Diese merkwürdige Schrift giebt ein neues
lehrreiches Beispiel zum Kardanus de utilitate
ex adversis capienda (vom Nutzen der sich aus
Unglücksfällen schöpfen läßt). Ihr Verfasser,
der itzige Holländische General**), gerieth vor
[Seite 136] 9 Jahren bei den damaligen Holländischen Un-
ruhen in Verhaft, und hat in Utrecht achtehalb
Jahre lang, bis nehmlich im vorjährigen Jän-
ner seine Landsleute daselbst einrückten, gefan-
gen gesessen. Während dieser langen Zeit, hat
er zu einiger Unterhaltung in seiner gezwunge-
nen Einsamkeit – sowie einst Pelisson in der
ehmaligen Bastille, und der Graf Lauzün im
Gefängniß zu Pignerol – mit den Spinnen
Freundschaft gemacht; nur daß Er weit reellern
Vortheil als jene Beiden davon gezogen, in-
dem er das Naturell dieser Geschöpfe, zumal
in Rücksicht auf die auf dem Titel angegebenen
Umstände, studirt hat, und dadurch auf die
unerwartete Entdeckung geleitet worden: daß
sie, wie er versichert, zu den bei weitem un-
trüglichsten Wetterpropheten gehören, die vor
allen bis itzt bekannten den großen wichtigen
Vorzug behaupten daß sie die bevorstehenden
Veränderungen in der Witterung geraume Zeit,
und zwar die von anhaltender Dauer ganzer
10 bis 14 Tage voraus, aufs bestimmteste ver-
kündigen. Der Verfasser suchte zum Behuf die-
[Seite 137] ses Studiums die Spinnen möglichst an sich zu
locken, und sagt: ‘»Meine Mühe ward durch
eine zahllose Menge Spinnen gekrönt; ich
wurde baldigst von so viel Netzen umringt,
eingeschlossen, bebrämt (chamarré) ...«’ sodaß
einst zu Ende des Herbstes seine Wohnung mit
4000 Spinneweben geziert war.
Die mehresten Spinnen verkriechen sich zwar
bekanntlich im Winter. Doch bleiben immer
einige wenige auch während desselben munter,
und weben und arbeiten auch dann so gut wie
im übrigen Jahre. Und so konnte z.B. der
Verfasser, noch während seiner Gefangenschaft,
im Jänner (1795) den für das Schicksal von
Holland so entscheidenden strengen Frost vor-
aussagen. Alles traf gegen die sonstige Er-
wartung ein. Mittwochs den 14ten kam kalter
Wind, Donnerstags fror es, und so konnten
Freitags den 16ten die Franzosen in Utrecht
einrücken, und ihren prognostizirenden Lands-
mann befreien. Den 20sten trat zwar Thau-
wetter ein, welches 100000 Franzosen die mit
dem schweren Geschütze das Eis passiren sollten,
[Seite 138] furchtbar sein mußte. Allein unser Verfasser
war seiner Sache gewiß, that eine seiner besten
Spinnen in ein Glas, und gab sie dem Gene-
ral Van Damme um sie zur vollsten Beruhi-
gung des Generals Pichegrü nach dem Haag zu
schicken. – Er zeigt also wie interessant das
Studium der Spinnen überhaupt für alle Welt
sein müsse (denn wen interessirt das Wetter
nicht?); wie äußerst wichtig aber besonders in
Kriegszeiten für Heerführer; sowie in Seestäd-
ten und Häfen für die Marine; für Reisende;
auch für Ärzte, zumal wegen der bei großen
Witterungswechseln zwischendurch grassirenden
Krankheiten; vor allem aber, und in der man-
nichfaltigsten Rücksicht, für die Landwirthschaft.
‘»Aber, wie? wird man einwerfen,«’ sind seine
Worte: ‘»wäre es vernünftig gehandelt, im
Vertrauen auf die Spinnen seine Sicheln
Sensen und Winzerhippen zu wetzen, wenn
das Wetter auch noch so trübe, ja sogar auch
noch so regnig ist? Ich glaube mit einem
festen Ja antworten zu können.«’ Glaubte er
doch zu Ende des Frühlings bloß aus dem Be-
[Seite 139] nehmen der Spinnen den Ertrag der Viehwei-
den im folgenden Sommer so bestimmt voraus
zu sehn, daß er aus einer darauf gegründeten
soliden Spekulazion allen Buttervorrath in Hol-
land bei Zeiten aufkaufen wollte!
Sehr verzeihlich ist es daß sich der Verfas-
ser aus Bewunderung über die ihm selbst so
unerwarteten Entdeckungen in sehr enthusiasti-
sche Lobeserhebungen dieser seiner göttlichen
Spinnen, wie er sie nennt, ergießt. Sie wa-
ren, im Studium der Atmosphäre, der Meteo-
rologie, und der Elektrizität, ‘»seine größten
Lehrer, nach den Herren Kotta, Bekkaria, van
Swinden, u.s.w. Ich könnte, sagt er, meine
geliebten Spinnen nicht nach Würden lob-
preisen.’
