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Wissenschaftshistorischer Kontext

Temporalisierte Geschichte der Natur           Anthropologie          Internationale Dimension
Anthropologie
Internationale Dimension
Temporalisierte Geschichte der Natur


Fossil aus dem Bestand des von Blumenbach aufgebauten ehemaligen Academischen Museums in Göttingen. Fossilien waren entscheidende Ausgangspunkte für die Neuinterpretation der Vergangenheit der Erde. Für vollständige Abbildung und Angaben zum Objekt Abbildung anklicken.

Das wissenschaftliche Werk Johann Friedrich Blumenbachs gehört in den Zusammenhang einer der wichtigen wissenschaftlichen „Revolutionen“ der Zeit zwischen der Mitte des 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts. Vergleichbar mit der kopernikanischen Wende dreihundert Jahre zuvor reduzierte diese Revolution in den Bio- und Geowissenschaften die relative Bedeutung der menschlichen Existenz. Während die frühneuzeitliche Astronomie dies in Hinblick auf den Weltraum tat, stand im 18. und 19. Jh. die zeitliche Dimension der Existenz zur Diskussion. Es ging um das, was Wolf Lepenies schon vor längerer Zeit „das Ende der Naturgeschichte“ genannt hat, also um den Übergang von einer statisch verstandenen, atemporalen Naturgeschichte zu einer temporalisierten Geschichte der Natur. Dabei wurde erkannt, dass die Erdgeschichte auch eine prähistorische Phase umfasst, und u.a. trieb das immer höher veranschlagte, die biblische Chronologie weit übersteigende geologische Alter der Erde eine Säkularisierung der Geo- und Biowissenschaften voran.
Blumenbachs lange Lebensspanne wirkte als Brücke zwischen der Biologie Carl von Linnés auf der einen Seite und der Biologie Charles Darwins auf der anderen. Und Blumenbachs Werke zeigen exemplarisch die Wechselwirkungen zwischen den Wissenschaften vom Leben und insbesondere vom Menschen einerseits und andererseits den Geistes- und Sozialwissenschaften dieser Zeit. Sein wissenschaftliches Werk ist deshalb von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Wissenschaftskultur Europas im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert.
Literaturhinweise
Zammito, John H.: The Gestation of German Biology: Philosophy and Physiology from Stahl to Schelling. Chicago und London: University of Chicago Press, 2018; Kapitel 6 (S. 172–185): From Natural History to History of Nature. From Buffon to Kant and Herder (and Blumenbach); Kapitel 7 (S. 186–214): Johann Friedrich Blumenbach and the Life Sciences in Germany: His Rise to Eminence from the 1770s; Kapitel 8 (S. 215–244): Blumenbach, Kant, and the „Daring Adventure“ of an „Archaeology of Nature“.
Lefèvre, Wolfgang: „»Das Ende der Naturgeschichte« neu verhandelt: das Spektrum historischer Naturkonzeptionen in der Goethezeit.“ In: Bomski, Franziska; Stolzenberg, Jürgen (Hg.): Genealogien der Natur und des Geistes: Diskurse, Kontexte und Transformationen um 1800. Göttingen: Wallstein, S. 25–42. Vgl. Preprint des (nur sprachlich und in der Fußnotenzahl ganz leicht abweichenden) Tagungsbeitrags „»Das Ende der Naturgeschichte« neu verhandelt. Historisch genealogische oder epigenetische Neukonzeption der Natur?“ (2016).
Siehe auch die Auswahlbibliographie zu Blumenbachs Beiträgen auf dem Gebiet der Geologie und Meteoritenkunde und der Paläontologie.

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„Bildschöner Schedel einer Georgianerin“. Kupferstich aus Blumenbachs Abbildungen naturhistorischer Gegenstände, 6. Heft (1802) Nr. 51. Zum Vergrößern Abbildung anklicken. Blumenbach schrieb – zeitgenössi­schen Reiseberichten folgend – den Bewohnern von Georgien besondere Schönheit zu; vgl. Figal, Sara: „The Caucasian Slave Race: Beautiful Circassians and the Hybrid Origin of European Identity.“ In: Lettow, Susanne: Reproduction, Race, and Gender in Philosophy and the Early Life Sciences. Albany: SUNY, 2014, S. 163–186. Digitalisat.

