Hin und wieder ein neues Insect, ein neues Würm-
gen zu finden, ist keine gar schwehre, und wenn das
entdeckte Thier durch keine besondre Merkwürdigkeit in-
teressirt, im Grunde auch keine sehr verdienstliche Sache;
die blos in der guten Hoffnung im Inventarium
der Natur ganz stille angezeigt zu werden verdient, daß
man vielleicht mit der Zeit noch eine und die andre
nutzbare Bemerkung in der Geschichte des neuen Ge-
schöpfs machen werde. Die bloße Versichrung seiner
Existenz und seine trockne Beschreibung ist etwas so
gleichgültiges unbedeutendes, daß man den entehrenden
Begriffen beypflichten müßte die sich der gute Artedi*)
[Seite 118] von Naturgeschichte machte, und sie dadurch zur ent-
behrlichsten und magersten aller menschlichen Kenntnisse
herabsetzte, wenn man auf eine solche Entdeckung einen
sonderlichen Werth setzen wollte.
Ein bestätigendes Beyspiel davon geben die Polypen.
Denn so wie überhaupt (freylich gegen die gemeine
Meinung) noch manche blose Hypothese irgend eines
grossen Mannes, seys in der Medicin oder in der Na-
turgeschichte und Physic, gewiß wichtiger ist als manche
volumineuse Sammlung sogenannter Erfahrungen und
Observationen; so war es sicherlich auch mehr werth,
daß Leibnitz auf seinem Sorgstuhl in Hannover blos
vermuthete, es könnte wol Polypen in der Welt geben,
sie gleichsam weissagte; als daß sein Zeitgenosse Leeuwen-
hoek sie würklich in Natur fand und sah und abzeichnete.
Der hannöversche Weise folgerte aus seiner Con-
jektur die grosse, Seiner würdige Lehre von den Ver-
bindungen und Uebergängen im Reiche der Natur. Der
[Seite 119] Delffter Glasschleifer hingegen, der doch den grösten
Theil seines 90jährigen Lebens aufs Observiren ver-
wandte; aber immer nur mit seinen Glaskügelgen nach
neuen Entdeckungen haschte; der schöpfte unter andern
auch a. 1703 ein Glas Wasser, in welchen (wie man
40 Jahr nachher gewahr worden ist) nebst mehrern kleinen
Dingen auch Polypen gewesen sind, wovon er seiner Ge-
wohnheit nach, für die Londner Societät einen kurzen
Bericht aufgesetzt und dann sein Glas wieder ausge-
gossen hat um in einem frischen hoffentlich wider andre
neue kleine Thiergen zu erblicken.
Und so wurden damals die Polypen gesehen, be-
schrieben und wie natürlich fast ganz wieder vergessen,
bis im Junius 1740 ein andrer Mann, im glei-
chen Lande auch ein Glas Wasser schöpfte, und auch
Polypen drin fand; Aber – bey ihren Wundern weilte,
mit deren blosser Erzälung er einen Quartanten füllen
konnte, bey dessen Erscheinung freylich die artigsten
Kartenhäusgen der vormaligen Physiologie und Welt-
weisheit zusammen fielen, der aber der Warheit und
den Wissenschafften dafür ein Licht aufsteckte, und seinem
Verfasser einen Namen verlieh, die beyde mit dem Ge-
schlecht der Polypen selbst eine gleichewige Dauer haben
müssen.
Allein es ist jenseits der menschlichen Kräfte daß
eines Mannes Scharfsinn und Fleis alle die Wunder
ergründen könnte, die Gott in irgend einen Wurm ge-
häufft hat; und so sind auch die Polypen nun seit 40
Jahren auch für viele andre Naturforscher die Trembleys
Bahn betreten haben, eine immer neu ergiebige Quelle
der lehrreichsten und zugleich anmuthigsten Untersuchun-
gen gewesen: die nemlich bey der Ausklärung die sie über
viele der wichtigsten menschlichen Kenntnisse verbreiten,
zugleich so leicht anzustellen sind, und so viel Unterhal-
tung gewären, daß selbst junge und sehr aufgeweckte
Damen u.a. Personen, die schlechterdings für keine
trockne Beschäftigung weder bestimmt noch aufgelegt
waren, schon oft vielen Zeitvertreib und anhaltendes
Vergnügen daran gefunden haben.