‘»Ja, wenn etwas auf Erden eine zärtliche
Liebe verdient, so sind es die Spinnen, dieses
große Insekt! Wenig Dingen (peu de su-
jets) kömmt das Wort Groß mit mehrerm
[Seite 140] Rechte zu. Wir reden hier vielleicht von dem
was das Allerbewundernswürdigste und das
Allergrößte in der gesammten Natur ist.«’ –
Man wild diese Äußerungen des Hrn Generals
um so begreiflicher finden da er von sich selbst
sagt: ‘»Wenn mir irgend ein Gegenstand der
Physik das Wohlsein meiner Nebenmenschen,
ihre Bedürfnisse, oder noch mehr! ihr Leben
zu betreffen scheint, so bin ich kein Mensch
mehr; ich bin ein Waldstrom, der durch alle
Felsen und Dämme hin sich eine Bahn bricht.«’
Überhaupt zeigt sich durchgehends, daß es rich-
tig sei wenn er an einem andern Orte von sich
gesteht: ‘»Die Gabe zu räsonniren besitze
ich ein wenig (j’ai un peu le don de raison-
ner);«’ auch daß er seine Räsonnements zu-
weilen auf eine sehr eigene Weise ausdrückt:
z.B. ‘»Man kann ein ausgezeichneter Mensch
a priori sein (être éminemment homme a priori),
das heißt mit einer ausgezeichneten Organisa-
zion versehen, ohne doch ein ausgezeichneter
Mensch a posteriori zu sein.«’ –
Daß auch der Verfasser manche schon aus
[Seite 141] Lister, Homberg, Rösel, und Andern bekannte
Bemerkung an den Spinnen für neu hält, darf
Niemand befremden; so wenig als daß selbst
manche der seinigen aus den Bemerkungen Je-
ner berichtigt werden können. Es kommen fer-
ner, außer dem was den Hauptgegenstand sei-
ner Beobachtungen an diesen Insekten betrift,
beiläufig noch manche andre interessante vor:
z.B. vom Nutzen der Spinnen in den Pferde-
ställen; und daß der berühmte Astronom La
Lande (sowie weiland die hochgelahrte Mamsell
Schurmann) die Spinnen als eine Leckerei zu
essen pflegt, und sie im Geschmack mit den
Nußkernen vergleicht*); u.s.w.
Nur Schade daß diese Schrift, sowie sie
ist, noch zu auffallende Lücken läßt, wodurch
die ‘»gemeinnützigere«’ Brauchbarkeit der Ent-
deckung des Verfassers vor der Hand noch sehr
[Seite 142] eingeschränkt bleiben muß. Dahin gehört er-
stens: daß er die Gattungen der Spinnen, die
zu so zuverlässigen Wetterprophezeihungen die-
nen sollen, nicht genau genug bestimmt. Er
nennt zwar vorzüglich die arainées pendices;
allein es giebt mehrere verschiedne Gattungen
welche alle ihr Netz senkrecht weben: vermuth-
lich meint er wohl besonders die Kreuzspinne.
Aber die einzeln im Winter erscheinenden Spin-
nen deren er gedenkt, scheinen doch davon ver-
schieden, und nach S. 88 selbst von mehr als
Einer Gattung (espece) zu sein. – Zwei-
tens hat er von den Phänomenen im Betra-
gen der Spinnen, und was dieselben für die
Meteorologie andeuten, gar zu wenig Bestimm-
tes mitgetheilt. Einen Hauptbezug hat in die-
ser Rücksicht die Kürze oder Länge der Endfä-
den woran sie ihr Netz befestigen. ‘»Sie haben
eine zwiefache Art zu arbeiten, je nachdem
das Wetter beschaffen ist, oder vielmehr be-
schaffen sein wird. Steht Regen oder auch
Wind bevor*), so knüpfen sie die Haupten-
[Seite 143] den woran ihr ganzes Werk schwebt, sehr kurz
an, und erwarten in dieser Lage die Wirkun-
gen der gewiß sehr veränderlichen Tempera-
tur.«’ Je längere Endfäden sie hingegen spin-
nen, desto sicherer ist auf dauerhaftes schönes
Wetter zu rechnen. ‘»Zieht die Spinne lange
Fäden, so bürgt dies wenigstens auf 12 bis
15 Tage für heitere Luft.«’ So hat der Ver-
fasser einst eine Spinnewebe von 34 Fuß im
Durchmesser beobachtet.
Drittens aber – und das mögte freilich
dem größten Theil der Leser am anstößigsten
in – scheint der Verfasser in seiner meteoro-
logischen Kunstsprache das ‘»trockene Wetter«’
nicht ganz in dem Sinne zu nehmen den man
im gemeinen Leben damit zu verbinden pflegt
Denn so sagt z.B. der Herausgeber Hr. P.
