Unter den Lobreden auf die in selbigem Jahre
verstorbenen Mitglieder sind auch die auf Bertin
und Tronchin. Zwey Charactere die sehr gegen
einander abstechen!
Jener ein unglücklicher ängstlich furchtsamer
Hypochondriste, und genauer aber theils unaus-
stehlich trockner anatomischer Schriftsteller: und
der doch auch schon den zu jener Zeit noch nicht
so gemeinen Fehler hatte, längst bekannte Dinge
für neue Entdeckungen auszugeben. – Haus-
Kreuz und die giftigen Streitigkeiten mit Ferrein
stürzten ihn drey Jahre lang in einen völligen
Wahnsinn, wovon er aber doch in soweit geheilt
ward daß er wieder Bücher schreiben und auch
heurathen konnte. Nur sein bänglich-timides
Temperament blieb ihm.
Sa réputation, sagt sein Lobredner, lui avoit
attiré la confiance de sa province, on le con-
sultoit dans ces maladies rares et extraordinai-
[Seite 618] res pour lesquelles les Charlatans n’ont pu faire
accroire que la connoissance de l’Anatomie fût
inutile.
Tronchin hingegen ein frischer rüstiger und
schöner Mann (– so frisch und so schön daß er
mehr als einmal von Damen in allem Ernst ent-
führt werden sollen –) der sich in der Geschichte
unsrer Kunst besonders durch seine schlüpfrige
Doctordisputation de clitoride und durch den Ein-
gang den er der Inoculation in Frankreich ver-
schaffte, bekannt gemacht hat.
Unter den Aufsätzen drey ansehnliche vom Hrn.
Vicq d’Azyr über den Bau des menschlichen Ge-
hirns und Rückenmarks, denen noch ein vierter
über die vergleichende Anatomie derselben Theile
folgen soll. Sie sind durch das große Werk dieses
Zergliederers veranlaßt worden, wovon wir so
eben die ersten Hefte angezeigt haben, und ent-
halten sehr genaue detaillirte Bemerkungen, die
er bey der Untersuchung über diese Theile zu ma-
chen Gelegenheit gehabt, und die doch eben ihrer
Umständlichkeit wegen nicht in den Plan jenes
Werks passen. Auch in den unsern passen frey-
lich nur einzelne Bemerkungen, die wir daraus
ausheben können. – Der Verf. hat mehrmalen
[Seite 619] ansehnliche knotige Verhärtungen auf der harten
und auf der weichen Hirnhaut, und an der Si-
chel in Leichen von Personen gefunden, die doch
nie den mindesten epileptischen Zufall oder auch
nur ein fixes Kopfweh gehabt; und umgekehrt hat
er mehrere Fallsüchtige geöffnet ohne eine Spur
von dergleichen Verhärtungen zu finden.
Bey Untersuchung der sogenannten Santorini-
schen Emissarien hat er auch einige eigne Bemer-
kungen zu machen Gelegenheit gehabt. Günz
und mehrere andere Zergliederer nahmen nur eine
oder zwey Blutadern an, die vom sinus cauer-
nosus in den s. sphenoidalis gehen. Der Verf.
hingegen hat gefunden, daß die s. cauernosi und
orbitales durch weit mehrere dergleichen Adern mit
den nasalibus posticis in Verbindung stehen; wo-
durch er das critische Nasenbluten in hitzigen Fie-
bern bey welchen der Kopf angegriffen ist, erklärt.
Ueberhaupt sey man in Rücksicht dieses Nasenblu-
tens ehedem in einen doppelten Irthum verfallen.
Erstens, daß man mit Bertin gemeynt, blos die
Blutädergen im for. coecum seyen die Quellen
desselben: Zweytens, daß die Verfechter der Ga-
lenischen Puls-Lehre sich eingebildet, aus dem
Puls vorhersagen zu können, aus welchem von
beiden Nasenlöchern die Blutung erfolgen werde.
[Seite 620] Jenes werde durch seine Untersuchungen widerlegt,
woraus sich ergibt daß der sinus cauernosus und
der petrosus inferior mehrere Venen empfangen,
die auf der innern Grundfläche der Hirnschaale
mit den Aesten der Drosseladern anastomosiren.
Dieses hingegen widerlege sich durch den Augen-
schein, da die Venen die aus dem for. coecum
kommen, so wie bey den mehresten übrigen Emis-
sarien, sich ohne Unterschied links und rechts
vertheilen.
Ueber das Sandhäufchen auf der Zirbeldrüse.
