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Medicinische
Bibliothek
herausgegeben
von
Joh. Friedr. Blumenbach.

Dritten Bandes viertes Stück.
P. CAMPER.xxx

Prüfet alles, und das Gute behaltet.


Göttingen,
bey Johann Christian Dieterich,
1795
.

I.
Museum anatomicum academiae Lugduno-
Batavae descriptum ab Eduardo San-
difort.
Lugd. Batav. apud S. et J.
Luchtmans.
1793. – Vol. I. 312 S.
und IX Kupfertafeln. – Vol. II. 122 S.
mit CXXVII Kupfertafeln in Imperial-
Folio.

[[557]]

Das prachtvolle längsterwartete Werk das
nun nach vieljähriger Arbeit des würdigen
Verfassers, unter obigem Titel erschienen ist, ent-
hält zwar das Verzeichniß der sämmtlichen bey dem
Leidner anatomischen Theater befindlichen Präpa-
rate, gibt aber doch bloß von dem reichen Schatze
der darunter mit begriffnen pathologischen Stücke
umständlichere Nachricht, und von den wichtig-
sten derselben auch treffliche Abbildungen, durch-
gehends in Lebensgröße. Von der großen Ge-
nauigkeit und Treue dieser Abbildungen habe ich
mich vor drey Jahren bey einem kurzen Aufenthalte
[Seite 558] in Leiden selbst überzeugt, da ich einige derselben,
z.B. gleich die ersten vier Tafeln mit den Präpa-
raten selbst sorgfältig verglichen.

Bloß die neun dem ersten Bande beygefügten
Kupfertafeln stellen andere (nicht krankhafte) Ge-
genstände vor, nämlich eben so viele Schädel ver-
schiedner Nationen, und zwar: 1. den von einem
Calmücken, 2. Casanischen Tatar, 3. Neger, 4.
Russen, 5. Schweden, 6. Engländer, 7. Italiä-
ner, 8. Franzosen, und 9. den einer Hannove-
ranerinn.

Uebrigens begreift der erste Band die ausführ-
liche Beschreibung des ganzen Musei; der zweyte
aber die pathologischen Kupfertafeln und deren
Erklärung.

Ich übergehe sowohl die Einleitung, worin
Litterar-Notiz von den Leidner Professoren der
Anatomie gegeben wird, als auch die drey ersten
Abschnitte welche die Verzeichnisse des Rauischen
Legats und der Albinischen Sammlung (nach den
von beiden schon im Druck bekannten Catalogen
und der Präparate des seel. van Doeveren (nach
dessen eigenem handschriftlichen Verzeichnis) ent-
halten; um hingegen aus den folgenden vier
Abschnitten einiges auszuheben, worin die patho-
logischen
Präparate mit Verweisung auf die im
[Seite 559] zweyten Bande befindlichen Kupfertafeln beschrie-
ben sind.

Erst Knochenkrankheiten, deren Abbildungen
allein 103 Tafeln einnehmen.

Ein durch krankhafte Erweichung äußerst ent-
stellter truncus sceleti einer erwachsenen Weibs
person. Daher nur allein an den Rippen gegen
70 Fracturen. Die Schulterblätter waren als
wie von weichem Wachs mit wunderbaren Krüm-
mungen in die Zwischenräume der Rippen wie
eingefugt. Das Becken war vollends durch die
druckende Last des Körpers beym Sitzen etc. ganz
verschoben, in einander gebogen u.s.w. tab. I–IV.

Ein sceletirter Wasserkopf mit etlichen und 40
kleinen und großen Knochenkernchen in den großen
häutigen Zwischenräumen der Schedelknochen
(welche Knochenkernchen mit der Zeit zu ossiculis
Wormianis
geworden seyn würden). Schöne Ab-
bildungen der recht pathognomonischen Verände-
rung welche die obere Wand der Augenhölen durch
den Druck des Wassers leidet, zumal tab. VI.
fig. 4. 5. (– Vergl. den zweyten Band dieser
Bibl. S. 427. –)

Ein Wasserkopf einer erwachsenen Weibsper-
son deren Schedelknochen ausnehmend dünne,
[Seite 560] theils wie Papier so fein, und hin und wieder
gar durchlöchert sind (– also wie sonst wohl bey
steinalten Subjecten –) tab. VIII. IX.

