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Magazin
für das Neueste
aus der
Physik
und
Naturgeschichte
,
zuerst herausgegeben
von dem Legationsrath Lichtenberg,
fortgesetzt
von Johann Heinrich Voigt,
d.W.D. Prof. der Mathematik zu Jena, auch Mitglied
der naturforschenden Gesellschaft daselbst, und Corresp. der
Königl. Gesellsch. der Wissens. zu Göttingen.

Zehnten Bandes drittes Stück, mit Kupfern.

Gotha
1796
.
bey Carl Wilhelm Ettinger.
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Neue Beobachtungen.

[Seite 1]

I.
Herrn de Luc's geologische Briefe, an
Herrn Professor Blumenbach aus der fran-
zösischen Handschrift.


Fünfter Brief. Entstehung unsres festen Landes – Beweiß, daß die-
se Epoche von keinem hohen Alter ist.


Daß unser jetziges festes Land einst Meeresboden
gewesen, darüber ist wohl nunmehr unter den Natur-
forschern nur eine Stimme. Der Hauptgegenstand
aller geologischen Systeme blieb nur, zu erklären:
[Seite 2] ‘„Wie das Meer, das einst unser festes Land bedeckt
hatte, nun um so viel niedriger, als dasselbe, zu ste-
hen gekommen?„’

1.

Ich habe die Frage: ‘„ob diese große Verän-
derung, die sich mit unsrer Erde zugetragen, all-
mählig
, oder aber durch eine plötzliche Revolution
erfolgt ist,„’ hier in diesen Briefen gar nicht be-
rührt, weil ich sie in meinen Briefen über die
Geschichte der Erde und des Menschen
aus-
führlich untersucht, und, sowohl jedes der Systeme,
die sich auf langsam dabey würkende Ursachen
gründen, wiederlegt, als auch im ganzen erwiesen
habe, daß die Entstehung unsres festen Landes
nicht allmählig, sondern plötzlich erfolgt seyn
muß. Und eben dies haben zwey der größten Geo-
logen unsers Jahrhunderts, die Herren de Saus-
süre und de Dolomieu, anerkannt. Nur fragt
sich: was für eine Revolution ist dies gewesen? und
ich werde zuvörderst die Facta anführen, welche die
Natur derselben aufs deutlichste erweisen.

2.

Wir haben gesehen, daß die ganze Masse unsers
festen Landes aus Schichten zusammengesetzt ist,
die das Meer, als es noch diesen Theil unsrer Erd-
kugel bedekte, hervorgebracht hat. Diese Schich-
[Seite 3] ten, die man überall ganz unbezweifelt und ohngeach-
tet der mancherley Zufälle erkennt, die sich damit er-
eignet haben, verlaufen sich durchgehends nach dem
jetzigen Meere, und bildeten anfangs die Grenzen
seines Bettes: ich werde sie den Boden der Con-
tinens (Sol continental) nennen.

3.

Sobald das Meer sein vormaliges Bette ver-
lassen hatte, entstanden Flüsse auf der neuen Erde,
und da, wo sich diese ins Meer ergossen, fiengen sie
an, bey ihrer Mündung den Schlamm abzusetzen,
den sie mit sich weggeführt hatten: auch das Meer,
das den Sand auf seinem Boden bewegte, trieb
ihn mittelst der Wogen nach seinen Ufern; und aus
diesen beiden Stoffen entstand nach und nach der
neue Ufer-Schlich (des atterrissemens,) oder
das neuabgesetzte Land, das an einigen Stellen
der ursprünglichen Küsten die Stelle des Wassers
einnahm. Dieses neuabgesetzte Land ist überall
eben so deutlich von dem ursprünglichen Boden der
Continens zu unterscheiden, als man eine Platte-
forme von dem Hause unterscheidet, das sie umgiebt,
und ihre Existenz beweißt zuvörderst, daß die Ober-
fläche des Meeres, seit dasselbe in seinem jetzigen
Bette ist, nicht höher gestiegen: denn sie hatte
dann allmählig jenen neugebildeten Schlich wieder
überschwemmen müssen. Hütte hingegen die Mee-
[Seite 4] resfläche sich gesenkt, so hätte der neue Schlich ei-
ne schräge Richtung gegen dieselbe erhalten müs-
sen, woraus sich müßte ermessen lassen, um wie vie-
les das Meer, seit es in dieses neue Bette getreten,
an Höhe abgenommen: allein das neuabgesetzte
Land, seys an welcher Küste es wolle, und von noch
so großem Umfange, ist immer merklich horizontal,
so daß uns schon dieses einzige Phänomen zum un-
widerredlichen Erweis dient, daß die Oberfläche
des Meeres, seit dasselbe sich in seinem gegenwärtigen
Bette befindet, in unveränderter Höhe geblieben ist.

