Meine pathologische Sammlung hat vor kurzem,
durch das in seiner Art einzige, von dem berühm-
ten Zerglieder und Arzte, dem seel. Leibmedicus
Wagler zu Braunschweig eigenhändig präparirte
Scelet eines ungeheuren 17jährigen Wasserkopfs,
einen wichtigen Zuwachs erhalten.
Da dieses schaudervolle Geschöpf bey Lebzeiten
von seiner blutarmen Mutter zur Schau herum-
getragen worden, so ist es bey dieser Gelegenheit
auch schon in mehreren Werken, aber freylich nur
dem äußern Habitus nach, beschrieben.
Hingegen habe ich durch die gütige Vermitte-
lung des Hrn. Prof. Roose zu Braunschweig aus
den nachgelassenen Handschriften des seel. Wagler
die zur Geschichte und Beschreibung dieses lehr-
reichen pathologischen Präparats gehörigen Acten-
stücke erhalten, und hoffe durch ihre Bekannt-
machung den Lesern dieser Bibliothek einen nütz-
lichen Dienst zu erzeigen.
A) Die einzelen Notizen, die der Arzt zu
Zellerfeld am Harz, wo der Wasserkopf geboren
worden und gestorben, von der Krankheitsge-
schichte desselben aufgesetzt.
B) Den pathologischen Sections-Bericht des
seel. Wagler, der zum voraus dafür gesorgt hatte,
daß ihm die so merkwürdige Leiche gleich nach
dem Tode zugeschickt ward.
Beide überaus lehrreich, wenn gleich, wie
man sieht, bloße Concepte die nicht so wie sie da
stehen zum Druck bestimmt gewesen.
Diesen füge ich C) einige Bemerkungen über
das prodigiöse Scelet selbst bey, von welchem ich,
ungeachtet es fürwahr wie Seneca sagt specio-
sum ex horrido ist, und mir kein an monströser
Eleganz ähnliches Beyspiel bekannt ist, doch hier
keine Abbildung geben mag, weil dieselbe viel zu
sehr verkleinert werden müßte, und dadurch ge-
rade alles Instructive verlieren würde.
Zellerfeld im August 1773.
Die Aeltern waren gesund, außer daß endlich
die Mutter vom schweren Schleppen der kranken
Tochter drey hernias gekriegt, zwey inguinales
und eine cruralis; haben auch mehrere gesunde
Kinder gezeugt. – Auch diesem fehlte im ersten
halben Jahre seines Lebens noch nichts. Aber
vom 7ten Monate an fing der Wasserkopf an sich
zu zeigen. Die Mutter gab einen heftigen Schreck
den das Kind damals gehabt habe, zur Ur-
sache an. (?)
Sie hat im Kopfe desselben nie einiges Schwap-
pern (fluctuiren) des Wassers gespürt.
Das Kind hat den Kopf nie aufrecht halten
können: er senkte sich vor, dabey trat der Hals
hervor als ob es einen Kropf hatte.
Die Stimme laut; besonders gab es wenn
es hungerte ein widerliches Geschrey von sich.
Die Sprache hingegen war immer schwer
und undeutlich; langsam und von sehr wenigen
Worten, z.B. Papa etc.
Hat kein Vaterunser lernen können.
Die Glocke ist nach seiner Einbildung immer
9 Uhr gewesen.
Vor dem Tode hat es sich gefürchtet.
Hat sehr stark gegessen; auch immer viel ge-
trunken; am liebsten Kaffee.
Hat keine harte Speisen vertragen können,
nicht einmal eine Brodrinde.
Hat öfters Aufstoßen gehabt, mit stinkendem
Geruche, wovor es selbst zurück geschaudert.
Roch auch sehr aus dem Halse. Das ganze
Geschöpf hatte einen widerlichen Geruch an sich.
Arme und Beine lagen immer so fest am Leibe
an, daß man sie nur mit Mühe davon entfernen
konnte, dem Mädchen ein Hemd anzuziehen.