So wie wol wenige Gegenden der Welt von
allen Polypen gänzlich entblöst sind; so werden hin-
gegen vielleicht eben so wenige mit so vielerley Gattun-
gen davon versorgt seyn, als die um Göttingen: da fast
in allen unsern Teichen, Gräben und Bächen von allen
drey Polypen-Geschlechtern (Arm-Polypen Hydrae;
Blumen-Polypen Vorticellae; und Federbusch-Polypen
[Seite 121] Tubulariae) zalreiche Gattungen und unter diesem noch
manche neue unbeschriebne anzutreffen sind.
Ich gebe dießmal blos von den Federbusch-Poly-
pen in unsern Gewässern Nachricht, die ihrer unbe-
schreiblich artigen Bildung ungeachtet doch noch am we-
nigsten untersucht worden sind.
Sie äneln den See-Corallen, und unterscheiden sich
hingegen von den beiden andern Polypen-Geschlechtern
der süssen Wasser, indem sie nicht so wie diese, blos
aus einem nackten gallertigen Körper bestehen; sondern
wie jene ein Gehäuse oder eine Hülse bewohnen, aus
welcher sie meist mit Kopf und Armen hervorragen, aber
bey der mindesten Erschütterung oder Berühtung, oder
wenn sie aus dem Wasser gezogen werden, oder sterben
wollen, sich dahinnein zurückziehen können; so daß man
folglich zwey Haupttheile an diesen Thieren unterschei-
den muß, ihren Körper nemlich, und dann die Co-
rallen-Hülse die sie bewohnen.
Der Körper ist wie bey andern Polypen von gal-
lertiger halbdurchsichtiger Substanz, aber von einer
weit mehr zusammengesetzten Structur. Er ist nicht
wie bey jenen ein einfacher Schlauch, sondern enthält
besondere Eingeweide und Verdauungswerkzeuge, hat
[Seite 122] fast wie beym Räderthier einen distincten Magen, Där-
me etc. und endigt sich oben am Munde mit einer Anzal
ungemein artiger weisser fadenförmiger knorplicher Arme,
die an der Wurzel dicht beysammen stehn, nach oben
aber meist auswärts gebogen sind, und daher einem Fe-
derbusch änlen, von dem man auch die Benennung die-
ses ganzen Polypen-Geschlechts entlehnt hat*), und
dessen verschiedne Bildung die schicklichsten Unterschei-
dungszeichen der mancherley Gattungen dieses Geschlechts
abgiebt.
Die Hülse oder das Gehäuse der Federbusch’s Poly-
pen ist eine Röhre die gerade weit genug ist, daß sich
das kleine Thier im Nothfall hinein zurückziehen kan:
hat aber übrigens eine so wenig bestimmte Bildung,
daß ich selbst die Gehäuse von einer und eben derselben
Gattung Federbusch-Polypen unter sehr verschiednen
Gestalten gefunden habe. Bald wie ein einfaches Därm-
gen das an der Wurzel einer Meerlinse oder an andern
Wasserpflanzen herumrankte, und hin und wieder Sei-
tenöfnungen hatte in welchen seine Bewohner logirten.
Bald wie kleine Bäumgen die zwischen Flußschwamm
[Seite 123] (Spongia lacustris) empor ragten. Bald wie Rinden-
Corallen (Escharae) da viele tausend solcher Hülfen oder
Zellen ganz flach, aber dicht an einander an einem Damm-
Holz oder einen Stein auflagen. Bald wie faustgrosse
Klumpen wo ebenfalls unzäliche solcher Hülfen aber fast
wie Röhren-Corallen (Tubipora) senkrecht an einander
stunden: da denn in diesem und dem letztgedachten Fall
die ausgestreckten Federbüsche ihrer Inwohner eine breite
Fläche bildeten, die wie mit milchweissen Flaumen über-
zogen schien.
Die verschiedne Anzahl und Richtung der Arme im
Federbusch, giebt wie gesagt die sichersten und leichtesten
Unterscheidungszeichen der Gattungen ab, von denen
mir bis jetzt folgende bekannt sind.
1. Tvbvlaria repens. bey der nicht nur der Fe-
derbusch, sondern fast der ganze übrige Körper aus der
Hülse herausgestreckt werden, und dann durch zwey be-
sondre Fäden die in derselben verborgen liegen, wieder
zurückgezogen werden kan. Sie ist unter allen Gattun-
gen zuerst, und zwar auch von H. Trembley*) entdeckt
[Seite 124] worden. Von ihr scheint diejenige wenig verschieden
die H. Etatsrath Müller beschrieben*).
2. Campanulata. Bey der so wie bey den folgenden
Arten nie der ganze Körper, sondern nur der Feder-
busch aus der Hülse heraustritt. Hier bey dieser en-
digt sich die Mündung der Hülse in ein steifes Ränd-
gen**). Es ist die gemeinste Art, die so wie die vor-
hergehende meist 50-60 Arme hat, die in Hufeisen-
Form rangirt sind: da hingegen die folgenden Arten
weniger und andere gerichtete Arme haben.