4.

Da aber das Meer, bevor es in dieses jetzige
Bette trat, unsern Erdboden in einer ungleich höhern
Fläche bedeckte, so fragt sich: wie und wodurch ward
es damals in Schranken gehalten? Das mußte
durch festes Land geschehen, welches über diese Flä-
che damals erhaben, an derselben Stelle stand, die
nun jetzt von diesem Meere bedeckt wird. Zudem
wissen wir aus der Menge von Trümmern von
Landthieren und Gewächsen, die in unsre Erdschich-
ten zu der Zeit begraben worden, da sie noch mit
Ocean bedeckt waren, daß damals festes Land exi-
stirt haben muß. Folglich mußte wenn das Meer
sich von unserm jetzigen festen Land, welches es da-
mals bedeckte, verlaufen sollte, eine andre Continens
der Vorwelt, die ihm damals zu Schranken diente,
[Seite 5] so tief einstürzen, daß sie nun zum neuen Meeres-
Bette werden konnte.

5.

Dieß ist eine nothwendige Folge der unverkenn-
baren Thatsachen, die ich bisher aus einander gesetzt
habe, und ihre Evidenz hängt übrigens nicht von
der Bestimmung der Art und Weise ab, wie diese
Revolution erfolgt seyn müsse: allein auch dieß wer-
den wir gar bald entdecken, wenn wir nur den Gang
von Ursachen verfolgen, den ich in meinen vorigen
Briefen bestimmt habe, aus welchen ich nur mit we-
nigen Worten die hieher gehörigen Hauptpunkte
wiederhole.

6.

Der Umstand von Zerrüttung (desordre)
worinn wir unsre Erdschichten erblicken, kann
durch nichts anders, als durch beträchtliche und wie-
derholte Einstürzungen des größern Theils ihrer
Masse entstanden seyn, die sich in Epochen ereignet
haben, die durch ihre geognostischen Denkmale be-
zeichnet worden. Dieses Einstürzen des vorma-
ligen Meeresbodens konnte blos durch die successive
Entstehung von inneren Hölen veranlaßt werden,
in welche die ende Rinde der Schichten von
Zeit zu Zeit zusammenstürzte. Hieraus erklärt sich
abermals das große Phänomen, das zuerst aufs Stu-
[Seite 6] dium der Geologie geführt hat, nemlich das Ver-
schwinden eines großen Theils derjenigen Flüssigkeit,
womit einst die ganze Erdkugel bis zu einer Höhe
bedeckt war, die selbst unsre höchsten Gebirge über-
stieg. Auch haben wir in dem Bersten dieser Hö-
len, aus welchen dabey jedesmal neue ausdehnbare
Fluida heraustraten, die chemische Ursache so-
wohl der successiven Niederschläge in jener Flüs-
sigkeit als auch die gleichzeitigen Veränderungen in
der Atmosphäre gefunden, welche letztern aus der
Geschichte der Gewächse erhellen. Endlich habe ich
auch im Fortgange dieser Ereignisse eine Epoche an-
gegeben, wo die plötzliche Erweiterung der Hölen
unter einem Theil der Rinde von Erdschichten, wäh-
rend noch die Flüssigkeit die ganze Erdkugel bedeckte,
den plötzlichen Einsturz dieser Rinde veranlaßte; wo-
durch, in Verbindung mit dem Eindringen eines
großen Theils der Flüssigkeit, diese selbst nun nur
noch den eingestürzten Theil bedeckte; wodurch denn
einerseits das erste Meer, so wie anderseits das
erste Land gebildet ward.