Vom linken Beine stand die Ferse vorn. Die
Füße waren schlaff und gleichsam ausgerenkt.
Die Hände steif, und mußte intertrigo durch
fleißiges Waschen verhütet werden.
Die Augen waren verdreht und immer von
eiterhafter Materie triefend.
Im Schlaf standen beide Augen offen, sperrweit.
Zu andrer Zeit hat es sie zur Noth schließen können.
Der Unterleib ist nie stark aufgetrieben gewesen.
[Seite 621]An Weyhnachten 1771 hat es den Kopfgrind
bekommen.
In den vorjährigen Pfingsten (1772) ist die
Mutter mit dem Kinde gefallen, so daß es auf die
linke Seite des Kopfs stürzte. Davon trat ihm
die Zunge zum Halse heraus und es blieb einige
Stunden stumm.
Kriegte heftiges Erbrechen von Schleim.
Seitdem hat sich der Jammer (allgemeine
Convulsionen) heftig geäußert.
Auch war es von der Zeit an sehr empfindlich,
hat ihm jeder Tritt im Kopfe gedröhnt. Bey
jedem heftigen Getöse, lauten Sprechen etc. war
es schreckhaft, fuhr zusammen. Bekam zwar
davon nicht eben den Jammer, aber wohl jedes-
mal eine blasse Todtenfarbe.
Hat überhaupt seitdem weder Tag noch Nacht
recht Ruhe gehabt, sondern immer geschrien.
Einmal im Jammer vor dem Jahre platzte
das linke Auge, und erblindete, doch ohne ganz
auszulaufen.
Als es platzte, erschütterte sich das Kind und
fing dabey hell an zu quiken. Gab doch nachher
kein Zeichen von Schmerz weiter von sich.
Vier Wochen vor Weyhnachten vorigen Jahrs
(7772) ward das Kind von einer schweren Krank-
heit mit starker Hitze, Frost, Mangel des Appe-
tits etc. befallen. Doch ohne den Jammer. Nach
vier Wochen ward es wieder besser und nun kriegte
es seinen sonstigen starken Appetit wieder. Zumal
nach trocknem Brod.
Um die gleiche Zeit hat es sehr viele Läuse
gekriegt, die gar nicht sind zu tilgen gewesen.
Nach Weyhnachten bey der harten Kälte bekam
es alle Tage Zuckungen im Kopfe. Jeden Paroxys-
mus von einer halben oder Viertelstunde. Bis-
weilen auch kürzer. Hat dabey doch nie die
Daumen eingezogen noch sonst die Glieder geregt.
Von Zeit zu Zeit sind Spuhlwürmer von ihm
abgegangen.
Das starke Essen hat sich von letzten Ostern
(1773) an merklich gemindert.
Seit der Zeit ist das Kind vollends abgezehrt.
An Pfingsten war es wieder acht Tage lang
krank, kriegte täglich zwey- oder dreymal die
Zuckungen im Kopfe; dabey es den Hals vorn
wie einen Kropf herausgetrieben. Der Kopf selbst
blieb meist stille liegen, und die Zuckungen waren
in den Gesichtsmuskeln.
Hat immer über den ganzen Kopf und über
die Beine und Lenden geklagt.
Vierzehn Tage vor seiner letzten Krankheit
fing es stark an zu niesen und aus der Nase zu
bluten. Das Blut war sehr dünne und wäßrig.
Jedesmal ein Paar Löffel voll, mit einem üblen
faulichten Geruche.
Die letzte Krankheit hat 14 Tage gedauert;
mit Hitze, Frost, Klage über den Kopf, als ob es
darin rummelte und brauste. Hat die ersten vier
Tage über vielen Schleim ausgebrochen, doch in
dieser letzten Krankheit keinen Jammer gekriegt.
