Bekanntlich unterscheiden sich die Sehe-Nerven
auch schon dadurch von allen andern am thieri-
schen Körper, daß sie vor ihrem Eintritt in die
Augenhöhlen die so ganz eigene Verbindung bil-
den. So sichtlich aber die äußere Form dieser
Verbindung ist, so getheilt waren bisher die Mey-
nungen der Zergliederer über ihre innere Beschaf-
fenheit. Ob nemlich entweder die beiden Nerven,
wie sie aus ihren Hügeln (thalamis) kommen,
sich gleichsam blos neben einander legen und dann
nach den Augäpfeln zu wieder von einander di-
vergiren: eine Meynung, die durch den ersten
Anschein an frischen gesunden Gehirnen begünstiget
zu werden scheint. – Oder ob beide Nerven in
der Verbindung so gleichsam zusammenschmelzen
daß man sie gar nicht mehr als abgesondert den-
ken dürfe. – Oder endlich, ob eine würklich
Durchkreuzung derselben statt habe, daß nem-
lich der Nerve, der disseits der Verbindung aus
dem rechten Augenhügel entspringt, jenseits der-
[Seite 366] selben zum linken Augapfel laufe und v. v. –
Das letztere war bey den Fischen sichtlich als bey
welchen die beiden sich decussirenden Nerven nur
queer über einander liegen: und bey den Am-
phibien, die der Hr. Hofgerichtsr. untersucht hat,
durchbohrte gleichsam der eine Nerve den an-
dern. – Bey den warmblütigen Thieren aber
war die Decussation neuerlich fast allgemein be-
zweifelt worden. Jetzt ist sie nun durch die scharf-
sinnigen Versuche, die der Verf. deshalb an Thie-
ren angestellt, die an einem Auge durch Anfall
erblindet oder absichtlich geblendet waren, fast
außer allen Zweifel gesetzt; und diese Versuche
geben wieder ein auffallend lehrreiches Beyspiel
von pathologia physiologiam informante.
Der Verf. liefert im IIten St. der gedachten
Beyträge seine Erfahrungen, die er darüber an
vierfüßigen Säugethieren gemacht hat, und im IV.
die an Vögeln. – Die erstgedachten sind an den
Köpfen eines Eichhörnchen, zweyer Pferde, und
vorzüglich eines monstreusen doppelten Ferken,
dessen beide Gehirne wie an- und in einander ge-
schmolzen waren, angestellt. (– Der Herausg.
besitzt durch die Güte des Hrn. Hofgerichtsr. das
eine dieser instructiven Pferde-Gehirne in seiner
Sammlung. Es ist nach der mühsamen Varoli-
schen Methode so herausgenommen, daß die ganze
[Seite 367] Hirnschaale an der untern Seite der Hirnfläche
abgemeiselt worden, so daß die ganzen Augäpfel
noch mittelst ihrer Sehenerven am Gehirne an-
hängen. Und da ist es auffallend, wie der Nerve
des linken blinden Auges, der sich durch sein
mageres geschwundenes Ansehen auf den ersten
Blick vom Nerven des gesunden rechten Auges
unterscheidet, eben so mager und geschwunden nicht
aus dem thalamus derselben Seite, sondern aus
dem rechten entspringt; so wie hingegen der un-
gleich stärkere Nerve des rechten Auges, mit glei-
cher Stärke disseits der Verbindung vom linken
thalamus ausgeht. – Es kann kaum einen
sinnlichern anschaulichern Erweis der wahren De-
cussation dieser Nerven geben. –)
Fernere Bestätigungen dieser merkwürdigen
Erfahrung auch an Hunden, finden unsere Leser
unter den Beyfugen von, der Hand des Hrn.
Billmann (den der Verf. für seinen besten bis-
herigen Schüler erklärt).
Im vierten Stück der gedachten Beyträge
eben so günstig ansgefallene Versuche an ein-
äugichten Hühnern und Enten.
An einer alten Henne fand Hr. S. eine scharf-
sinnige Vermuthung bestätigt, die er schon im
zweyten Stück geäußert hatte, daß die Decussa-
tion der Fasern in diesen Nerven bey den warm-
blutigen Thieren bündelweis geschieht.
Beide merkwürdige Aufsätze enthalten noch sehr
viel interessantes, das bey der gedrungenen Kürze
worin es vorgetragen ist, kaum noch einen Aus-
zug leidet. – Im IIten St. z.B. über die mög-
liche und selbst nicht unwahrscheinliche Decussation
auch der übrigen Nerven-paare des Gehirns
und Rückenmarks. – Im IVten wie vielleicht
bey blindwordnen Personen durch die körperli-
chen Veränderungen in den nun unbrauchbar
gewordenen Gesichtshügeln, auch die Erinnerung
der ehemaligen durch diesen Sinn empfangenen
Eindrücke schwinden, und dadurch ihr sonstiger
Jammer gemindert werden könne.
Jetzt blieb noch zu untersuchen, ob sich jene
trefflichen Erfahrungen auch im Menschen bestä-
tigen würden. – Und wir freuen uns den Le-
sern wenigstens eine erwünschte Bestätigung der-
selben aus einem Briefe des Hrn. Hofgerichtsr.
an den Herausgeber mittheilen zu können.
Am 11ten Apr. war ich so glücklich, auch im
Menschen die Decussation der Sehenerven bestä-
tigt zu finden, und das zwar ganz unvermuthet.
Wie ich zur Demonstration des Gehirns es her-
ausnahm, fand ich beym Durchschneiden des
nerui optici an der sella den rechten Sehenerven
[Seite 369] halb grau und halb durchsichtig, und als ich ihn
nun an der basis cerebri genau ansah, fand ich
ihn merklich dünner als den linken. An der Stelle
der Union ließ sich nichts, entdecken, als ich aber
die sogenannten origines rein darstellte, fand sich
offenbar jenseits der Union der Ursprung auf der
linken Seite im ganzen kürzer und augenscheinlich
schwächer. Sie wissen daß ich in solchen Sachen
mir selbst nicht traue, ich ließ daher von meinen
Zuhörern einen und den andern mir gleichsam die
Sache selbst sagen, und alle gaben, ohne von
einander zu wissen, den Unterschied auf gleiche
Weise an. Ich hebe wie natürlich das Präparat
in Weingeist auf. – Und doch mag ich noch
nicht für positiv die Decussation im Menschen be-
haupten, bevor ichs nicht nochmals gesehen. Sie
wissen, daß mit Morgagnis Observationen gar
nicht entgegen stehn.
Den rechten Nerven fand ich bis zum bulbo
in der orbita meist ganz verändert, graulich und
halb durchsichtig. – Der linke schiens nur zur
Hälfte, ein Theil war offenbar weisser. Die
Person soll keinen merklichen Fehler im Sehen
gehabt haben. Auch Morgagni fand die Nerven
ohne Schaden des Gesichts, gran.