Dieß sind die Punkte, die ich aus den vorigen
Briefen hier zurückrufen mußte. Jetzt verfolge ich
den Faden der Geschichte weiter.

7.
[Seite 7]

Nach dieser ersten Revolution, blieb der damals
hervorgebrachte Erdboden lange Zeit vor einer grö-
ßern Catastrophe gesichert, weil sie von der sie vor-
her drückenden Last von Flüssigkeit nunmehr befreyt
war, und dieses nun nirgend anders unter dieselbe
eindringen konnte, als unter dem nunmehrigen Ocean
von der Küsten-Seite her. Während des langen
Laufes von Catastrophen im Boden dieses Meeres,
drang nun aber freylich von Zeit zu Zeit Flüssigkeit
unter das Land. Aber dieses Eindringen erfolgte
langsam, und so wie dadurch die Masse der untern
lockern Substanzen sich senkte, so bildeten sich
dadurch feste Concretionen, wodurch wiederum die
Stützen im gleichen Verhältniß vermehrt wurden,
in welchem die Hölen selbst an Menge und Größe
zunahmen: so daß endlich die äussere Rinde blos
durch einen tief ausgehöhlten Grund unterstützt
war.

Dieß ist der Zustand, worin sich das erste
Land zu der Zeit befand, wo ich die geologischen
Operationen in meinem letztern Briefe verließ, ein
Zustand, genau dem Gange von Ursacheneeneee angemes-
sen, die alle diejenigen Wirkungen hervorgebracht
hatten, die ich durch genaue Verfolgung der geolo-
gischen Denkmale angegeben habe.

8.
[Seite 8]

Endlich aber drang, durch irgend eine neue Ca-
tastrophe aus dem Boden des Meeres eine große
Portion der Flüssigkeit mit einemmale in die tief-
sten Hölen des Erdbodens, und bewürkte daselbst
die plötzliche Senkung der lockern Substanzen,
bis unter die tiefern Stützen der ausgehöhlten
Masse: diese fieng nun an einzufallen, ihr Einsturz
erstreckte sich allgemach bis zur äußern Rinde, de-
ren Sturz endlich vollends alle die Scheidewände
der Hölungen eindrückte, durch die sie bis dahin
noch gestützt worden war. Und da folglich nun das
Meer keine Schranken mehr hatte, so ströhmte
es nun in diesen eingestürzten Theil der Erdkugel,
wo es sich in kurzer Zeit bis zu derjenigen Flächen-
höhe setzte, die wir noch heutiges Tages daran be-
merken.

Dieß war mithin die Ursache dieser Revolu-
tion, deren Natur uns in bestimmten Phänomenen
vor Augen liegt, und die wir bald, auch noch durch
Phänomene andrer Art bezeichnet, sehen werden.

9.

Ich habe in meinem vorigen Briefe gesagt, daß
die letztern Niederschläge, die sich im Meer auf sei-
nem alten Bette ereigneten, oben diejenigen waren,
die unsre Sandlager und andern lockern minera-
[Seite 9] lischen Stoff bildeten, womit auf unsern Ebenen
und Hügeln die Trümmern der Steinlagen bedeckt
sind. Jetzt füge ich noch hinzu, daß, als das Meer
sein Bett damals verließ, sich doch die gleiche Dis-
position zu solchem Niederschlag noch einige Zeit da-
rin erhielt oder erneute; so daß es auch seinen neuen
Boden mit einer großen Menge Sand bedeckte.
Daher kommt die große Aehnlichkeit zwischen dem so-
genannten Meersand und dem Sande so vieler
Ebenen und Hügel: und dieser Umstand beweißt,
wie dies auch andre Naturforscher bemerkt haben,
daß das Meer einst allen diesen Boden bedeckt haben
müsse. Ein Beweiß, der sich zugleich an diejenigen
anschließt, die sich aus der unsäglichen Men-
ge von calcinirten Conchylien und andern Seege-
schöpfen, die man an so vielen Orten in den nemli-
chen Sandlagern findet, so wie aus der Menge sol-
cher See-Körper, die in manchen Arten, die in ei-
nigen Orten von Steinlagern vergraben sind, und
aus den gemeinschaftlichen Catastrophen ergiebt, die
alle diese Schichten und Lagen dazumal erfahren ha-
ben, als sie noch vom Meere bedeckt waren. Folg-
lich ist es keineswegs (wie doch einige Geologen ge-
meynt haben) blosse Folge von einem spätern Aus-
treten oder von Ueberschwemmungen des Meeres
über unser festes Land, daß man dieses mit so vie-
lem Sande bedeckt findet; sondern dieser ist daselbst
abgesetzt worden, als das Land noch ursprünglich mit
[Seite 10] Meer bedeckt war, und es ist die Folge eines noch
einige Zeit nachher fortdauernden solchen Nieder-
schlags, daß man auch den neuen Meeresboden mit
einer solchen Menge Sand gleichsam überzogen
findet.