Vier Tage vor dem Tode wurde es auch auf
dem rechten Auge blind, nachdem seit letztern
Pfingsten eine Blatter darauf entstanden war.
Zugleich kriegte es eine gelbe Wasserblase am
linken Ohrläppchen.
Hat in dieser letzten Krankheit keinen Durch-
fall gehabt, ist im Gegentheil schon seit langer
Zeit zu Verstopfung geneigt gewesen, bisweilen
acht Tage lang. Dabey scybala durissima.
Hat immer sehr viel geharnt, per periodos.
Hat aber beides Harn und Stuhlgang immer
unter sich gehen lassen, und ist nicht dahin zu
bringen gewesen, es vorher zu sagen.
Hat übrigens seine Besonnenheit behalten bis
zuletzt
Ist endlich den 25. Jul. des Morgens gleichsam
ausgegangen wie ein Licht.
Brunsu. d. 30. Jul. 1773.
Puella XVII annorum admodum emaciata.
Plures annos in linteo, a matre paupera cir-
cumforanea, collo appensa portata, in vnum
glomer conuoluta, situm corporis valde peruer-
sum passa est. Brachia enim sursum reflexa, ma-
nibus ad antibrachia reclinatis, vtrimque de-
presserunt partem cartilagineam sterni atque co-
starum: crura pariter sursum in abdomen reflexa
decussatim tegebant ventrem, iterumque de-
cussabantur tibiae, vel in latere opposito depen-
debant, pedum digitis extrorsum flexis. Nuda
in hoc situ conspiciebantur pudenda.
Incuruatum dorsum est, sed non distorsum
aut gibbosum.
Collum antrorsum incuruatum; caput plus
minus reclinatum.
Protuberat medium sternum inter depressio-
nes laterales, acuminatum. Abdomen planum
depressum est.
Licet ab Hercynia mihi transmissum fuerit
cadauer, tamen vix notabiles putredinis notas
habet abdomen. Reliquum corpus recentissi-
mum est.
In nate dextra, ad os sacrum, et ad polli-
cem pedis sinistri vestigia gangraenae notantur,
profunde descendentis in musculum gluteum ni-
gredine cum leui excoriatione.
Nullibi vero oedema reperitur, neque quid-
quam hydropis externi caput occupat.
Contracta membra in rectitudinem extendi
nequeunt, ob rigorem musculorum flexorum.
Pondus totius corporis = 30 lb civil.
Longus truncas a vertice ad os coxae vsque
24 poll. 6 lin. mensur. Rhenoland.
Longum totum corpus (s. summa longitudi-
num capitis, trunci, femorum et tibiarum vsque
ad calces) = 47 poll.
Facies emaciata, senilis, longa, sed angusta,
cum mento acuminato.
Caput aequabiliter globosum est, sine nota-
bili centrorum ossificationis protuberantia (qua-
lem in alio hydrocephalo notaueram.)
Suturae omnes clausae sunt. Nihil fonta-
nellae residuum est, neque vspiam hiatus ossium
cranii tangitur.
A mento ad summam frontem = 7 poll. 2 lin.
Maximus arcus frontis = 7 poll. 6 lin.
Arcus ab vna aure ad alteram per medium
verticem = 16 poll.
A summa fronte ad nucham vsque 15 poll. 6 lin.
Peripheria capitis maxima = 24½ poll.
Diameter (alias) maior orbitar. ab vno cantho
ad alterum = 1 poll. 3½ lin.
Diameter (alias) minor (s. altitudo) =
1 poll. 6 lin.
Diameter capitis denudati a medio fronte ad
medium occiput = 8 poll.
Diameter capitis a mento ad medium ver-
ticem = 9¾ poll.
Diameter minor ab vno bregmate ad oppo-
situm = 6 poll. 8 lin.
Si 4–5 lin. addas, habes easdem dimensio-
nes capitis nondum denudati ab integumentis.
Omne capillitium tinea humida et achoribus
obsessum.