Boddaert, ein vertrauter Freund des Ver-
fassers, in der Vorrede wo er von jenen lan-
gen Endfäden spricht: ‘»Was die ins Große
gehende Arbeit der senkrecht webenden Spin-
nen betrift, und ihre erstaunenswürdig lang-
gesponnenen Fäden, die ich mit so innigem
[Seite 144] Vergnügen betrachtet habe; so zeigen sie da-
durch bloß die innere Trockenheit der
Atmosphäre an, mit welcher Trockenheit jedoch
Regenwetter, ja selbst sehr häufige Güsse, gar
wohl verträglich sind.«’ Mit einer solchen
sécheresse intrinseque wird aber fürwahr einer
Hausfrau die eine Wäsche, oder einer Gesell-
schaft die eine Landpartie vorhat, übel gedient
sein*). – Endlich muß man doch auch wohl
das in Anschlag bringen, daß der Verfasser bei
seinem meteorologischen Studium der Spin-
nen noch einen Gehülfen zu korrespondi-
renden Wetterbeobachtungen hatte den sich
doch selbst die eifrigsten Meteorologen verbitten
würden: nehmlich seine Migräne, in Gesell-
schaft von mancherlei andern körperlichen Be-
schwerden, die nach dem bevorstehenden Witte-
rungswechsel zugleich mit der Erscheinung seiner
[Seite 145] Spinnen und ihrer Art zu arbeiten, eintraten
oder ausblieben. Wir wollen auch hierüber den
Verfasser selbst hören. ‘»Ich habe zwei Gefähr-
ten bei meinen Arbeiten gehabt, die nur von
großem Nutzen waren, und die ich nie genug
rühmen kann; weshalb ich ihnen auch hier
den Zoll meiner innigsten Erkenntlichkeit dar-
bringe. Es sind die Migränen und die Spin-
nen. Nachdem ich ausfündig gemocht hatte
daß der geringste Regen, sei er schwach oder
stark, auf mein Blut wirkt, und es so in
Wallung setzt daß ich weder am Tage noch
zur Nachtzeit schlafen kann; daß ferner jeder
bedeutende Witterungswechsel, von der Art
wodurch großer Regen oder großer Wind her-
beigeführt wird, mir unausbleiblich eine Aus-
leerung der Galle durch den Stuhlgang und
durch den Urin, imgleichen einen scharfen Reiz
an gewissen Drüsen des Unterleibes«’ [die nä-
here Bestimmung darf wohl überschlagen wer-
den], ‘»nebst Migränen zum Rasendwerden,
verursacht: so habe ich seit der Zeit immer
nur vergleichende Beobachtungen über mich
[Seite 146] angestellt. Die Spinnen erleiden, wie mein
Körper, drei sehr auffallende Veränderungen.
Wenn sie still sitzen, so kann ich nicht schlafen,
und es herrscht entweder Regen oder Wind
wenn sie mit kleinen Fäden spinnen, so habe
ich die Migräne, und das Wetter ist unbe-
ständig; arbeiten sie aber im Großen, so herr-
sche ich wieder über das Universum: ich esse
und verdaue, ich arbeite und schlafe, meine
Ideen umspannen die ganze Welt; ich fühle
was Hr Rouelle von der Wirkung des Opiums
sagte: ich drücke nirgend schwer auf, nichts
drückt schwer auf mir.«’*) – So beschreibt
der Verfasser wie er einst, nach einem regnigen
Junius und Julius, an einem der ersten Tage
im August nach Tische um 2 Uhr plötzlich den
großen bevorstehenden Wetterwechsel voraus-
sehen können, u.s.w.
Wir schließen diese Anzeige mit einer Stelle
aus einer der ältern Schriften des sel. Archi-
[Seite 147] diakonus Göze, wo er unter allerhand lächer-
lichem Volksaberglauben auch ein ihm bekann-
tes Beispiel einer alten Matrone anführt, ‘»die
nach dem Verhalten einer Hausspinne über
ihrem Armstuhl in der Stube, ihre ganze Öko-
nomie einrichtete. Diese Spinne war allezeit
erst das Orakel, welches befragt ward ehe
man im Hause etwas vornahm. War die
Spinne lustig, lief sie in ihrem Netze munter
umher; so war es ein gutes Zeichen: so wurde
Brauteig gekauft, Malz bereitet, Gesellschaf-
ten angenommen, Besuche gegeben, u.s.w.
War die Spinne aber still, und schien sie in
ihrer Höhle traurig zu sitzen; so war es ein
böses Zeichen, u.s.w.«’ – Wie man doch
Leuten Unrecht thun kann! Der gute selige
Mann hat der klugen Sibylle das zum Aber-
glauben ausgelegt was, wie wir zu ihrer Recht-
fertigung zu vermuthen alle Ursache haben,
meteorologische Beobachtungen nach der Me-
thode des Hrn. Quatremere d’Isjonval gewesen
sein mögen.
Welchen sonderbaren Geschmack haben doch Aka-
demiker! Man kennt einen andern, aber minder
berühmten, Astronomen welcher die Raupen ver-
folgt, sie wie Sardellen auf Brotschnitte legt, und
so mit hohem Wohlgefallen verzehrt.
So löst sich auch das Räthsel der Widersprüche im
Journal de Paris. Hr Qu. Disjonval beobachtete die
innere Trockenheit der Luft; die Pariser wollten aber
auch von außen keinen Regen mehr haben.