10.

Durch diese letztern Niederschläge wurden
alle die großen chemischen Operationen beendigt,
die durch den Beytritt des Lichts zur Masse der
übrigen Stoffe unsers Planeten, ihren ersten An-
fang genommen hatten; denn seit dieser Schluß-
Epoche ist nun kein weiterer Niederschlag im Meere
erfolgt. Dieser Umstand, verbunden mit der sich
gleich bleibenden Flächenhöhe des jetzigen Meeres,
ist sehr merkwürdig, da er sich so genau an den Gang
der vorherigen Operationen anschließt.

Da das Meer, seit es in seinem neuen Bette ist,
seine Flächenhöhe nicht geändert hat, so giebt dieß
einen Beweiß, daß sich auch seitdem nicht weiter sol-
che große Hölen geöffnet haben, aus welchen die ein-
stürzende Flüssigkeit neue ausdehnbare Fluida
hätte heraustreiben können; und eben dieß ist zu-
gleich der Grund, warum die außen stehend gebliebe-
ne Flüssigkeit seitdem keine weitere Veränderung er-
leidet. Folglich ist das jetzige Seewasser, das bis
jetzt permanente Residuum der uranfänglichen
[Seite 11] Flüssigkeit, womit einst die ganze Erdkugel bedeckt
war, und wovon sich alle die Stoffe getrennt haben,
die wir nun jetzt auf selbiger finden: und unsre At-
mosphäre, ebenfalls eins der Producte dieser che-
mischen Operationen, hat zu gleicher Zeit und
durch die gleiche Ursache der allgemeinen Ruhe (re-
pos) die ich bestimmt habe, einen merklich festen
(fixe) Zustand erhalten: so, daß wir nun jetzt auf
unsrer Erde keine andern allgemeinen Veränderungen
mehr erfahren, als die, welche vom Wechsel der
Jahrszeiten und von der wechselseitigen, bestän-
dig wiederholten Würkung der Atmosphäre und
der Oberfläche der verschiedenen Arten von Boden,
entspringen.


So habe ich nun das Unternehmen ausgeführt,
wozu ich mich in meinem ersten Briefe anheischig ge-
macht hatte, nemlich aus physischen Ursachen
alle die Denkmale großer Revolutionen zu erklä-
ren, welche die Oberfläche unsrer Erdkugel darbietet.
Die allgemeine Physik, die Chemie und die Naturge-
schichte haben mich durch diese Denkmale hindurch
geleitet, und dieß von der sehr ausgezeichneten Epo-
che an, da das Licht sich mit den übrigen Elemen-
ten der Erde verbinden mußte, bis auf die Ent-
stehung unsres jetzigen festen Landes, dessen cha-
rakteristische Züge mir in diesem Studium zu Weg-
[Seite 12] weisern gedient haben. Ich habe denjenigen Theil
der Geschichte unsrer Erde, in welchem wir blosse
Folge von Perioden, ohne nähere Bestimmung ih-
res Zeitraums unterscheiden können, die alte Ge-
schichte genannt; die neue wird nun diejenige hei-
ßen, zu welcher ich jetzt übergehe, und in welcher
wir eine bestimmte Chronologie haben werden.


Geschichte der Erde seit der Entstehung
unsres festen Landes. 13.