2. Sultana. Eine neue Gattung, die ich zuerst den
20. Jul. 1774. hier gefunden, und schon damals in den
gelehrten Anzeigen beschrieben habe***), und die sich
durch 20 im Cirkel stehende Arme auszeichnet, die an
der Basis mit einer zweyten Reihe ganz kurzer Fäden
umgehen sind, und beide einen matten Glanz wie ge-
sottenes Silber haben. Man darf die unbeschreibliche
Eleganz des schönen Geschöpfs nicht nach der beygehen-
den Abbildung beurtheilen, die doch im Ganzen getreu
genug ist, und drey dieser Federbusch-Polypen sehr
[Seite 125] vergrössert, und in verschiedner Attitüde vorstellt. Der
unten linker Hand, wie er so eben seinen zusammenge-
legten Federbusch aus der Hülse, hervorstrecken will.
Der zur rechten wie er mit den Armen spielt oder sich
dehnt wenn er eben Malzeit gehalten, seine Blumen-
Polypen u.a. Würmgen wovon er sich nährt, verzehrt
hat. Der dritte endlich in Ruhe mit steifen ausge-
streckten Armen.
4. Pectinata. Ebenfalls eine neue, sehr sonderbare,
von H. Prof. Lichtenberg im Sommer 1773 bey Han-
nover entdeckte Art, die sich von allen übrigen durch
vier convergirende und an der innern Seite gezänelte
Arme unterscheidet.
Noch haben Rösel*) und Baker**) zwey Feder-
busch-Polypen abgebildet, die zwar von den angefürten
vier Arten verschieden, aber keine besondere Gattungen,
sondern höchstens blose Spielarten scheinen. Die Baker-
sche Figur ist wie viele andere in dem sonst nützlichen Werke
flüchtig gezeichnet, und die kleinen schwimmenden Ku-
geln die Rösel beschreibt, sind vermuthlich junge Feder-
busch-Polypen von der zweyten Gattung, die aber erst
[Seite 126] kürzlich aus dem Ey gekommen waren. Wenigstens
habe ich völlig änliche Kügelgen aus den geplatzten
Eyern hervortreten und die kleinen Thiere kurz nachher
davon herauskommen gesehn.
Neulich lese ich in eines Römischen Lehrers*) Ver-
zeichnis der Corallen des Mitländischen Meeres, (die
er, nach der veralteten Meynung und aus Gründen
die doch auf kundige Leser wenig Eindruck machen kön-
nen, wieder den Gewächsen zugesellen will) daß sich die
Federbusch-Polypen der süssen Wasser auch in der See
finden sollten. Allein dieß scheint so wie mehreres in dem
vermutlich etwas eilig entstandenem Werkgen, irrig. Ich
habe von der Güte des H. Prof. Lichtenberg Seewasser
erhalten, das frisch und klar wie Crystall war, und in
welchem doch schlechterdings kein Federbusch-Polype nur
eine Vierthelstunde überlebt hat. Ich mochte die leb-
haftesten von diesen Thieren plötzlich in reines Seewasser
versetzen, oder dem süssen Wasser worinn sie frisch und
munter waren aufs sanfteste etwas Seewasser zugiessen,
so war der Unterschied doch blos der, daß sie in jenem
[Seite 127] Fall augenblicklich todt waren, nicht aus der Hülfe wie-
der hervorkrochen, in diesem aber zusedends dahin welkten
und allmälig in Schleim zerflossen.
Er meynt nemlich in der philosophia Jchthyologica p. 2:
Man könne wol im Vortrag der N.G. ausser Na-
men, Character und Definition der Dinge auch was
von ihren Eigenschafften, Nutzen, Schaden u. andern
[Seite 118] Merkwürdigkeiten anhängen etc. Sed (fährt er fort)
hoc ultimum admodum breviter et succincte fiat, quo-
niam diffusae et longae descriptiones proprietatum et
qualitatum in historia naturali inutiles sunt, quatenus
vera et naturalis methodus in dignoscendis generibus
et speciebus rerum creatarum unicus et praecipuus
finis historiae naturalis sit. –
Polype à pannache Trembl. Polypus cristae castrensi
similis Haller physiol. Vol. VIII.
Io. Franc. Maratti de plantis zoophytis et litho-
phytis in m. mediterraneo viventibus. Romae 1776. 8. p. 21.