im Körper vorhanden sey, sogar ohne Magne-
tisiren darin zur Thätigkeit kommen könne. Daher
werde der Magnetisirer wohl nichts weiter thun,
als dieses agens in Bewegung bringen, und wahr-
scheinlich werde noch ein Mittel erfunden werden,
dieselbe Wirkung ohne Magnetisiren zu erhalten,
[Seite 968] um dadurch der ganzen Sache das Anstößige zu
benehmen, was sie für Viele hat.“’