Er hat sich 10 Fälle angemerkt, wo er diese
Steinchen bey Personen gefunden, die weder an
Kopfweh noch an Störungen der Verrichtungen
des Gehirns gelitten etc. – Allemal scheine doch
die Zirbeldrüse selbst, ihrer ganzen Lage und Ver-
bindung nach zu urtheilen, ein Theil von beson-
derer Wichtigkeit zu seyn.
Er verwirft die Kreuzung der Sehe-Nerven:
worüber wir hingegen durch Hrn. Hofr. Soem-
merring eines bessern belehrt sind. (– s. oben
S. 365. 391. –)
Hrn. Portal’s Bemerkungen über den Schlag-
fluß. – Er erklärt sich (– wie Malpighi –)
gegen den insgemein angenommenen Unterschied
[Seite 621] zwischen dem sogenannten serosen und dem blu-
tigen, die man ganz irrig verschieden behandeln
zu müssen glaube, nur bey jener die Aderlasse
bey dieser hingegen Brechmittel, Blasenpflaster etc.
vorschreibe u.s.w. – Ein Advocat in Paris
starb unter allen den Zufällen und Zeichen die
insgemein vom serosen Schlagfluß angegeben und
unter der Anordnung der Mittel die dagegen
empfolen werden. Kurz nach dem Tode röthete
sich mit einmal sein vorher leichenblasses Gesicht,
die Leiche schien wärmer anzufülen als es der
Körper kurz vor dem Tode gewesen war, und
blieb es auch 24 Stunden lang: – ein Umstand
den schon Morgagni angeführt und Hr. P. mehr-
malen, auch selbst im Winter bestätigt gefunden.
Er öffnete die Leiche etwa 40 Stunden nach dem
Tode und fand die Blutgefäße der Hirnhäute
von Blute strotzend, wie injicirt, so waren auch
die plexus choroideï, und auf der Grundfläche
der Hirnhöle vieles ausgetretenes Blut; die Hirn-
hölen hingegen trocken, ohne einen Tropfen er-
goßnen Fließwassers. Der Advocat war also an
einem wahren Blut-Schlage gestorben und man
hätte ihm Aderlassen sollen. – Der gleiche Fall
bey einem Brigadier der mit dem Pferde stürzte,
und ohne Bewußtseyn, mit leichenblassem Gesicht,
kleinem concentrirten Puls und erschwehrtem röcheln-
[Seite 622] den Athem aufgehoben ward. Man gab ihm
fruchtlos starke Brechmittel, versäumte hingegen
das zeitige Aderlassen; und ob schon Hr P. nach-
her noch mit sichtlicher Erholung des Kranken
die Drosselader öffnen lies, so wurden dagegen
da Bordeu dazu gerufen ward, Blasenpflaster in
den Nacken und an die Beine gelegt, da denn der
Kranke vom neuen soporös ward und starb. Die
Leichenöffnung zeigte ohngefähr das gleiche wie
beym Advocaten. – Und so, sagt Hr. P. habe
er sich auch noch durch andere Fälle überzeugt,
daß Blässe des Gesichts und concentrirter Puls
und Schaum vor dem Munde bey weitem keine
sichere Anzeigen des serosen Schlagflusses abge-
ben und zu keiner von der Behandlung des Blut-
schlags verschiedenen Indication führen; vielmehr
lasse er dem gleichen Kranken eben auch und mit
dem glücklichsten Erfolg stark und zu wiederholten
malen am Fus und an der Drosselvene zur Ader.
Gleich auf die erste Aderlasse hob sich der Puls,
das Athemholen ward freyer, und so wie sie
wiederholt ward fand sich auch die Sprache wie-
der u.s.w.
Umgekehrt geben aber auch die bloße Röthe
des Gesichts, protuberirende Augen und der volle
Puls nicht immer sichre Zeichen vom wahren Blut-
[Seite 623] schlage ab, da man bey Leichenöffnungen solcher
Personen doch auch zuweilen wäßrige Extravasate
in und auf dem Gehirne finde. Im ganzen sey
fast immer die serose Apoplexie blos Folge der
blutigen: überhaupt aber die Behandlungsart der
Kranken, in beiderley Arten im ganzen genom-
men die gleiche.
Ebenfalls Hr. Portal über die erbliche
Schwindsucht. Bekanntlich waren einige neuere
Aerzte (– zumal in Frankreich, Hr. Louis etc.
