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Repertorium
der
medicinischen Litteratur
des Jahres
1790.
Herausgegeben
von

Dr. PAULUS USTERI,
der Corresp. Ges. Schweizerischer Aerzte und Wundärzte commitiertes
Mitglied; der Naturforschenden Gesellschaften in Zürich, Berlin und
Halle, und des Collegiums der Aerzte zu Nancy Mitglied.


ZÜRICH,
bey Ziegler und Söhne,
1791
.

2. Gött. gel. Anz. 1790. n. 4. S. 25–29. In der Ver-
sammlung der königl. Soc. d.W.d. 12 December
v.J. legte Hr. Hofrath Blumenbach die erste Decade
seiner Sammlung von Schädeln verschiedner Völker-
schaften vor.

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Da bey dem wissenschaftlichen Gebrauch solcher Dinge
alles darauf ankommt, dass sie ächt seyen, so gibt Hr. B.
zuerst Rechenschaft von seiner Prüfungsart derselben. Zu-
vörderst möglichst genaue Erkundigung und Untersuchung
der Umstände, wodurch und wie ihm jeder Schädel zu-
gekommen, wo er herstammt u.s.w. Zuweilen können
selbst Nebendinge entscheidend seyn, wie z.B. an einem
Caraibenschädel den er ohnlängst durch die Güte des Hr.
Baronet Banks erhalten, die an der einen Seite, noch an-
sitzende behaarte Haut, wo schon das straffe schlichte
[Seite 105] Haar den wahren Caraiben von irgend einem dortigen
freyen Neger auszeichnet, die bekanntlich sonst auch ih-
ren Kindern die Köpfe nach Caraibenform pressen. –
Aber ein Schädel könnte noch so ächt, und doch zu gegen-
wärtigem Zweck untauglich seyn, wenn seine Nationalform
etwa durch Knochenkrankheit oder Zufall entstellt wäre.
Hier sichert Vergleichung mehrerer Schädel des nemli-
chen Volkes untereinander; nächstdem portraitmässige ge-
treue Darstellung; und endlich freylich auch Nachrichten
von gut beobachtenden und zuverlässigen Reisebeschrei-
bern. – Leider hat die Vernachlässigung einer solchen
critischen Prüfung der Schädel schon manchen sonderbaren
Irrthum und Widerspruch veranlasset. So tribuirte sogar
der sel. Camper wegen eines Schädels in seiner Sammlung den
Calmucken schmale Köpfe mit kielförmigen Scheitel! –
Dann von den Hauptmomenten wornach sich die National-
verschiedenheit der Schädel bestimmen lässt. Wie unzu-
länglich zu diesem Behuf sowohl die Daubentonsche Occi-
pitallinie, als die Campersche Faciallinie sey; jene variirt
oft bey verschiedenen Schädeln desselben Volks aufs äus-
serste: diese hingegen ist oft bey Schädeln der verschieden-
sten Völker von der äusserst unähnlichsten Bildung, völlig
die gleiche. z.b. verglich der Hr. Hofr. die Faciallinie an
der fast monströsen Baschkirenphysiognomie eines vom Hr.
Baron von Asch ihm neulich zugesandten Schädels, mit
der am griechischen Profil einer Meduse von Sofocles, die
Hr. Camper als das Maximum menschlicher Schönheit an-
sah. Da ist freylich Albr. Dürers Bestimmung des mensch-
lichen Profils (fol. E. y der Ausgabe von 1528) sicherer,
[Seite 106] da er drey besondere Linien für Richtung der Stirne, Nase,
und der Kiefer festsezt. Aber überhaupt zieht der Hr. Hofr.
auch in diesem Theil des zoologischen Studiums das na-
türliche System, wo man auf den ganzen Habitus sieht,
dem künstlichen vor, das auf einzelne abstrahirte Caractere
gebaut ist. Damit aber im gegenwärtigen Fall der Aus-
druck vom ganzen Habitus, nicht schwankend und unbe-
stimmt schiene, so nimmt er zweyerley an einander stos-
sende Knochen im Schädel zur Basis der ganzen National-
characteristick an: das Stirnbein nemlich und den Ober-
kiefer. Durch jenes wird Höhe und Breite des Schädels,
durch den Oberkiefer aber die Weite der Nasenhöhle,
die Richtung der Nasenknochen und selbst des Unter-
kiefers; durch die Verbindung der beyderley Normalkno-
chen aber auch die Weite und Tiefe der Augenhöhlen,
die Protuberanz der Backenknochen &c. bestimmt u.s.w.
Nach allen diesen Cautelen und Regeln war nun die Be-
schreibung der 10 Schädel, die diessmal vorgelegt wur-
den, abgefasst. Es waren 1. ein Mumienschädel, 2. ein
Türcke. 3. ein Asiaten-Schädel, vermuthlich von einem
tatarischen Volke, mit auffallend schmalem kielförmigem
Scheitel. 4. ein donischer Cosack. 5. ein ächter Kal-
mucke. 6. 7. 8. drey Negerschädel. – eine merkwür-
dige Suite, zum Erweis, dass zwischen Neger und Neger
selbst eben so viele auffallende Verschiedenheit, als zwi-
schen manchem Neger und manchem Europäer sey. 9.
ein nordamericanischer Wilder. 10. ein Caraibenheerfüh-
rer von S. Vincent. – So viel Auszeichnendes, jeder die-
ser Schädel hat, so ist doch der Unterschied zwischen de-
[Seite 107] nen die am allermeisten von einander abweichen, zwi-
schen dem Calmucken nemlich und den Negern doch lange
nicht so auffallend als z.B. der, zwischen den Schädeln un-
sers Hausschweins und der wilden Sau. Und so zeigt die
Natur freylich auch von dieser Seite im Menschenge-
schlecht nur eine gemeinschaftliche Stammgattung: aber
so gut man doch die Spielarten von Nelken und Tulpen
classificiert, eben so füglich auch die Spielarten im Men-
schengeschlecht, und so hat auch der Hr. Hofr. die Schädel
nach den von ihm bestimmten Varietäten desselben (Hand-
buch d.N.G. III. Ausg. S. 60. u.f.) geordnet.

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Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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