Wilhelm Hunter von Kilbride in Schottland
starb zu London 1733 im 67ten Jahr seines Al-
ters als außerordentlicher Leibarzt Ihro Majest.
der Königin.
Er war Schüler und seitdem vertrauter treuer
Freund des ehrwürdigen Cullen, der damals in
Hamilton prakticirte und nachher in Glasgow Pro-
fessor ward, wohin ihm Hunter folgte, und dann
von da aus seinen Stab nach London sezte.
Man wird nicht leicht rathen, wem Hunter
seine gute Aufnahme daselbst, die sein ganzes
künftiges Glück entschied, zu verdanken gehabt
hat. Niemanden anders als – dem Horaz! –
Die Sache hing so zusammen: Jac. Douglas
war zu jener Zeit der berühmteste angesehenste
Wundarzt in London, und zugleich als der lei-
denschaftlichste Verehrer des Horaz bekannt; der
auch eine der größten und berühmtesten Samm-
lungen von Ausgaben dieses Dichters besaß, die
je zusammengebracht worden. Sein Hauptliefe-
rante für diese seine Lieblingssammlung war der
Buchhändler Foulis in Glasgow; und die größte
Empfehlung die dieser dem nach London abge-
[Seite 565] henden jungen Hunter mitgeben konnte, war, daß
er ihn seinem Freunde Douglas mit dem Lobe
eines fleißigen Lesers und Verehrers Horazens
vorstellte.
Hunter legte sich nun vorzüglich auf die Ge-
burtshülfe, und machte da sein Glück um so
schneller und allgemeiner, da er gegen den ehr-
lichen aber dabey rohen und fast ungeschliffnen
Smellie sehr vortheilhaft abstach.
Seine Verdienste und ihre Belohnung, – die
glänzenden Früchte seiner arbeitsamen Geschäfts-
tätigkeit, – sind bekannt. Wenige Aerzte ha-
ben sie in einer solchen Fülle geerndet, aber
noch weit wenigere haben auch eine so rühmliche
Anwendung davon gemacht, [...] eben Hunter;
der sie größtenteils wieder den Wissenschaften
widmete und auf seine unermeßlichen Sammlun-
gen von anatomischen Seltenheiten und Präpa-
raten, Naturalien, und Münzen verwandte. Man
erstaunt, wenn man nur das prachtvolle Ver-
zeichniß eines Theils dieser leztern – nemlich
blos der alten griechischen Münzen – ansieht,
die er besaß, und das einen ansehnliche Quartan-
ten füllt.*)
Um die Arzneywissenschaft hat sich Hunter
vorzüglich durch einige wichtige Entdeckungen
verdient gemacht, davon freylich ein Paar, nem-
lich die Beobachtung zweyer neuen Arten von
Krankheiten (des anevrysma varicosum und der
retrouersio vteri) in des ältern Plinius oder in
Rousseau’s Augen ein sehr zweydeutiger Ruhm
scheinen würden.
Die übrigen betreffen die Physiologie, und
vorzüglich gehört dahin die von ihm zuerst nach
ihrer Entstehungsart und Nutzen näher bestimmte
membrana caduca wodurch die in ihren beiden
übrigen Hüllen eingeschloßne Leibesfrucht mit der
innern Oberfläche der Gebärmutter verbunden wird,
und dann die von ihm erwiesene Allgemeinheit
und Wichtigkeit der lymphatischen Venen.
Hunter hat diese Entdeckungen theils in
seinen Medical commentaries Lond. 1762. 4.,
theils in den bekannten Medical observations and
Inquiries, theils auch in seiner großen anatomia
vteri humani grauidi beschrieben. Auf das lezt-
gedachte Werk hat er 1500 Louisd’or verwandt, da
ihm manche einzelne Platte allein auf 500 Thaler
zu stehen gekommen, und er ihrer mehrere die er
von den größten Meistern hatte stechen lassen,
[Seite 567] dennoch wieder verworfen hat, wenn sie ihm nicht
ganz nach seinen Sinne waren. Und doch ent-
hält das splendide Werk – eine einzige Tafel ab-
gerechnet (die XXVIte die eben seine retrouersio
vteri vorstellt) – nichts als den bekannten natürli-
chen Bau, und überhaupt wenig neues, als etwa
die mancherley Vorstellungen seiner caduca, die
aber freylich niemand, der sie nicht in der Natur
selbst gesehen hat, aus diesen, übrigens unüber-
trefflich getreuen Kupfern wird kennen lernen.
Wenn man bedenkt, daß wichtige Entdeckun-
gen den bleibendsten und gerechtesten Nachruhm ei-
nes Gelehrten gründen, so wird man die Eifer-
sucht verzeihlich finden, mit welcher Hunter über
diese seine Gerechtsame wachte, und die ihn sogar
noch wenige Jahre vor seinem Tode mit seinem
Bruder Johann entzweyte, da er sich in einer
heftigen Vorlesung in der Londner Societät der
Wiss. seine Bemerkungen über die schwangere Ge-
bärmutter vindicirte, die sich jener kurz vorher in
einer andern Vorlesung hatte zueignen wollen.
