Ich habe in dieser Bibliothek nur selten etwas
von meinen eignen Schriften, und auch
dann nur ganz kurz, angezeigt. Daß ich dießmahl
hierin mit der gedachten Abhandlung eine Aus-
nahme mache, und etwas ausführlicher davon
spreche, dazu veranlaßt mich eine Anzeige dersel-
ben in einem englischen Journal*), die sich ganz
keck und dreist mit den Worten schließt:
[Seite 372] ‘”On the whole, the dissertation is superfi-
cial and incomplete; many peculiarities in the
structure of birds are entirely omitted; nor do
we find any mentioned, which have not been
more amply explained by other writers.”’
So possirlich diese Versicherung sachkundigen Le-
sern meiner Abhandlung ohnehin vorkommen muß,
und so wenig ich mir sonst einfallen lassen würde
von so einer Sotise irgend Notiz zu nehmen, so
halte ich es doch dießmahl für eine Art von Schul-
digkeit ein Wort davon zu sagen, da die gedachte
Schrift eine Societätsvorlesung ist.
Als Mitglied der Königl. Societät rechne ich
mirs zur ernsten Pflicht auch meine Beyträge zu
den Schriften derselben zu geben, welches denn,
wie es der Zweck einer solchen Societät ohnehin
mit sich bringt, und es die Statuten der hiesigen
noch ausdrücklich erfodern, bey leibe keine Auf-
sätze seyn dürfen die nichts enthalten was nicht
schon von andern Schriftstellern ausführlicher er-
klärt worden wäre!
Ueberdem ist gerade die gedachte Abhandlung
wie es der erste Paragraph derselben buchstäblich
zeigt, ein Spicilegium – eine Nachlese zu dem
was da ist more amply explained by other writers. –
Folglich wird kein gesunder Mensch in einem Spi-
[Seite 373] cilegium oder wie gleich der Titel heißt, Speci-
men alle peculiarities in the structure of birds
erwarten, und es deshalb incomplete nennen. –
Was aber den Vorwurf des superficial betrifft, so
werden hoffentlich schon folgende Paar aus jenem
Specimen ausgehobne Bemerkungen zeigen, daß
der ehrliche englische Kritiker selbst the most super-
ficial and incomplete monthly Reviewer seyn muß,
den je der Mond beschienen!
Bekanntlich war bis jetzt die, beides für Phy-
siologie und medicina forensis gleichwichtige Frage
noch ganz unentschieden, ob das sogenannte cor-
pus luteum im weiblichen Eyerstock einzig und
allein Folge eines vorhergegangenen befruchtenden
Beyschlafs sey, oder aber auch im Jungfräulichen
Körper gebildet werden könne? Graf Büffon ver-
focht die letztre Meynung, und bezog sich auf die
Zeugnisse genauer Zergliedrer die dergleichen gelbe
Körper bey Mädchen gefunden zu haben versichern.
Herr von Haller hingegen behauptet das Gegen-
theil: quotquot feminae nullam fecundationem
ante mortem passae sunt, (sind seine Worte) tot
etiam incisae nulla corpora lutea offendunt. Er
berief sich auf seine eignen vielfältigen Untersuchun-
gen: multo nempe numerosiora pericula feci
[Seite 374] (sagt er) quam cl. aduersariorum aliquis. – Ich
habe geglaubt daß sich diese Widersprüche aus der
physiologia comparata folgendermaßen vergleichen
ließen:
Man weiß daß kirre weibliche Vögel, auch
ohne daß sie nur ein männliches Geschöpf ihrer Art
gesehen haben, durch bloßes Kitzeln am Leibe in
eine Exstase gebracht werden können, bey welcher
sich, wie hernach die Zergliederung zeigt, eben so
gut ein Dotter aus seiner Hülse im Eyerstocke los-
reißt, als wenn sie von einem Hahne getreten
worden wären. Die Hülse (calix) selbst aber bleibt
in beiden Fällen am Eyerstocke hängen, schrumpft
ein, und ist nun das beym weiblichen Vogel, was
das corpus luteum bey Frauenzimmern und an-
dern weiblichen Säugthieren ist. Hiermit nun die
Fälle kritisch verglichen, wo die genauesten und
zuverlässigsten Zergliederer, wie Santorini u.a.m.
diesen gelben Körper auch in jungfräulichen Leichen
gefunden zu haben versichern, so machen es manche
dabey erwähnte Umstände mehr als blos wahr-
scheinlich, daß diese verdächtige Veränderung im
Eyerstocke wohl einen ähnlichen unnatürlichen Ur-
sprung, wie bey jenen Vögeln, haben möge.
Bertrandi z.B. fand sie bloß bey Mädchen vom
vierzehnten Jahre an. Die schöne achtzehnjährige
Fräulein die Vallisneri öffnete, war in einem
[Seite 375] strengen Nonnenkloster erzogen, hatte allerhand
hysterische Anfälle gehabt, und die Fallopische
Röhre an der Seite, wo der gelbe Körper saß,
sah aus wie bey brünstigen Thieren. Da also der
unnatürliche Anlaß zur Entstehung eines so unzei-
tigen gelben Körpers wohl bey erwachsnen Mäd-
chen und bey Vögeln statt hat, schwerlich aber wohl
bey andern warmblütigen Weibchen versucht wor-
den ist, so begreift sich, warum man nach der,
auf unzählige Zergliederungen vierfüßiger Säuge-
thiere gegründeten negativen Behauptung des
de Graef, Verheyen und unsers Kuhlemanns,
und des Hrn. von Haller selbst, die Möglichkeit
des gelben Körpers ohne vorgängigen Beyschlaf
verworfen hat, und warum Herr von Haller ins-
besondre sich seiner Meynung so unwiderredlich
gewiß versichert hielt, daß er sagte: je défie
l’Univers d’avoir vu un corps jaune dans une
vierge.