–) dahin verfallen die Erbkrankheiten über-
haupt – und folglich auch die angeerbte Schwind-
sucht zu läugnen, und die unläugbaren Fälle
wo Kinder so wie ihre Eltern schwindsüchtig wer-
den vielmehr durch ein Contagium zu erklären
und mithin die Schwindsucht selbst unter die an-
steckenden Krankheiten zu zählen. Hr. P. sucht
dieses doppelte Vorurtheil hier zu bekämpfen,
die Schwindsucht vom Verdacht der Ansteckung
loszusprechen, und nach dem von ihm im vorigen
Bande der Pariser Memoiren (– s. das Ite St.
dieses Bandes S. 12 u.f. –) bestimmten Unter-
schied zwischen den zweyen Hauptarten der Lun-
gensucht, der einen derselben, die nemlich nicht
in den Bronchial-Drüsen, (wie Sauvages ganz
unrecht behauptet), sondern in den lymphatischen
[Seite 624] Lungendrüsen selbst ihren ersten und hauptsächlichen
Sitz hat, ihre Stelle unter den ungezweifelten
Erbkrankheiten zu vindiciren. In Rücksicht jenes
Verdachts hält er also die Vorsicht für unnöthig
da man in Portugal und Spanien auf strenge
obrigkeitliche Verordnung, und in Languedoc und
Italien von freyen Stücken, die Betten und Klei-
dungsstücke der an der Schwindsucht verstorbenen
verbrennt, und da Valsalva und Morgagni
sich für der Section solcher Leichen scheuten. Er
selbst, Hr. P., habe hingegen sich und seine
Schüler ohne alles Bedenken und ohne nachthei-
lige Folgen über dieses Vorurtheil hinweggesetzt.
Und wie viele Aerzte und Krankenwärter gehen
täglich mit Schwindsüchtigen um, ohne angesteckt
zu werden etc. – Und in den Fällen hingegen
wo mehrere aus einer Familie nach und nach
schwindsüchtig worden, da sey der Grund weit
natürlicher in einem erblichen Zunder als in einer
wahren Ansteckung zu suchen. – Da in dieser
erblichen Schwindsucht die lymphatischen Drü-
sen der Lunge angegriffen sind, und die davon
genau zu unterscheidenden Bronchial-Drüsen hin-
gegen wenig oder gar nicht dabey verändert
werden, so begreift sich wie auch andere Drüsen
des lymphatischen Systems bey der erblichen
Schwindsucht in Mitleidenschaft gezogen werden,
[Seite 625] anschwellen und von scrophulösen Säften strotzen
wie die zu beiden Seiten längst des Halses und
die am Schlunde, die Gekrös-Drüsen etc. –
Ueberhaupt glaubt Hr. P. durchgehende die nächste
Verwandschaft zwischen der erblichen Schwindsucht
und den Scropdeln zu finden, so daß man sagen
könne, jene Schwindsüchtigen haben ihre Scro-
pheln in den lymphatischen Lungen-Drüsen; so
wie andere scrophulöse Kranke die ihrigen am
Gekröse, in den Weichen, unter den Achseln etc.
haben. – Er habe z.B. bey Personen die an
jener Krankheit gestorben wenn sie auch noch so
abgezehrt waren, eben so wie bey scrophulösen
Leichen knorpelartige Verhärtungen des Fettes am
Herzen oder im Netz, zuweilen auch im Media-
stinum oder selbst zwischen den geschwundenen
Muskeln des Stammes und der äußern Glied-
maßen gesehen. – Die scrophulösen Säfte zie-
hen sich auch zuweilen in die eigenthümliche Sub-
stanz (parenchyma) der Lungen die davon leder-
artig verhärten, so daß sie sich kaum mit dem
Messer schneiden lassen; ihre Bronchial Zellen,
zumal aber ihre Blut-Gefäße schrumpfen dann
so zusammen, daß man kaum eine Hölung in den-
selben bemerken kan. Er führt nur eine Lei-
chenöffnung der Art statt vieler an. Ein 70 jähri-
ger Mann der seit 12 oder 15 Jahren Blutspeyen
[Seite 626] gehabt hatte, starb an einer Hämorrhagie, unter
allen Zeichen einer Schwindsucht, nur daß er
kein Eiter aufgeworfen hatte. Hr. P. fand bey
der Leichenöffnung die Lungen ganz zusammen ge-
zogen und verhärtet wie ein halbverbranntes Per-
gament; blos der untere Lappe an der rechten
Lunge war noch größtentheils unversehrt. Im
Gekröse fanden sich speckichte Verhärtungen etc. –
Daß jene Vertrocknung der Lungen nicht blos von
einem Zusammenziehen des Zellgewebes herrühre,
glaubt Hr. P. dadurch zu beweisen, weil diese
Eingeweide in dem gedachten und mehrern andern
dergl. Fällen dennoch ungleich schwerer an Ge-
wicht waren, als gesunde Lungen zu seyn pflegen:
und diese außerordentliche Schwere kam eben von
einem scrophulösen Safte der sich von den lym-
phatischen Lungendrüsen ins benachbarte Zellge-
webe der Lungen verbreitet, und sie auf die Art
fast hornartig verhärtet und zugleich so zusammen-
gezogen hatte, daß sie zuweilen nicht den sechsten
Theil ihres sonstigen Umfangs behalten hatten. –
Und eben ein solches Ausschwitzen scrophulöser
Säfte aus den lymphatischen Drüsen ins benach-
barte Zellgewebe sey die Ursache der größern oder
geringern Verhärtungen im Gekröse, und in den
Drüsen unter den Achseln etc., die er bey allen
an der angeerbten Schwindsucht Verstorbnen ge-
[Seite 627] funden habe. Die lymphatischen Lungendrüsen
waren aber auch in solchen Leichen theils mehr
oder weniger in Eiterung gegangen; allein auch
dieses Eiter das dann ins benachbarte Zellgewebe
gezogen war und es theils verzehrt, und sich in
Menge angehäuft hatte, verrieth doch selbst durch
die zahlreichen körnichten Concretionen die es ent-
hielt, seinen scrophulösen Ursprung. Da hingegen
das Lungen-Eiter bey Schwindsüchtigen der an-
dern Art, die das Uebel nämlich nicht geerbt,
sondern sich zufällig zugezogen, weit homogener,
einförmiger und flüssiger ist. – Bey der erbli-
chen Schwindsucht zeige das Blut auf der Ader-
lasse so wie bey andern scrophulösen Krankheiten
eine Speckhaut, die sich nur im letzten Stadium
jenes Uebels verliert, wenn nun das Blut auf-
gelöst ist, welches er dem in selbiges getreinen
Eiter zuzuschreiben geneigt scheint. Auch habe er
bey Leichenöffnungen solcher Schwindsüchtigen die
Muskeln ganz ungewöhnlich welk und schlapp,
und die Knochen minder hart gefunden als gewöhn-
lich; zumal die schwammichten: und eben so habe
er sie auch in Leichen von Blatterkranken ange-
troffen, die in der Pocken-Eiterung gestorben.
Auch bestätigt er die neuerliche Behauptung (– s.
diese Bibl. I. B. S. 568. 659. –) daß die Zähne
der Schwindsüchtigen ungewöhlich weiß werden,
[Seite 628] comme, – sagt er –, si elles avoient été la-
vées avec une liqueur acidule.
(– daß aber dieß letztere wahrscheinlicher Weise
in der That wohl die gewöhnliche Ursache dieser neuer-
lich berühmt gewordnen Erscheinung sey, und daß
sich dieselbe wohl erst beym Gebrauch saurer Arz-
neyen äußert, folglich ein bloses symptoma acci-
dentale sey, davon glaubt sich der Herausg. seit
3 Jahren durch mehrere Beobachtungen an schwind-
süchtigen Kranken und durch absichtliche Versuche
mit eingebeizten Zähnen überzeugt zu halten, wo-
von er auch etwas im Osteologischen Handbuch
S. 243 u.f. gesagt hat. –)
Alle jene Zufälle bey Lungen-Eiterung in erb-
licher Schwindsucht hält nun Hr. P. für Folgen
scrophulöser Stockungen, und glaubt folglich, daß
auf diese letztere die Behandlungsart der Krank-
heit gerichtet seyn müsse. Folglich verwirft er die
Schleim-Tränke, die Milch etc. die man fast ohne
Unterschied im Anfang dieser Krankheit zu geben
pflege, und die, wo nicht offenbar schädlich, doch
höchstens nur als Palliativ-Mittel angesehen wer-
den müssen. Hingegen habe er aus eigner Er-
fahrung den glücklichen Erfolg der schon von an-
dern Aerzten empfohlnen ganz gegenseitigen Be-
[Seite 629] handlungsart der angehenden Schwindsucht bestä-
tigt gesehen. Dahin gehört nämlich: der anhal-
tende Gebrauch der Bäder; kleine Aderlasse die
im Anfang oft und in der Folge doch alle vier
Wochen oder alle zwey Monat wiederholt werden;
ein Fontanell am Arm; öffnende Mittel deren Wür-
kung nach dem Maaß der Kräfte des Kranken und
seiner Neigung zum Fieber gemäßigt, und mit
erfrischenden feuchtenden Dingen versetzt werden
müssen; bittere Pflanzensäfte, anfangs allein und
nachher mit geblätterter Weinstein-Erde; auch
nachher an deren Stelle Kresse und Bachbungen;
dann gepülverte Polygala in starken Dosen; An-
timovialia und das Wasser von Baredge in Ver-
bindung mit Quecksilber; welche Mittel alle um
so würksamer waren, wenn sie durch Reiten oder
durch Seefahrten (– s. diese Bibl. I B. S. 574. –)
unterstützt werden konnten.