Eben so eifrig behauptete er, wie bekannt
seine Rechte auf das Licht, das er über die Ge-
schäfte des absorbirenden Systems verbreitet hatte,
[Seite 568] und das er selbst nebst dem Blutumlauf für die
beiden größten, und eigentlich gar für dir zwey
ausschließlich großen Entdeckungen zu erklären,
kein Bedenken trug, die seit Aristotelis Zeiten in
der ganzen Physiologie gemacht worden. –*)
Bey einer solchen Stimmung von Selbstge-
fühl würde er es seinem neuerlichen Panegyristen,
dem Hrn. Simmons, schwerlich verzeihen, daß
derselbe die Ehre dieser Erfindung einem übri-
gens unter den Zergliederern sehr unberühmten
Namen, dem längst verstorbnen Dr. Noguez zu-
[Seite 569] geschrieben, und gezeigt hat, daß derselbe in der
zweyten Ausgabe seiner kleinen Anatomie du corps
de l’homme, Par. 1726. 12. schon das haupt-
sächliche dieser Lehre von der Allgemeinheit und
den ausschließlich absorbirenden Funktionen der
lymphatischen Gefäße vorgetragen.
Die Sache verdient doch allerdings Aufmerk-
samkeit, und da ich des Dr. Noguez längst ver-
griffenes Buch so eben eigen erhalten habe, so
wird es manchen Lesern nicht unangenehm seyn,
die Stelle wovon die Rede ist, hier zu finden:
P. III. ch. 8. les vaisseaux lymphatiques.
pag. 153. – ‘„la structure des vaisseaux lym-
phatiques et la maniere de les démontrer sont
les mêmes que dans les veines lactées”’ –
ib. – ‘„les veines lactées sont l’office des
lymphatiques lorsqu’il n’y a pas de chile dans
les intestins.”’ –
pag. 154. ‘„il en naît de presque toutes les
parties du corps, ou peut-être de toutes les
parties: la chose est encore indecise.”’
pag. 155. – ‘„les vaisseaux lymphatiques ont
plusieurs usages dans les intestins; ils reçoi-
[Seite 570] vent le chile, ils reprennent la lymphe et les
autres liqueurs qui s’évacuent dans le canal in-
testinal par les conduits excretoires; ils reçoi-
vent la lymphe subtile qui se répand sur la
surface de toutes les parties et dans les diffe-
rentes cavitez du corps; ils la reportent au
sang; à la peau ils reçoivent une infinité de
particules contenuës dans l’air, et qui s’appli-
quent sur la surface de nôtre corps.”’ –
P. VII. ch. I. les arteres en general.
pag. 396. ‘„Les veines lymphatiques ne sor-
tent point des arteres, ce sont de petits con-
duits qui s’ouvrent sur toutes les membranes
et sur la peau; et comme ces conduits ne
communiquent point avec les arteres, et qu’ils
vont toujours en grossissant, ils reçoivent les
liqueurs qui s’exhalent par les conduits excré-
toires ou les arteres lymphatiques, et les con-
duissent dans les endroits où ils vont aboutir:
on nomme conduits absorbens les veines lym-
phatiques, avant qu’elles soient assez grosses
pour être sensibles à la vûë. On a pris pour
des vaisseaux lymphatiques les extrêmitez des
arteres et des veines qui communiquent en-
semble, parce que dans ces endroits on remar-
[Seite 571] que une liqueur transparente: mais on se
trompe, cette liqueur n’est point de la lymphe
proprement dite, ce n’est que du sang, qui
comme on l’a déja observé, change de couleur
et devient transparent dans les extrêmitez ca-
pillaires, à force de se diviser: en effet à me-
sure que les veines qui viennent de ces extrê-
mitez, grossissent, le sang reprend sa couleur
rouge, ce qui n’arrive point dans les veines
lymphatiques, où la lymphe conserve toujours
sa couleur quoique le vaisseau soit gros.”’
Würklich hat also Noguez die Sache schon
ziemlich richtig eingesehen, und sein fast ganz
vergeßnes Buch giebt ein abermaliges Beyspiel zu
dem, was bey einem ähnlichen Anlaß im Iten B.
dieser Bibl. S. 374 gesagt worden.
Uebrigens wird sich aber hoffentlich niemand
beykommen lassen, dem verdienten Ruhm des
würdigen Hunters dadurch das mindeste zu ent-
ziehen, von dem es wohl keine Frage bleibt daß
er erstens lediglich durch eigne Untersuchungen
auf die gleichen Resultate geführt worden, und
zweytens diese seine wichtigen und besonders auch
für die praktische Arzney-Wissenschaft so sehr
[Seite 572] fruchtbaren Entdeckungen über das ganze System
der absorbirenden Gefäße ganz ohne Vergleich
genauer und bestimmter und besonders auf eine
Weise der Welt mitgetheilt hat, die weit mehr
Aufmerksamkeit erregen, und dadurch die Sache
selbst gleich mehr in Umlauf bringen, und da-
durch erst nutzbar machen mußte, als es der un-
befangene Noguez gethan hatte, der keinen so
außerordentlichen Werth auf dieselbe gelegt zu
haben scheint.
J.F.B.
Numorum veterum populorum et vrbium qui in Museo
gul. hunter asseruantur descriptio figuris illustrata.
Opera et studio Car. Combe S.R. et S.A.
Lond. Soc. – Lond. 1782. 4to max.
Hier sind seine Worte: – Nachdem er nemlich
seine Entdeckungen umständlich erzählt hat, so
sagt er: ‘“Such is the discovery of the absorbent
system: and every person, who is really an Ana-
tomist, or Physiologist, – will upon a little re-
flexion, admit what has been advanced; and, look-
ing over the whole progress of Anatomy, he
will allow, that since the days of Aristotle, there
have been only two great inventions in the phy-
siology of our bodies; to wit, the circulation of
the blood, and the absorbent System.”’ – s. two
introductory Lectures delivered by Dr. w. hunter
to his last Course of anatomical Lectures. as they
were left corrected for the Press by himself. Lond.
1784. 4. pag. 58 sqq.