S. 115 folgt eine Vergleichung des bebrüteten
Küchelchen mit der Leibesfrucht der Säugethiere.
Beym Vogel im Eye ist die erste Gestalt worin
er sich zeigt, unendlich mehr von seiner nachherigen
Form, wenn er zum Auskriechen reif ist, verschie-
den; als die früheste Gestalt des neuempfangnen
gallertigen Säugethiers von seiner nachwärtigen
[Seite 376] Bildung. Man kann sagen, das Küchelchen im
Eye gelangt erst durch eine Art Metamorphose zu
seiner vollkommnen Gestalt; und das in Rücksicht
einzelner Eingeweide sowohl, als in der Totalbil-
dung. So z.B. sein Herz, das als punctum sa-
liens eine geschlungne, in mehrere Säcke erweiterte
Röhre vorstellt, die zugleich das sonst räthselhafte
Phänomen begreiflich macht, da man nach der
Bemerkung der genauesten Zergliederer, Rudbeck’s,
Littre’s etc. zuweilen bev Vögeln doppelte Herzen
bey übrigens vollkommnem natürlichen einfa-
chen Körperbau gefunden, was hingegen bey
Säugethieren, meines Wissens, ganz unerhört ist.
Ueberhaupt erhält auch die neuempfangne Lei-
besfrucht der Säugethiere unendlich früher ihre
vollkommne Ausbildung, als das bebrütete Kü-
chelchen, und es ist daher ein abentheuerlicher
Misbrauch der physiologia comparata, wenn man
z.E. bey einem streitigen Rechtsfall über die erb-
fähige Vitalität einer frühzeitigen Geburt, die
Sache aus der Vergleichung mit den Hallerschen
Beobachtungen des bebrüteten Hühnchen entschei-
den wollen. Nur ein Beyspiel statt vieler von
jener Verschiedenheit zwischen beiden: beym Hühn-
chen zeigt sich die erste Spur der Rippen in der
192ten Stunde des Bebrütens, die, wenn man
[Seite 377] diese Termine mit denen der menschlichen Schwan-
gerschaft vergleicht, mit dem Anfange der 16ten
Woche derselben übereinstimmt, und doch besitze
ich selbst in meiner Sammlung menschlicher Lei-
besfrüchte eine, die nicht viel größer ist als eine
gemeine Ameise, und höchstens in die fünfte Woche
nach der Empfängniß zu setzen ist, und die doch
die knorplichte Grundlage der Rippen schon aufs
schärfste ausgewirkt zeigt. So wenig gilt es also
wenn Herr von Haller sagt: Ea quae de pullo-
rum ossibus demonstrata sunt, ea etiam de aliis
animalium classibus vera sunt, et de ipso de-
mum homine.
S. 116 u.f. eine Vergleichung des saccus vi-
tellaris beym Küchelchen mit der eben so berühm-
ten als räthselhaften vesicula vmbilicalis zarter
menschlicher Embryonen, die man irrig für ein
Analogon der Harnhaut hat halten wollen.
S. 117 u.f. über den, meines Wissens bis jetzt
noch nie erklärten Nutzen der bekannten merkwür-
digen fleischernen Klappe, die blos bey den Vögeln
in der rechten Herzkammer sich findet, und nach
meinen Untersuchungen zur Erleichterung des klei-
nern Blutumlaufs dient, da bey diesen Thieren die
festgewachsnen, an sich nicht großen, und noch
oben drein in die Luftbehälter sich öffnenden Lun-
[Seite 378] gen, nicht so wie bey den Säugethieren im Ein-
athmen aufgetrieben, und dadurch dem eindrin-
genden venosen Blute die Wege gebahnt werden.
Und daß dieß der Zweck sey, erweiset die Verglei-
chung mit der linken Herzkammer, die, wie bey
den Säugethieren ihre zarten membranosen Klap-
pen hat, so wie sie bey dem geringen Widerstand
der Aorta zum großen Blutumlaufe völlig hin-
reichen.
Ich denke das ist genug um zu zeigen, daß die
sonst unbegreifliche Impudenz und Rusticität des
ehrlichen monthly Reviewers sich schwerlich an-
ders erklären läßt, als wenn man annimmt, daß
es ein angehender Mitarbeiter ist, der gemeynt
hat seinen Credit bey seinen Hrn. Principal recht
zu befestigen, und sich bey seinem Cameraden das
Ansehn eines recht belesenen Vielwissers zu geben,
wenn er spräche, er finde unter den Bemerkungen
in jenem Specimen keine, ‘“which have not been
more amply explained by other writers.”’
Solche kleine Kniffe gehören zu den honnete-
tés litteraires, die Voltaire so meisterhaft geschil-
dert hat – Ces petits mensonges font wie er
sagt, le profit des folliculaires; il faut que tout
le monde vive!