Blumenbach steht am Beginn einer in der modernen Gesellschaft bis heute geführten Debatte über die Entstehung des Lebens, den Ursprung der Arten, Monogenie, Polygenie, einschließlich der Rassendebatte. Auf der Grundlage seiner Schädelsammlung entwickelte er seine berühmte Klassifikation der Menschheit in Varietäten. Indem er zugleich die Einheit der Spezies Mensch betonte, begründete Blumenbach den wissenschaftlichen Anti-Rassismus. Diese Tatsache ist wenig bekannt, und das Projekt soll u. a. auch diesen wichtigen Beitrag Blumenbachs zur Wissenschafts- und zur Gesamtkultur stärker bewusst machen.
Konkret wird die textkritische Bearbeitung von Blumenbachs Doktorarbeit De generis humani varietate nativa (1775 und spätere Ausgaben) Licht auf die Entstehung der Anthropologie werfen. Im Mittelpunkt steht dabei die Loslösung der „Wissenschaften vom Menschen“ sowohl von der Heilsgeschichte, als auch von der in der Aufklärung dominierenden humanistischen und philosophischen Ausrichtung. An ihre Stelle trat ein stärker naturwissenschaftlicher Ansatz.
Literaturhinweise
Junker, Thomas: „Johann Friedrich Blumenbach und die Anthropologie heute.“ In: Gurka, Dezső (Hg.): Changes in the image of man from the Enlightenment to the age of Romanticism. Philosophical and scientific receptions of (physical) anthropology in the 18–19th centuries. Budapest: Gondolat Publishers, 2019, S. 125–142. Digitalisat.
Rupke, Nicolaas A.; Lauer, Gerhard: „Introduction: A brief history of Blumenbach representation.“ In: Rupke, Nicolaas; Lauer, Gerhard (Hg.): Johann Friedrich Blumenbach: Race and Natural History, 1750–1850. London und New York: Routledge, 2019, S. 3–15. Digitalisat auf der Hompepage des Verfassers.
Zu Blumenbachs Beiträgen auf dem Gebiet der Anthropologie siehe auch
• Chronologische Liste der Publikationen Blumenbachs auf dem Gebiet der Physischen Anthropologie
• Forschungsliteratur zum Thema „Blumenbach und Anthropologie“ (Auswahl)
• Vortragsvideos der Tagung „Johann Friedrich Blumenbach and the Culture of Science in Europe around 1800“ (2015).

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Joseph Banks (1744–1820). Gemälde (1771–1773) von Joshua Reynolds. Banks war Präsident der Royal Society und wurde zum wichtigsten Ansprechpartner Blumenbachs in der wissenschaftlichen Welt Englands. Zum Vergrößern Abbildung anklicken.

Blumenbachs Schriften sind ein wichtiges Zeugnis der europäischen und sogar transatlantischen Dimension der Gelehrtenrepublik seiner Epoche. Blumenbach stand in engem Kontakt zu vielen bedeutenden zeitgenössischen Naturforschern in wissenschaftlichen Zentren wie Paris und London, aber etwa auch in Amsterdam, Genf, Kopenhagen, Padua und St. Petersburg. Besonders interessant sind auch Blumenbachs frühe Verbindungen in die damals noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika.
Als Lehrer war Blumenbach außerordentlich einflussreich und wirkte sehr anregend auf zahlreiche Schüler. Eine ungewöhnlich hohe Zahl von ihnen hatte später Lehrstühle in ganz Europa inne, nicht zuletzt in Russland. Hervorzuheben wäre auch sein Einfluss auf wissenschaftliche Forschungsreisende und Entdecker, darunter z.B. seine Studenten Alexander von Humboldt und Maximilian zu Wied-Neuwied.
Literaturhinweise
Biskup, Thomas: „Transnational Careers in the Service of Empire: German Natural Historians in Eighteenth-Century London.“ In: Holenstein, André; Steinke, Hubert; Stuber, Martin (Hg.): Scholars in Action. The Practice of Knowledge and the Figure of the Savant in the 18th Century. Volume 1. Leiden und Boston: Brill, 2013, S. 45–70. Digitalisat (evt. lizenzpflichtig).
Klatt, Norbert: „Lehrer und Schüler. Zum frühen Verhältnis von Johann Friedrich Blumenbach und Alexander von Humboldt.“ In: Klatt, Norbert: Kleine Beiträge zur Blumenbach-Forschung. Band 1. Göttingen: Klatt, 2008, S. 9–36. Digitalisat.
Siehe auch die Auswahlbibliographie, hier die Abschnitte Rezeption und Wissenschaftliche Beziehungen zu Großbritannien.

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