Andere, theils von ungeheurer Größe bey wel-
chen die Knochen widernatürlich dick sind.

In einer weiblichen, vermuthlich venerischen,
Leiche war die harte Hirnhaut mit schwammich-
ten Knoten besetzt, und die Hirnschaale an den
damit correspondirenden Stellen beinfraßig. Ins-
gemein wird in diesem Falle diese Knochenverderb-
niß für Folge jener Knoten angesehen. Der Verf.
hingegen hält vielmehr umgekehrt die Knoten
für Folgen des Beinfraßes
der Hirnschaale, weil
er die völlig gleiche Knochenverderbniß auch außer
der Calvaria an andern Stellen desselben Schedels
gefunden. Tab. XXIV–XXVII. S. 152 u.f. ver-
glichen mit S. 231 u.f.

Runde sternförmige beinfraßige Stellen der
Hirnschaale, wie es scheint durch Kopfgrind ver-
anlaßt. Die abmacerirten getrockneten Knochen
gaben noch lange Zeit einen ganz eignen säuer-
lichen Geruch von sich. Tab. XXIII. fig. 3. 4.

Ein andrer dergleichen Beinfraß der Hirn-
schaale; aller Vermuthung nach von einer scro-
fulösen
Versetzung. Tab. XXII. fig. 2. 3.

[Seite 561]

Eine vorhin gesunde rüstige Frau die 13 Kin-
der geboren hatte, muß in ihrem 44sten Jahre
an einem Gewächs das in der Schleimhöle
linken Oberkiefers (antrum Highmori) entstan-
den war, und binnen 12 Jahren zu einer unge-
heuren das ganze Gesicht aufs scheuslichste ent-
stellenden Größe, anwuchs, die Gesichtsknochen aus
einander sprengte, und theils verzehrte, endlich
auch Blindheit verursachte, das Schlucken äußerst
beschwerlich machte u.s.w. des elendsten Todes
sterben. Tab. XXX–XXXIII.

Ein Paar Eindrücke, wie flache Gruben, auf
beiden Scheitelbeinen. Sie sind nicht in diesem
Werke, aber im ersten Theil der vom Verf. her-
ausgegebnen Exercitationum academicarum ab-
gebildet. (– Solche Eindrücke sind zuweilen Fol-
gen des Kopfgrindes; auch habe ich dergleichen
von einem Schedel eines vermuthlichen Cretins
vor mir, den Herr D. Michaelis so eben aus
dem Salzburgischen mitgebracht hat. Davon
unten unter den Beyfugen. –)

Größere und tiefere Eindrücke der Scheitel-
beine die schon bey Kindern in Mutterleibe aus
fehlerhafter Lage entstanden, da der Kopf an einem
der Beckenknochen der Mutter fest angedruckt ge-
wesen. Tab. XXXIV. fig. 1–5.

[Seite 562]

Eine große Mannichfaltigkeit von fehlerhaft
gekrümmten Rückgraaten, zumal Scoliosen und
Kyphosen. – So auch die damit oft verbundnen
Ankylosen, Beinfraß, Knochenspeckgeschwusst etc.
der Wirbel.

Ein weibliches Becken dessen heiliges Bein
mit beiden Hüftbeinen ankylotisch verwachsen ist,
die Schaambeine hingegen ohne Synchondrose
von einander abstehen etc. Tab. LXII.

Eine scheinbare Ankylose der Schaambeine,
mittelst eines am obern und hintern Rande wider-
natürlich gebildeten Knochenblattes. Tab. LXIII.