Capilli, vt in infantibus, pilorum longitu-
dine, molles, rari. Pediculi eorumque ouula
in larga copia adsunt.
Dentes nigri, exesi, cariosi, squalidi.
Musculi sterno-mastoidei prae omnibus reli-
quis validi, crassi; pariter et reliqui musculi
colli satis distincti.
In reliquo corpore marcidi, extenuati, pallidi.
Inter aridas nates turpis podex hiat.
Vulua flaccida rarissimos pilos habet, mons
veneris plane nullos.
Clitoris, nymphae et sinus, vt in infante,
exigua, flaccida, pallida.
Parum pinguedinis sub integumentis com-
munibus abdominis residuum est.
Omentum emaciatum inflari, vt in infanti-
bus, non potest.
Hepar et ventriculus latent, neque in con-
spectum veniunt, nisi costis et colo transuerso
eleuatis.
Intestina tenuia flaccida, non inflammata,
neque constricta; crassa modice inflata sana sunt.
Colon transuersum aëre turget, maximam par-
tem in hypochondrio sinistro latet, ventriculum-
que, comprimit.
In ventriculo collapso parum fluidi flaui.
Contenta intestinorum mucosa sunt, parca.
In jeiuno I lumbricus. Substantia intestino-
rum tenuis, vt in infantibus.
Mesenterium sanum, emaciatum, glandulae
non obstructae.
Vasa imi ventris maiora parum sanguinis
continent.
Hepar mole, colore et habitu sanissimum,
substantia parum acinosa.
Pondus xix. Nil calculi in ductibus biliariis.
Vesicula fellea fundo suo pollicem transcendit
marginem hepatis, bile saturate viridi plena, per
parietes transsudante et digitos tractantes tingente.
Pancreas sanum. Lien pariter sanus.
Lien profunde latet in hypochondrio.
Renes sanissimi. Capsulae suprarenales flac-
cidae, exiguae.
Vesica vrinaria collapsa, vacua, sana.
Vterus exactissime vt in aetate infantili, non-
dum euolutus, exiguis cum ouariis profunde
latet in pelui.
In cauis thoracis param fluidi extrauasati, in
singulis fere Vnc. j.
Glandula thyreoidea naturalis.
Pulmones cinerei, sani, parum maculati.
Glandulae bronchiales partim nigricantes.
Cor paruum, multa pinguedine tectum.
Parum cruoris congelati in cauis cordis.
Integumenta cranii perquam tenuia.
Peripheria cranii denudati maxima = 24 poll.
Cranii crassities fere vt in statu sano.
Multa in omni peripheria diploë inter duas
cranii laminas.
Pertinaciter adhaeret cranium ad futuram co-
ronalem et sagittalem.
Ex foramine durae matris ferrâ incisae vis
fluidi sanguinolenti profluit.
Sinus sagittalis incisus angustissimus est, va-
cuus. In sede postica tenue coagulum poly-
posum continet.
In latere sinistro cerebri crassities in parte
superiori et medio bregmate = 1–2 lin.
Ventriculus sinister euacuatus fluido amplissi-
mus est.
Loco septi lucidi conspiciuntur aliquot trabes
nodosae ex vasis sanguiferis enatae, irregulares.
Magnus hiatus in ventriculum dextrum.
In parte anteriori cerebrum mentitur bursam
flaccidam.
In parte postica cerebri crassities sensim auge-
tur. Anfractus hic satis notabiles sunt. Distin-
guitur etiam substantia cinerea a medullari.
In latere dextro inter cranium et duram ma-
trem cranio adhaeret cruoris congelati Vnc. β.
In latere dextro crassities cerebri vt in latere
opposito.
Inciso ventriculo amplissimo, notatur thala-
mus nerui optici dextri destructus, irregularis:
oppositus vero, sinister nempe, satis naturalis est.
Hiant ventriculi laterales in tertium apertum.
Distinguitur plexus choroideus et pes hippo-
campi sinister.