Die beiden ersten Gegenstände, die wir in dieser
neuen Periode unsrer Erde zu betrachten haben, sind,
erstens die Veränderung, so ihre äussere Tempera-
tur bey der Revolution, die ich beschrieben, erlit-
ten hat, und dann der Ursprung der Bevölkerung
des neuen festen Landes. In Rücksicht der er-
stern müssen wir zuförderst erwägen, daß die Son-
nenstrahlen nicht an und für sich erwärmend
sind, sondern es für die Erde erst dadurch werden,
daß sie durch die Atmosphäre derselben dringen und
aus die Körper auffallen, und indem sie die unmittel-
bare Ursache der Wärme, nemlich das Feuer, her-
vorbringen, wovon das Licht einen Bestandtheil aus-
macht. Ferner wissen wir, daß die Erzeugung des
[Seite 13] Feuers durch die Sonnenstrahlen, wenn die
übrigen Umstände gleich sind, nach der Beschaffenheit
der Atmosphäre und der Körper selbst, mehr
oder minder ergiebig ist; und daß die Dauer des
auf diese Weise auf der Oberfläche der Erde hervor-
gebrachten Feuers, und folglich auch die Erhaltung
der durch die Sonnenstrahlen, hervorgebrachten
Wärme von denen Operationen abhängt, die sich
in der Atmosphäre und auf der Oberfläche des
Erdreichs ereignen. Nun aber hat sich unsre At-
mosphäre Stufenweise gebildet, so wie allgemach
die Stoffe unsrer Erdschichten sich in der Flüs-
sigkeit niederschlugen, in welcher sie erzeugt worden,
und wir sehen, daß sie selbst successive Veränderungen
durch diejenigen erlitten hat, welche die Land-Ge-
wächse (végétaux terrestres) zur nemlichen Zeit
erfahren haben, als auch die Raßen der Seethiere
durch die gleichzeitigen Modificationen der Flüssig-
keit verändert wurden. Endlich haben wir gesehen,
daß diese Classen von correspondirenden Veränderun-
gen successive Revolutionen des Meeresbodens
zur unmittelbaren Ursache hatten. Und hiervon
werde ich also ausgehn, um den ersten von jenen Ge-
genständen in dieser neuen Verfassung der Erde
zu bestimmen; ein Gegenstand, auf welchen uns
das in den Erdschichten der nordlichen Zo-
nen bemerkte Phänomen von Leichen von Thie-
[Seite 14] ren, die heutiges Tages blos zwischen den Wen-
dezirkeln leben, hinführt.

14.

Seit jener großen Revolution, die dem er-
sten festen Lande auf unserm Planeten sein Da-
seyn gab, hat sich keine so beträchtliche wieder ereig-
net, als eben die, von der ich rede, die nemlich jenes
feste Land untergehen ließ, und dagegen das unsrige
hervorbrachte. Folglich mußte auch die Atmo-
sphäre bey dieser letztern Revolution von neuen eine
sehr große Veränderung erleiden. Auch ereignete
sich damals eine sehr große Veränderung in der Be-
schaffenheit der trocknen Oberfläche der Erdkugel,
da das untergegangene feste Land aus bloßen Pri-
mordial-Lagen zusammengesetzt war; hingegen
das neuhervorgebrachte auf seiner Oberfläche und
bis zu einer beträchtlichen Tiefe alle die spätern
Schichten hat; so daß in diesem die Primor-
dial-Lagen nur hier und da, durch Würkung der
Erschütterungen der ganzen Masse von Schichten
zum Vorschein kommen.

15.