Die genaue Vorstellung des Beckens und der
Schenkelknochen einer Hinkenden. Beide Schen-
kelköpfe waren aus ihren Pfannen getrieben und
hatten sich über und hinter derselben neue Ge-
lenkgruben gebildet. Tab. LXIV. LXV.

Noch mancherley andre Verschiedenheiten in
Bildung solcher neuen Pfannen und der sehr un-
gleichen Veränderung die die Schenkelköpfe und
ihr Hals dabey erleiden.

So auch vielfache andere Verunstaltungen und
Verderbnisse dieser Enarthrosis. Darunter auch
Ankylosen derselben.

[Seite 563]

Unter den Schenkelhals-Brücken ein seltsames
Stück tab. LXXVIII. fig. 4–7. wo der nah am
Trochanter abgebrochne Hals einen conischen
Zapfen bildet, der in einer damit zusammen pas-
senden trichterförmigen Grube des obern Theils
vom Schenkelbein wie in einem neuen Gelenk be-
weglich gewesen.

Außerdem eine Menge krankhafter Arm- und
Bein-Knochen mit Necrosen, Beinfraß, Wind-
dorn, Beinauswüchsen, Ankylosen etc.

Der plötzliche Tod einer durch Scoliosis ver-
wachsenen Frau bey welcher der Oesophagus und
die Aorta durch ein Geschwür zusammen gewach-
sen waren, und da letztere endlich bersten mußte
ein Blutsturz aus ihr in den Magen erfolgte.
Tab. CV. CVI. fig. 1. In der gleichen Leiche
fand sich auch eine Wassersucht des einen Eyer-
stocks. Tab. CIX. fig. 3.

Eine vieljährige endlich tödlich gewordene Be-
schwehrde beym Schlucken, die sich mit einem Ge-
schwühr endigte das sich aus dem Schlunde in die
Luftröhre öffnete, und durch das aus jenem in
diese und folglich in die Lungen selbst einfließende
Eiter etc. Erstickung verursachte. Tab. CVI. fig. 3.

[Seite 564]

Andere für die Diagnosis der deglutitio diffi-
cilis
(dieses so traurigen und vielartigen meist
langsam tödtenden Uebels) lehrreiche Abbildungen.

Zwey treffliche Blätter mit Abbildungen eines
im 22sten Jahre durch Einklemmung tödlich word-
nen angebornen Netz- und Darmbruchs. Tab.
CXI. CXII.

Mancherley in Leichen aufgefundne Ursachen
der tödlich wordnen Blasen-Ischurie. Unter andern
einige große den Blasenhals verstopfende Aus-
wüchse der Prostata, bey welchen das Abzapfen
durch den Mastdarm nach Flürant’s Methode,
unthunlich gewesen wäre; hingegen die Oeffnung
der Blase oberhalb der Schaambeine doch für
eine Zeit lang Hülfe schaffte.

Beyläufig auch verschiedne seltne anatomische
Varietäten im Bau der Eingeweide und Gefäße.

Unter den Steinen auch einer aus dem Trä-
nensacke. Tab. CXIV. fig. 1.

Ein Nierenstein der von freyen Stücken her-
ausgeeitert. Tab. CXIV. fig. 14–16.

Unter den Mißgeburten auch sogenannte Krö-
tenköpfe (foetus acephali), theils mit Wasserkopf,
gespaltnem Rückgraat etc.

[Seite 565]

So viel nur, um von dem Inhalte des reich-
haltigen Werks eine Idee zu geben: denn, so
trocken auch eine solche Anzeige desselben ausfallen
muß, so wird sie doch hinreichen um die Leser
aufmerksam zu machen keine Gelegenheit zu ver-
säumen wo sie dasselbe zu sehen kriegen und be-
nutzen können, da es freylich wegen seiner Kost-
barkeit (– der Ladenpreis ist 150 Holländische
Gulden –) in manchen Gegenden eine Selten-
heit bleiben wird.


[[I]]


Blumenbach, Johann Friedrich. Date:
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