Partes mediae cerebri, corpus callosum, lyra
Dauidis, glandula pinealis etc. distingui ne-
queunt, quoniam cuncta sunt destructa, laesa,
confusa.
Substantia cerebri est mollissima, idque non
a putredine.
Remoto cerebro, tentorium cerebelli natu-
rale est.
Cerebellum prae reliquis caluariae contentis,
recens est, minus tamen succidum, quam in
statu naturali.
Facillime a se inuicem diuelli possunt rami
arboris vitae, ad vsque eorum truncos.
Nihil plane tumoris vel partis induratae in
omni cano caluariae reperitur.
Nerui optici, dexter praecipue, flaccidi sunt,
flaui, emarcidi.
Nerui ophthalmici magis naturales.
Omnis medulla oblongata emarcida, flaccida,
flauescens, simul cum neruorum originibus.
Nihil insoliti ad glandulam pituitariam notatur.
Pons Varolii flauus, emarcidus, ab habitu
naturali succido alienus.
Medullae spinalis origo duriuscula, emar-
cida, solida.
Crura cerebri flaccida sunt, extenuata, emol-
lita, vix distinguenda.
Crura cerebelli distinctiora, minus flaccent.
Pons Varolii in latere sinistro macula nigra
notatus est, superficiali tantum.
Similis macula nigra, maior tamen, conspi-
citur ad cerebelli superficiem inferiorem eius-
dem lateris.
Pondus omnis cerebri et cerebelli = j. lb
Vnc. xij Drachm. vj.
Pondus fluidi sanguinolenti, crassi, opaci,
in ventriculis cerebri contenti = lb iv. Vnc. iv.
Cranii ablati pondus lb j. Vnc. iij. Drachm. ij.
Cranium ablatum capit aquae = lb vj. Vnc.
xiii. ponder. ciuil.
Ita resecui, vt omnis sutura lambdoidea re-
maneret ad cranii basin. Infra illam suturam
enim sphaera cranii rursus angustatur.
Neque fontanella superest, neque alius hiatus
inter futuras.
Suturae artificiose constructae ex quamplu-
rimis ossiculis Wormianis, praecipue ad omnem
tractum suturae coronariae.
Mediante hac structura, licet omnes futurae
clausae sint, incrementum capitis expansi suc-
cessiuum possibile fuit.
Basis cranii praeter expansionem partium nihil
insoliti habet.
In bregmate ad verticem vtriusque desidera-
tur vas sanguiferum cranium perforans.
Vasa durae matris satis conspicuas impressio-
nes in superficie interna caluariae reliquerunt.
Das schrecklich Auffallende im Totalblick dieses
Scelets ergiebt sich schon aus den obgedachten
Dimensionen. Ein coloßalischer Schedel auf einem
krüppelhaften kleinen Rumpfe. Jener eben so
Sinnbild von ungeheurer Mißgestalt, wie dieser
von gebrechlichem Unvermögen.
Jener gleichsam wie aus drey verschiednen
Schedeln zusammengesetzt. Die Hirnschaale nem-
lich von einem Umfange wie sie kein Patagonier
hat. Die Augenhölen so untief, und so monströs
in die Höhe getrieben, wie an einem Caraiben-
schedel. Der Untertheil des Kopfs endlich (die
eigentlich sogenannten Gesichtsknochen) wie von
einem veralterten, eingeschrumpften, kleinköpfi-
gen Zwerg.
Am Rumpfe, zumal aber in der Haltung der
Extremitäten, Menschenform zwar, allein, nicht
bipes nicht quadrupes, sondern als sey es ein be-
jahrter Embryo, die Kniee in die Höhe gezogen,
die Vorderarme aufgehoben, außerdem aber die
Hände – diese Organe aller Organe, wie sie
Aristoteles nannte, und aus deren Anwendung
[Seite 635] Helvetius alle Vorzüge der Humanität ableitete, –
wieder herabhängend, genau so wie sie im Leben
dem armseligen Geschöpfe schlaff herabgeschlottert
haben, gleichsam als sprechendes Wahrzeichen der
hülfsdedürftigen Kraftlosigkeit.