Wir sehen also hier zwey große Veränderungen,
die sich bey der Entfernung des jetzigen festen Landes
auf unsrer Erde zugetragen haben, und von welchen
zugleich sehr merkliche Modificationen im Einflusse
[Seite 15] der Sonnenstrahlen entstehen konnten, nicht bloß
in Rücksicht der Wärme, sondern in allen ihren
Operationen. Freylich können wir deshalb noch
nicht a priori schließen, daß gewisse Thiere, die
vorher ausserhalb der Wendezirkel gelebt haben,
nun nicht weiter bey dieser neuen Verfassung der
Dinge daselbst sollten leben können; denn noch zur
Zeit wissen wir zu wenig von der Zusammensetzung
der Atmosphäre, um die Ursachen und ihre Wür-
kungen so tief verfolgen zu können. Da wir aber
doch in unserm oberflächlichen ausgeschwemmten
Lande die Reste von Elephanten und Rhino-
cern so gut erhalten antreffen, daß sie nicht seit
einer langen Reihe von Jahrhunderten daselbst gele-
gen haben können, und dabey doch nicht der minde-
ste Grund zu der Voraussetzung ist, daß entweder
unsre Erde ihre respective Lage gegen die Sonne
plötzlich verändert, oder von ihrer innern Wärme
verlohren haben sollte; so muß man allerdings auf
eine Veränderung in den physischen Ursachen
auf der Oberfläche der Erdkugel zurückkommen.
Dann zeigen sich uns sogleich beträchtliche Verände-
rungen in der Natur der Atmosphäre und des
Erdbodens, (wovon wir überhaupt wissen, daß
die Action der Sonnenstrahlen durch sie merklich
modificirt werden) als hinreichende Ursachen, um die-
se Veränderung in der Heimat der Elephanten
und der Rhinocer zu erklären. Auch ist dieß nicht
[Seite 16] das einzige Phänomen, das sich an diese Ursache
knüpft; denn wir finden z.B. auch in unserm auf-
geschwemmten Lande gewisse Conchylien, de-
ren Raße in der gleichen Revolution untergegangen
ist, und hinwiederum andere, die seitdem bloß zwi-
schen den Wendezirkeln leben. Und so lassen sich
diese Phänomene, die für alle langsamwürkende
Ursachen unerklärbar bleiben, und eine große auf un-
srer Erde vorgefallene Revolution andeuten, (und
zwar eine solche, die auch zugleich so viele andre Phä-
nomene umfaßt, die nichts weiter unter einander ge-
mein haben, als daß sie sämtlich Symptome einer
großen Revolution sind) durch bekannte physi-
sche Ursachen auf diejenige zurückbringen, die auch
unserm festen Lande seine Entstehung gegeben
hat.

16.

Der andere Gegenstand, den wir festsetzen müssen,
bevor wir zur Geschichte unsres festen Landes seit
seiner Entstehung übergehen, ist der Anfang der
Bevölkerung desselben. Wenn ich aber hier diesen
Gegenstand berühre, so lasse ich mich dabey noch
nicht auf das ein, was den Menschen, und die
Haußthiere, noch auch die vorzüglichsten vom Men-
schen gebauten Pflanzen betrift; denn hierauf wer-
de ich erst in der Folge zu reden kommen: son-
[Seite 17] dern jetzt habe ich diesen Gegenstand blos im allge-
meinen vor Augen.

17.

Wir haben oben gesehen, daß selbst auf dem
Boden des alten Meeres seine Schichten nach und
nach Reste von Landthieren und vor allen eine
ungeheure Menge von vegetabilischen Stoffen
in sich aufnehmen; was denn einzig und allein von
einer großen Menge schon bevölkerter Inseln ab-
geleitet werden konnte, deren Entstehung ich ebenfalls
gezeigt und ihre Geschichte dargestellt habe. Als
das Meer unsren Erdboden verließ, so wurden die
damals existirenden Inseln nun zu den höchsten Er-
habenheiten unsrer jetzigen Gebürge, und zugleich zur
Quelle der Bevölkerung für die neue Continens.
Winde und Regen verbreiteten denn die Saamen der
Gewächse. Auch die Vögel und die übrigen
Thiere halfen dazu, und verbreiteten sich zugleich
mit ihrem Futter, aus den Hügeln und Ebenen über-
all wo, in dieser neuen Verfassung der Dinge, das
Clima ihnen zuträglich war.

Dieß ist die allgemeine Idee von diesem großen
Punkte in der Geologie, den die Folge noch weiter
aufklären wird.