Der Schedel zeigt bey aller keiner enormen
Mißgestaltung doch ganz auffallend viele Sym-
metrie; selbst bis auf die gleichförmige Verthei-
lung der unzähligen Zwickelbeinchen zu beiden
Seiten der Kron-Naht, so wie in der Hinter-
haupts-Naht und in den beiden Schuppen-Nähten
der Schlafbeine. Denn wirklich kann man diese
unzählig nennen, da ihrer bloß in einer kleinen
Strecke, nemlich in der rechten Schuppen-Naht
zum wenigsten 130 liegen. Die Pfeil-Naht hat
gar keine. Und die Stirn-Naht ist überhaupt
ganz verwachsen.
Auch ist die Hirnschaale vollkommen geschlossen,
nicht wie etwa bey dem erwachsenen Wasserkopfe,
den der seel. Büttner beschrieben, durch große
knochenleere Stellen unterbrochen.
Die Vergleichung, die ich zwischen der eignen
Gestaltung der Augenhölen des Wasserkopfs und
eines Caraibenschedels machte (– s. Decas Ima
collectionis craniorum tab. X. –) gründet sich
auf die Aehnlichkeit der Ursachen, wodurch diese
[Seite 636] eigne Gestaltung bey beiden bewirkt wird. Beym
Caraiben nämlich durch das gewaltsame Zurück-
pressen der Stirne in den Kinderjahren mittelst
besondrer Binden, die neuerlich im Journal de
physique abgebildet und beschrieben worden. Beym
Wasserkopfe durch den Druck des im Hirne sich an-
häufenden Wassers. Bey jenem werden durch die
Stirnbinde die vordern lobi des großen Gehirns
hinunter –, und durch diese die beiden Augen-
hölentheile des Stirnbeins hervor – getrieben.
Bey diesem durch das angehäufte Wasser sowohl
die Stirne hervor, als die partes orbitales des
Stirnbeins nach hinten schräg hinunter.
Daher rührt auch daß pathognomische und
doch von wenigen Schriftstellern berührte Kenn-
zeichen des innern Wasserkopfs, die hinunterwärts
hinter das untre Augenlied mehr oder weniger
gedrehten Augäpfel; ein Symptom dessen, mei-
nes Wissens, der brave Wepfer zuerst gedacht
hat*), doch ohne zu ahnden, daß es so allgemein
[Seite 637] characteristisch sey; und das gleichsam a priori
schon so nothwendig zu erwarten ist, daß man
wohl sicher schließen darf, die sonst noch so schönen
Abbildungen von frischen Wasserköpfen, wo dieser
Character mangelt (wie z.B. bey Ruysch, The-
saur. anatom. II.) seyen nicht genau nach der
Natur verfertigt.
Wie der gleiche Druck des Hirnwassers, der die
orbitas entstellt, auch die Ausbildung der Stirn-
hölen verhindern müsse, habe ich schon in der
prolusio de sinibus frontalibus gezeigt; wo auch
aus den beiden ergiebigsten Quellen für die Phy-
siologie, – aus der anatomia comparata nämlich
und aus pathologischen Phänomenen die seltsame
Meinung widerlegt ist, die doch noch so eben an
Hrn. J. Bell einen Vertheidiger gefunden hat,
als ob diese Hölen zur Bildung der Stimme be-
stimmt seyen! – Auch hier unser Wasserkopf hatte
ohne alle Stirnhölen doch gellende Stimme.
So habe ich auch schon in der Geschichte und
Beschreibung der Knochen des menschlichen
Körpers aus der ungleichen Veränderung, welche
die beiden Hauptstücke des Schlafbeins bey der
frühzeitigen Entstehung des innern Wasserkopfs
erleiden können, den Grund angegeben, warum
manche mit dieser Krankheit befallnen Kinder
[Seite 638] lebenslang taub und stupide bleiben müssen, an-
dere hingegen (so wie das, wovon hier die Rede
ist) Gehör behalten und durch diesen uns mit der
moralischen Welt in Verbindung setzenden edelsten
aller Sinne auch Besonnenheit erlangen.
An beiderley Kiefern, den oberen und dem
untern ist, zumal an den Zahnzellen, viel Kno-
chenstoff resorbirt, selbst da, wo doch noch wenig-
stens die Wurzeln der bloß an den Kronen schad-
haften Zähne festsitzen.
Die Brustwirbel sind auffallend merklich nach
der rechten Seite ausgebogen, was sie freylich,
wie schon Cheselden anmerkt, auch oft im gesun-
den Zustand (nur minder stark) zu seyn pflegen.
So wie ich auch finde, daß bey der Scoliosis
die Krümmung häufiger nach dieser Seite ge-
richtet ist.
Das aus fünf Wirbeln bestehende Kreuzbein
hat hinten nur an den beiden obern zwey Dorn-
fortsätze, die aber noch nicht geschlossen sind; die
drey untern Wirbel hingegen stehen ohne alle der-
gleichen Fortsätze hinten weit auseinander.
Die Hüftknochen sind schmaler und hingegen
die Sitzknochen weiter aus einander stehend, (folg-
lich das so genannte große Becken kleiner und dafür
[Seite 639] das kleine weiter) als es beym natürlichen Bau
in diesem Lebensalter seyn sollte.
Die größern Röhrenknochen der beiderley
Extremitäten haben ausnehmend schlanke dünne
Mittelstücke; hingegen überaus dicke Epiphysen,
die noch nicht mit den Hauptstücken verwachsen sind.
Die Schlüsselbeine sind sehr platt, und stark
gekrümmt.
Der kleine Trochanter an beiden Schenkel-
knochen ragt auffallend hervor; wohl unbezwei-
felt die Folge der bey der lebenswierig zusammen-
gezognen Stellung des elenden Geschöpfs anhal-
tenden Spannung einiger Muskeln, des psoas
maior nämlich mit dem iliacus internus.
J.F.B.
Der alte Prof. Friderici schlug vor 120 J. vor,
diese chronische Krankheit im Deutschen die Was-
sersucht des Hauptes zu nennen: und der Vor-
schlag konnte auf den ersten Blick um so annehm-
licher scheinen, weil man dann den Namen Was-
serkopf der neuerlich genauer untersuchten hitzigen
Krankheit die Cullen Apoplexia hydrocephalica
nannte, beylegen könnte. Da aber gerade diese
letztere selbst schon von den Englischen Schriftstel-
[Seite 617] lern, die sie am genauesten beschrieben, Hirn-
wassersucht (Dropsy of the brain) so wie von
unserm seel. Vogel hydrops cerebri genannt wor-
den, und hingegen das chronische Uebel, von
welchem hier die Rede ist, nun seit den Zeiten der
alten Griechischen Aerzte einmal mit dem bestimm-
ten Namen von hydrocephalus belegt, und dieser
allgemein bekannt, auch längst in lebenden Spra-
chen aufgenommen ist (Wasserkopf, Holl. Water-
hoofd etc.) so folge ich auch hierin durchaus dem
gemeinen Sprachgebrauche ‘“quem penes arbitrium
est, et ius, et norma loquendi.”’
Observ. de affectibus capitis pag. 56. ‘“puellae eius-
modi postquam in lucem edita fuit, caput bene
conformatum videbatur, nec vllum vitium anim-
aduertebatur, nisi quod solummodo album ocu-
lorum conspiceretur, iride et pupilla sub palpebra
inferiore occulta, quae tamen, hac depressa, in
conspectum veniebant.”’