18.
[Seite 18]

Ich komme nun jetzt zur Geschichte des neuen
Erdbodens, der nun dem Einflusse derjenigen Ur-
sachen ausgesetzt ist, die noch jetzt unter unsern Au-
gen würken; und diese Geschichte wird, nach dem,
was ich davon oben angezeigt habe, chronologisch
abgefaßt werden. Ich habe mir zwar hier nicht vor-
gesetzt zu zeigen, daß die Revolution, deren Exi-
stenz und Kennzeichen ich so eben festgesetzt habe,
nichts anders ist, als die in der heiligen Geschichte
beschriebene Sündfluth; allein ich werde doch gleich
jetzt sagen, daß das allgemeine Resultat der verschie-
denen Untersuchungen, in welche ich mich einlassen
werde, die Bestätigung der biblischen Chronologie
seit jenem großen Ereigniß, enthält.

19.

Zum ersten Gegenstand dieser Art nehme ich die
Geschichte der Vegetation, die schon an sich ein
sehr vielartiges Feld umfaßt. Die Saamen der
Moose, der Gräser, des Haidekrauts, und
tausend andrer Pflanzen, die wir aus unbebauten Bo-
den wachsen sehen, wurden von den Anhöhen auf alle
Hügel und Ebnen verbreitet; und so ward der weite
Umfang von Sandboden fast überall zu sogenann-
ten Haiden; und diese Art von unbebauten Boden
ist es, bey welcher ich mich zuerst verweilen werde.
Der jährliche Pflanzenmoder, der sich auf dem Sande
[Seite 19] anlegte, überzog denselben nach und nach mit der
schwarzen Erde, in welcher nun jetzt die Pflanzen
wachsen. Nun aber giebt es unermeßliche Strecken
von dieser Art von Boden, die noch nie angebaut
worden, und auf welchen folglich der Ueberzug von
jener schwarzen Erde das vollständige Product
aller der Pflanzen ist, die, seit Entstehung unsres
jetzigen festen Landes daselbst gewachsen, und
abgestorben sind verweßt sind. In solchen Ge-
genden, die von allen menschlichen Wohnungen
zu weit abgelegen sind, als daß die herumziehen-
den Hirten auch nur ihre Schaafe dahin treiben
könnten, und wo folglich die blosse Haide alles
Gebüsche ausmacht; da ist diese Lage von schwar-
zer Erde (die immer mit feinem Sande durchmengt
ist, den der Wind von anderwärts hertreibt)
in jeder Höhe über der Meeresfläche durchgehends
ohngefähr anderthalb Fuß dick. Nun aber ist das
Wachsthum dieser Lage an manchen Orten mit
chronologischen Denkmalen verbunden, von wel-
chen ich eins von denen anführen muß, die ich in
meiner Geschichte der Erde und des Men-
schen berührt habe.

20.

Die ersten Bewohner des Norden von Deutsch-
land waren Hirten, die noch keinen festen Wohn-
sitz hatten; so daß die einzigen Denkmale die von ih-
[Seite 20] nen übrig geblieben, ihre Gräber sind: sie thaten
die Asche ihrer Todten in Aschentöpfe (Urnen) die
sie im freyen Felde begruben, zumal auf Anhöhen,
und sie mit Erde bedekten. Man findet eine Men-
ge dieser Gräber auf unbebauten Hügeln, und sie
heißen wohl mit Recht tumuli, da sie nichts anders,
als aufgeworfene Erdhaufen sind. An diesen Stel-
len also ist das frühere Product der Vegetation
aufgegraben worden: was sich seitdem gebildet hat,
ist das Product der drauf folgenden Vegetation:
und diese Epoche ist von den alten Deutschen be-
zeichnet worden, die seit der Invasion des Germa-
nicus anfiengen, sich zusammen zu thun und anzu-
bauen. Ich habe die Schicht schwarzer Erde
aus vielen dieser Grabhügel sondirt, um ihre Dicke
mit der Dicke der übrigen Schicht aus dem benach-
barten Erdreich zu vergleichen, und da sich hierzwi-
schen so wenige Verschiedenheit findet, so sieht man
schon, daß man dem Anfang der Vegetation auf
diesem Boden unmöglich ein höheres Alter, als seit
der von Moses beschriebnen Sündfluth, zuschreiben
darf.

(Die Fortsetzung folgt.)




Blumenbach, Johann Friedrich and Deluc, Jean André. Date:
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